HIS-Data
Seckendorff: Teutscher Fürsten-Staat HIS-Data
5226-5-42
Additiones > §. 42
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Wie die leute und deren nahrung zu vermehren 1. durch anschaffung der materie : 2. anrichtung der manufacturen : 3. durch befreyete handthierungen von zünfften u.d.g. 4. befreyung neu anzurichtender gewerbe: 5. leidliche imposten : 6. verbothene einfuhre fremder waaren: 7. unterscheid der nahrung in städten und dörffern: wobey gefraget wird: 8. ob die verpachtung oder eigene bestellung der feld-güter besser sey ? 9. durch erziehung armer kinder in waisen-häusern und 10. durch abschaffung der bösen und müßigen leute in spinn- und zucht-häusern, auch versorgung der armen: 11. Endlich durch verstattung zuläßiger ergetzlichkeit dem gemeinen volcke
⇦ §. 41 §. 43. ⇨

    ⇦ S. 214: §. 41
S. 214 (Forts.) Beym 8. Capitel des II. T. §. 8. 9.
  §. 42.
  OBgleich von den materien dieses capitels noch vielmehr zu schreiben wäre, so kan ich doch weiter dißmahls nicht kommen, als nur folgende erinnerung bey dem 8. und 9. §. zu thun; und zwar ist die allda gesetzte regel gut und richtig, man soll obrigkeitswegen dahin bedacht seyn, daß alle unterthanen durch fleißige arbeit ihre nahrung und erwerb haben, und wird sonst in diesem capitel auch angezeiget, daß an der menge der unterthanen das gröste glück des Regenten gelegen, und daß solche der rechte schatz der lande sey. Wenn man aber nachforschet, und betrachtet, wie diese regul in den meisten pro-
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  vincien Tentschlandes, sonderlich aber in Fürstenthümern und Herrschafften in acht genommen wird, so hat es das ansehen, man wisse keine mittel solche zu practiciren: In Niederland wird man eine grosse menge vieler tausend leute finden, deren eltern, oder auch sie selbst, aus den angräntzenden, und sonderlich auch teutschen Landschafften, sich dahin begeben, ungeachtet daselbst die wenigsten reich werden, noch etwas eigenes an land und grund-gütern besitzen, sondern die meisten das blosse leben hinbringen bey schwartzem, speltzigtem und theurem brod, geringem bier, gemietheten unbequemen wohnungen und kellern, auch grosser gefahr vom wasser und überschwemmung, und bey böser ungesunder lufft. Die vornehmste ursach, daß die leute hauffen-weise dahin kommen, achte ich diese, daß daselbst iedermänniglich, der gesund ist, jung und alt, täglich etwas verdienen kan, so wohl mit handwercken und künsten, als auch mit blosser hand-arbeit und tage-lohn, und denn, daß warhafftig arme und krancke wohl versorget werden. Denn üm der blossen religions-freyheit willen geschiehet der grosse zulauff nicht, wenn nicht die nahrungs-mittel darbey wären, sondern es heisset bey den meisten: Virtus post nummos. So siehet man auch, daß der römischen catholischen eine grosse menge der orten leben, die doch mit ihrem gottesdienste sehr eingeschränckt sind. Nun kann man zwar in Teutschland, wo die bequemlichkeit der ströme oder die see nicht ist, eben so gar viel leute und gewerbe nicht haben, als in denen orten, wo ein grosser theil des volcks
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  seine nahrung ausserhalb durch die hülffe der schifffarth suchet; So thun auch die reiche fischereyen etwas darbey, und die grosse bequemligkeit, da alles mit schlechten kosten von einem orth zum andern auf den strömen und canälen, (die in den tieffen und ebenen landen wol und leichtlich, aber in bergichten und steinigten örtern fast unmüglich, oder doch mit überschweren kosten zu machen und zu erhalten) geführet wird, da in Teutschland die meisten waaren, welche das land trägt, zumahl korn und gemeine weine, doppelten preiß erreichen, wenn man sie drey oder vier tage auf der achse führen soll. Dieses aber ist eine grosse, und meines wissens, von wenigen gnugsam bedachte ursach, daß kein verdienst in Teutschland zu machen, damit sich eine menge volcks von gemeinen armen leuten beständig ernähren könte. Man klaget zwar hin und wieder über den mangel der arbeiter, und über die unbilligkeit der taglöhner und handwercker, auch des gesindes, man erweget aber nicht, daß auch diejenigen, welche täglich etwas verdienen wollen, nicht arbeit genug und beständig finden, und dahero verlauffen sie an andere orte, oder wo ihnen nur zu gewisser zeit und gelegenheit eine arbeit aufstösset, als in der erndte, oder bey gebäuden, nehmen sie ein übermäßiges, üm zur zeit, da sie nichts verdienen können, davon zu zehren; Hingegen, wo ein arbeiter wüste, daß er das gantze jahr hindurch etwas verdienen könte, der würde ein beständiges und gewisses nehmen, auch deren die menge herbey lauffen, wie man denn siehet, wenn an einem ort ein ansehnlicher bau geführet
