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Allgemeine Encyclopädie HIS-Data
5139-1-49-014-2-3-2
Erste Section > Neunundvierzigster Theil
Werk Bearb. ⇧ Freiheit
Artikel: FREIHEIT
Abschnitt: III. Politische Freiheit
Teil: 2. Gegenwärtige Krisis, staatswissenschaftliche Literatur
Textvorlage: Göttinger Digitalisierungszentrum
Hinweise: Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Bearbeitung
Inhalt: Übersicht
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Forts. S. 32 Sp. 1 Noch ist es, wie gesagt, ungewiß, welchen Ausgang die gegenwärtige Krisis, ohne Zweifel die bedeutendste für unser Vaterland seit den Zeiten der Reformation und des 30jährigen Krieges, nehmen und ob namentlich eine erst vor einigen Jahren von einem unserer ausgezeichnetsten Geschichtsforscher und Politiker, Gervinus, ausgesprochene Warnung oder Prophezeiung in Erfüllung gehen wird 1), oder ob unser Vaterland und Volk durch Gottes Gnade aus dem unheilvollen Zustande errettet zu werden bestimmt ist, in welchem es sich gegenwärtig befindet. Auf der einen Seite droht offenbar allgemeine Anarchie, theils als unausbleibliche Folge jeder Art von Revolution, da eine solche unvermeidlich die Achtung vor den Gesetzen zerstört 2), theils ganz besonders als Folge der in Teutschland noch auf so ganz tiefer Stufe siehenden politischen Volksbildung 3); wie denn auch bekanntlich schon die traurigsten Beweise einer hereinbrechenden Anarchie in einer bedeutenden Zahl unserer Städte,
 
  • 1) „Man darf uns nur französische Revolutionen nach Teutschland beschwören und man wird, soweit menschliche Berechnung sehen kann, den sichern Ruin des Vaterlandes eingeleitet haben. Ich sage das nicht aus kleinlicher Verzagtheit, aber politischer Takt und geschichtliche Lehre scheinen mir gleichmäßig zu sagen, daß so furchtbare Umwälzungen, wie die englische oder französische Revolution, wol von einer einwüchsigen Nation, wie Engländer und Franzosen sind, überwunden werden können, weil sich der hundert Mal zu Boden geworfene Körper immer wieder erhebt und seine Integrität leicht wieder erlangt, daß aber ein so zerbrechlich gegliedertes Staatenwerk, wie das teutsche, ohne alle Basis eines politischen Systems, oder einer politischen Macht, oder selbst nur eines politischen Geistes im Volke, unter einer so großen Zerrüttung wahrscheinlich rettungslos zu Grunde gehen würde. Für unsre Zukunft gibt es vielmehr kein größeres Losungswort, um das sich doch Alle, die es mit Teutschland gut meinen, einträchtig versammeln möchten, als daß wir einer großen nationalen Reformation bedürfen, nicht einer Revolution; einer Reformation in dem Sinne jener Lutherischen, in der wir unsre religiöse Freiheit errungen haben." Gervinus, Die Mission der Teutschkatholiken S. 82.
  • 2) Vergl. Ewers, Die Gefahr des Vaterlandes u. s. w.
  • 3) Sehr treffend nachgewiesen von Schwegler in s. Jahrbüchern der Gegenwart, April 1848.
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  namentlich der Hauptstädte Berlin, München, Wien, Frankfurt u. s. w., sich kund gegeben haben 4). Zwar ist namentlich in den kleinen Staaten bis jetzt der Ausbruch der völligen Anarchie durch Waffengewalt gehindert oder unterdrückt worden, daß aber dies (obwol eine für den Augenblick allerdings unvermeidliche Maßregel) kein nachhaltiges Mittel ist, sieht jeder Verständige leicht ein.♦
  Auf der andern Seite steht eine Reaction in trauriger Aussicht, die sich theils auf den Particularismus oder Sondergeist der teutschen Völker, theils ebenfalls nur auf die Waffenmacht stützt, und ohne Zweifel, wenn es ihr gelingen sollte, das neue Staatsprincip wieder zu verdrängen, durch Restauration des ältern unser Volk wiederum aus der Reihe der freien Nationen ausstreichen würde, in welche es kaum einzutreten begonnen hat. Gewiß ist nur, daß durch jeden dieser beiden Wege den Teutschen das größte denkbare Übel zubereitet werden würde, und ebenso gewiß, daß sowol die anarchischen als die reactionairen Gelüste ihren Hauptgrund in dem Misverstand des Wesens und der Verkennung der Idee der politischen Freiheit haben.
  Hiermit ist zugleich das alleinige radicale Heilmittel gegen jenes Übel indicirt, nämlich Beförderung der politischen Volksbildung überhaupt, insbesondere aber zunächst möglichste Aufklärung des wahren Begriffs der politischen Freiheit. Was Niebuhr in dieser Beziehung vor 33 Jahren sprach, gilt noch heute. „Es ist eine traurige Nothwendigkeit, neue Schöpfungen vornehmen zu müssen. Unser Zeitalter hat sich im Kriege rüstig gezeigt, aber zum Bilden ist es unfruchtbar und träge, und je dringender das Bedürfniß, um so schwerer ist die Abhilfe. Der Name der Freiheit ist Vielen lieb geworden, aber Wenige denken es sich, daß die Freiheit kein Stand des Genusses, sondern einer Mühseligkeit und Gefahr ist, wovon sie bisher Nichts gewußt.♦
  Erst dann, wenn Viele dies erkennen, und dennoch getrost sagen: auch so und ebendeswegen wollen wir dem Könige danken, der sie uns verleihen will, erst dann, wenn nur nicht Wenige einsehen, daß alles Theatralische einer Verfassung Nebensache und der unsichtbare Grund das Wesen ist — erst dann können wir unsern Nachkommen ihren Genuß verheißen. Inzwischen geht es auch hier nicht, die Zeit zurückzuschieben, und über ihre Schwierigkeiten wehklagen, heißt sie verderben. Was zerstört ist, ist zerstört, und das hat eine höhere Gewalt und die unwiderstehliche Gesammtmacht einer entsetzlichen Zeit gethan. Treue, Vaterlandsliebe, Sitten müssen und können das Neue, wenn es sich auch nicht gleich aus dem Bedürfniß und ihm entsprechend gestaltet, durchdringen und begeistern. Und hier ist es Pflicht, nicht über Gefahren zu seufzen — sondern zu lehren, was wesentlich ist und was Schein — die Wohlgesinnten zu unterrichten, den Thoren zeitig entgegenzuarbeiten" 5).
 
  • 4) Vergl. Augsb. Allgem. Zeitung vom 9. Oct. 1848, Beil. (Artikel aus Berlin).
  • 5) Über geheime Verbindungen im preußischen Staate und deren Denunciation. (Berlin 1815.) S. 27. (Beiläufig können wir hier unser Bedauern nicht verschweigen, daß diese kleine treffliche Schrift — sowie auch die im J. 1814 erschienene: {1} „ Preußens Recht an den sächs. Hof" — nicht in die Sammlung der vermischten Schuften Nr. 6 aufgenommen ist.)
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  Dieses ist nun offenbar Sache der staatswissenschaftlichen Literatur, und es ist demgemäß zunächst auf die desfallsigen Ergebnisse derselben zurückzugehen. Leider! gibt es in ihr noch keine vollständige Dogmengeschichte, auf welche man in Bezug auf die fragliche Doctrin verweisen könnte, und so wird man es wol nicht für unpassend halten, wenn wir hier die responsa prudentum zusammenstellten, eingedenk der Worte Goethe's: „Alles Gescheidte ist schon gedacht worden, man muß nur versuchen, es noch einmal zu denken; — Autorität, daß nämlich etwas schon einmal geschehen, gesagt oder entschieden worden sei, hat großen Werth, wenngleich nur ein Pedant überall nur Autorität fodert" 6). Natürlich beschränken wir uns auf eine kleine Zahl der ausgezeichnetsten französischen, englischen und teutschen Publicisten, deren Ansichten vorzugsweise Stoff zu näherer Erwägung der Hauptfrage geben und die zugleich wegen ihres Einflusses auf die öffentliche Meinung und das wirkliche Staatsleben mehr oder weniger praktische Bedeutung erlangt haben.
