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Seckendorff: Teutscher Fürsten-Staat HIS-Data
5226-5-30
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Daß ein Regent in persönlicher regiments-bemühung die mittelstrasse treffen solle
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    ⇦ S. 124: §. 29
S. 124 (Forts.) Beym Cap. 5. §. 1. et seq.
  §. 30.
  BEy der regierungs-arbeit und persönlicher be-
S. 125 Von des Regenten bemühung etc. §. 30.
  mühung eines Landes-herrn sind zwey excesse zu vermeiden, nemlich, der eine, daß der Herr nicht zu wenig, und der andere daß er nicht zu viel thue. Zu wenig thut ein Herr nicht nur, wenn er blosser dinge dem müßiggang und wollüsten sich ergiebet, und die geschäffte allerdings seinen bestellten räthen und dienern überlässet. Denn das erkennet und klaget in solchen regimenten jedermann; Bißweilen ist auch von GOtt einem Regenten nicht gegeben, daß er sich seines beruffs gnugsam unterziehen kan, sondern heisset mit ihm wie dort der Jüdische König Adia von seinem Vater Rehabeam sagte: Erat rudis, et corde pavido. Da muß man gedult haben, und GOtt dancken, wenn nur redliche räthe und diener viel thun wollen, und den Herrn am allerwenigsten thun lassen. Nicht nur auff diese weise, sage ich, thut ein Herr zu wenig, oder kan nicht mehr thun, sondern es thut auch mancher zu wenig, der das ansehen hat, er thue viel, indem er rathschläge und relationes gnugsam anhöret, und nicht wenig zeit mit geschäfften zubringet, dennoch aber den ausschlag nicht treffen, noch recht zu hertzen fassen kan, sondern lässet es gantz guthertzig und kaltsinnig bey dem, was die diener schon beschlossen, oder auch wol schon verfänglich und partheyisch angegriffen, bewenden, oder folget am allermeisten dem rath und willen eines oder andern, etwa gantz zu seinem schaden eingenommenen und bestochenen höflings und liebdieners, oder läßt es mit einander hinhängen und gehen, wie es kan; Dieser fehler entstehet auch daher, daß eines Herrn gemüth nicht
S. 126 Additiones zum II. T. C. 5. §. 1.
  gantz und zur gnüge von dem wahren zustand seines regiments informiret, oder zu dessen wolfarth eifrig und rechtschaffen gnug animiret ist, sondern ihm andere dinge angenehmer sind, daß er also der regiment-sachen mehr pro forma abwartet, und hernach gleichsam desto zuläßiger zu seiner zeitvertreibung und eigenwilligen inclination eilet, welche bey manchem von jugend auff dermassen einwurtzeln, daß er solchen in zunehmenden jahren nicht widerstehen kan; Derowegen haben diejenigen, welche junge Herren erziehen, oder bey neu-angehenden Regenten mit etwas autorität reden und rathen können, wohl dahin zu sehen, daß sie dem Herrn das haupt-werck und den rechten zweck seines amts bey aller gelegenheit wohl vor- und einbilden, und auff die rechte mittel-strasse ihn immerfort leiten. Denn obgleich mancher dencken möchte, müßigen Herren sey gut dienen, man habe keine ungelegenheit von ihnen, weil sie gerne folgen, und ihnen alles gefallen lassen. So ist doch hingegen in acht zu nehmen, daß die inclination, welche den Herrn von dem rechten zweck abführet, entweder eine natürliche blödigkeit, oder etwa eine andere lust und beliebung sey, um derentwillen sein amt nur nach dem augenschein, und nicht im grunde des hertzens verrichtet: Ist es eine blödigkeit, so periclitiret fürwar der Staat eines solchen Herrn nicht wenig. Denn wo ihm die räthe darinnen gleich sind und nachahmen, so bleibet all ihr thun in lautern worten und guten gedancken bekleben, und wird zu keiner zeit den geschäfften, son-