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  wird, da es an taglöhnern nicht mangelt, die von 30. und mehr meilen, sich herbey finden. Also auch, wo beständiger verlag in bergwercken, und bey andern grossen handthierungen ist, als an etlichen orten, da man grosse menge eisenwerck schmiedet und ausarbeitetet, finden sich auch helffknechte und zuschläger von sich selbsten. Desgleichen wo der handel mit weberey und zeugmachen in schwang gebracht ist, da findet sich volck gnugsam, welches spinnet, und dergleichen arbeit verrichtet; In etlichen nicht durchgängigen, sondern nur zu gewisser zeit practicirlichen arbeiten, als da sind, das geträid schneiden und treschen, wird am meisten über den mangel der leute geklaget, wenn man es aber recht erweget, so mangelt es nicht an leuten, sondern am verdienst. Denn so bald das geträide wol gewachsen, und zugleich in hohem werth ist, da finden sich leute, die gern üms zehende schneiden, und üm ein billich maaß treschen wollen, in viel grösserer anzahl; Das werden diejenigen bezeugen, welche in den fruchtbarsten Provincien Teutschlandes vor ein paar jahren, da der korn-preiß stiege, keinen sonderbaren mangel an schnittern und treschern gespüret haben, da sie doch in den vorhergehenden wolfeilen jahren dißfals grosse beschwerung empfunden, welche auch alsobald auf erfolgte reiche erndte und abschlag des geträids sich wiederum zu ereignen angefangen hat.* Diesem nach folget, daß es in frieden-zeiten an leuten nicht ermangeln werde, wenn man dem gemeinen mann ein erkleckliches und beständiges verdienst schaffen kan. Es stehet aber eben die kunst und
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  difficultät darinnen, was man vornehme und erfinde, üm solchen verdienst, tag- oder jahr-lohn zu schaffen. Etliche künste und gewerbe, als insonderheit wollen zeug wircken, und etliche neu-erfundene feld arbeit, als das tobac-pflantzen, haben an etlichen orten in Teutschland etwas volck herbey gebracht, und etliche äcker in hohen preiß gesetzet; man verspüret aber auch, daß es alsobald, wenn die menge dergleichen waaren zunimmet, hinwieder am vertrieb fehlet, oder wenn anderer orten solche waaren wolfeiler können geschaffet, oder besser gemacht, und ins land getrieben werden, so fallen die einheimischen waaren ab, und verlieret sich das volck, so sich darauff geleget, hinwiederum leichtlich. Das Thüringer land, zum exempel, träget noch heut zu tage das bekante kraut, welches zur farb gebrauchet wird, den Weid, so gut, als in vorzeiten, weil aber wenig kaufleute darzu vorhanden, und hergegen der Indigo in besserm preiß zu haben; So liegt die Nahrung mit dem Weid, die ehedessen eine grosse menge reicher bauern, und vieler händler und arbeiter, genehret hat, fast gar zu boden, und diesem nach, wenn zu consumtion der andern waaren nicht leute gnug vorhanden, so hat man der waaren auch in menge nicht nöthig. Darüm wollen etliche nothwendige requisita in acht genommen seyn, einen beständigen verdienst zu machen, als nach gelegenheit der meisten orte Teutschlandes, (1) Daß die handthierung am meisten in solcher materi bestehe, die im lande mehrentheils gezeuget, und nicht erst von andern orthen hingeschaffet wird, als da ist holtz, eisen,
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  flachs, wolle, hanff, farbe, leder, etc. (2) Daß die arbeit und manufactur entweder mehr, oder doch nicht viel weniger werth sey, als die materie: Denn wo das nicht ist, so nehren sich zwar mit gewissen waaren, die man rohe und grob hinweg sendet, etliche handels-leute, aber keine menge des gemeinen manns; Zum exempel, was vier oder fünfhundert schaafe an wollen ertragen, kan ein wagen oder wolbespanter karn wegführen, und verdienet also der auffkäuffer und der fuhrmann daran etwas, sonst aber niemand nichts. So aber dieselbe wolle im lande versponnen und verarbeitet werden könte, würden sich 10. oder 12. menschen damit ein jahr lang ernehren. Darüm fehlen wir Teutschen sehr, daß wir die rohe materien ausführen und verhandeln, und hernach, wenn andere leute solche verarbeitet haben, die manufacturen wieder herein bringen, und theuer bezahlen. Mit dem auffkauff ernehren sich etwa in einem lande oder stadt zehen oder zwölffe oder auch noch weniger leute; Hingegen arbeiten etliche hundert frembde in unsern eigenen waaren anderswo, die uns keinen danck deshalben wissen, noch dem Vaterlande das geringste beytragen. (3.) Muß die nahrung frey seyn, und mit keinen zünfften, innungen oder gilden, oder auch mit beschwerlichen imposten, beleget und eingeschrencket werden. Das ist eine harte lection** vor handwercker, und vor die räthe der kleinen städlein, welche mehrentheils handwercker sind, sowol auch für etliche obrigkeiten, und dero cantzeleyen, die sich die wenigen gebühren von meister-