  In dieser Hinsicht ist billig Montesquieu voranzustellen, dessen grade vor einem Jahrhundert (1748) erschienenes Hauptwerk: vom Geist der Gesetze, ebendarum von so außerordentlichem Einfluß gewesen ist, weil er zuerst mit Erfolg auf das englische System der politischen Freiheit die öffentliche Aufmerksamkeit des europäischen Festlandes hinlenkte und aus derselben seine eigene Doctrin derselben ableitete, die er in folgenden Hauptstellen ausgesprochen hat. „Vielleicht gibt es nicht ein Wort, das so vielerlei Bedeutung angenommen und so verschiedene Vorstellungen erregt hätte, als das Wort politische Freiheit. Einige haben darunter die Leichtigkeit verstanden, denjenigen abzusetzen, dem sie eine tyrannische Gewalt anvertraut hatten, Andere das Recht, sich ihren Regenten zu wählen, wieder Andere die Befugniß, gewaffnet zu gehen, noch Andere endlich das Vorrecht, Niemanden als einem aus der Nation gewählten Regenten, oder selbst decretirten Gesetzen zu gehorchen 7). Ja, es hat sogar ein Volk gegeben (die Russen!), welchem lange Zeit das Costum eines langen Bartes für Freiheit gegolten hat. Nachdem man unter dieser oder einer andern Verfassung lebte, nachdem hat man die Freiheit auch blos der republikanischen oder monarchischen Regierung beigelegt 8) und die andern davon ausgeschlossen. Kurz, Jeder hat die Freiheit auf die Regierung eingeschränkt, die mit seinen Lieblingsideen oder Neigungen am meisten übereinkam; und da man freilich in Republiken die vermeintlichen Werkzeuge seiner Bedrückung nicht so sichtbar vor Augen hat und mehr von der Gewalt der Gesetze, als von denen, welche sie voll-
 
  • 6) Wanderjahre.
  • 7) „Ich habe," spricht Cicero, „das Edict des Scävola copirt, welches den Griechen erlaubt, ihre unter sich habenden Streitigkeiten nach ihren Gesetzen zu schlichten, welches macht, daß sie sich für freie Völker ansehen."
  • 8) „Die Kappadocier schlugen die republikanische Verfassung aus, welche die Römer ihnen anboten."
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  ziehen, abzuhängen scheint, so hat man sie gemeiniglich den Republiken zu- und den Monarchen abgesprochen. Da endlich in Demokratien das Volk gewissermaßen von sich selbst abzuhängen scheint, so hat man die Demokratie für das eigentliche Sacrarium der Freiheit angesehen und solchergestalt die Macht des Volks mit seiner Freiheit vermengt. — In Demokratien scheint zwar allerdings das Volk Alles thun zu können, was es will; aber darin besteht die politische Freiheit nicht, daß man Alles thue, wozu man Lust hat. In einem Staate, d.h. in einer durch Gesetze geordneten Gesellschaft, kann sie nur darin bestehen, daß man Alles thun dürfe, was Recht ist, und zu Nichts gezwungen werden könne, was nicht Recht ist.Freiheit und Independenz sind zwei ganz verschiedene Dinge. Jene besteht in dem Rechte, Alles zu thun, was die Gesetze gestatten. Denn wenn ein Bürger auch thun dürfte, was sie verbieten, so wäre er nicht frei, weil sodann jeder Andere das Nämliche thun dürfte. — Demokratien und Aristokratien sind keine ihrer Natur nach freie Staaten. Die politische Freiheit kann nirgends als in gemäßigten Regierungen stattfinden; doch ist dieses darum nicht immer der Fall. Nur dann findet sie wirklich statt, wenn man die Gewalt nicht mißbraucht. Aber das ist nun einmal ein trauriger Erfahrungssatz , daß wer Gewalt in Händen hat, ihrer gern misbraucht, und damit soweit geht, bis er Schranken findet. Auch ist dieses weiter kein Wunder, da selbst die Tugend der Schranken nöthig hat. — Damit die Gewalt nicht gemisbraucht werde, ist es nöthig, daß die eine Gewaltart der andern die Wage halte. Eine Verfassung kann allerdings so eingerichtet sein, daß Niemand gezwungen werden könne, auf der einen Seite etwas zu thun, was das Gesetz nicht von ihm fodert, auf der andern Seite etwas zu unterlassen, was ihm das Gesetz zu thun freiläßt." — ♦
  Näher bestimmt gibt Montesquieu den Begriff der politischen Freiheit durch folgende Deduction: „In jedem Staate gibt es drei Gewaltarten: die gesetzgebende Gewalt, die vollziehende Gewalt in auswärtigen und die vollziehende Gewalt in einheimischen oder innerlichen Angelegenheiten. — Mittels der ersten gibt der Fürst oder der regierende Magistrat Verordnungen und Gesetze, und verbessert oder abrogirt die bereits vorhandenen. Mittels der zweiten beschließt er Krieg oder Frieden, nimmt Gesandte an oder verschickt sie und trifft Sicherheits- und Vertheidigungsanstalten. Mittels der dritten straft er die Verbrechen oder schlichtet bürgerliche Streithändel. Diese dritte Gewaltart heißt die richterliche, wie jene schlechtweg die executive. — Die politische Freiheit besteht bei dem Bürger in der Zuversicht, welche aus dem Vertrauen auf seine persönliche Sicherheit entspringt. Soll diese stattfinden, so muß die Verfassung so beschaffen sein, daß kein Bürger nöthig habe, sich vor dem andern zu fürchten. — Die Freiheit hört auf, wenn die nämliche Person oder das nämliche Collegium die gesetzgebende und vollziehende Gewalt in sich vereinigt, weil man sodann fürchten muß, daß der Fürst oder der Senat nur darum tyrannische Ge-
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  setze geben möchte, um sie gleich tyrannisch vollziehen zu lassen. Auch da findet keine Freiheit statt, wo die richterliche Gewalt von der gesetzgebenden und vollziehenden nicht abgesondert ist. Ist sie mit jener verbunden, so geräth Leben und Eigenthum des Bürgers unter willkürliche Macht; denn der Richter ist dann auch Gesetzgeber. Ist sie es mit dieser, so muß man immer fürchten, in seinem Richter seinen Henker zu finden.♦
  Um die Freiheit ist es geschehen, sobald eine einzige Person, es mag nun eine physische oder moralische sein, in dem alleinigen Besitz dieser drei Gewaltarten ist. In den meisten europäischen Königreichen ist die Regierung darum gemäßigt, weil der Fürst, welcher in dem Besitze der beiden ersten Gewaltarten ist, die richterliche durch Unterobrigkeiten ausüben läßt. In der Türkei herrscht darum ein so unerträglicher Despotismus, weil der Sultan alle drei Gewaltarten in sich vereinigt. In den italienischen Republiken, wo diese drei Gewaltarten gleichfalls beisammen sind, findet man weniger Freiheit, als in unsern Monarchien. Auch hat dort die Regierung so gewaltsame Mittel als nur immer in der Türkei nöthig, wie solches jene Staatsinquisitoren (zu Venedig) und jener, um allerhand heimliche Anzeigen aufzunehmen, zu aller Zeit offene Löwenrachen beweist. Um die Freiheit des Bürgers sieht es dann übel aus. Da die nämliche Obrigkeit, vermöge der executiven Gewalt, auch alles dasjenige vollstrecken läßt, was sie mittels ihrer gesetzgebenden angeordnet hat, so kann sie das ganze Land durch Mandate und Präcepte drücken; und da sie zugleich die richterliche Gewalt in den Händen hat, so kann sie auch das Privatglück des Bürgers durch willkürliche Urtheile zerstören. —♦
  Die richterliche Gewalt muß nicht einem permanenten Senat, sondern gewissen Personen übertragen werden, welche zu bestimmten Zeiten, auf eine von dem Gesetze vorgeschriebene Art, aus dem ganzen Volke gewählt werden und ein Tribunal formiren, welches jedes Mal nur so lange dauert, als es nothwendig ist. Wenn auf diese Art die vermöge ihres Misbrauchs unter den Menschen so fürchterlich gewordene richterliche Gewalt weder an eine gewisse Classe von Bürgern, noch an einen gewissen Stand gebunden ist, so wird sie gleichsam unsichtbar und unmerklich. Man hat dann nicht immer seine Richter vor Augen und man fürchtet sich vor der Magistratur, ohne sich vor den Magistratspersonen zu fürchten.♦
  Bei Criminalklagen muß es sogar dem Angeklagten frei stehen, sich seine Richter mit dem Gesetze gemeinschaftlich auszusuchen, wenigstens muß er deren so viele verwerfen können, daß die Gebliebenen seine Wahl zu sein scheinen. Die zwei andern Gewaltarten könnten eher permanenten Obrigkeiten anvertraut werden, weil sie es nicht mit dem einzelnen Bürger zu thun haben, indem die eine nur den allgemeinen Willen der Nation ausdrückt und die andere ihn vollzieht."
