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⇦ S. 204: §. 40 |
S. 204 (Forts.) |
§. 41. |
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Beym §. 32. Cap. 7. n. 4. |
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WEnn ein Herr, nach anleitung des §. 32. dieses capitels
vers. 4. seine diener wohl erkennen soll, so muß er ziemlich tieff und genau
judiciren und penetriren. Denn es finden sich über die gemeinen und groben
fehler der untreu, corruption und unverstandes (davon allhier nicht zu reden,
sondern |
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S. 205 |
Wie ein Herr die Tugenden u. Mängel etc. §. 41. |
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vielmehr zu præsupponiren, daß sie in keinem collegio der
geheimen- oder staats-räthe so wenig, als bey der justitz, wissentlich sollen
geduldet werden) noch etliche gebrechen, auch an ehrlichen geschickten leuten,
welche so wol den geschäfften hinderlich, als dem Herrn und denen collegen
verdrießlich seyn, die müssen von vernünfftigen ministris auch erkant,
vermieden und gemäßiget werden, damit so wol der Regent mehr beliebung bekomme,
in dem collegio der räthe persönlich zu erscheinen, als auch sie, die räthe,
desto besser und bequemlicher ihr amt verrichten; Davon wäre vielleicht etwas
mehr, und nicht gar gemeines, mit nutzen anzuführen, wenn es die zeit und
eingeschränckte maasse meines vorhabens zuliesse. Ein und ander exempel, und
gleichsam nur ein muster, zu geben, so ist kein geringer anstoß in collegiis
der unterscheid in etlichen principiis oder haupt-meynungen, daraus hernach
auch mehrentheils unterschiedliche und widerwertige vota fliessen. Denn anderst
votiren in vielen dingen diejenigen, welche vermeynen, es stehe alles, was zu
verwaltung des regiments gehöre, in corpore juris, oder sey doch daraus per
analogiam zu ziehen, und das thun gemeiniglich solche personen, welche
fürnemlich das jus privatum, und zwar mit etwas mehrerm fleiß, als in gemein
geschiehet, studiret haben, und bey regiments-geschäfften nicht herkommen
sind;* weil sie aber gleichwol hin und wieder etwas von dem staat, oder, wie
sie reden, de sacris, sacerdotibus et magistratibus in corpore juris finden, so
pflegen sie gemeiniglich alles, was sie |
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S. 206 |
Additiones zum II. T. C. 7. §. 32. n. 4. |
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auch in staats-sachen hören oder vorbringen, aus einem
brocardico oder axiomate juridico zu deduciren, oder dahin zu appliciren, und
halten diejenigen, welche philosophos und theologos morales, auch viel
politicos und historicos gelesen, und in argumentationibus zu brauchen, auch ad
captum, und zu mehrer bewegniß der Regenten neben der allegation des rechtens
wol zu appliciren wissen, für grammaticos oder blosse philosophos. Anderst
discuriren und votiren diejenigen, welche zwar das jus privatum auch, aber
nicht hauptsächlich, tractiret, sondern ihre meiste zeit mit lesung
philosophischer, historischer und philologischer bücher, mit sprachen und
dergleichen curieusen dingen, zugebracht, darbey aber fähiges kopffes sind, und
vermeynen entweder, wenn sie eine wenige zeit über das corpus juris, oder
gewisse systemata oder practicos, sich hergemacht, sie hätten alles begriffen,
sind dahero im judiciren etwas zu kühn, indem sie sich auff mancherley fälle
und rationes, die sie gelesen und gehöret, und auf geschwinde einfälle und
fertiges maul verlassen, und darauff kecklich und aus dem gehirn sich
resolviren, oder alte leges und verfassungen gar leicht zu übergehen oder zu
meistern pflegen; Die mittelstrasse ist die beste. Denn die neugierigkeit und
verachtung der juris prudentz ist ein extremum, die abgöttische und albere
erhebung und behauptung alles dessen, was in jure justinianeo stehet, es reime
sich auff unsere zeiten, oder sey in usu, oder nicht, und der wahn, als wenn
die administratio reip. daraus gnugsam gefasset wer- |
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S. 207 |
Wie ein Herr die Tugenden u. Mängel etc. §. 41. |
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den, und anderst nicht, als nach und mit demselben, bestehen
könne, ist das andere, und dahero von beyden zu abstrahiren. |
