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⇦ S. 159: §. 34 |
S. 159 (Forts.) |
Beym §. 4. Cap. 6. |
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§. 35. |
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BEy dem amt eines Cantzlers oder Directoren wird, (wie im
text gesetzet) fast aller orten dieses erfordert, daß er umfrage, die räthe vo-
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tiren lasse, und das conclusum alsdenn mache. Es hat auch in
wichtigen sachen ohne zweiffel seinen nutzen, und höret man mehrentheils mit
verdruß, wenn der director vor oder bey der umfrage sich schon heraus lässet,
und den votis der colleqen præjudiciren will. Gleichwohl aber stehet zu
bedencken, wenn man der legalität und treue, auch güte und verträglichkeit des
Directoren oder Präsidenten, versichert, ob es nicht zu erspahrung sehr vieler
zeit, und zumal in täglichen und leichten sachen, rathsam sey, (inmassen es auch
an etlichen löblichen orten mit nutzen also observiret wird) daß, wenn eine
sache durch einen secretarium oder protonotarium referiret und abgelesen ist,
der director seine meynung sage, und den räthen fürstelle, ob sie etwas
erinnern wollen, wo nicht, so bleibet es bey seinem ausschlage, geschiehet aber
erinnerung, so wird er solche entweder admittiren, oder mit fernerer
erläuterung seiner meynung dem erinnernden den scrupel benehmen, jedoch, wie
schon berühret, muß der director solchenfalls um so viel mehr ein verträglich
und billig gemüth haben, und seiner collegen gedancken und erinnerungen, wenn
sie gleich seinem eröffneten voto zuwider lauffen, eben so geduldig und
wohlmeynend hören und aufnehmen, als wenn er seine meynung noch nicht gesagt
hätte. Noch vielweniger aber gehet dieser weg an, wenn der Director nicht
gnugsam den sachen gewachsen, sondern etwa mehr, in ansehung seines standes,
oder durch die blosse zeit und fortrückung, an die höchste stelle kommen
ist. |
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[1]Denn solcher gestalt würde er sich prostituiren, da
hingegen mancher, wenn er umfraget, oder sonst nach andern votiret, seine
unwissenheit leichter verbergen, und aus den angehörten votis eine meynung
zusammen lesen kan, daß es das ansehen gewinnet, er sey der sachen gar wohl
verständig, bevorab wenn er von natur eine fertige zunge, und etwan etliche
generalia und brocardica aus langer übung gefasset hat; Auf dergleichen weise
kommen zuweilen etliche, bevorab vom herrn- oder ritter-stande, an hohe
dienste, und werden von der Herrschafft, oder andern, die nicht gnugsam
penetriren, für geschickte leute gehalten, die collegen aber, welche täglich
mit ihnen umgehen, und ein nachdencken haben, werden des handels bald inne, und
können so dann unterschiedliche incommoda daraus entstehen, entweder daß bey
der direction hernach, wenn der Regent und die räthe den mangel mercken, kein
respect mehr ist,oder wo die person sehr beliebt, und zu hof mächtig wäre, so
siehet man nicht darauf, mit was gründe er agiret und votiret, sondern, wie man
es mit ihme hält ihn obligiret, und seine fehler um geniesses willen verdrucket
und erträget. |
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Bey dieser gelegenheit muß ich, zur warnung and besserung
meiner mitgenossen, von der ritterschafft unangezeiget nicht lassen, daß,
meines erachtens, dieses nicht die geringste ursach sey warum an etlichen Höfen
der adel-stand sich beschimpfft und zurück gesetzt befindet, nemlich, Fürsten
und Herren, welche genauen verstandes und nachsin- |
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nens seyn, oder doch ihren nutzen und schaden aus relation
der diener leicht begreiffen können, oder es auf deren ausschlag stellen,
lassen sich lieber leute recommendiren, die etwas würckliches præstiren und
ausrichten können, und etwa weniger, oder doch nicht mehr kosten, als solche
personen, die auf den blossen stand, oder etliche nicht zulängliche qualitäten,
trotzen, und allenthalben die geschäffte in händen haben wollen, gleichwohl
aber denselben nicht gewachsen sind, sondern das meiste an die gelehrten und
geschäfftigen allein lassen müssen; Ein edelmann seyn, sprachen und exercitien
können, hofbräuche wissen, auch zumal ein ehrlich und aufrichtig gemüth haben,
dem geitz und partiten gram seyn, sind löbliche und gute stücke,* sie reichen
aber nicht zu, um eine rath-stube zu dirigiren, oder auch sonst grosse und
gewisse stellen, darinnen mit rechter würcklichkeit zu bedienen, sondern es
gehöret mehr, und fürnemlich dieses darzu, daß man des juris publici, und eines
guten theils juris privati, erfahren, und in tractation der geschäffte, auch