  Nächst Montesquieu ist besonders Rousseau und sein politisches Hauptwerk, der contrât social, zu nennen. Derselbe geht (wie vor ihm schon Hobbes und Locke) von einem sogenannten Naturstande aus, der ihm ungesellig erscheint und aus welchem nach ihm die Men-
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  schen durch einen freien Vertrag in die bürgerliche Gesellschaft übergehen, die übrigens Rousseau keineswegs für einen Zustand der Vervollkommnung ansieht. Dieser unglücklicherweise nun einmal nöthige Vertrag hat (ebenso wie bei Locke) nur den Schutz des Eigenthums zum Zweck. Demgemäß sagt er: „Was der Mensch durch den gesellschaftlichen Vertrag verliert, ist seine natürliche Freiheit und ein unbegrenztes Recht auf Alles, was ihn reizt und was er erreichen kann; was er gewinnt, ist die bürgerliche Freiheit und das Eigenthum alles dessen, was er besitzt. Um sich bei diesen Abwägungen nicht zu betrügen, muß man die natürliche Freiheit, die keine anderen Grenzen hat, als die Kräfte des Individuums, von der bürgerlichen Freiheit unterscheiden, welche durch die allgemeine Freiheit begrenzt wird" 9), —♦
  Dieser Vertrag wird aber keineswegs geschlossen zwischen einer Regierung, die man in Voraussetzung der definitiven Übereinkunft vorläufig schon anerkennt, und einem Volke, welches sich bedingungsweise regieren zu lassen bereit ist, sondern lediglich unter den Mitgliedern des Volks selber, die demnächst eine Regierung zur Ausführung des Vertrags anstellen und instruiren werden. Er ist das Resultat einer freiwilligen Übereinkunft aller von Natur gleichen Mitglieder des Volks, die ihren Einzelwillen (volonté de tous) für die Zukunft dem allgemeinen Willen (volonté generale) unterwerfen. Das Volk ist und bleibt im Besitze nicht blos der höchsten, sondern aller unabhängigen Staatsgewalt (souverain).♦
  Hieraus entwickelte nun Rousseau die Doctrin von der Volkssouverainetät, die allerdings schon weit früher aufgestellt worden war, aber durch Rousseau's contrât social ganz populär ward, ohne Zweifel dem Gange der französischen Revolution (deren Entstehen lächerlicherweise von Einigen jenem Buche zugeschrieben ward) ihre Richtung bestimmte 10) und durch die in der Praxis fast unvermeidliche Verwechselung jener Rousseau'schen Distinction zwischen dem Einzelwillen Aller und dem Allgemeinwillen in jener welthistorischen Begebenheit zu den größten Verwirrungen führte. Leider ist dieses Dogma der Volkssouverainetät, welches allerdings auch einen sehr wahren Sinn hat, noch bis auf diese Stunde als die Hauptursache der herrschenden Begriffsverwirrung in Bezug auf politische Freiheit anzusehen, wie dies u.A. auch Dahlmann in seiner „Politik" nachgewiesen hat.
  Der ausgezeichnetste und wirksamste Bekämpfer dieser Theorien, Burke, der in seiner langen parlamentarischen Laufbahn bis zum Ausbruche der französischen Revolution als einer der beredetsten und einflußreichsten Freunde und Vertheidiger der politischen Freiheit sich bewährt hat, erklärt sich in seinen berühmten Betrachtungen über das gedachte Ereigniß nur gegen die Excesse der Freiheit und gegen die falschen Principien der Rousseau'-schen Volkssouverainetät, zugleich aber als entschiedensten Freund der wahren politischen Freiheit 11), wobei er zu-
 
  • 9) Contrât social l. I. cap. 3. Vergl. Dahlmann, Politik S. 204.
  • 10) Heeren, Kleine historische Schriften. 2. Bd.
  • 11) Betrachtungen über die französische Revolution. (Übers. von Gentz.) I. Bd. S. 9: „Ich darf behaupten, daß ich eine männ- {1} liche, sittliche und geordnete Freiheit nicht weniger als irgend ein Anhänger dieser Gesellschaft, sei er, wer er wolle, liebe, und vielleicht habe ich von meinem Eifer für die Sache dieser Freiheit in meinem öffentlichen Leben so gute Beweise, als irgend einer unter ihnen, abgelegt."
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  gleich mit Recht darauf aufmerksam macht, daß jederzeit die gegebenen Verhältnisse oder Umstände jedem politischen Princip seine eigenthümliche Farbe geben, und daß deshalb auch die Freiheit ebenso wie die Regierung, welche beide im Allgemeinen etwas Gutes sind, wohlthätig oder auch verderblich für die Gesellschaft wirken können 12).
