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Seckendorff: Teutscher Fürsten-Staat HIS-Data
5226-5-35
Additiones > §. 35
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Vom amt eines Cantzlers oder Directoris; ingleichen von den qualitäten der räthe, sonderlich von den mängeln des verstandes
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S. 159 (Forts.) Beym §. 4. Cap. 6.
  §. 35.
  BEy dem amt eines Cantzlers oder Directoren wird, (wie im text gesetzet) fast aller orten dieses erfordert, daß er umfrage, die räthe vo-
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  tiren lasse, und das conclusum alsdenn mache. Es hat auch in wichtigen sachen ohne zweiffel seinen nutzen, und höret man mehrentheils mit verdruß, wenn der director vor oder bey der umfrage sich schon heraus lässet, und den votis der colleqen præjudiciren will. Gleichwohl aber stehet zu bedencken, wenn man der legalität und treue, auch güte und verträglichkeit des Directoren oder Präsidenten, versichert, ob es nicht zu erspahrung sehr vieler zeit, und zumal in täglichen und leichten sachen, rathsam sey, (inmassen es auch an etlichen löblichen orten mit nutzen also observiret wird) daß, wenn eine sache durch einen secretarium oder protonotarium referiret und abgelesen ist, der director seine meynung sage, und den räthen fürstelle, ob sie etwas erinnern wollen, wo nicht, so bleibet es bey seinem ausschlage, geschiehet aber erinnerung, so wird er solche entweder admittiren, oder mit fernerer erläuterung seiner meynung dem erinnernden den scrupel benehmen, jedoch, wie schon berühret, muß der director solchenfalls um so viel mehr ein verträglich und billig gemüth haben, und seiner collegen gedancken und erinnerungen, wenn sie gleich seinem eröffneten voto zuwider lauffen, eben so geduldig und wohlmeynend hören und aufnehmen, als wenn er seine meynung noch nicht gesagt hätte. Noch vielweniger aber gehet dieser weg an, wenn der Director nicht gnugsam den sachen gewachsen, sondern etwa mehr, in ansehung seines standes, oder durch die blosse zeit und fortrückung, an die höchste stelle kommen ist.
S. 161 Vom Amt des Directoris u. der Räthe. §. 35.
  [1]Denn solcher gestalt würde er sich prostituiren, da hingegen mancher, wenn er umfraget, oder sonst nach andern votiret, seine unwissenheit leichter verbergen, und aus den angehörten votis eine meynung zusammen lesen kan, daß es das ansehen gewinnet, er sey der sachen gar wohl verständig, bevorab wenn er von natur eine fertige zunge, und etwan etliche generalia und brocardica aus langer übung gefasset hat; Auf dergleichen weise kommen zuweilen etliche, bevorab vom herrn- oder ritter-stande, an hohe dienste, und werden von der Herrschafft, oder andern, die nicht gnugsam penetriren, für geschickte leute gehalten, die collegen aber, welche täglich mit ihnen umgehen, und ein nachdencken haben, werden des handels bald inne, und können so dann unterschiedliche incommoda daraus entstehen, entweder daß bey der direction hernach, wenn der Regent und die räthe den mangel mercken, kein respect mehr ist,oder wo die person sehr beliebt, und zu hof mächtig wäre, so siehet man nicht darauf, mit was gründe er agiret und votiret, sondern, wie man es mit ihme hält ihn obligiret, und seine fehler um geniesses willen verdrucket und erträget. ⇩ [1]
  Bey dieser gelegenheit muß ich, zur warnung and besserung meiner mitgenossen, von der ritterschafft unangezeiget nicht lassen, daß, meines erachtens, dieses nicht die geringste ursach sey warum an etlichen Höfen der adel-stand sich beschimpfft und zurück gesetzt befindet, nemlich, Fürsten und Herren, welche genauen verstandes und nachsin-
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  nens seyn, oder doch ihren nutzen und schaden aus relation der diener leicht begreiffen können, oder es auf deren ausschlag stellen, lassen sich lieber leute recommendiren, die etwas würckliches præstiren und ausrichten können, und etwa weniger, oder doch nicht mehr kosten, als solche personen, die auf den blossen stand, oder etliche nicht zulängliche qualitäten, trotzen, und allenthalben die geschäffte in händen haben wollen, gleichwohl aber denselben nicht gewachsen sind, sondern das meiste an die gelehrten und geschäfftigen allein lassen müssen; Ein edelmann seyn, sprachen und exercitien können, hofbräuche wissen, auch zumal ein ehrlich und aufrichtig gemüth haben, dem geitz und partiten gram seyn, sind löbliche und gute stücke,* sie reichen aber nicht zu, um eine rath-stube zu dirigiren, oder auch sonst grosse und gewisse stellen, darinnen mit rechter würcklichkeit zu bedienen, sondern es gehöret mehr, und fürnemlich dieses darzu, daß man des juris publici, und eines guten theils juris privati, erfahren, und in tractation der geschäffte, auch führung der feder, läuffig und just sey. Darum wo sich der ritter-stand releviren, und in diesen klugen und spitzfündigen zeiten, so wol, als etwa bey der alten einfalt geschehen, den vorzug mit bestand behaupten will, so muß er dahin bedacht seyn, die nothwendige qualitäten zu erlangen, und zu dem ende die jugend anderst und besser, als bey den meisten geschiehet, zu erziehen; Sonsten wo die von adel die ihrigen gar auf andere weise, als anderer ehrlicher leute kinder, gezogen wissen, und nicht recht ⇩ *
