HIS-Data
Allgemeine Encyclopädie HIS-Data
5139-1-1-086-1
Erste Section > Erster Theil > AB
Werk Bearb. ⇧ 1. Th.
Artikel: ABENTEUER
Textvorlage: Göttinger Digitalisierungszentrum
Siehe auch: HIS-Data Ab
Hinweise: Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Bearbeitung
Inhalt:
⇦ ABENSBERG
ABEN ZOHAR ⇨

⇧ S. 86 Sp. 1    
  ABENTEUER, ABENTEUERLICH. Mag man das Wort Abenteuer oder Ebenteuer (Aventure) mit Adelung von adventus oder eventus, oder mit Wachter von den gothischen Worten aba der Mann und türen wagen (daher theuer, theuerkich, tapfer, herzhaft) oder von dem Isländischen Ef zweifelhaft, und dyrren, sich erkühnen (Heumanni opusc. p. 465.) herleiten, es bezeichnet, sowie das französische aventure, ursprünglich ein kühnes, verwegenes Unternehmen, welches jemand aufsucht, oder auf welches er durch Zufall stößt. Die frische Lebenskraft, der Thatendrang der Helden in der Jünglingszeit einer Nation, wo physische Kraft durch geistige Cultur noch nicht geschwächt ist, und das Recht der Stärke herrscht, sucht Beschäftigung durch Kampf und Ritterzüge; sie brennt, in Gefahr und Schrecken ihren Muth und ihre Tapferkeit, zu offenbaren; den Feind besiegen, Schrecken und Gefahren standhaft zu bestehen, ist hier der höchste Ruhm und Stolz. So die Argonauten, die das goldne Vließ zu holen, nach der Sage, auszogen, so die Helden vor Troja, die das schöne Weib erkämpfen wollten. Auf gleiche Weise nahm der christliche Ritter das Kreuz und zog zu dem heiligen Grabe ins gelobte Land, oder kämpfte für seine Dame mit Feinden und wilden Thieren. Überall spielt bei dem Abenteuer der Zufall oder das Glück eine Rolle; eine nach berechnetem Plan und verständigem Zwecke besonnen unternommene That wird nicht Abenteuer genannt.
  Wir finden aber diesen Namen zuerst in den Ritterbüchern des Mittelalters. Hier bezieht er sich also auf den Gegenstand, die erzählten Thaten, welche in Hinsicht der Ausführung oder ihres Zweckes die Früchte kühner, verwegner Unternehmungen waren. Bald kam natürlicher Weist zu dieser Bedeutung noch eine andere, welche die erzählende Darstellung selbst betraf. Wo nämlich die jugendlich frische Thatenkraft eines Heldenzeitalters untergegangen ist, da scheinen wunderähnliche Wirkungen und Wagnisse der lebenden Mensch-
S. 86 Sp. 2 ABENTEUER
  heit nur eine Mähre, theils werden sie auch von der, sich in die jugendliche Vergangenheit gern hinwendenden Phantasie bald ausgeschmückt, mit dem Wunderbaren vermischt, und bis zur Übertreibung, zum Mährchen gestaltet. Treten wir nun immer weiter und tiefer ins bürgerliche Leben, und in diejenige Epoche der Nationen ein, wo der Staat, besonders der monarchische, mit seinen Regirungsgewalten sich vollkommen organisirt hat, wo die Ausschweifungen, üppiger und ungezügelter Jugendkraft in öffentlichen und Privatverhältnissen überall ihre Schranke finden, und Klugheit herrscht, welche den Erfolg der Handlungen nach Gesetz und Wahrscheinlichkeit berechnet: — unter diesen veränderten Verhältnissen muß jedes kühne, nicht von dem Gesetz oder dem Dränge der Umstände gebotene Wagen, jedes Hinausstreben über das Gewohnte, was sich dem Glücke allzusehr überläßt, thöricht, seltsam erscheinen. Daher nun die letzte, jetzt gewöhnliche Bedeutung des Abenteuerlichen, in welcher es, nur nationell individualisirt, in dem französischen aventurier vorkommt, welches wir treffend mit Glücksritter übersetzen, obgleich bei uns Teutschen die Classe von Menschen, welche diesen Namen trägt, seltner anzutreffen ist.