  Auch er spricht sich dafür aus, daß es angeborne wahre Rechte des Menschen gibt, und will sich nur den falschen Ideen von diesen Rechten widersetzen, weil sie grade auf Zerstörung der wahren abzielen. Aber er bemerkt zugleich vollkommen richtig, daß von dem Augenblicke an, wo der Mensch in die bürgerliche Gesellschaft eintritt, das volle natürliche Recht des Einzelnen, sich selbst zu regieren, beschränkt werden muß, da es zu den dringendsten Bedürfnissen des Menschen gehört, daß es für die menschlichen Leidenschaften, sowol der Einzelnen, als eines vereinigten Haufens, einen Zügel gibt, in dem eine äußere zwingende Gewalt, eine Regierung oder Herrschaft festgestellt wird, woraus Burke dann mit Recht schließt, daß auch die Beschränkung der natürlichen Freiheit ebenso zu seinen Rechten gehört, wie die Freiheit selber.♦
  „Einer der ersten Bewegungsgründe, eine bürgerliche Gesellschaft zu errichten, und eine der ersten Fundamentalregeln einer solchen Gesellschaft ist, daß Niemand Richter in seiner eigenen Sache sein soll. Vermöge dieses Grundgesetzes entsagt jeder Einzelne einmal für immer dem ersten Fundamentalrechte des unverbündeten Menschen, für sich selbst zu entscheiden und seine Sache nach eigener Willkür zu verfechten. Er entsagt allen Einsprüchen auf die natürliche, unbeschränkte Souverainetät über seine Handlungen. Er gibt sogar, wenn auch nicht gänzlich, doch in großem Maße, das Recht der Selbstvertheidigung, die älteste Foderung seiner Natur auf.♦
  Der Mensch kann nicht die Rechte eines ungeselligen und eines geselligen Zustandes zu gleicher Zeit genießen. Damit nur Recht überhaupt gelte, thut er Verzicht auf seine Befugniß, zu bestimmen, was grade in den Punkten, die für ihn die allerwesentlichsten sind, Recht ist. Damit er nur über einen Theil seiner Freiheit wahrhaft disponiren könne, legt er die ganze Masse derselben in den gemeinschaftlichen Schatz der Gesellschaft nieder. — Von dieser Seite betrachtet gehören die Einschränkungen
 
  • 12) „Soll ich darum, weil Freiheit an und für sich eins von den Gütern der Menschheit ist, einem Rasenden, der sich den heilsamen Banden und der wohlthätigen Dunkelheit seiner Celle entriß, meine Freude bezeugen, daß er Licht und Freiheit wieder genießt? Soll ich einem Straßenräuber, einem Mörder, der seinen Kerker durchbrochen hat, zur Wiedererlangung seiner natürlichen Rechte Glück wünschen? Ich würde ja das lächerliche Schauspiel von jenen Gefangenen, die zu den Galeeren verdammt waren, und ihrem heldenmüthigen Befreier, dem metaphysischen Ritter von der traurigen Gestalt, erneuern." Burke a.a.O.
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  des Menschen so gut als seine Freiheiten unter seine Rechte" 13).
  Ein anderer berühmter englischer Publicist, einer der einflußreichsten dortigen Rechtsgelehrten, dessen Stimme gleichsam gesetzliche Autorität hat, William Blackstone, sagt 14): „Bürgerliche Freiheit, welche die eines Gliedes der Gesellschaft ist, ist keine andere, als die natürliche Freiheit, soweit durch menschliche Gesetze eingeschränkt (und auch nicht weiter), als für den allgemeinen Vortheil des Öffentlichen nothwendig und ersprießlich ist. Daraus können wir folgern, daß das Gesetz, welches einen Menschen abhält, seinen Mitbürgern Unheil zuzufügen, die bürgerliche Freiheit des Menschen vermehrt, obgleich es die natürliche vermindert; aber daß eine jede muthwillige und grundlose Beschränkung des Willens des Unterthans, es mag dieselbe durch einen Monarchen, eine Adelschaft oder eine Volksversammlung ausgeübt werden, ein Grad der Tyrannei ist; ja daß sogar Gesetze, sie mögen mit oder ohne unsere Einwilligung gemacht sein, wenn sie unser Betragen in Gegenständen der bloßen Willkür, ohne irgend einen guten Endzweck im Auge, anordnen und beschränken, zu Anordnungen werden, die die Freiheit zerstören. Indem die Foderungen der bürgerlichen Regierung so auf vernünftige Grenzen beschränkt sind, gibt der Mensch nur einen kleinen Theil seiner natürlichen Freiheit auf, um sich den vollen Genuß der übrigen zu sichern."
  Unter den neueren französischen Politikern verdient besonders Massablau in seinem Werke; De l'esprit des institutions politiques (Paris 1821.). eine besondere Erwähnung, da er viel tiefer als Andere in das Wesen der politischen Freiheit eingegangen ist. Er stimmt ganz mit der echten Lehre des Aristoteles, Burke, Chateaubriand, Dahlmann u. s. w. überein, daß man in der Politik nicht nach dem absolut Besten oder Idealen, sondern nach dem mit Rücksicht auf die Unvollkommenheit der Menschen, besonders ihrer Leidenschaften, wirklich Erreichbaren streben müsse (was Chateaubriand sehr treffend in dem Worte ausspricht: en politique la première loi est de vouloir le possible); und obgleich er sehr wohl anerkennt, daß in Europa gegenwärtig viele der bestehenden Einrichtungen gar nicht mehr passen, so bemerkt er doch zugleich sehr richtig, daß es ein ganz unpraktischer Weg ist, Alles mit bloßen Gesetzgebungen auf schnurgeradem Wege bewirken zu wollen, während (was er treffend in Bezug auf die Freilassung der Neger in den Colonien erläutert) Umwege zu dem Ziele viel sicherer geführt haben würden.♦
  In Bezug auf unsern Gegenstand sagt er: „Die Freiheit ist weder die Frucht eines einfachen Gedankens, noch läßt sie sich durch einen bloßen Beschluß in die Wirklichkeit versetzen; sie steht vielmehr in einem steten Wechselverhältniß zu der Höbe und dem Umfange echt menschlicher Bildung. Ohne Macht (pouvoir) kann keine Freiheit dauern; deshalb sollen beide sich wechselseitig ehren und lieben, Über-
 
  • 13) Burke, Betrachtungen etc. I. S. 88. 89.
  • 14) Commentarien I. Buch. Cap. 2.
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  triebene Schwächung der Macht zerstört die Freiheit, und sobald jene die moralische Kraft verliert, wird es ihr auch bald an der physischen mangeln. Damit Jeder frei sei, muß Jeder auch abhängig sein; es gibt keine Form der Verfassung ohne Unterwürfigkeit. Man soll aber jene Formen, welche durch Gesetze festgestellt werden, nicht mit dem Zustande (constitution) der Gesammtverhältnisse eines Volkes und Staates verwechseln, oder bloße Unruhen mit inhaltsreichen Umwälzungen zusammenwerfen. —♦
  Die Rechte des Menschen lassen sich a priori durch strenge und unangreifbare Schlüsse erweisen; in der Anwendung treten jedoch soviel günstig oder ungünstig einwirkende Verhältnisse hervor, daß das letzte Ergebniß weit mehr hiervon, als von jenen Beweisen abhängt. Niemand kann die Völker allein mit schönen Sprüchen und weisen Gesetzen beherrschen, sie werden weit häufiger durch ihre Leidenschaften gelenkt. Es gibt einen Despotismus der Menschen, der Gesetze, der Einrichtungen und ihrer täglichen Anwendung. Der Ausdruck Volkssouverainetät hat nur Sinn, sofern er das wahre Interesse des Volks bezeichnet, welches in jeder Verfassung vorherrschen kann und soll: wollte man aber darunter eine thätige Herrschaft verstehen, so würde dieses angeblich allgemeine und in allen Verfassungen gleichartige Heilmittel die Kranken durch Übermaß des Übels oder des Mittels selbst zu Grunde richten. —♦
  Die Bildung (civilisation) ist die wahre Quelle der Freiheit: sie erzeugt heilsame Gesetze, gewöhnt die Menschen, sich ihnen zu unterwerfen, und verschafft der öffentlichen Meinung das größte Gewicht. Mit ihr mehren sich Bedürfnisse und Ungleichheiten, sie zerstört die Republiken. Das Gute, was man der französischen Revolution zuschreibt, erwuchs lediglich aus dem Bildungsstande; jene übereilte und verdarb nur den Gang der naturgemäßen Entwickelung. Die gebildete Monarchie (civilisée) ist an sich die beste Verfassung, bedarf aber als Bürgschaften eines Volksrathes (conseil national), der Preßfreiheit und des Petitionsrechts. Die Mitglieder jenes Raths sollen gewählt werden, jedoch nicht mit ausschließender Rücksicht auf das Vermögen; denn die Unwissenheit ist jetzt nicht minder gefährlich, als die Armuth. Sind jene genannten Bürgschaften vorhanden, so genügen sie dergestalt, daß man dem Volksrathe keinen Antheil an der Gesetzgebung, sondern blos eine berathende Stimme zuzugestehen braucht. Denn jenes Verstärken der gesetzlichen Bürgschaften schwächt in der Regel die moralischen, ohne gewaltsame Charaktere in Zaum zu halten. Die wahre Freiheit beruht wesentlich nur auf moralischen Bürgschaften" 15).