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  geld, handwercks-bussen, bestätigung der innungs- oder zunfft-brieffe, gefallen, oder durch die zum schein fälschlich vorgewandte schöne ordnung, zucht und policey der handwercker bethören lassen, wenn sie in ihren innungs-brieffen und artickeln lesen, wie die handwercker erbar und gottsfürchtig mit einander leben, schmähungen, flüche und schandbare worte, bey straffe vermeiden, mit einander zu grabe gehen, aus der handwercks-büchse den armen steuren; Item, daß sie die bastarte, und die sich unkeusch verhalten, und etlicher geringer verächtlicher leute kinder nicht in die zunfft nehmen. Das alles sind schlechte nutzbarkeiten, welche den zwang, monopolium, und andere ungelegenheit der zünffte, keines weges ersetzen. So darff man auch nicht sagen, daß es an handwerckern mangeln, oder die waaren schlimmer seyn würden, wenn keine zünffte und meisterschafften, wären. Denn diese dinge geben sich selbst, und können, wie die erfahrung giebet, keine handwercks-ordnungen die unbilligkeit, lügen und schlimme arbeit der meister, verhüten, vielmehr werden diese mängel durch die innungen, weil man an solche leute gebunden ist, geheget. Wo aber freyer zug und arbeit der handwercker ist, da treibet der gute und billige meister, mit wärhaffter arbeit und redlichem preiß, die stümpler und unbilligen hinweg, und werden doch nicht mehr in einer stadt oder land kommen, als sich drinnen ernähren können. Es nähret ein handwerck das andere, und wo viel volcks ist, da sind viel handwercker nöthig, viel
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  volcks aber kommet an die örter, wo freyheit im handthierung ist, ungeacht man sonst den leuten mit accisen ziemlich zusetzet. Ferner dienet zu nichts, daß ein handwercks-geselle vier und mehr Jahre an seinem handwerck lernen soll, welches er in wenig wochen oder monaten begreiffen kan; und worzu hilfft das wandern der gesellen, welche zumal die meiste zeit betteln und garden, und wo sie arbeit nehmen, durch ihre ungereimte liederliche schencken und zechen, hinwieder eine gute zeit mit faullentzen, und mit üppigen fraß und quaß, zubringen, auch ihre meister, nach belieben, schätzen und bevortheilen? Das alles ist erfunden, nicht die leute und handthierung zu mehren, sondern zu mindern,*** und die nahrung an etliche, zum theil nichtswürdige, böse und faule leute zu bringen und zu restringiren, welchen gar recht geschehe, wenn sie durch bessere meister überzogen, und zu anderer nahrung auf solche maasse genöthiget würden, da solten mehr taglöhner, schnitter, trescher, meyer, schirrmeister, holtzhauer, teichgräber, und solche leute, zu finden, auch mit ihnen mehr der gemeinen nahrung zum besten auszurichten seyn, als mit verdorbenen handwerckern; Und hieher mag man auch rechnen die schweren bürger- und einzugs- wie auch die abzugs-gelder, welches alles zu nichts anders dienet, als zu hegung des eigenutzes, auf gegenwärtige geringe zeit und wenig personen, die vermehrung der inwohner aber hindert und aufhält. Wo dieses in Teutschland nicht begriffen, und gesamter dinge ge- ⇩ ***
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  ändert wird, (sintemal einem oder andern herrn allein es zu schwer fället) so ist nicht zu hoffen, daß sich die anzahl der leute beständig ernähren und vermehren können, sondern wenn gleich langwierige friedliche zeiten einfallen, so wird das junge volck in Teutschland dennoch ausser landes in kriegs-dienste, oder in die freyen lande, da sie ohne zunfft und andere kosten aufgenommen werden, unumgänglich lauffen müssen, so wol, als hiebevor auch geschehen. Will man aber dafür achten, es sey zu hart und unpracticirlich, daß man, zum exempel, die innungen und gilden auf einmal aufheben könte, so versuche man es nach und nach, oder lasse zwar die zusammenkunfften, gesellschafften und obermeistereyen der handwercker, dem nahmen nach, im stande, man mindere aber die zeit der lehr-jahre, die kosten der meister-stücke, das zehren und zechen, und vergönne den zuzug fremder meister üm ein geringes, biß sich nach und nach das werck selbsten gebe, und Herren und unterthanen den nutzen spüren. Denn alle dergleichen gute anstalten hindert die blosse betrachtung des gegenwärtigen nutzens oder schadens. Denn da wird befunden werden, daß sich eine stadt üm etlicher weniger ietzo lebender, und etwa mit dem magistrat befreundeter handwercker und zunfftmeister willen, ihrer und ihrer nachkommen warhaffter und beständiger wohlfahrt widersetzet, und nicht bedencket, daß, wo itzo einen und andern in præsenti etwas wehe thut, oder ihm die arbeit und bemühung sauer macht, seinen eigenen kindern und befreunden in wenig jahren mit reichlichem nu-