S. 127 Von des Regenten Bemühung etc. §. 30.
  [1]derlich wo es etwas hart wider gehet, genüge gethan. Wollen denn die diener mehr muths haben, und sich etwas tapfferes unterstehen, so lässet sie ein solcher Herr, ehe sie sichs versehen, mit schimpff und gefahr stecken, oder belohnet es ihnen selbst, wenn ihn ein anderer wind treibet, mit schwerer ungnade. Reisset aber den Herrn eine starcke inclination zu lautern wollüsten oder zeitvertreibungen von dem fleiß in seinem amt ab, so ist es gefährlich beschaffen, und kan man gar schwerlich einem solchen Regenten daraus helffen. Zwar ist ein unterscheid und grad in solchen inclinationen, und ist eine sträflicher und schädlicher, denn die andere, gleichwol läufft es alles, was die regiments-arbeit und den Staat des Regenten belanget im ende auff eines hinaus, daß er nemlich solche dinge denen eigentlichen und ihm gewissens halben am meisten obliegenden amts-wercken vorzeucht, und diese mehr zum schein, als mit rechtem ernst, vornimmet; Dahero verliehret sich mehrentheils der seegen GOttes, und der success auch an solchen orten, da man, äußerlichem ansehen nach, nicht meynen solte, daß es an des Herrn tugend und geschickligkeit fehlete. Hingegen stehet manches regiment wol, obgleich offenbahre Mängel in moralibus etwa auch an dem haupt sich ereignen, welches, nechst göttlich verborgener direction, daher kömmet, daß gleichwohl der Regent das haupt-wesen und Staat seiner regierung nothwendig in acht nimmet, und seiner andern beliebungen halben daran nichts sonderbahres versäumet; Sind also unter die- ⇩ [1]
S. 128 Additiones zum II. T. C. 5. §. 1.
  sen gebrechen und mängeln diejenigen gefährlicher, die aus schwachheit des verstandes und muths, als welche aus der unart der sitten entspringen. Denn diese werden durch allerhand zufälle eher, als jene, zu remediren seyn; Ist aber beydes zusammen, und mangelt so wohl in intellectu, als voluntate, in scientia et moribus, da ist ohne wundersame mittel wenig zu hoffen. Die Regenten aber, welche das andere extremum an sich haben, und zu viel thun, fallen mehrentheils in das übel des eigensinnes, von welchen §. 15. schon viel angezogen worden Solcher eigensinn aber rühret schon gedachter massen her aus allzu grossen vertrauen, das sie auf ihr amt, stand und qualitäten setzen, und aus unzeitigen mißtrauen gegen alle andere leute, und zumal auch ihre beste und meiste und qualificirte diener, an denen sie zwar eminentes virtutes embsig suchen, aber dieselben fast am ersten wieder verschmähen, hassen oder fürchten. Es kömmet auch offt darzu eine natürliche unruhe, daß sie in allen dingen, grossen und kleinen, die hand haben, und alles selbst nicht allein wissen, sondern auch angreiffen und ausmachen wollen, welcher gebrechen nicht nur Regenten, sondern bey nahe allen scharffsinnigen hurtigen köpffen natürlich anhänget, und mit den Jahren mehrentheils zunimmet: Gesellet sich nun zu diesen gemüths beschaffenheiten etwa auch, wie offt geschicht, die kargheit, oder allzu grosse sparsamkeit oder begierde zu acquiriren,
S. 129 Von des Regenten persönl. Bemühung.
  so ist eines solchen Herrn arbeit und mühe fast unaussprechlich.*
  * Ein anderer mangel ereignet sich noch darinnen, wenn ein Regent theils zu viel, theils zu wenig thut, indem es einmahl aus mißtrauen gegen seine diener, wo er zumahl von ein und andern etwan hintergangen werden, oder auch aus gar zu grossen eigensinn und vertrauen eigener geschicklichkeit, alle kleinigkeiten durch seinen kopff gehen lassen, und was wohl abläuffet, sich selbst, was aber übel, denen diener zumessen will: andern theils aber doch aus gar zu grosser liebe zu andern lustbarkeiten, oder sonst in seinem gemüthe aufsteigenden verdruß und behinderungen an die regiments-sachen schwer zu bringen ist. Und da werden denn diese nur als ein neben-werck angesehen, auch kaum so viel zeit angewendet, daß eine wichtige sache reifflich genug vorgetragen und überleget werden kann. Daher sind bey solchen Herrn die diener am übelsten daran: Denn gebrauchen sie sich dieser gelegenheit zur ungebühr, und fahren über die affairen gleichfalls so obenhin, und es entstehet ein übler ausgang, so haben sie das gröste unglück zu gewarten: Gehen sie aber behutsam, so wird die zeit ungemein versäumet, und fället die ordnung der geschäffte gäntzlich dahin. Diese mängel an den Regenten zu curiren, erfordert sonderliche moralische wissenschafft und erkäntniß des leibes und gemüths-gaben des Herrn: Nam nosse causam morbi est dimidium curæ.

  Anmerkungen HIS-Data  
  [1] Seite in BSB nicht vollständig gescannt. Fehlstellen wurden aus der Ausgabe 1754 der ULB Sachsen-Anhalt ergänzt.
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Stand: 27. August 2017 © Hans-Walter Pries