  Unter den teutschen Schriftstellern hat besonders Gentz in seiner Übersetzung von Burke's Betrachtungen den Begriff der politischen Freiheit (die er lieber als „bürgerliche" bezeichnet wissen will) ausführlicher erörtert. In der Hauptstelle 16) spricht er sich folgendermaßen aus: „Absolute Freiheit ist nur im Stande der Natur an-
 
  • 15) Vergl. Fr. v. Räumer, Über die geschichtliche Entwickelung der Begriffe von Recht, Staat und Politik. 2. Aufl. (Leipzig 1832.) S. 156.
  • 16) Betrachtungen II, 116 fg.
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  zutreffen. Hier, wo der Mensch keinen Richter erkennt, als sich selbst, wo kein Vertrag ihn bindet, keine äußere Macht mit einem Rechte ihm zu gebieten bekleidet ist, wo er allein genießt, allein leidet, allein handelt, seine Zwecke allein verfolgt, seine Gefahren allein besteht, hier gibt es keine anderen Schranken seiner Freiheit, als die, welche ihm innerlich das moralische Gesetz, äußerlich die Grenzen seiner physischen Kräfte setzen. Keines Andern Wille kann ihm rechtmäßige Fesseln anlegen. Er ist unumschränkter Herr und König über das, was er sich zuzueignen, über das, was er zu schaffen und hervorzubringen vermochte. Wenn er sich vor der blinden Macht gerettet hat, wenn er über den Angriff hinweg ist, gibt es Nichts auf Erden mehr, was seine Unabhängigkeit antasten könnte. —♦
  Wäre schrankenlose Freiheit das einzige, oder auch nur das schlechthin erste Gut des Menschen, so müßte es sein vornehmster Wunsch, sein höchstes Bestreben sein, diesen Zustand zu verewigen. War das sein Ziel, war das seine Bestimmung? —♦
  Jedes Gemüth empört sich bei einer solchen Frage. Ewige Kindheit wäre erträglicher, als ewige Wildheit. Der freie Naturmensch ist der gebundenste aller Sklaven. Dafür, daß er unter seines Gleichen keinen Herrn erkennt, tyrannisirt ihn die thierische und die leblose Schöpfung. Dafür, daß keiner das Recht hat, ihm zu gebieten, muß er in jedem Augenblicke vor der Gewalt des Stärkeren zittern, der sich ihm naht. Dabei hat er keinen wahren Genuß seiner nackenden Freiheit. Er kann allein Nichts erwerben, allein Nichts erfinden, allein Nichts ausführen. Ebendarum, weil seine Freiheit Alles in sich schließt, gewährt sie ihm Nichts. Seine Instincte, seine Bedürfnisse, seine Neigungen und seine Vernunft treiben ihn mit vereinter Allmacht — diesen Zustand zu verlassen. —♦
  Sobald der Mensch in eine gesellschaftliche Verbindung tritt, hat es mit der absoluten Freiheit ein Ende. Die zahllosen Vortheile einer solchen Verbindung können ihm keineswegs umsonst zuströmen: er muß sie erkaufen. Er muß einen Theil seiner natürlichen Freiheit hingeben, um mit dem Überreste für seine Glückseligkeit, für seine Bildung, für seine äußere und innere Vollkommenheit zu wuchern. Er muß sich zu diesem Opfer entschließen, damit er selbst die Existenz seiner Freiheit vor der Gefahr, ein leerer Titel, ein Schall und ein Nichts zu werden, sichere. Von diesem Augenblicke an ist er nur so frei, als er es sein darf, wenn die Verbindung fortdauern soll, nur so frei, als der Vertrag, der freie Vertrag, den er mit seinen Brüdern schloß, ihm frei zu sein erlaubt. —♦
  Bürgerliche Freiheit in der weitesten Bedeutung des Wortes ist nichts Anderes als natürliche Freiheit nach Abzug desjenigen Theils derselben, ohne dessen Aufopferung eine gesellschaftliche Verbindung nicht bestehen kann. Gesellschaftliche Verbindung aber existirt nirgends als ein Abstractum. Wo sie sich findet, da sind auch die Umstände, die Bedingungen, die Einschränkungen gegeben, unter welchen sie auf dieser oder jener Stelle, in diesem oder jenem Abschnitt der Zeitfolge existiren kann. Mit Rücksicht auf den Inbegriff aller dieser Bestimmungen nennt man bürgerliche Gesellschaft einen Staat. Die
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  Freiheit des Einzelnen im Staate ist politische Freiheit, nach Abzug desjenigen Theils derselben, ohne dessen Hingebung ein Staat nicht besteht. —♦
  Der erste Anblick dieser einfachen Definition verräth die wesentliche Übereinstimmung und den wesentlichen Unterschied zwischen natürlicher und politischer Freiheit. Politische Freiheit ist keine besondere Gattung, keine eigene Classe der Freiheit. Sie ist natürliche Freiheit selbst, sowie sie unter gewissen Bedingungen existiren muß. Eben das aber, was diese Bedingungen ausdrückt, führt in das Charakteristische der politischen Freiheit. Bei ihr ist immer von Maß, von Größe, von Proportion die Rede. Es gilt ein Mehr oder Weniger. Man kann sie nie richtig und rein bestimmen, aber auch nur gedenken, ohne auf etwas Anderes Rücksicht zu nehmen. Mit einem Worte: politische Freiheit ist kein absoluter, sondern ein Verhältnißbegriff."
  Unter den übrigen teutschen Publicisten erwähnen wir nur noch Ancillon's, des Freiherrn von Gagern und K. von Rotteck's, welche drei bekanntlich zugleich als Hauptrepräsentanten resp. der conservativen, vermittelnden und entschieden liberalen Partei gelten. Der Erstere sagt in einer seiner vorzüglichsten politischen Schriften (Über den Geist der Staatsverfassungen S.29 fg.): „Die politische Freiheit besteht in einer solchen Gestaltung und Organisation der Gewalten des Staates, daß dadurch die freie Entwickelung aller Kräfte vermittels vernunftmäßiger Gesetze gesichert sei. Eine solche Gestaltung findet nur dann statt, wenn die Gewalten getheilt sind, ohne schroffe Absonderung, und verbunden, ohne Verschmelzung und Zusammenfallen. Keine Verfassung, in welcher es nicht für die Gesetzgebung mehre Instanzen gibt, besitzt die politische Freiheit, also die reine Demokratie oder die reine Aristokratie ebenso wenig, als die absolute Monarchie. Die Hauptsache, um die Freiheit zu begründen, ist eine solche Theilung der gesetzgebenden Gewalt, daß die Entwürfe der Gesetze durch mehre Instanzen gehen, ehe sie, in förmliche Gesetze verwandelt, Gesetzeskraft erhalten. Diese bringt gar nicht mit sich, daß die Souverainetät getheilt werde, noch weniger, daß alle Staatsgewalten von einander abgesondert und getrennt gedacht werden. Die totale Trennung der Gewalten wäre der Freiheit ebenso nachtheilig, als die totale Verschmelzung derselben. Nur durch eine gut berechnete Abhängigkeit und Unabhängigkeit aller Gewalten, durch ihre Verbindung mit einem Centralpunkte, von welchem Alles ausgeht, läßt sich das Leben des Staats denken."