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  tzen ersetzen und herein bringen werde. So erbarmet man sich auch gar übel und ungereimt über etliche stümpler, und heget lieber deren etliche in kümmerlichem zustande, als daß man eine gute anzahl fleißiger und nahrhaffter leute einnehmen, oder sonst auf den bestand und zukünfftigen nutzen sehen wolte. (4.) Darbey ist aber dieses anzumercken, daß, wo leute mit gantz neuen und nützbaren gewerben in einen ort sich begeben wollen, die vorhin nie da gewesen, daß man denselben wol eine freyheit und privilegium auf etliche jahre geben könne, inner welchen wieder ihren willen keine von dergleichen kunst mehr eingenommen werden sollen.**** (5.) Durch imposten und schatzungen der handthierungen wird auch der menge der leute und vortheil der nahrung schaden gethan, sonderlich wenn die schatzungen hoch sind. Man solte bloß oder mehrentheils damit zu frieden seyn, daß die leute des orts sich mehren, und ihren verdienst verzehren, und vom geträncke, fleisch und brodt, unvermerckt der herrschafft ein ehrliches zutragen, (von welcher materie unten ferner gehandelt werden soll) oder wenn eine manufactur in guten schwang käme, und häuffig ausgeführet würde, daß man denn ein billiches und practicirliches auf die waaren setzte. Denn damit ist gar behutsam ümzugehen, daß man das gewerbe und die kunde nicht stopffe.* (6.) Lehret die natur und exempel aller klugen und in gewerb wohl erfahrnen völcker, daß, was das land selbsten schaffen und machen kan, maassen kurtz vorhero bey den handwerckern insonderheit auch angezeiget[1], nicht von an- ⇩ ****


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⇩ [1]
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  dern oder frembden orten herbey geholet werden dörffe oder solle. Und dieses zu erhalten, dienet die anstalt und verbot, daß man sich mit frembden tuch und zeuch, leder und leinwand, in gemein nicht kleiden, vielweniger frembde speise oder getränck einführen solte, als unter schweren imposten und zöllen. Denn wer sich mit den einheimischen nicht behelffen will, der mag seinen beutel ziehen, und die fremden waaren desto theuerer kauffen und bezahlen. Und weil auf diese maasse viel handwercker in frembden orthen, die in Teutschland ihre waaren vertreiben, das handwerck einlegen müsten, so folgete von sich selbst, daß nicht allein kein Teutscher mehr in solche frembde lande sich häußlich nieder lassen, sondern auch ihrer viele wieder herein ins land ziehen müsten. Denn zu eitel innländischen waaren hat man jetzo nicht wol handwercker gnug im lande. Mit der menge der leute können wir auch unser geträid und wein eher und besser verzehren, und dürffen nicht auf die ungewisse abschiffung und ausführung warten: Die feld-güter würden auch wieder besser zertheilet, die anietzo an vielen orten fast gar, aber von wenig personen mühselig angebauet werden,** in hoffnung, ihre kinder einsten damit zu versorgen, welches ziemlich langsam und ungewiß ist, und kan unterdessen mit rath, wegen wenigkeit der menschen, der überfluß und wuchs des Landes nicht zu nutze gebracht und verzehret werden; Es solten auch, wenn obigen rathschlägen gefolget würde, sich wol sonst mittel vor der leute kinder zur nahrung finden,
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  indessen aber die wüsten und öden weinberge, äcker und wiesen, wieder Herren, oder doch meyer und beständner, bekommen oder könten auch neue röder oder rödäcker gemacht werden. Denn man muß nicht gedencken, daß die itzige bau-felder in Teutschland allezeit vor etlichen hundert Jahren also gewesen; Sondern es findet sich zumahl an rauhen orten gnugsame nachricht, wie nach und nach unter guten und vernünfftigen Herrschafften die wälder gerodet, und höfe, weiler und dörffer gebauet, oder doch deren marckungen üm ein ansehnliches ergrössert worden. (7.) Dienet zu erwegen, obs gut sey, die handwercke und krämereyen auff die städte, wie im Sachsen-recht verordnet, zu zwingen, und diesem nach eine meile üm eine stadt herüm in den