HIS-Data
Allgemeine Encyclopädie HIS-Data
5139-1-1-379-9-2
Erste Section > Erster Theil > Adel
Werk Bearb. ⇧ 1. Th.
Artikel: ADEL: {Ursprung und das Wesen des Adels}
Textvorlage: Göttinger Digitalisierungszentrum
Hinweise: Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Bearbeitung
Inhalt: Übersicht
⇦ ADEL I. (histor.)
ADEL II. (rechtlich) ⇨

⇧ S. 383 Sp. 2    
  — Bei Untersuchungen über die innere Beschaffenheit der bürgerlichen Ordnung eines Volks überhaupt und den Adel insbesondere verdient erwogen zu werden, was Aristoteles sagt 1): „Die Ländereien müssen denen gehören, welche die Waffen führen, und den Staat leiten." Dieses zu erläutern, gedenke ich blos der Griechen, insbesondre der beiden Staaten, die einmal selbst von einem Spartaner die Augen Griechenlands genannt wurden 2). In den ältesten Zeiten der Athener, wie der Spartaner, hatte eine Länderei- und Erbschaftsverfas-
 
  • 1) Polit. VII, 9 §. 5.
  • 2) Iustin. V, 8. Plutarch. praecepta polit, ed. Francof. XI. p. 803.
S. 384 Sp. 1 ADEL
  sung Statt, in welcher die Keime des dinglichen Adels sichtbar enthalten sind, wiewol sich diese unter ganz andern Völkern, in andern Gegenden Europens, und in viel späterer Zeit entwickelt haben. Wenn bei dem Tod eines Grundeigenthümers Söhne da waren, so erbten nur diese, mit gänzlichem Ausschlusse der Töchter. In Ermangelung von Söhnen gelangten zwar die Töchter zum Erbe der Ländereien, doch unter der Bedingung, dieselben dem nächsten Verwandten väterlicher Seite durch Verheirathung zuzubringen, damit die Güter bei dem Geschlecht erhalten würden, und dieses dadurch fortbestände; wo sich denn bekanntlich unter den Vettern solcher Erbtöchter nicht selten gerichtlicher Streit über die Nähe der Verwandtschaft, also der Ansprüche, erhob. Diese Einrichtung gehörte zu der Grundlage des Staatsvereins; keinem Einzelnen konnte einfallen, Änderungen darin zu machen. Vermächtnisse waren demnach unbekannt. ♦
  Sehr nah liegt hier die Frage, welches der Grund einer so weit verbreiteten, in ihren Folgen so fruchtbaren, uralten Anstalt gewesen sey? Die Antwort, sie habe die Erhaltung der Geschlechter bezweckt, ist eben so unbefriedigend, als bekannt. Es muß weiter zurück gefragt werden, was der Sorge für die Erhaltung der Geschlechter zum Grunde gelegen habe? Denn an sich selbst konnte diese den Urhebern der gesellschaftlichen Vereine nicht so überaus wichtig vorkommen, um das Staatswesen in seinen Haupttheilen darauf zu gründen; die Erhaltung der Geschlechter durch Sicherung eines Grund-Eigenthums kann nur Mittel zu einem tiefer liegenden Zwecke gewesen seyn.
  In den ältesten geschichtlichen Urkunden offenbaren sich deutliche Spuren, daß der ursprüngliche Bau der Gesellschaft in genauer Übereinstimmung gestanden hat mit der damals befolgten Zeitrechnung. Nach der Zahl der Monate eines Jahres war die Anzahl der Stämme oder größern Genossenschaften abgemessen, die einen Staatsverein bildeten, und nach den Abschnitten eines Monats wieder die Unterabtheilungen eines Stammes, oder die kleinern Körperschaften. Diese Einrichtung war zum Behufe derjenigen Regirungsverfassung erfoderlich, welche die erste unter den seßhaften Völkern der Urzeit gewesen ist, zum Behufe der freien, genossenschaftlichen Wechselregirung, die, mit dem Kreislaufe der Monate, Wochen, und Tage, Schritt haltend, nach einer bestimmten Reihefolge unter den Häuptern der verbundenen Stämme umlief. ♦
  Diese Vorstellung von der bürgerlichen Ur-Verfassung konnte hier nur in gedrängter Kürze berührt werden; sie ist von dem Verfasser an einem andern Orte ausführlich entwickelt worden 3). Ihr zufolge war die Erhaltung der einzelnen Geschlechter durch Sicherung eines Grund-Eigenthums nothwendig zur unveränderlichen Vollständigkeit des Gliederbaues der Gesellschaft; diese Vollständigkeit aber gehörte zum Grundwesen der Verfassung, damit das Zusammentreffen des Regirungswechsels mit den Abschnitten des Jahrs nicht gestört wurde. Der Grund von jener Länderei-und Erbschaftsverfassung war also ein Zeitwissenschaftlich-Staatsrechtlicher.