  Der Freiherr von Gagern, dessen allgemeine Ansicht über das Wesen der politischen Freiheit schon früher erwähnt wurde, hat diese Idee in allen Theilen seiner Resultate der Sittengeschichte sehr ausführlich zu entwickeln gesucht. Besonders lehrreich sind seine Untersuchungen über das Wesen der demokratischen Freiheit und der demokratischen Staatsform im dritten Bande jenes Werkes. Wir heben nur noch folgende, unmittelbar auf die Begriffsbestimmungen der Freiheit sich beziehende, Stelle aus, da sie einige Hauptmomente sehr treffend darstellt:
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  Freiheit, die Idee der Freiheit, wie hoch auch der Werth sein mag, entzieht sich aller Definition. Nirgends wird sie körperlich tastbar als anerkannte Form — oder höchstens unter willkürlichen Symbolen angetroffen; denn diese Freiheit ist wesentlich unrein negativer Begriff. Immer bedeutet es: keinen Druck, keine aufgedrungene Herrschaft, kein willkürliches, unvollständiges Gebot, kein Unrecht, kein ertrotzter, unbilliger Vorrang, keine Unordnung, keine Unsicherheit. Also ein Wegdenken, ein Wegbleiben, ein Wegräumen der Hindernisse. In jenem Hause oder jener Wohnung des Mannes zu Athen, oder in Louisiana in Stadt und Land, im Staate also, ist wol dort die Freiheit, wenn man Sklaven hält? Sie müssen erst Liberia an fernen Ufern bauen. Und weil Ordnung und Sicherheit, die Entfernung des Rechts des Stärkeren, Freiheit oder Bedingung der Freiheit selbst ist, so führt eben dies gefühlte Bedürfniß zum bürgerlichen Vertrage, der soviel möglich dem Inbegriffe der Mannichfaltigkeit dieser Dinge Bestimmungen und Formen gibt. Immer mit dem Zwecke: „„Damit Alle der gemeinschaftlichen und der persönlichen Vortheile theilhaftig würden"" 17). Und es fragt dort Tubero, wie man möge: „„gründen und bewahren, mit welcher Disciplin, mit welchen Sitten und Gesetzen?"" 18). Bald aber entstehen die Zweifel und Einwürfe: „„einen Staat könne man ohne Unbild nicht führen"" 19). Und wenn jener etwa zugibt: „„Und Freiheit vorzüglich, die darin nicht besteht, daß wir einen gerechten Herrn, sondern daß wir keinen haben"" 20), so drückt sich auch Lälius herb genug aus: „„Noch sehe ich ein, daß der Herrschaft der Menge der Name des Freistaates gebühre. — Es ist nirgends ein Volk, als wo es innerhalb der Schranken eingewilligten Rechtes sich hält; aber jene Versammlung ist so gut Tyrann, als wenn es nur Einer wäre, und um so häßlicher, weil es keine wüthendere Bestie gibt, als die sich nur Schein und Namen des Volkes anmaßt"" 21).
  Rotteck 22), ausgehend von der allgemeinsten Begriffsbestimmung der äußern Freiheit als dem Vermögen, den eigenen Willen auch zu vollziehen, sowie davon, daß die größtmögliche Freiheit, d.h. die ohne Widerspruch möglicherweise Allen zu gewährende, als das eine Hauptrecht anzusetzen ist, stellt zunächst die einzelnen Anfoderungen, welche jeder Angehörige des Staats an denselben in Hinsicht seiner Freiheitsrechte macht, ohne grade den Ausdruck der bürgerlichen Freiheit hierbei zu gebrauchen, als ein Ganzes zusammen — nämlich die Gedanken- und Gewissens-, Rede- und Preßfreiheit, die Studien-, Lehr- oder Lernfreiheit, die Gewerbe-, Handels- ,
 
  • 17) Ut omnes et communibus commodis et suis uterentur. Cicero, De rep. V, 5.
  • 18) Constituere vel conservare, qua disciplina, quibus moribus aut legibus. Ibid. V, 19.
  • 19) Rempublicam geri sine injuria non posse. Ibid. II, 45.
  • 20) Imprimisque libertas — quae non in eo est, ut justo utamur domino , sed ut nullo. Ibid. II, 23.
  • 21) Nec video, qui magis in multitudinis dominatu reipublicae nomen appareat — populus non est, nisi consensu juris continetur; sed eat tam tyrannus iste conventus, quam si esset unus; hoc etiam taetrior, quia nihil ista, quae populi speciem et nomen imitatur, immanis belua est. Ibid. III, 33.
  • 22) Staatslexikon unter Freiheit.
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  Auswanderungsfreiheit, insbesondere die persönliche Freiheit als Schutz gegen die Misbräuche der Justiz- und Polizeigewalt u. s. w. – und bemerkt sodann:♦
  „Noch bleibt die politische Freiheit zu gewähren übrig, worauf jedoch den Bürgern weder ein zu allgemeiner, noch zu unbedingter Anspruch zusteht, als auf die rein menschliche und bürgerliche. Die Summe der Grundsätze für die dem Rechte und der Zutheilung der politischen Freiheit an die Volksgesammtheit und an die verschiedenen Bürgerclassen (welche Principien in den einzelnen Artikeln des Staatslexikons: Constitutionen, Censur, Charte etc., naher erörtert sind) besteht im Allgemeinen darin, daß, da daß Gesellschaftsrecht die möglichste Entfesselung des wahren Gesammtwillens, d.h. die einem möglichst lautern Organe desselben zu übertragende Herrschaft fodert, es die Hauptaufgabe der vernünftigen Verfassungspolitik ist, allen Gesellschaftsgliedern (im Staate also allen Bürgern), welche oder in sofern sie dem vernünftigen Urtheile als fähig und geeignet zur vollständigen und pflichtgetreuen Willensäußerung in allgemeinen Angelegenheiten erscheinen können, solche Willensäußerung, d.h. solche unmittelbare oder mittelbare Theilnahme an der Entscheidung über jene Angelegenheiten zu gewähren und überhaupt keine andern Ungleichheiten in politischen Rechten zu statuiren, als welche, theils nach der allgemeinen Natur der Dinge, theils nach den hier und dort vorhandenen besondern Verhältnissen und Umständen, durch evidente Nothwendigkeit oder Nützlichkeit gerechtfertigt und daher der allgemeinen Zustimmung der Verständigen sich empfehlend sind. In dem Maße also, als Geistesbildung, zumal politische Aufklärung und, was noch wichtiger ist, politische Tugend, d.h. lebendige Theilnahme am gemeinen Wohle, Hintansetzung des eigenen Privatvortheils, wo er mit jenem im Streite läge, überhaupt Redlichkeit und Treue der Gesinnung und männliche Charakterkraft, in der Gesammtheit einer Nation oder in ihren einzelnen Classen vorherrschend oder mangelnd sind, wird bei ihr die politische Freiheit ausgedehnter oder beschränkter sein müssen oder dürfen; und es wird insbesondere, wenn z. B. bei einem wenig zahlreichen Volke eine unmittelbare Theilnahme an den Gesammtbeschlüssen durch Stimmgebung in der Landesgemeinde zulässig oder räthlich ist, dagegen bei einer großen Nation solches politische Recht beschränkt werden müssen auf eine mittelbare Theilnahme, d.h. auf freie und wohlgeregelte Wahl der mit jener Stimmführung zu bekleidenden Repräsentanten, vorbehaltlich jedoch des jedem Einzelnen zu gewährenden Rechtes der freien Meinungsäußerung über alle öffentlichen Angelegenheiten, demnach auch vorbehaltlich der Pflicht der Staatsgewalt, alle ihre Tendenzen und Acte, in sofern nicht besondere und triftige Gründe zeitlich entgegenstehen, der Öffentlichkeit mit Wahrheitstreue zu übergeben und ihre freimüthige Beleuchtung in keiner Weise zu verbieten oder zu hindern."