dörffern keine handwercke zu leiden. Wo dißfalls richtige verträge und abschiede sind, da kann man wider willen der berechtigten städte nichts ändern. Aber durch vernünfftige ursachen, wenn solche leute ihren nutzen und interesse darbey scheinbarlich sehen und empfinden, sind sie wol zu bewegen. Zum nachdencken stelle ich erstlich die regul:*** Man solle die handwercker und krämer auff den dörffern, deren nahrung auff ackerwerck bestehet, nicht leiden, ausserhalb solchen, welche zu gantz unentbehrlicher und geschwinder förderung der bauerschafft und nahrung erfordert werden, als da sind grobschmiede, becker, metzger und dergleichen. Hingegen setze ich auch dieses, daß man in städten auff menge der leute und handthierung trachte, und den acker-bau und viehe-
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  zucht, nach aller müglichkeit, hinwieder an die bauern, entweder erblich, oder durch meyereyen, bringen solle. Es ist aber dieser puncten und reguln keine mit nutz zu practiciren, als bey menge der leute, die aber anderst nicht, als durch freyheit und gelindes tractament, wie auch durch auffhebung oder milderung der zünffte zu erlangen. Denn daß ietzo etliche handwercker auf den dörffern sich enthalten, geschicht mehrentheils darüm, daß sie entweder in die stadt der zünffte wegen nicht unterkommen, oder der geringen bürgerschafft halben keine nahrung darinnen haben können; Also, wo die bürger und handwercker in den städten sich mit ackerwerck und viehzucht nehren, geschicht es darum, daß sie auf das blosse handwerck sich nicht erhalten können, alles aus dem mangel der leute, die bey ihnen arbeiten lassen, oder ihnen abkauffen. Darüm wird man nahe üm volckreiche grosse städte wenig handwercker auf dörffern finden, auch ein fleißiger nahrhaffter handwercksmann oder krämer in der stadt wird sich mit keinem ackerbau beladen, sondern diese vermengung und verkehrung der nahrung entstehet aus dem ungeschick des regiments, und dem mangel der leute, wie auch daß die Regenten nicht zu rechter zeit denen dörffern, welche handeln und wandeln, mit ertheilung der freyheiten auffzuhelffen wissen. Die grosse strittigkeiten, welche etliche städte um des bierbrauens willen haben, und den dörffern solches nicht gestatten wollen, sind in reichen und grossen gewerb-städten fast unerhöret, allwo der bürger so viel sind, daß
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  nicht sie das land mit bier versorgen, (sie müsten denn ein sonderbahr gut und berühmt bier brauen können) sondern das land ihnen noch bier zuführen muß, und das geschiehet auch kundbarlich in etlichen kleinen städten, da etwan universitäten, und eine grosse anzahl studenten sind; Diesem nach, wenn sich die städte mit volck erfüllen könten, und darzu die an andern örtern gut befundene mittel gebraucheten, freyen einzug verstatteten, plätze und bau-materialien wolfeil verschaffeten, zumal aber, wo die inwohner in anlagen und bürden erträglich gehalten würden, so fiele der zwang wegen des bierbrauens und der handwercker von sich selbst. Denn diese würden häuffig in die städte ziehen, und kaum gnugsam vor die bürgerschafft gebrauet, also auf den dörffern einem ieden, der sich darauf ernehren wolte, das brauen leicht vergönnet, werden. Und was den ackerbau und viehzucht bey der stadt belanget, da würden die bürger bey vermehrung der handwercker und handelsschafften von selbsten nach und nach davon abstehen, und ihre liegenden güter wieder an die benachbarte dorffschafften lassen oder auch höfe, vorwercke und meyereyen daraus machen, darauff sich pachtleute und meyer finden, und sich also auf die weise die anzahl des volcks auch mehren und nehren würde. Denn daß (8.) ich dieses, welches sonst auch bey dem dritten theil occasione der cammer-güter sich tractiren liesse, allhier mit wenigen berühre so ist die frage, obs besser sey, feld-güter mit eigenem gesinde, als durch pacht-leute und beständ-