 
  • 3) Urgeschichte des Staats.
S. 384 Sp. 2 ADEL
  Von gesellschaftlichen Anstalten wird nicht selten der Kern allmälig von der Zeit verzehrt, und die Schale dauert zwar fort, wird aber durch Zusätze und vielfache Gestaltungen unkenntlich gemacht, zumal wenn sie durch Ansiedlergesellschaften in Gegenden gebracht worden, wo solche Früchte nicht einheimisch sind. So ist es jenen Grundzügen der Länderei-Vererbung gegangen. Keinem Zweifel ist unterworfen, daß die germanischen Völker ursprünglich in Gegenden ihre Sitze gehabt haben, wo sie Nachbarn von den Vorfahren der Griechen gewesen sind. Hiedurch wird die Verwandtschaft erklärlich, die sich in Ansehung sowol gewisser Theile der Sprache, als mancher bürgerlichen Einrichtungen der frühesten Zeiten, kund thun. Von dort haben sie auch das Reis jener Verfassung des Ländereiwesens nach Teutschland und in die Niederlande mitgebracht; aber unter dem Einfluß einer andern Luft hat sich ein wuchernder, abweichender Baumschlag entwickelt. ♦
  Das Gesellschaftsrecht mußte hier große Veränderungen erfahren. Denn die Staatsgenossen lebten nicht mehr in kleinen Umkreisen, wie ihre Vorfahren in Asien, sondern sie besetzten weitläuftige Gegenden, breite Landstrecken, wodurch das gesellschaftliche Band loser ward. Das Grund-Eigenthum gehörte nicht mehr dem ganzen Vereine gemeinschaftlich, wie einst den umherziehenden Hirtengesellschaften, von denen sie abstammten, sondern es war unter die Familie getheilt, und zwar auf ungleiche Weise, wodurch frühzeitig Herrschaft und Dienstbarkeit entstand. Aus dem Verein selbstständiger Familien war einst die Staatsgesellschaft hervorgegangen. Die Vorstellung blieb unverändert, jede Familie sey im Einzelnen, was der Staat im Ganzen. Bei der Beschlagnahme des Grundes und Bodens in neuen Heimathen hatte, dem zufolge, blos eine Theilung unter die Familien Statt; blos Gesammtstücke der Familien entstanden 4); kein Gedanke einer weitern Theilung in persönliches Eigenthum. Die Mitglieder einer freien Familie, mit ihrem Haupte, galten im Kleinen für dasselbe, was die Staatsgenossen mit dem Fürsten im Großen. Wenn jetzt freilich der Zweck der bewußten Sorge für die Geschlechter verschwunden war, so bewahrte und erweiterte man desto mehr das Mittel.
  Daraus ist ein Länderei-Recht hervorgegangen, das sich kürzlich in folgenden Hauptsätzen zusammenfassen läßt. Ein Landwesen wird niemals getheilt, sondern behält unter allen Besitzern seinen, vom Anfange bestimmten Umfang. Bei dem Tod eines Besitzers kommt das Erbe unter den Söhnen an den ältesten, dann unter den Brüdern an den ältesten 5), und so fort an den nächsten Blutsverwandten, nach dem Grundsatze der Erstgeburt und der Linien. Hinterläßt ein Besitzer keine männlichen Verwandten väterlicher Seite, dann erst rücken die Töchter in das Erbe. Da in dieser Rechtsanstalt die Erbfolge so genau bestimmt, und die Unteilbarkeit gesetzlich ist, so folgt von selbst, daß dergleichen Güter durchaus Familiengüter sind, kei-
 
  • 4) Dagegen erklärt sich Eichhorn in der teutschen Staats-und Rechtsgeschichte I. §. 30. und setzt den Grund der Erbfolge in die Consanguinität. (H.)
  • 5) Auch an die Oheime mütterlicher Seite, Tacitus de Germ. c. 20. (H.)
S. 385 Sp. 1 ADEA
  nem Besitzer also zusteht, in Vermächtnissen darüber zu verfügen. (Vgl. Testament.)