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Eine sonderbahre discrepantz entstehet auch aus den widrigen
meynungen, die ein iedweder von dem statu reipublicæ an sich selbst gefasset;
Also wer nicht weiter in judicio publico kommen, als die gemeinen schul-bücher
ihn geführet, dem ist nicht leicht beyzubringen, daß so wol in der verfassung
des Römischen Reichs, als in dem Lande und provintz, darinnen er versiret,
etliche grund- und haupt-reguln der gemeinen politic nicht angehen, sondern der
status præsens, wie er durch observantz oder pacta verfasset, oder auch wol
zwischen Herren und unterthanen, oder Haupt und Gliedern, in effectu streitig,
und ohne äusserste zerrüttung nicht zu decidiren ist, sorgfältig und behutsam
tractiret werden müsse; Da nun kühne köpffe darüber kommen, da wird einer
absolute vor den Landes-herrn ex jure majestatis et principis, der andere vor
die stände und das volck reden, nachdem ein jeder einer secte von der politic
anhänget, und entweder zu viel monarchisch oder zu viel popular ist, wenn er
gleich sonst keine sonderbahre passion oder interesse an der frage hat; Uber
diß, weil gleichwol auch viel wichtige dinge vorfallen, die ex jure privato
ihre erledigung erlangen müssen, da ist die mancherley irrung und
wiederwertigkeit der opinionen, nachdem sie ein ieder von der schule gebracht,
oder aus büchern geschöpffet, sehr hinderlich und nicht ohne gefahr, daß
mehrentheils die meynung |
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Additiones zum II. T. C. 7. §. 32. n. 4. |
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prævaliret, welche den privat-nutzen der cammer befördert,
ob sie gleich zu scharff, und etwa auch, nach gelegenheit und veränderung der
zeiten, gefährlich wäre Denn man soll exempel finden, daß vor vielen jahren
auff solche singular- oder eigennützige opiniones eine Herrschafft sich etwas
angemasset hat, welches nun die nachkommen durch urtheil und recht überwunden,
cum fructibus wieder erstatten sollen, oder eine harte transaction deswegen
leiden müssen Also sind auch legisten, welche ihnen gar nicht einbilden können
daß Herren und stände sonderbare regalia und vorzüge, auch vortheile, in
cammer-sachen und intraden, mit gutem gewissen haben, solche auch nach den
zeiten und läufften ändern und einrichten, beruffen sich alsbald auff defectum
legis, argumentiren ohne alles bedencken aus einem oder anderm gemeinen
brocardico auf libertatem generalem, und dergleichen, und werden, wie jener im
schertz sagte, nicht ehe von solcher meynung gebracht, biß sie etwa selbst
solche regalia, dörffer, ritter-güter, herrschafften und unterthanen,
acquiriren, und hernach die vorhero so frembd befundene jura gar genau zu
suchen wissen. Wie nun diesem übel der diversität in principiis vorzukommen,
ist schwer, ja fast unmüglich, mit bestand vorzuschlagen. Denn man siehet, wie
schwer einem menschen ein vorgefaßter wahn auszubilden, und wäre zwar gut und
hoch zu wünschen, daß im gantzen Röm. Reich ingesamt auff bessere fundamenta
und harmonie in etlichen solchen wichtigen dingen gedacht würde, dieweil aber
die zerrüttung unserer zeiten |
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S. 209 |
Wie ein Herr die Tugenden u. Mängel etc. §. 41. |
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dergleichen hoffnung nicht zulässet, so ist eines weisen
Regenten, verständiger moderatoren, und erfahrner räthe reifflicher nachdencken
vonnöthen, wie sie, so gut immer müglich, in dero collegiis, eine gewisse,
sichere und billich-mäßige meynung in dergleichen streitigen haupt-fragen
ergreiffen, und die junge räthe gewehnen, also zu judiciren, wie man es etwa
bey denen vorfahren in praxi erbar und thunlich befunden, oder nach veränderung
der zeit und umstände, nochmahls auff genaue und gewissenhaffte überlegung
befinden und determiniren kan, damit der vergebliche disputat abgeschnitten,
der Regent nicht in allen fällen, oder durch neue diener ohne noth inquietiret,
und dadurch von den geschäfften und berathschlagungen mit verständigen leuten
abgeschrecket, oder ihm die[1] opinion beygebracht werde, als ob gar keine
gewißheit des rechts und der billichkeit wäre, wodurch er desto mehr zu
schärffern eigenwilligen anstalten beweget, und augen-dienern und heuchlern mit
grossem schaden des Landes, und zu spott der räthe, zu theile wird.