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  nere, zu bestellen: **** Ohne unterscheid nicht zu resolviren, sondern sie dependiret auch von der menge der leute, welche pachten und bestehen wollen, und welche die feldfrüchte kauffen und verzehren; Wo dergleichen volck gnugsam ist, da treibet einer den andern zu fleiß und treue, auch zu erhöhung des pachts; Und in solchen Ländern ist rathsamer, daß die eigenthums-herren ihre feld-güter vermeyern und verpachten, und sich also des beschwerlichen gesind-haltens, und verdrießlicher rechnung und auffsicht entladen. Es werden auch damit nicht nur eintzele knechte und mägde, sondern gantze familien ernehret, wie in denen an der see gelegenen Ländern zu sehen. Denn da bringet man der leute nicht allein äcker und wiesen, sondern auch das viehe, üm guten genieß, pachts- und miethweise, aus, wovon in Teutschland nicht viel zu haben; Hingegen aber, wo der leute wenig sind, die sich zu meyern und arendierern angeben, da ist das Land ohne zweiffel schlecht besetzet, und sind mehr güter, als inwohner; Wird also solchenfalls gemeiniglich keiner ein meyer, der nicht einen übermäßigen nutzen suchet, oder verarmet ist, also gar wenig giebet, oder schlecht einhält, darüber muß der eigenthums-herr, er sey hoch oder niedern standes, grosse einbusse leiden, und wenn ihm etliche solcher pachter und meyer mißrathen, endlich sein ausgesogen und verderbtes gut wieder nehmen, und selbst bestellen lassen, daß also solchenfalls besser ist, daß die eigenthümer, welche verlag und verstand haben, oder diener darzu halten können, (wie denn alle hohe herrschafften ⇩ ****
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  ohne das zu thun pflegen) ihre güter bald anfangs selbst bestellen, bis sich die menge der leute und pachter finden, oder sie liessen ihre güter, wenn es mit nutzen geschehen könte, sonderlich solche, die schwere arbeit erheischen, und ungewissen ertrags sind, erblich an Zins-leute und gildbauern kommen. Wer aber keine vererbung fürnehmen, oder keine treue diener zur auffsicht haben kan, der ist wohl nothhalben an meyer und beständner gebunden. (9) Zu erhaltung der leute, und deren vermehrung, wäre vielleicht auch ein mittel, wenn man darauff gedächte, wie der mittelmäßigen und armen inwohner kinder erhalten und auferzogen werden könten. Denn an statt, daß viel kinder ein seegen Gottes, u. ein schatz des landes sind, und seyn solten, so kömmet es, aus mangel der erhaltungs-mittel, dahin, daß arme oder mittelmäßige leute, sonderlich die handwercker in geringen städten, es vielmehr für eine straffe GOttes halten, und darbey in äusserst verderben gerathen, wenn ein paar ehevolck sechs, acht, zehen, oder mehr kinder haben. Denn so groß die natürliche liebe der eltern gegen die kinder, sonderlich gegen die kleinen und unerzogenen ist, so groß ist das elend und kummer, welchen sie wegen versorgung ihrer kinder haben; Hingegen siehet man auff dörffern, wo die nahrung im feldbau bestehet, und der mangel der leute, sonderlich aber des gesindes, groß ist, daß die kinder der eltern bestes nahrungs-mittel seyn, weil sie ihnen oder auch ihren freunden, wenn sie kaum 10. oder 12. jahr alt worden, in allerley haußhalts-sachen an die hand gehen; Also ist der eigennutz auch in diesem stück die
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  regul, daß die leute ihre kinder alsdenn erst von gantzem hertzen lieben, wenn sie wissen, wie sie dieselben versorgen, oder mit nutz gebrauchen können. Diesem nach wäre abermahls der freye Zutritt zu den hand-wercken, daß man bey zeiten, und ohne so grosse kosten, die kinder darauf bringen könte, ein guter weg. So könte man auch mit grossem nutz kinder- oder wäisen-häuser stifften, darinnen der bürger und einwohner kinder auffgenommen, und auff gewisse maasse versorget würden: Darbey dieneten aber etliche umstände beobachtet zu werden, welche auszuführen, jetzo zu weitläufftig seyn will. Mit wenigem aber etliche dißfalls mir beygefallene gedancken gleichsam exercitii gratia zu eröffnen, so könte man nicht allein die wäisen, sondern auch noch lebender eltern kinder, auffnehmen. und zwar der gar armen bürger kinder umsonst, andere mittelmäßigere aber üm eine leidliche zugabe: Fündel- oder huren-kinder solte man ordentlich nicht auffnehmen, üm dadurch der schande und sünde desto mehr zu begegnen, und die armen leute zum ehestand zu reitzen: Gar kleine kinder, die unter 6. jahren sind, solten auch den eltern nicht abgenommen, sondern ebenfalls denen, die hauß-arm sind, aus dem allmosen zur zubusse sonst etwas gesteuret werden. Alle aufgenommene kinder müssen unter gewissen auffsehern etwas arbeiten, nach ihren vermögen, u. ist nichts darzu bequemer oder gewisser, als spinnen, nehen, wircken, schnürmachen, knüpffeln, knopffmachen, und allerhand kleine arbeit, schnitzen und feilen, in holtz, und anderen materien, die man bey handwercken be-