  Nur kurz erwähnen wir der Ansicht der Rechtsphilosophen oder Naturrechtslehrer, in deren Doctrin von den angebornen oder allgemeinen Vernunft- und
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  Menschenrechten natürlich das auf Freiheit eine Hauptrolle spielt, ja gewöhnlich als das Urrecht schlechtweg, aus welchem alle übrigen abzuleiten wären, aufgestellt wird. Man geht dabei in der Regel von der Abstraction oder Hypothese eines sogenannten Naturstandes aus (der übrigens sehr verschieden geschildert wird, bald als ein paradiesischer Zustand des allgemeinen Friedens, bald als ein Krieg Aller gegen Alle u.dgl. M.) 23), stellt dann die Freiheit als die allen Menschen zustehende Befugniß dar, Alles zu thun, was man will, wofern man nur dabei Andern nicht Unrecht thut und seine Freiheit demgemäß soweit beschränkt, daß die der Übrigen damit bestehen kann, Jedem also eine bestimmte Sphäre seiner willkürlichen Thätigkeit zuweist, welche seine Rechtssphäre genannt wird, sodaß Freiheit und Recht in diesem Sinne für Wechselbegriffe gelten.♦
  Allein da Freiheit, wie schon gezeigt, ein ursprünglich nur negativer Begriff ist, so paßt derselbe keineswegs, um als allgemeines Urrecht an die Spitze gestellt zu werden. Denn dann wäre die absoluteste Foderung nur, daß die Menschen sich einander soviel als möglich ganz gehen oder ungestört ließen, Jeder dem Andern möglichst fremd oder entfernt bliebe; die Freiheit als oberstes Rechtsprincip würde mithin ein Princip der Ungeselligkeit sein, da wir doch grade in dem Urrecht einen höchsten Grundsatz der vernünftigen Geselligkeit suchen, der (wie hier nicht weiter nachgewiesen werden kann) in dem Urrecht der Gleichheit liegt, d.h. in der Anerkennung der jedem Menschen als Vernunftwesen oder Person, mithin als Selbstzweck (im Gegensatz gegen alle übrigen Naturwesen, die bloße Sachen sind, als Mittel für fremden Zweck gebraucht werden dürfen) zukommenden Würde der Persönlichkeit 24).♦
  Unter den zahllosen Rechtsphilosophen begnügen wir uns hier, nur die Ansichten über bürgerliche und politische Freiheit von Kant anzuführen, da dieser „Herkules unter den Denkern" unbestritten grade in diesem Gebiete als der Repräsentant der allgemein herrschenden Doctrin angesehen werden kann, indem seine Rechtsphilosophie in ihren Grundgedanken auch von den meisten der neuern Rechtsphilosophen (namentlich von Hegel25), sowie auch von den meisten Publicisten (namentlich von Ancillon, v. Gagern, v. Rotteck, P. Pfizer etc.) adoptirt ist. Kant verwirft zunächst die gewöhnliche Erklärung der
 
  • 23) Hobbes (De cive I. §. 2) meinte, sie würden sich balgen; — Rousseau (Emile), sie würden kalt und ohne Notiz zu nehmen an einander vorübergehen; — Hugo Grotius (De belli et pac. Proleg. 6—8) und Pufendorf (Jus nat. et gent. II.), sie würden sich freundlich zu einander gesellen; – Fichte Naturrecht S. 88), sie würden auf Mittheilung rechnen. Vergleiche Schmitthenner, Zwölf Bücher vom Staat. I. Bd. und Dahlmann, Politik S. 3: „Dem Staate geht kein Naturzustand voran, der von blinden Trieben und vernunftlosen Menschen handelt. Der Naturstand des Menschen ist, Vernunft zu besitzen, ein Über und ein Unter sich zu unterscheiden."
  • 24) Vergl. Fries, Philosophische Rechtslehre S. 3. 24. 32. Dessen Neue Kritik der Vernunft S. 222 fg. (2. Ausg.)
  • 25) Nachgewiesen hat dies unter Andern ebenfalls schon Fries in der Oppositionsschrift für Theologie und Philosophie, 1829, desgleichen in s. Geschichte der Philosophie. (Halle 1840.) 2. Bd. S. 693 fg.
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  äußern Freiheit als der Befugniß, Alles zu thun, was man will, wenn man nur dabei Niemandem Unrecht thut, welche Definition ganz nichtssagend sei 26), und bestimmt jenen Begriff dahin, daß die rechtliche, oder bürgerliche, politische Freiheit die Befugniß sei, keinen äußern Gesetzen zu gehorchen, als zu denen man seine Beistimmung habe geben können; sowie er denn auch die bürgerliche Gleichheit als dasjenige Verhältniß der Staatsbürger erklärt, nach welchem Keiner den Andern irgendwozu rechtlich verbinden kann, ohne daß er sich zugleich dem Gesetz unterwirft, von diesem wechselseitig auf dieselbe Weise auch verbunden werden zu können. Daß diese Ansicht der Freiheit nicht die richtige ist, hat Fries gezeigt 27). —♦
  Mit jener Begriffsbestimmung der Freiheit, sowie zugleich mit der auch von ihm adoptirten Lehre vom Staatsvertrag, hängt Kant's Ansicht oder Doctrin von den verschiedenen Staatsformen und seine Grundeintheilung aller Verfassungen in die republikanischen und despotischen zusammen, welche erstere er für die allein wahrhaft zu Recht bestehende erklärt 28),
 
  • 26) „Denn was heißt Befugniß? Die Möglichkeit einer Handlung, sofern man dadurch Keinem Unrecht thut. Also würde die Erklärung so lauten: Freiheit ist die Möglichkeit der Handlungen, dadurch man Keinem Unrecht thut. Man thut Keinem Unrecht (man mag auch thun, was man will), wenn man nur Keinem Unrecht thut; folglich ist es leere Tautologie." Kant, Zum ewigen Frieden S. 20. Note. (Werke von Hartenstein. 5. Bd. S. 422.)
  • 27) Fries, Geschichte der Philosophie II, 618. „Hobbes setzte das Recht in die Freiheit, seine natürlichen Kräfte zu seiner Selbsterhaltung zu gebrauchen, und die Schule des Naturrechts blieb bei dem Spruch: Recht ist Freiheit, wenn sie daraus gleich noch so verschiedene Ableitungen machte. Bei diesem Spruche finden wir nun auch noch Kant, der mit besonderer Vorliebe für diese Idee sagt: Freiheit, d.h. Unabhängigkeit von eines Andern nöthigender Willkür, sofern sie mit jedes Andern Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, ist das einzige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht. Gleichheit, bürgerliche Selbständigkeit und den Anspruch an Unbescholtenheit erklärt er nur als Folge dieser Freiheit. Dies ist aber dialektisch nicht scharf gesprochen. Mein Recht ist nicht eigentlich meine Freiheit, sondern mein Recht ist mein Anspruch an die Beschränkung der Freiheit jedes Andern zur Zusammenstimmung mit meiner Freiheit. Auf jeden Fall muß für Kant zugegeben werden: das Rechtsgesetz sei das Gesetz der Beschränkung der Freiheit eines Jeden zur Zusammenstimmung mit der Freiheit Aller nach einem allgemeinen Gesetze. Aber dann bleibt für das Rechtsprincip die erste Frage, welches ist die erste Regel der gerechten Beschränkung der Freiheit eines Jeden zur Zusammenstimmung mit der der Andern, und hierauf ist die Antwort: persönliche Gleichheit. Unter allen Bedingungen der natürlich nothwendigen physischen Ungleichheit der Mitglieder der Gesellschaft ist das Princip der Gerechtigkeit für einen Jeden, daß die gesetzlichen Beschränkungen unter dem Gesetze der persönlichen Gleichheit Aller gemacht werden." Vergl. Reinhold Schmid, Theorie und Methodik des bürgerlichen Rechts. 1848. S. 113 fg.