  Es ist oft geschehen, daß wichtige Theile des bürgerlichen Rechtsgebäudes im Dunkel der Zeit aus einzelnen Rechtsgewohnheiten entstanden sind. So unter andern diese, in ihren Grundzügen entworfene, Länderei-Erbschaftsverfassung. In ihrer Vollendung steht sie freilich erst im Mittelalter da; von den Haupt- Ästen aber des merkwürdigen Stamms, aus denen die übrigen Bestimmungen als Zweige erwachsen sind, finden sich schon die ausdrücklichsten Angaben fast in allen bekannten altteutschen Rechten: vorzüglich von der bloßen Mannsstammfolge im Erbe der Grundstücke; von den Erbtöchtern, nach Erlöschung des Mannsstamms 6); ja, daß keine Aussteuer der Töchter, und keine Vermächtnisse, gebräuchlich gewesen, bemerkt schon Tacitus 7)! Geistliche waren es aber, die jene Sammlungen von Rechtsgewohnheiten zu Stande brachten; daher kommen freilich sowol in diesen, als in frühern Urkunden, Beispiele von Schenkungen an die Kirche, und von Willens- Erklärungen vor; schon in frühern Jahrhunderten nimmt, auf diese Veranlassung, der Kampf zwischen dem germanischen und römischen Rechte den Anfang. Doch im Ganzen behauptete sich das altgermanische Recht der Länderei-Vererbung bis tief in das Mittelalter herab.
  Hier ist ein Standpunkt erreicht, von welchem das Ziel dieser Ausführung in das Auge gefaßt werden kann. Zunächst muß die Frage seyn: was war der Adel zu jener Zeit? Er war — der weltliche Herrenstand. Da der Staat noch nicht, wie in der neuern Zeit, ein Gewässer war, dessen Wellen in einander fließen, sondern ein bloßer Staatenbund, nämlich ein Inbegriff von kleinern oder größern landherrlichen Familienstaaten: so machte der Adel, im alten Sachsen Edlinge 8), die freien, herrschaftlichen Genossen der letztern aus, im Gegensatze theils der Freibauern oder Freilinge 9), theils der Leibeigenen. Jene waren abgerissene Zweige eines herrschaftlichen Stammes, verarmte Nachkommen jüngerer Söhne, persönlich frei, aber auf dem Grund und Boden einer Herrschaft als Erbzinspächter ansässig. ♦
  In den Leibeigenen, die schon früh in der Geschichte der germanischen Völker, doch nicht in so starker Zahl, vorkommen, wie in der Folge, sind die Nachkommen ehemals freier Eigenthümer nicht zu verkennen, die von überlegenen Ankömmlingen unterdrückt, ihres Grundeigenthums beraubt, und in das Verhältniß der Dienstbarkeit versetzt worden waren. Handwerke, niedere Künste, und kleiner Verkehr, waren theils noch in rohem Zustande, theils nur das Geschäft der Leibeigenen; welches letztern Umstandes wegen sie bekanntlich von allen Freien gering geachtet wurden. Selbst der Betrieb der Hof-und Feldwirthschaft wurde lauter unfreien Dienern überlassen. ♦
  Die Stimmung der Römer in dieser Hinsicht ist bekannt genug, und erhellt am deutlichsten aus der Äußerung Ciceros 10): „Keins
 
  • 6) Marculf. form. l. II. N. 12. ap. Baluz. II. p. 412. appendix form. N. 49. 463. Saxo Gramm. X. p. 187. Lex. Sal. tit. 62. §. 6 Lex Ripuar. tit. 65. Lex Bajuar. tit. 14. c. 7. 9. Lex Alam. tit. 57. Lex Angl. et Varn. tit. 6. Lex Sax. tit. 7. c. 4.
  • 7) Germ. c. 18. 20.
  • 8) Nithard. hist. IV. 2.
  • 9) Ibid.
  • 10) De off. I. 42.
S. 385 Sp. 2 ADEL
  von allen einträglichen Geschäften ist des freien Mannes würdiger, als der Landbau." Bei den damaligen Teutschen aber fehlte noch ganz der Anreiz von außen, der die Betriebsamkeit des Landwirths wecken muß. Zu verwundern ist daher nicht, daß ein, in diesen Zusammenhang gehörender, altteutscher Spruch so lautet: „Blut ist rühmlicher, als Schweiß." Grundherrlichkeit also ist das erste Unterscheidungsmerkmal des Herrnstandes jener Zeit. Ferner: das ungetheilte Gebiet, das Gesammt-Eigenthum des Mannsstamms, mit den Waffen zu vertheidigen, war Sache aller männlichen Verwandten. Endlich waren es die Häupter der verbundenen Gehöfde, die gemeinschaftlich die Staatsbeschlüsse faßten, und durch erwählte Schiedsrichter die gegenseitigen Streitigkeiten schlichteten. Hiemit sind die drei Merkmale des Adels jener Zeit zusammengestellt: es war der Stand der Land-Herren, Krieger und Herrscher.