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  darff. So bald ein knabe die kräffte erlanget, müste man ihn, mit seiner eltern rath oder auff der vorsteher ordnung zu einer handthierung thun, die mägdlein aber zu diensten vermiethen oder verheyrathen. Die auffnahme dieser kinder müste keines weges für schimpflich gehalten, auch gewisse abtheilungen und classen gemacht werden, nicht allein der knaben und mägdlein, sondern auch derer, welche etwas besser, durch beyhülffe ihrer eltern, tractiret seyn wolten. Und vor allen dingen würde darzu erfordert eine ansehnliche statliche auffsicht und direction von den vornehmsten leuten jedes orts Auf das studieren müste in diesen häusern gar nicht, sondern allein auf die erziehung zur handthierung, gedacht, und also von schulmeistern nichts, als das beten und lesen, und etwa nur mit etlichen das schreiben und rechnen, auf eine gemeine art getrieben werden. Die speise, arbeit und bewegung, müste aufs rathsamste zur mäßigkeit und gesundheit eingerichtet seyn, zum exempel, alles mehl, so sie bedürffen, sollen sie in kleinen hand-mühlen selbst mahlen, die grössesten sollen zum kochen der speise, holtz-sägen und spalten, waschen, kehren, saubern und dergleichen, selbst angehalten werden, wer auch in der stadt arbeit bedürfte, welche diese kinder verrichten könten, dem solte um einen gewissen billichem preiß solche verstattet werden, so wol inner, als, nach gelegenheit, ausser dem hause. Zum lager müste man sich der feder-betten nicht so sehr, als stroh-säcke, matratzen und wöllen-decken, zur kleidung auch keine andere leinwand, als was im hause gesponnen und gewircket würde,
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  gebrauchen, auch sollen sie gärten haben, und selbst graben, säen, jäten und zurichten, üm darinnen für das hauß kraut, rüben, wurtzeln, salat, und dergleichen, zu haben, auch etliche niedliche gewächse, die viel arbeit, giessen und jäten, erfordern zu verkauffen. Zu gewissen stunden solte man die knaben üben mit bewegungen zur hurtigkeit des leibes und stärckung der glieder dienende; Die mittel zu dergleichen häusern solten sich wol finden, wenn Herrschafft und obrigkeiten nicht so sehr auf ihre gegenwärtige lust, als auff ihr amt und künfftigen trefflichen vortheil und auffgang aller nahrung, leute und gewerbs sehen wolten; So verleget sich auch ein solch hauß mit der zeit in etwas, und zum theil selbsten, und würde einen ehrlichen ruff und nahmen, als ein seminarium reipublicæ, wo recht damit umgegangen würde, erlangen. (10.) Andere und[2] gröbere arbeit aber muß in zucht und spinnhäusern, darinnen man straffwürdige leute, auch alle starcke bettler ziegeuner, vaganten und landstreicher, einsperren solte, getrieben werden. Anderst ist es auch mit hospitalien, darinnen man gebrechliche leute, auch gantz kleine schwache kinder, die verwäiset oder hingeleget sind, erziehen solte, und wäre von dem grossen mißbrauch der hospitalien, wie auch viel von der unleidlichen thorheit, zu schreiben, da man in Teutschland vorhergedachte schädliche leute, als zigeuner, welche ohne allen zweiffel, auf vorgenommene inquisition des todes, oder ewiger gefängniß und arbeit, würdig sollen befunden werden, so wol auch gottlose, starcke, und mehrentheils mit erdichteten gebrechen sich ⇩ [2]
S. 233 Von Vermehrung der Nahrung etc. §. 42.
  nehrende bettler so offenbahrlich leidet, und das geld, welches ehrlichen, offt auch selbst bedürfftigen hausarmen leuten, durch das unverschämte betteln, vagieren und garden abgenöthiget wird, zu erhaltung der warhafftigen krancken und gebrechlichen leute jedes orts, und zu obgedachten kinder- oder wäisen-häusern, oder nutzbaren hospitalien, für verlebte haußarme leute nicht anwendet; Es ist nicht zu zweiffeln, daß in allen landen jährlich eine grosse summa nicht aus rechter christlicher liebe, sondern üm der bettler und streicher importunität willen und schanden halben weggeben, und durch dieselben bösewichte versoffen, verfressen und wie man gnugsam exempel hat, mit karthen und würffeln verspielet, und mit brandewein und toback verthan wird, anders zu geschweigen. Also werden warhaffte und nützliche allmosen unterlassen, und eben auch dadurch der nahrung und vermehrnng der leute trefflich widerstanden, und abbruch gethan. Denn bey menge der leute ereignen sich auch viel arme und gebrechliche, welche aber gantz christlich und wohl zu versorgen sind, wo die nahrungs-mittel in gutem schwang gehen, und das samlen der allmosen mit guter art vorgenommen wird. Das offenbare exempel siehet man in Niederland, und absonderlich in der stadt Amsterdam, da bey denen schweren Accisen und imposten dennoch eine solche unglaubliche summa von etlichen tonnen goldes jährlich auf die armen, alte und junge, gewendet wird, welche vieler Chur- und Fürsten einkünffte übertrifft, und diese vorsorge und auffwendung reitzet