  • 28) „Die erstlich nach Principien der Freiheit der Glieder einer Gesellschaft (als Menschen), zweitens nach Grundsätzen der Abhängigkeit Aller von einer einzigen gemeinsamen Gesetzgebung (als Unterthanen), und drittens die nach dem Gesetz der Gleichheit derselben (als Staatsbürger) gestiftete Verfassung — die einzige, welche aus der Idee des ursprünglichen Vertrags hervorgeht, auf der alle rechtliche Gesetzgebung eines Volks gegründet sein muß — ist die republikanische." Kant, Zum ewigen Frieden S. 20. (Werke von Hartenstein. 5. Bd. S. 422.)
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  übrigens aber sehr bestimmt von der demokratischen unterscheidet. Seine Ansichten hierüber, namentlich seine Nachweisung, daß es bei der Würdigung der verschiedenen Staatsformen auf den Geist und nicht den Buchstaben, auf die Regierungs- und nicht auf die Herrschaftsform ankomme, daß die politische Freiheit nur in dem Repräsentativsystem, und zwar nur in dem der constitutionellen Monarchie, am besten gewahrt sei, während die Demokratie schon ihrem Begriffe nach unvermeidlich einen Despotismus in sich enthält oder zu demselben führt — alles dies ist auch noch für unsere gegenwärtige Zeit höchst beherzigenswerth, da insbesondere bei den Teutschen, die in Hinsicht auf politische Bildung auf einem noch sehr tiefen Standpunkte stehen, in Folge der neuesten Ereignisse der Wahn sich sehr weit verbreitet hat, als wenn die Demokratie die vorzüglichste Staatsform wäre, da sie doch, wie Schmitthenner sich ausdrückt, diejenige Form des Regiments ist, die von der Idee des Staats am weitesten sich entfernt 29).
  „Die Formen eines Staats" (civitas), sagt Kant 30), können entweder nach dem Unterschiede der Personen, welche die oberste Staatsgewalt inne haben, oder nach der Regierungsart des Volks durch sein Oberhaupt, er mag sein, welcher er wolle, eingetheilt werden; die erste heißt eigentlich die Form der Beherrschung (forma imperii), und es sind nur drei derselben möglich, wo nämlich entweder nur Einer, oder Einige, unter sich verbunden, oder Alle zusammen, welche die bürgerliche Gesellschaft ausmachen, die Herrschergewalt besitzen (Autokratie, Aristokratie und Demokratie, Fürstengewalt, Adelsgewalt und Volksgewalt).♦
  Die zweite ist die Form der Regierung (forma regiminis) und betrifft die auf die Constitution (den Act des allgemeinen Willens, wodurch die Menge ein Volk wird) gegründete Art, wie der Staat von seiner Machtvollkommenheit Gebrauch macht, und ist in dieser Beziehung entweder republikanisch oder despotisch.
  Der Republikanism ist das Staatsprincip der Absonderung der ausführenden Gewalt (der Regierung) von der gesetzgebenden; der Despotism ist das der eigenmächtigen Vollziehung des Staats von Gesetzen, die er selbst gegeben hat, mithin der öffentliche Wille, sofern er von dem Regenten als sein Privatwille gehandhabt wird.♦
  Unter den drei Staatsformen ist die der Demokratie, im eigentlichen Verstande des Worts, nothwendig ein Despotism, weil sie eine Executive Gewalt gründet, da Alle über und allenfalls auch wider Einen (der also nicht mit einstimmt), mithin Alle, die doch nicht Alle sind, beschließen; welches ein Widerspruch des allgemeinen Willens mit sich selbst und mit der Freiheit ist. —♦
  Alle Regierungsform, die nicht repräsentativ ist, ist eigentlich eine Unform, weil der Gesetzgeber in einer und derselben Person zugleich Vollstrecker seines Willens (so wenig wie das Allgemeine des Obersatzes in einem Vernunftschlusse zugleich die Subsumtion des Besondern unter jenem im Untersatze) sein kann, und
 
  • 29) Zwölf Bücher vorn Staat III. S. 432.
  • 30) a.a.O.; vergl. Die metaphys. Anfangsgründe der Rechtslehre. §. 30 fg. 52.
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  wenngleich die zwei andern Staatsverfassungen sofern immer fehlerhaft sind, daß sie einer solchen Regierungsart Raum geben, so ist es bei ihnen doch wenigstens möglich, daß sie eine dem Geiste eines repräsentativen Systems gemäße Regierungsart annähmen, wie etwa Friedrich II. wenigstens sagte: er sei blos der oberste Diener des Staats, da hingegen die demokratische dies unmöglich macht, weil Alles da Herr sein will. —♦
  Man kann daher sagen: je kleiner das Personal der Staatsgewalt (die Zahl der Herrscher), je größer dagegen die Repräsentation derselben, desto mehr stimmt die Staatsverfassung zur Möglichkeit des Republikanism, und sie kann hoffen, durch allmälige Reformen sich dazu endlich zu erheben. Aus diesem Grunde ist es in der Aristokratie schon schwerer, als in der Monarchie, in der Demokratie aber unmöglich anders, als durch gewaltsame Revolution zu dieser einzigen vollkommen rechtlichen Verfassung zu gelangen. Es ist aber an der Regierungsart dem Volke ohne alle Vergleichung mehr gelegen, als an der Staatsform (wiewol auch auf dieser ihre mehre oder mindere Angemessenheit zu jenem Zwecke sehr viel ankommt) 31). Zu jener aber, wenn sie dem Rechtsbegriffe gemäß sein soll, gehört das repräsentative System, in welchem allein eine republikanische Regierungsart möglich, ohne welches sie (die Verfassung mag sein, welche sie wolle) despotisch und gewaltthätig ist. — Keine der alten sogenannten Republiken hat dieses gekannt, und sie mußten sich darüber auch schlechterdings in dem Despotismus auflösen , der unter der Obergewalt eines Einzigen noch der erträglichste unter allen ist."
 
  • 31) „Mallet du Pan rühmt in seiner genietönenden, aber hohlen und sachleeren Sprache: nach vieljähriger Erfahrung endlich zur Überzeugung von der Wahrheit des bekannten Spruchs des Pope gelangt zu sein: „„Laß über die beste Regierung Narren streiten; die bestgeführte ist die beste."" Wenn das soviel sagen soll: die am besten geführte Regierung ist am besten geführt, so hat er, nach Swift's Ausdruck, eine Nuß aufgebissen, die ihn mit einer Made belohnte; soll es aber bedeuten, sie sei auch die beste Regierungsart, d.i. Staatsverfassung, so ist es grundfalsch; denn Exempel von guten Regierungen beweisen Nichts für die Regierungsart. — Wer hat wol besser regiert als ein Titus und Marcus Aurelius, und doch hinterließ der Eine einen Domitian, der Andere einen Commodus zu Nachfolgern, welches bei einer guten Staatsverfassung nicht hätte geschehen können, da ihre Untauglichkeit zu diesem Posten früh genug bekannt war und die Macht des Beherrschers auch hinreichend war, um sie auszuschließen."
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HIS-Data 5139-1-49-014-2-3-2: Allgemeine Encyclopädie: Freiheit III 2 HIS-Data Home
Stand: 7. November 2017 © Hans-Walter Pries