  In dem Verfolg dieser Ausführung über den Ursprung und das Wesen des Adels kommt es nun zuerst auf einen Gegenstand an, der den Übergang zu den folgenden ausmacht, auf die jüngern Söhne und Brüder der Stamm-und Familienhäupter, gleichsam die abgetheilten Prinzen der Ackerfürsten. Was sollten sie vornehmen, wenn der Thätigkeitstrieb erwachte, und die Familien- Heimath ihnen zu enge ward? Züge auf Abenteuer und Kriegsbeute gab es nicht immer; der Staat war noch in der Kindheit, und bedurfte keiner Beamten; die Kirche nahm wenige auf, und ihre Reichthümer waren noch nicht groß genug, um für gewisse Entbehrungen der Welt zu entschädigen. Die Jagd konnte den Kräften und Ansprüchen muthiger Junker nicht genügen. ♦
  Da eröffnete sich denn folgendes Feld. Bundesverfassung ist eine der vorzüglichsten und allgemeinsten Bildungsstufen der Gesellschaft; sie ist ein Mittelzustand zwischen den losen völkerschaftlichen, und den engern staatsbürgerlichen Banden. In diesem befanden sich die teutschen Völkerschaften des Zeitraums, der hier berührt wird. Jeder Inbegriff von Familiengebieten, verbunden durch Nachbarschaft, Mundart, Gewöhnung, Verschwägerungen, hatte ein gemeinschaftliches Oberhaupt, einen Stammfürsten, begreiflich einen von den größern Landherren des Vereins, der in Kriegen den Oberbefehl, und in Staatsversammlungen, sowie bei schiedsrichterlichen Aussprüchen, den Vorsitz führte. ♦
  Häufiger wird der Herr durch die Diener gehoben, als umgekehrt die Diener durch den Herrn unterworfen werden: eine Wahrnehmung, die nicht so oft wiederkehren, und von neuem empören würde, wenn die Warnungen der Vergangenheit Eingang fänden. Diese Stammfürsten waren es, auf welche die nachgebornen Söhne ihr Auge richteten, wenn es ihnen daheim zu enge ward. Gern mochten sie an einen solchen sich anschließen, und mit beibehaltner persönlichen Freiheit ihm dienen am Hoflager und im Felde. Es bildete sich um die Person jedes Fürsten eine zahlreiche, und nach damaliger Zeit glänzende, Dienerschaft, zugleich dessen Gefolg in Feldzügen: Hofmeister, Marschall, Kämmerer, Schenk, Truchses, Jägermeister, Oberjäger, Thürhüter u. s. w. Die meisten übrigen waren, ohne ein besonderes Hofamt zu besitzen, bloße Haustruppen, bewaffnetes fürstliches Gesind überhaupt. Das waren
S. 386 Sp. 1 ADEL
  in allen germanischen Ländern die Anfänge, aus denen die Reichsdienstmannschaft, und die Verpflichtung der Staats- und Kriegsbeamten zur Aufwartung am Hofe, hervorging. Daher rührt auch die Vorstellung, ein Edelmann, der zur müßigen Umgebung eines Fürsten gehört, sey vornehmer, als einer, der in freier Luft auf dem väterlichen Erbe selbstständig lebt. Ja die Unkunde und Verkehrtheit geht mitunter so weit, den Hof-Adel mit dem hohen Adel zu verwechseln. ♦
  An der Spitze dieses freien Gefolges von Kriegsleuten trieben die fränkischen Oberfürsten schon früh die Sache ins Große. Sie wurden theils den Römern in Gallien überlegen, und machten in den Eroberungen solche Fortschritte, daß sie selbst davon überrascht werden mußten, theils kehrten sie über die Maas und den Rhein zurück, und gebrauchten die vermehrte Stärke ihrer Waffen zur Unterjochung der Völkerschaften, mit denen sie durch die Sprache verwandt waren. Wenn sie von den Ländereien in den unterworfenen Gegenden ungefähr den dritten Theil zu ihrem Eigenthum erklärten, wozu namentlich die Güter der unterdrückten Stammfürsten gehörten, so beobachteten sie hierin dasselbe Verfahren, wie früher zuweilen die Römer 11). ♦
  Verschiedene von den angemaßten Landgütern behielten sie unmittelbar sich und ihrer Familie vor, damit das wandernde Hoflager in allen Gegenden des Reichs geräumigen Aufenthalt, und hinlängliche Verpflegung, fände; nicht wenige andere verliehen sie den christlichen Obergeistlichen, deren Unentbehrlichkeit bei der Reichsverwaltung sie begriffen; bei weitem den größten Theil aber räumten sie lehnweise ihrer Kriegs-und Hof- Dienerschaft, zu deren Unterhalt, ein, die dadurch nothwendig zugleich zur Reichsdienerschaft ward. Denn es bot sich von selbst der Gedanke an, diese Männer als Ober-und Unterstatthalter in den Gegenden anzusetzen, in welchen sie ihre Lehngüter hatten, als Herzoge, Markgrafen, Pfalz-, Burg-und Gaugrafen. Die Reichsverwaltung bildete sich ganz nach der Weise der Verwaltung eines größern Landwesens mit mehrern Dorfschaften. Einige von den unmittelbaren königlichen Gütern waren mit einem Sale oder Herrschaftlichen Wohngebäude versehen, wo also eine ansehnliche Zahl stattlicher Herren unterkommen konnte. In solchen hielten sich abwechselnd die Könige auf; und so lange sie in der Provinz waren, mußten die, in derselben ansässigen, Dienst-und Lehnmannen zur Aufwartung am Hofe bereit seyn. ♦
  Nach damaliger mangelhafter Staatskunst wurden bei solchen Zusammenkünften alle öffentlichen Sachen abgethan: die streitbare Mannschaft der Provinz, und einiger benachbarten, ward zusammengezogen, um Heerschau zu halten; die Streithändel der Reichsdienstmannen wurden geschlichtet, in sogenannten Fürstenrechten; die Könige berathschlagten mit den versammelten Staats-und Kirchenbeamten über öffentliche Angelegenheiten, woraus die Reichstage entstanden sind.