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  [2]angreiffen, sondern ihnen nur oben hin, was ohne mühe in sie gehet, beybringen lassen wollen, auch ihnen zu denen also genannten exercitiis mehr zeit und anlaß, als zu gründlichen studiis, geben, sich aber der rechten wissenschafft, welche beym regiment erfordert wird, wie nichts weniger der dienste und arbeit, wodurch man sich anfangs darzu qualificirt machet, schämen, die müssen sich nicht verdriessen lassen, wenn sie einen oder mehr von bürgerlichem stande, der seine zeit besser angewendet, ihnen und den ihrigen vorgezogen sehen; Fürsten und Herren aber, welchen etwas am adel gelegen, haben auch darauf zu dencken, wie sie die, bösen verderblichen sitten mit gutem exempel und vorsorge aus diesem stande bringen, auch armen gesellen von der ritterschafft mittel geben oder lassen, dass sie ihre kinder, welche von GOtt mit fähigkeit begabet, besser erziehen können. Denn das vermögen gebricht vielen, daß sie ihre kinder nicht in gute schulen, viel weniger auf universitäten schicken können, sondern wenn es hoch kömmet, halten sie ihnen zu hauß einen præceptorem, worzu sich meistentheils gantz schlechte und ungeschickte gesellen, die sonst nirgends hin wissen, gebrauchen lassen, die weder bey denen erwachsenden jungen edelleuten, und noch viel weniger bey ihren eltern, einigen respect haben, thun und lehren also, was sie wollen oder können, lauffen im felde und wäldern mit herum, zechen, spielen, musiciren, oder verderben sonst die zeit noch liederlicher, mit und benebenst ihren discipulis, und diese, wenn sie 16. oder mehr jahr alt sind, und den juncker zu agi- ⇩ [2]
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  ren anfangen, sind hernach zu aller disciplin unbequem, und ist zwar dieses verderben nicht allein bey armen, sondern auch bey reichen und vermögenden eltern zu finden, die da keinen verstand noch lust an den studiis haben, und zehenmal mehr auf andere unnöthige dinge, als auf ihre kinder, wenden, oder meynen, es wäre den kindern an ihrem stande schimpfflich, und an der gesundheit schädlich, wenn sie, wie andere menschen, die etwas lernen wollen, sich informiren lassen sollen. Ferner mangelt es auch erwachsenen, oder noch etwas jungen von adel, die das ihrige wohlgethan, offt an dem, daß, wenn sie von universitäten und reisen kommen, und die studia allein zu continuiren nicht weiter nöthig haben, oder ihre meiste mittel schon damit verzehret, daß sie darnach solche ihre qualitäten nicht bald anlegen noch üben können, sondern offt unter dem blossen vorwand ihrer jugend, und daß sie, als edelleute, nicht genug studiret zu haben scheinen, lange warten, und inzwischen versauren und verderben müssen, biß etwa zufälliger weise ein amt und stelle für sie erlediget wird; Von welchem fehler aber schon oben ist gesagt und erinnert worden, daß es wohl gethan wäre, wenn Fürsten und Herren junge leute bald, jedoch mit gewisser maasse und absicht, zu etwas rechtes und ernstliches gebrauchen, und sie bey Hof in müßiggang nicht verderben liessen.
  * Sie sind aber auch dem adel nicht allein eigen, sondern man trifft diese und andere tugenden und geschicklichkeiten ja wohl bey andern rechtschaffenen leuten an, ebenfalls man hingegen, wie nicht zu leugnen,
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  unter edlen und unedeln leute antrifft, die lasterhafft und ungeschickt sind. Sonnenklar ist ja, daß die zufällige geburth oder nahme nichts bey der sache thun können, und wer sich bloß an solchen vergaffet, der wird seinem geschlechte und sich selbst zur unehre und last werden. Die ursach aber, daß eine zeit her der adel so gar viel auf seinen stand sich verlassen hat, rühret gäntzlich von der erziehung her, da man den kindern von jugend auf beybringet, und sie des eiteln dunstes voll machet, als ob sie besser wie andere leute wären Die übrigen ursachen sind schon anderwärts in diesem buche, und auch allhier im texte berühret worden.
   

  Anmerkungen HIS-Data  
  [1] Seite in BSB nicht vollständig gescannt. Fehlstellen wurden aus der Ausgabe 1754 der ULB Sachsen-Anhalt ergänzt.
  [2] Seite in BSB nicht vollständig gescannt. Fehlstellen wurden aus der Ausgabe 1754 der ULB Sachsen-Anhalt ergänzt.
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Stand: 28. August 2017 © Hans-Walter Pries