führung der feder, läuffig und just sey. Darum wo sich der ritter-stand
releviren, und in diesen klugen und spitzfündigen zeiten, so wol, als etwa bey
der alten einfalt geschehen, den vorzug mit bestand behaupten will, so muß er
dahin bedacht seyn, die nothwendige qualitäten zu erlangen, und zu dem ende die
jugend anderst und besser, als bey den meisten geschiehet, zu erziehen; Sonsten
wo die von adel die ihrigen gar auf andere weise, als anderer ehrlicher leute
kinder, gezogen wissen, und nicht recht |
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[2]angreiffen, sondern ihnen nur oben hin, was ohne mühe in
sie gehet, beybringen lassen wollen, auch ihnen zu denen also genannten
exercitiis mehr zeit und anlaß, als zu gründlichen studiis, geben, sich aber
der rechten wissenschafft, welche beym regiment erfordert wird, wie nichts
weniger der dienste und arbeit, wodurch man sich anfangs darzu qualificirt
machet, schämen, die müssen sich nicht verdriessen lassen, wenn sie einen oder
mehr von bürgerlichem stande, der seine zeit besser angewendet, ihnen und den
ihrigen vorgezogen sehen; Fürsten und Herren aber, welchen etwas am adel
gelegen, haben auch darauf zu dencken, wie sie die, bösen verderblichen sitten
mit gutem exempel und vorsorge aus diesem stande bringen, auch armen gesellen
von der ritterschafft mittel geben oder lassen, dass sie ihre kinder, welche
von GOtt mit fähigkeit begabet, besser erziehen können. Denn das vermögen
gebricht vielen, daß sie ihre kinder nicht in gute schulen, viel weniger auf
universitäten schicken können, sondern wenn es hoch kömmet, halten sie ihnen zu
hauß einen præceptorem, worzu sich meistentheils gantz schlechte und
ungeschickte gesellen, die sonst nirgends hin wissen, gebrauchen lassen, die
weder bey denen erwachsenden jungen edelleuten, und noch viel weniger bey ihren
eltern, einigen respect haben, thun und lehren also, was sie wollen oder
können, lauffen im felde und wäldern mit herum, zechen, spielen, musiciren,
oder verderben sonst die zeit noch liederlicher, mit und benebenst ihren
discipulis, und diese, wenn sie 16. oder mehr jahr alt sind, und den juncker zu
agi- |
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ren anfangen, sind hernach zu aller disciplin unbequem, und
ist zwar dieses verderben nicht allein bey armen, sondern auch bey reichen und
vermögenden eltern zu finden, die da keinen verstand noch lust an den studiis
haben, und zehenmal mehr auf andere unnöthige dinge, als auf ihre kinder,
wenden, oder meynen, es wäre den kindern an ihrem stande schimpfflich, und an
der gesundheit schädlich, wenn sie, wie andere menschen, die etwas lernen
wollen, sich informiren lassen sollen. Ferner mangelt es auch erwachsenen, oder
noch etwas jungen von adel, die das ihrige wohlgethan, offt an dem, daß, wenn
sie von universitäten und reisen kommen, und die studia allein zu continuiren
nicht weiter nöthig haben, oder ihre meiste mittel schon damit verzehret, daß
sie darnach solche ihre qualitäten nicht bald anlegen noch üben können, sondern
offt unter dem blossen vorwand ihrer jugend, und daß sie, als edelleute, nicht
genug studiret zu haben scheinen, lange warten, und inzwischen versauren und
verderben müssen, biß etwa zufälliger weise ein amt und stelle für sie
erlediget wird; Von welchem fehler aber schon oben ist gesagt und erinnert
worden, daß es wohl gethan wäre, wenn Fürsten und Herren junge leute bald,
jedoch mit gewisser maasse und absicht, zu etwas rechtes und ernstliches
gebrauchen, und sie bey Hof in müßiggang nicht verderben liessen. |
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* Sie sind aber auch dem adel nicht allein eigen, sondern man
trifft diese und andere tugenden und geschicklichkeiten ja wohl bey andern
rechtschaffenen leuten an, ebenfalls man hingegen, wie nicht zu leugnen, |
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unter edlen und unedeln leute antrifft, die lasterhafft und
ungeschickt sind. Sonnenklar ist ja, daß die zufällige geburth oder nahme
nichts bey der sache thun können, und wer sich bloß an solchen vergaffet, der
wird seinem geschlechte und sich selbst zur unehre und last werden. Die ursach
aber, daß eine zeit her der adel so gar viel auf seinen stand sich verlassen
hat, rühret gäntzlich von der erziehung her, da man den kindern von jugend auf
beybringet, und sie des eiteln dunstes voll machet, als ob sie besser wie
andere leute wären Die übrigen ursachen sind schon anderwärts in diesem buche,
und auch allhier im texte berühret worden. |
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