  Zwei Gattungen von Adel sind nun zu unterscheiden: der alte, freiherrlich-dingliche; und der neue, reichs-dienst-und lehn-mannschaftliche, reichsständische, hohe
 
  • 11) Liv. 35, 9.
S. 386 Sp. 2 ADEL
  Adel, anfänglich blos persönlich, bald aber ebenfalls dinglich, doch unter andern Rechtsverhältnissen. Wie es gekommen sey, daß von jenem der erlauchtere Theil mit diesem zusammengeschmolzen, darauf ist in der Geschichte des Adels vorzüglich zu sehen. Die Erklärung liegt fast ganz in den Worten: die Alten verschmähten nicht die Fußtapfen der Jungen. Mit Recht konnten sich die Häupter der alten freiherrlichen Geschlechter den Vorzug vor jenen Emporkömmlingen beilegen, welche die Laune des Schicksals ihrer Mundschaft endogen, auf eine hohe Staffel äußeren Glückes gehoben, und zu ihren Vorgesetzten gemacht hatte. Sie hatten bisher ihren Stolz darin gesetzt, „blos abzuhängen von Gott und ihrem Degen." Aber eine neue Ordnung der Dinge trat ein, die alterthümlichen Begriffe von Freiheit und Ehre verloren sich nach und nach; Dienste für den König brachten öffentliches Ansehn, Macht und Rang. Nur Königliche und Reichs-Dienstmannen nämlich gelangten zu den Statthalter-und Befehlshaberstellen am Hof, im Staat, und im Heer, und eben damit zu dem Lehnbesitz einträglicher großer Ländereien. ♦
  Um solcher Vorzüge theilhaftig zu werden, verzichteten die größern Landeigenthümer, die alten Freiherren, auf die persönliche Freiheit, als auf einen Baum, der keine Früchte mehr trug; sie meldeten sich zur Aufnahme in die Genossenschaft der beneideten Reichsherren, gelobten dem Könige den Kriegsdienst für sich und ihre Heermannei, oder die Haustruppen, die sie unterhielten, und die aus unfreien Hintersassen bestanden 12). Solche mit eigenen Gütern in einer Landschaft ansässigen Reichsdienstmannen erhielten dann häufig in derselben die öffentlichen Ämter; und es ließ sich einrichten, daß sie zu Amtslehngütern solche erhielten, die in der Nachbarschaft ihrer Erbgüter lagen. ♦
  Als bei der Entwickelung des bürgerlichen und gewerblichen Lebens die Lehngüter erblich geworden, und endlich keine mehr zu verleihen übrig waren, die Vorstellung aber alle Köpfe befangen hatte, man müsse, um eine Feldherrn-Reichs-und Hofbeamtenstelle zu bekleiden, des Königs Lehnunterthan seyn, Grund und Boden desselben inne haben: so verfielen die Freiherren, welche zu spät kamen, und gleichwol nach der ehrenvollen dinglichen Unfreiheit trachteten, auf die bekannte Künstelei der übertragenen Lehne: sie übergaben dem König ihr Erb-Eigenthum, erhielten es dann als Lehn zurück, und waren nun Königliche Untersassen.