Beschwerliche und veränderliche mängel sind auch in deliberationibus, wenn man
einander die vota hefftig refutiret, allzu lang votiret, mit grossem
umschweiffen, und voransetzung gewisser general-reguln, oder unnöthigen
erzehlungen, sich aufhält und um die sache herum gehet, daß dem Herrn und
andern räthen, denen mit locis communibus, und müßigen historischen umständen
nichts gedienet, alle lust vergehet, ehe sie begreiffen können, wo der votant
hinaus wolle; Also ist auch verdrießlich, |
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S. 210 |
Additiones zum II. T. C. 7. §. 32. n. 4. |
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wenn die nachstimmenden nichts anders zu erinnern wissen,
als was die vorsitzenden schon gethan, und doch alles weitläufftig wiederholen,
und gleichergestalt mit unnöthigen allgemeinen rationibus, welche denen
vorsitzenden schon bekannt, sich hören lassen; It. ist ein verdruß und
hinderniß, wenn man in erinnerungen den stylum betreffende, allzu genau und
nasen-weiß ist, und einem andern, der doch der sache gewachsen, die feder
gleichsam gar führen will, das thut mancher ex studio contradicendi, mancher
aus blosser schul-sucht und fürwitz, und bildet ihm ein, daß er alles besser
machen wolte, und mag doch nichts, oder wol wenig, angreiffen, oder kan damit
eben so stattlich nicht zurechte kommen, daß ihn andere nicht noch mehr
reformiren könten.** Etliche suchen etwas besonders in einigen neuen worten
oder orthographien; Etliche haben bey währender deliberation fremde gedancken,
oder andere acten und schrifften für sich, hören die vota der andern nicht mit
fleiß an, nehmen also die sache nicht gnugsam ein, und erinnern hernach
gleichwol generalia, oder solche dinge, die schon vorgelauffen, oder treffen
gar den zweck nicht. Weil aber diese und dergleichen gebrechen zum theil in
etlichen cantzley-ordnungen berühret, auch mehr zu dem amt der räthe, als des
regenten, von welchen wir allhier handeln, gehören, so mag es hierbey sein
bewenden haben. Ein verständiger Regent, oder ein guter director collegii, kan
diesen mängeln auf allerhand fügliche wege begegnen, muß sie auch an sich
selbst bekennen, und wo ihn |
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S. 211 |
Wie ein Herr die Tugenden u. Mängel etc. §. 41. |
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der fehler übereilet, andern zu guten exempeln solche selbst
corrigiren, und sich je länger je mehr also fassen, auch andere anleiten
lernen, daß vernunfft, bescheidenheit, gütigkeit, verträglichkeit, realität,
ersparung der edlen zeit, und verhütung leerer worte, in acht genommen werde.
Es muß bey vermerckung ein und andern gebrechens ein Herr kein feind seiner
diener werden, sondern die ingenia, und dero gaben und fehler, wol judiciren
und unterscheiden, auch die commoda gegen die incommoda rechnen, und, nach
beschaffenheit der sache die leute geschicklich zu gebrauchen wissen. Zum
exempel, mancher gelehrter, gewissenhaffter und erfahrner mann ist im
begreiffen, reden, concipiren und schreiben, langsam oder allzu ümschweifflich,
den muß eben ein Herr oder director nicht übereilen, sondern ihn über solche
dinge fürnemlich lassen, die etwas zeit leiden, da wird er etwa die sache
gründlich fassen und ausarbeiten; Aber mit eilsamen und vermengten geschäfften,
wie auch mit täglicher auffsicht, revisionen, vorträgen und propositionen, wird
es solchen leuten sauer, oder auch andern, die sie hören, verdrießlich; Andere
haben eine solche natur, daß sie alle umstände pro et contra, genau abmercken,
auch wol vorbringen können, aber den schluß vermögen sie so leicht nicht zu
finden; die geben andern ihren collegen, die schlüßiger und resoluter sind,
gute materie zum nachdencken, und sollen solche nicht leicht urgiret werden,ihr
votum categorisch und aus dem stegreiff zu eröffnen, biß sie in mehrer umfrage
oder zu anderer zeit sich gefas- |
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Additiones zum II. T. C. 7. §. 32. n. 4. |
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set, sonst werden sie nur aus übereilung auf etwas fallen,
üm sich zu expediren oder offense zu vermeiden, da hingegen, wenn sie
bedenck-zeit hätten, ihnen alles besser beyfiele, sind auch zur expedition dessen, was
geschlossen, weil sie auf alles fleißig acht geben, nicht undiensam; Hurtigen