  Aus allen diesen sind die von verschiedenen Schriftstellern herrührenden Bestimmungen des Abenteuerlichen zu begreifen, welche es bald (wie Eberhard), als das unnatürlich Große, welches an das Ungereimte gränzt, oder (wie Gruber) als das ungereimt Seltsame im Großen und Erhabenen, das überspannt Große, bald (wie Sulzer) als das falsche Wunderbare, dem es selbst an poetischer Wahrscheinlichkeit fehlt, darstellen, und alle laufen auf den Begriff eines verwegenen gewagten Unternehmens hinaus, wobei man an unnatürliche, übertriebene, oder erträumte Zwecke, an das Unmögliche oder Ungereimte seine Kraft verschwendet. Leere Ruhmsucht, oder das egoistische Streben, Aufsehn zu erregen, eine ausschweifende ungezügelte Phantasie, überströmendes, muthwilliges Kraftgefühl und üppiger Thatentrieb bei Mangel an Verstandesreife sind die Quellen abenteuerlicher Handlungen.
  In Hinsicht der Kunst, vorzüglich der Poesie unterscheidet man das unwillkührlich- und fehlerhaft Abenteuerliche d. h. dasjenige, welches der Darstellende selbst für Groß und Erhaben hält und als solches darstellt, (liege es nun in den Handlungen der geschilderten Personen, oder in dem Zusammenhange der Handlungen und Begebenheiten, in welchem Fall es mit dem Romanhaften, Übertriebenen, Unwahrscheinlichen, Zusammenhangslosen oft zusammenfallt, oder in der Darstellung selbst) — von dem willkürlich Abenteuerlichen, d. h. demjenigen, welches der Künstler mit Bewußtseyn und künstlerischer Wirkung anwendet. Hier erscheint es nun sowohl im Gebiete des Romantischen und Wunderbaren, wo die Einbildungskraft ein freieres Spiel hat, und der Leser oder Zuschauer sich gern der Täuschung derselben hingibt, (§. B. im Mährchen, wie in Ariosts rasendem Roland, in der Oper), als auch in der Sphäre des Komischen und als Parodie des Erhabenen, (wie im Don Quichote des Cervantes), und der Gegenstand modificirt nothwendig die Darstellung, und
S. 87 Sp. 1 ABEN ZOHAR
  gibt ihr den eigenthümlichen Ton und Zusammenhang. Das unwillkürlich Abenteuerliche erregt gewöhnlich unwillkürliches Lachen.
  Doch möchte die Grenze zwischen dem unwillkürlich, und willkürlich Abenteuerlichen für den Beurtheiler oft schwer zu bestimmen sein, daher auch manche etwas Abenteuerliches an einem Kunstwerke, was zu dem Sinn und Ton des Ganzen wohl gehört und darum Lob verdient, doch tadeln, indem sie bloß von dem Standpuncte der Wahrscheinlichkeit und des logischen oder empirischen Zusammenhanges ausgehen. (Z. B. bei Dante's und Mich. Angelo's Beurtheilung.) Aber sehr natürlich ist, daß auch das Unwahrscheinliche Sinn und Consequenz haben müsse, um sich nicht in das schlechthin Ungereimte zu verlieren. Daher nennt man tadelnd auch das angrenzende Schwülstige, Karikaturmäßige, Schimärische oder das Monströse abenteuerlich, welches aller Schönheit der Form widerspricht, so z. B. viele Abbildungen orientalischer Gottheiten und Hieroglyphen, so wie die abgeschmackte Vermischung heterogener Gegenstände und Style in der Poesie und bildenden Kunst, das zweckwidrig Kühne in Werken der Bau- und Gartenkunst und das wunderlich Bizarre in den Modulationen und Figuren der Tonkunst. Letzteres geht ebenfalls bei Künstlern meistens aus Sucht nach übertriebener Größe, Erhabenheit und Originalität hervor, welche über die Grenzen des Darstellbaren hinausstrebt, und sich von der Natur verliert.
 
Abenteuer fahren Abenteuer, auf Abenteuer fahren heißt in der See Sprache aufs Gerathewohl Frachten in fremden Hafen suchen. Bisweilen nennt man Abenteurer die Schiffer die dahin handeln, wohin in der Regel nur Compagnie-Schiffe handeln dürfen.
   
HIS-Data 5139-1-1-086-1: Allgemeine Encyclopädie 1. Sect. 1. Th.: ABENTEUER HIS-Data Home
Stand: 30. Oktober 2017 © Hans-Walter Pries