  In dem Kampfe der Niedern gegen die Obern, der in allen Staaten, die eine innere Geschichte haben, den Mittelpunkt derselben ausmacht, wurden jetzt Angriffe vorbereitet gegen die Mitglieder des bisher geschilderten Adels. Die weltlichen Reichsfürsten unterhielten auf ihren Höfen, wie die Bischöfe in den Stiftern, und die Äbte in den Klöstern, ein zahlreiches sogenanntes Gesinde, durchgängig verjüngte Reichsdienstmannen, ursprünglich Haustruppen, dabei aber öffentliche Beamte, als Vögte, Gutsverwalter, Förster, Jäger, Falkner, Zöllner, Münzer, Schulzen, Schöppen, und sämtlich zugleich verbunden, an festlichen Tagen zur
 
  • 12) Marculf. I. form. 18.
S. 387 Sp. 1 ADEL
  Aufwartung bei dem Fürsten zu erscheinen. Zu ihrem Unterhalte waren ihnen gewisse Dienstgüter lehnweise eingeräumt. Es ist die wichtigste, folgenreichste Veränderung in dem gesellschaftlichen Zustande des germanischen Mittelalters, daß die Verhältnißmäßigkeit in der Theilung des Land-Eigenthums völlig verschwand, fast alle kleineren Freisassengüter durch die Noth der Zeit, durch Gewalt und Ränke, mit dem Gebiet eines Bischofs, Abtes oder Grafen, vereinigt wurden. Die vielen, auf so grausame Weise erworbenen Güter, durch angesetzte Wirthschafter zu verwalten, war weder den Einsichten und Kräften der Herrschaften angemessen, noch wäre es, bei dem damaligen abgespannten Zustande des Gewerbes, zweckmäßig gewesen; am wenigsten aber hatte eine solche Nutzungsweise zu dem Staatsgeiste jener Zeit gestimmt. ♦
  Noch war der Staat ein bloßer Inbegriff von Körperschaften, die zum Theil scharf von einander geschieden waren. Nur in der Verbindung mit andern von gleichem Berufe fand der Privatmann Schutz und Sicherheit, nur in der nachdrücklichen Zahl bewaffneter Dienst-und Lehnmannen der geistliche und weltliche Fürst seine Stärke. Anfänglich, als die Bischöfe und Äbte sich noch bewußt waren, was sie seyn sollten, und die Grafen noch mit Bescheidenheit ihr Verhältniß zum König erwogen, nahmen sie zu jener Dienstmannschaft unfreie Leute von ihren Gütern. Aber seitdem sie in den Stürmen und Schiffbrüchen der Zeit das Strandrecht ausübten, durch erpreßte Güter und grundsässige Unterthanen mächtig geworden und hoch gestiegen waren, blieb der Schwindel nicht aus. Nicht nur verkürzten sie die Rechte des Königs, und beschränkten, wenigstens in Frankreich und Teutschland, die Gewalt der Fürsten auf Reichstagen gar sehr; sie ahmten ihn auch in dem Glanze der Dienerschaft nach. ♦
  Das fürstliche Hofgesinde war ein verjüngtes Königliches. Je vornehmer der Diener, desto größer der Herr. So vereinigte sich alles, um eine neue Gattung von Adel vorzubereiten: die vielen Ländereien, welche die Fürsten zu verleihen hatten, lockten die freien Landherren, daß sie, um diesen Preis, sich zur Dienstbarkeit am fürstlichen Hof und im Felde verstanden; und die Herrschsucht und Eitelkeit der Fürsten kam ihnen entgegen. Auf ähnliche Veranlassung, wie oben in Ansehung des Reichs geschildert ist, entstand nun auch in Ansehung der einzelnen Lande der Gebrauch der übertragenen Lehngüter; und waren dann noch einige Freisassen, die in die Freiheit ihren Stolz setzten, deren Grundstück also die Einheit des lehn-und landesherrlichen Gebiets unterbrach, so ward ihnen so lange zugesetzt, bis sie abließen, sich gegen die neue Ordnung der Dinge zu stemmen; sie mußten sich ebenfalls zur Lehn- Unterthänigkeit bequemen, aus welcher durchaus die Landesunterthänigkeit hervorgegangen ist. ♦
  Sehr verändert wurden aber die Verhältnisse der fürstlichen Dienstmannschaft, seitdem sich darunter so viele Freigeborne befanden, und eine stattliche Genossenschaft von Lehn- und Land-Sassen sich gebildet hatte: die Freien, und die bisherigen Unfreien, zogen sich wechselseitig herauf und herab, bis sie zusammenschmolzen zu dem Stande des niedern oder landsässigen Adels. Als Kriegerstand des fürstlichen Gebiets, als Verwaltungsbeamte des Landes, als Besitzer der Landgüter, fingen bald diese Herren an, sich zu füh-
S. 387 Sp. 2 ADEL
  len, und den Fürsten manche von den Rechten wieder abzunehmen, welche diese von den Königen erbeutet hatten; so daß ein, in anderer Beziehung gebrauchter, Spruch, bürgerlich anwendbar ward: „wie man seine Eltern behandelt hat, wird man von seinen Kindern wieder behandelt." ♦
  Wie aus dem hohen oder reichssässigen Adel die Reichsstände erwachsen waren, so ward in der Folge, als die Bürgerschaften der wohlhabenden Städte erwachten, der niedere Adel der Stamm der Landstände, in Frankreich genannt états généraux, von denen seit dem 14ten Jahrh. in diesem Reiche 13), und schon seit dem 13. in Deutschland 14), unzweifelhafte Spuren vorkommen. Aber zu der Ausbildung, wie in Deutschland, ist in Frankreich die landständische Verfassung nicht gelangt. Denn seitdem die französischen Könige die Landstände ihres unmittelbaren Gebiets zu Rechten und Ansehn erhoben, schlossen sich allmälig die Reichsfürsten an dieselben an, so daß endlich die königlichen Landstände mit den Reichsfürsten, die nach der Wiedervereinigung vieler großen Landschaften mit der Krone übrig blieben, zu den spätern Reichsständen zusammenschmolzen. In England ist die Reichsverfassung nie so weit verfallen, daß sich ein landständischer Adel hätte bilden können.