und geschwinden köpffen wohnet zwar eine treffliche fähigkeit, aber auch viel
hitze und empfindlichkeit bey, diese sind zur expedition richtiger und
geschlossener sachen, wie auch in direction und rathschlägen, üm andere
langsamere auffzumuntern, und in den ordinar-geschäfften bald einen weg und
vorschlag zu finden, also auch zu täglichen revidiren und referiren wol zu
gebrauchen, aber in gefährlichen und großwichtigen fällen, u. in negotiationen
mit fremden, können sie leicht übereilet werden; Wo auch solche personen etwa
zufällig erhitzet und irritiret sind, muß man ihnen raum zum nachsinnen geben,
so werden sie sich in kurtzer zeit selbsten zurecht finden, da man sie hingegen
in der ersten hitze nur weiter reitzen, und ihre gute gaben nicht wol geniessen
möchte. Ist demnach eine löbliche mixtur, und mäßigung, und der character,
welchen der sinnreiche Tacitus nennet quietam industriam, so rar, als nützlich
und hoch zu wünschen. Dafür sind aber nicht zu achten diejenigen, welche zwar
still und verträglich, auch eben nicht gar faul und ungeschäfftig sich
erzeigen, gleichwol aber die angelegenheiten ihres amts, und der Herrschafft
nutz oder schaden, sich wenig zu hertzen ziehen, sondern ihre zeit und stunden
im rath und arbeit halten, was ihnen vorköm- |
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met, etlicher massen angreiffen; Im übrigen aber, und wo es
etwas anstehen will, ohne weiteren kummer sind, und was nicht sanfft zu
erheben, leichtlich liegen lassen, nach der regul jenes münchs, der unter
andern über seine celle schriebe: Facias officium tuum taliter qualiter et
sinas vadere mundum, sicut vadit. Ins gemein sind die mängel der complexionen
und temperamenten wohl zu vertragen, auch zu mäßigen und zu regieren, wenn nur
tugend und geschickligkeit zum hauptwerck vorhanden. Wo aber bey den gebrechen
der natur, auch habitual-laster, als hochmuth, ungerechtigkeit, geitz,
wollüste, unversehnlicher zorn, grosse faulheit, heucheley, und dergleichen,
zugleich anzutreffen, da sind die mittel dargegen schwer und gefährlich, und
wird man wenig exempel von glückseligen curen solcher kranckheiten allegiren
können.*** |
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* Und mit solchen leuten lassen sich höchst verdrießlich
einige negotia, auch in blossen justitz-sachen tractiren. Denn es ist des
dubitirens und dergleichen grillen-fängerey bey ihnen kein ende, und wenn sie
fertig, so wissen sie noch viel weniger einen festen schluß abzufassen, als
diejenigen, so ihnen zugehöret haben. Uberhaupt wird zu einem geschickten
ministro etwas mehr erfordert, als ein blosser gesetznager zu seyn, und
allenthalben mit einem Rechts-sprüchlein um sich werffen können: Massen alle so
wohl Staats- als justitz-geschäffte mit einer practischen und lebhafften arth
tractiret werden müssen, wozu die blossen privat-gesetze nicht hinlänglich
seyn. |
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** Es ist dieses wohl wahr, daß man des styli wegen nicht gar
zu singulair seyn solle; doch aber ist nicht weniger höchst nöthig, in
collegiis und bey publiquen affairen sich eines reinen und verständlichen |
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Additiones zum II. T. C. 8. §. 8. 9. |
Scan 1100 |
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styli zu bedienen, massen auch solche dinge ein collegium
vortrefflich ziehren, und offt nicht wenig daran gelegen, mit was vor worten
eine sache ausgedrucket werde, und wird eine anmuthige schreibarth auch mehrern
ingress finden. Ich könnte dieses mit dem unterscheid des teutschen styli und
wie sehr solcher denen provincien nach von einander differire, beweisen,
besorge aber, es möchte ein und andernorts übel auffgenommen werden, und mag es
daher lieber bey diesen generalibus verbleiben. |
⇧ ** |
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*** Uberhaupt dienet diese anmerckung darzu, daß ein Herr die
gaben oder fehler seiner diener wohl kenne, und sich eines jeden, wozu er
geschickt, zu gebrauchen wisse, sonst werden Herr und diener sich einander zur
last werden Gestalten denn diese erkänntniß der dienere eine der
vortrefflichsten und nöthigsten wissenschafften eines Regenten, ja ein recht
geheimes kunst-stück ist, mittelst dessen er viele glückliche verrichtungen
wird zu stande bringen können. |
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