  So ist von allem, was bisher über die Entstehung und Fortbildung des Adels erwähnt worden, das Ergebniß in diesen wenigen Worten enthalten: der reichsständische oder hohe Adel ist eine Mischung von königlichen Lehnleuten, und von größern Freiherren der ältern Zeit, der landständische oder niedere eine Mischung von fürstlichen Lehnleuten, und von kleinern Freiherren der mittlern Zeit: beide Gattungen dinglich.
  Um nun auf den Ursprung des blos persönlichen Adels überzugehen, kommen wieder vorzüglich die jüngern Söhne und Brüder derjenigen vom niedern Adel in Betracht, die zur Zeit im Besitze der Lehngüter waren. Solche Güter galten alle zuvörderst als Kriegsgrundstücke, jedes zum Unterhalt eines gerüsteten Reiters bestimmt, also in der Regel untheilbar. Verschiedene darunter waren zugleich Staats-und Hof-Dienstgüter, für deren Genuß die Inhaber gewisse Ämter bei der Landesverwaltung, oder gewisse Stellen am Hof, im Stift, in der Abtei, bekleideten, die also ebenfalls, wiewol in der Folge erblich, doch untheilbar seyn mußten. ♦
  Aber eben dieser Umstand der Erblichkeit, also des sichern Besitzes der Güter, ward Ursache, daß bei den adligen Herren das Bewußtsein immer mehr abnahm, dieselben nur unter der Bedingung der Kriegs-und Hof-Dienste zu besitzen. Sie vernachlässigten beide Dienste je länger, desto mehr. Da nun zu gleicher Zeit eine neue Kriegsweise nöthig ward, die größtentheils anstatt der bisherigen berittenen Lehnleute besoldete Fußgänger erfoderte, so bestanden die Fürsten nicht weiter auf dem persönlichen Kriegsdienste des Lehn-Adels; eine Entschädigung in Gelde war ihnen lieber. Aus dem Zu-
 
  • 13) Menard, hist. de Nismes, T. II. p. 201. 211. 213. Ruffi, hist. de Marseille, seconde ed., p. 175. (a. 1353.)
  • 14) Urk. des römischen Königs Heinrich, vom J. 1231, in Schultes Koburgscher Landesgesch. des Mittelalters, S. 135. Urk. des Königs Rudolf I. vom J. 1367, in Lehmanns Speierscher Chronik, S. 558.
S. 388 Sp. 1 ADEL
  sammentreffen dieser Umstände hat sich dann in Teutschland das Landtags-und Steuer-Wesen völlig entwickelt. Auch für die gangbaren Dienste am Hofe sahen sich die Fürsten genöthigt, einen besoldeten Hofstaat einzurichten, seitdem die eigentlichen Hofdienstmannen auf ihren Dienstgütern wohnten, und nur bei festlichen Gelegenheiten zur Aufwartung am Hof erschienen. In Ansehung der Staatsdienste hatte sich vieles noch weit mehr verändert, so daß die alte, einfache Weise nicht mehr Statt haben konnte, die Landesverwaltung, gleich der Bewirthschaftung eines großen Landguts, durch einige Dienstmannen zu besorgen.
  So ist in Kürze ausgeführt, wie eine bedeutende Zahl besoldeter Stellen im Heer, am Hof, im Staate, nöthig geworden. Hier treten sie nun hervor, die erwähnten, nachgebornen Söhne des niedern Adels. Sie schienen allen berufen zu den Ober-und Unter- Anführerstellen im Heere; sie waren die schicklichste Pflanzschule für die fürstliche Hofdienerschaft; sie endlich, vermöge der alten Verwandtschaft der Staats-und Kriegsverwaltung, erwarben sich einige Kentnisse vom römischen Recht, auf dessen Erlernung und Anwendung, seit der Ausbildung des gesellschaftlichen Körpers, das Bedürfniß geführt hatte, und rückten in die obern Staatsämter. ♦
  Was von Anbeginn und lange Zeit gewesen ist, hat gewöhnlich den Schein der Wesentlichkeit für sich. So ward die Vorstellung herrschend, der amtlichen Stellen im Heer und am Hof, und der höhern Würden im Staate, sey nur der Edelmann fähig. Wessen Blick aber irgend unbenommen ist, der wird zugestehn, daß die Fähigkeit zu Staats-und Kriegsämtern nicht mehr auf den vormaligen Stand der königlichen und fürstlichen Dienerschaft beschränkt seyn könne, seitdem in den germanischen Ländern die Staatsregirung nicht mehr blos erweiterte Verwaltung eines großen Landguts ist, und das Kriegsheer nicht mehr Privatanstalt des Fürsten, blos von eigenthümlichen Gütern desselben unterhalten, sondern eine öffentliche Anstalt, an der die ganze Staatsbürgerschaft durch unmittelbaren Dienst, und durch Steuern und Lieferungen, Theil nimmt. ♦
  So offenbar indessen jene Entstehung eines blos persönlichen Adelstandes eine Unebenheit in den gesellschaftlichen Verhältnissen war, so hatte die Sache doch einigen Sinn: die Mitglieder dieses Standes hatten, wenn nicht den Besitz eines Familienguts, doch ein entferntes Anrecht. Aber seit dem Ende des 13. Jahrh. kam es in Frankreich, und seit dem 14ten in Teutschland, zu der noch größern Entartung des sogenannten Briefadels; ja in England erstreckte sich diese Erkünstelung eines persönlichen Adels sogar auf den reichsständischen: die ersten Brief-Barone, berechtigt zur Theilnahme an der Reichsversammlung im Hause der Lords, ernannte Heinrich IV. zu Anfange des 15ten Jahrh. ♦
  Nicht überflüssig scheint die Bemerkung, daß die Sitte der Adelsbriefe zu unterscheiden sey von der früher entstandenen Gewohnheit, reichen und vornehmen Handelsherren die Ritterwürde zu ertheilen. Wären die Beispiele der Erhebung in den Adelstand selten geblieben, und beschränkt auf die Fälle der Anerkennung ausgezeichneter Verdienste: welcher Billige und Gemäßigte würde Einspruch thun gegen dieses Mittel der Aufmunterung? Der Staat der Megaräer gehörte zu den kleinsten und un-
S. 388 Sp. 2 ADEL
  bedeutendsten in Griechenland. Die Bürgerschaft trug Alexander dem Großen das Bürgerrecht an. Der König von Macedonien lachte. Mit Kälte erwiederten die Megaräer: einem Einzigen habe bis jetzt ihr Staat diese Ehre erwiesen: dem Herkules. Da nahm er es an 15).
  Ohne weiter den vielzählig gewordenen blos persönlichen Adel zu berücksichtigen, da derselbe erst in späterer Zeit entstanden, und nach germanischem Staatsrechte nicht als solcher anzuerkennen ist, fassen wir, um die geschichtlichen Ergebnisse zum staatsrechtlichen Gebrauche vorzurichten, allein den dinglichen nochmals in das Auge. Nachdem Teutschland aufgehört hat, ein Reich zu seyn, kein König, kein Reichstag mehr ist, gibt es darin keinen reichssässigen, reichsständischen Adel mehr. Im Gegentheil gibt es in Frankreich und England keinen landsässigen, landständischen. Da aber die jetzigen teutschen Landesherren, statt der frühern bloßen Landeshoheit, die volle Staatsgewalt erlangt haben, so ist jetzt in den teutschen Gebieten der landständische Adel, der Sache nach und im Kleinen, dasselbe, was in Frankreich und England der reichsständische.
 
  • 15) Plutarch. De monarchia, democratia, oligarchia, T. II. p. 826.
S. 388 Sp. 2 ⇩  
HIS-Data 5139-1-1-379-9-2: Allgemeine Encyclopädie 1. Sect. 1. Th.: ADEL: Ursprung HIS-Data Home
Stand: 28. Oktober 2017 © Hans-Walter Pries