S. 234 Additiones zum II. T. C. 8. §. 8. 9.
  die leute an, an solche örter mit hauffen zu ziehen, und sich daselbst zu nehren, indem sie, auf den fall unvermeidlicher armuth und kranckheit, sich und die ihrigen nothdürfftig versorget wissen. Damit aber disfals niemand anderer leute bosheit und faulheit tragen müste, so ist die regel zu halten, daß allein und ordentlich die bürger und inwohner, welche in iedem lande häußlich, oder doch beständig, wohnen oder gewohnet haben, und daselbst verstorben sind, für sich und ihre kinder dergleichen beneficia zu geniessen haben, und also jede commun und provintz für sich sorgen soll. Es wären denn kundbahrlich die leute eines frembden orts durch grosses unglück also gar verarmet, daß man ursach hätte, etliche von denselben, nach vermögen, und ohne hindansetzung der eigenen angehörigen und inländischen, auffzunehmen und zu versorgen.* (11) Endlich dienet auch zu erwegen, daß dem gemeinen hauffen zu gewisser zeit eine ergötzlichkeit müsse gegönnet werden, die man ohne ärgerniß und sünde, auch schaden der nahrung, gebrauchen kan. Und das ist in allen glücklichen und volckreichen Regimentern (wiewohl auch zum theil mit bösen intentionen und mitteln) gebrauchet worden. Ich will ietzo nicht disputiren, ob der feyerung der Sonn-und Fest-tage bey uns Christen zuwider sey, wenn man, nach verrichtetem gottesdienst und kinderlehren, lieber etliche offenbare ergötzlichkeiten zuliesse, als das volck mit sauffen und karthenspiel in häusern, und faullentzendem spatzier- und müßiggang, occupirte, will man es aber zu der zeit für är- ⇩ *
S. 235 Von Vermehrung der Nahrung etc. §. 42.
  gerlich halten, so ersehe man andere bequeme zeiten, da die leute nicht viel zu thun haben, und zum bösen wenigers nicht, als zu unschädlichen indifferenten dingen gefast sind. Und unter solcher zuläßiger ergötzlichkeit rechne ich alle ehrliche leibes-übungen zum schimpf und ernst, oder zum wenigsten zur gesundheit dienlich, als da ist wettlauffen, springen, ringen, schwimmen, fechten, tantzen, werffen, schläudern, grosse last bewegen, und dergleichen, auch alle exercitia mit musqueten, piquen, fahnen: Item, mit pferden und schlitten rennen, in welchen allen eine gute, leichte und anmuthige arth unter dem gemeinen volck könte auffgebracht werden, daß sie ohne zwang, schelten und prügeln der officirer, hurtig und geschickt würden. So kan auch niemand comödien tadeln, die unärgerlich, und also angestellet würden, daß sie gute sitten nicht verderbeten, noch auch göttliche und geistliche dinge zum gespött machten, sondern auff lächerliche, oder doch artige, unerwartete und seltzame fälle und inventiones auslieffen, darbey sich der gemeine mann ergötzete, und doch ie zuweilen etwas nützliches daraus fassete, zumal aber die zeit hinbrächte, welche er sonst zu spielen und sauffen anwendet. Und zu solchen comödien dörffte man keine land-fahrer, sondern es würden sich wol lands-inwohner, auch schüler und wäisen-kinder, finden, welche alle ohne kostbare belohnung sich gebrauchen liessen, und könte das geld, welches die zuseher, jedoch gar leidlich, geben müssen, zu erhaltung des armuths angewendet werden.
S. 236 Additiones zum II. T. C. 8. §. 8. 9.
  * Meines wenigen erachtens möchte also aus diesen und andern im text berührten exempeln so viel erhellen, daß nicht so wohl an dem mangel der arbeit und verdienstes, als vielmehr an der faulheit der leute die ursach liege, daß man keine menge arbeitender leute in Teutschland haben kan. Denn man untersuche nur die inclinationes vieler Teutschen Einwohner, (ich sage nicht von allen) so wird man häuffig finden, daß etliche guten theils so geartet, daß sie lieber bey gewöhnlicher mäßiger arbeit bleiben, als sich um des verdienstes willen grosse mühe geben wollen. Und bey dieser methode bleiben sie, solte man auch gleich etwas dabey darben, oder sich gar aufs betteln legen. Wenn aber theure zeiten einrücken, daß die kost schwer zu verdienen auch mit allmosen nicht viel zu erlangen ist, so finden sich aus antrieb der noth arbeits-leute genug, welche sich aber hernach bald wieder verlauffen, und wie sie sagen, sich auf ihre eigene hand setzen. Man siehet es ferner klärlich daran, daß bey wohlfeilen zeiten beständige klagen über das gesinde und arbeits-leute sind, und bey theuren zeiten erscheinet disfalls nirgend ein mangel. Ich habe daher angemercket, daß meistens an solchen orten, welche von gütigkeit der natur wohl bedacht, recht träge einwohner sich finden, weil sie sich darauf gar zu sehr verlassen; dahingegen ich mich etlicher orten entsinne, die ich doch nicht nennen will, welche weil ihnen die natur keinen fruchtbahren boden verliehen, sich mit gewalt zu andern nahrungs-mitteln haben anschicken müssen, wodurch sie in dem trefflichsten flor und reichliche nahrung gekommen. Siehet man ferner die ursach hiervon an, so lieget solche an erziehung der jugend, welche nicht zu rechter zeit zum fleiß angeführet wird. Dabey können nun Regenten durch gute anstalten das beste thun. Zu wünschen wäre es, man wolte in seiner maasse das gesetz zu Catan in Persien practiciren, nach welchen ein jeder, der über 6. jahr alt ist, sich bey dem ma-
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  magistrat angeben, und wovon er lebe, darthun muß, weiln kein müßiggang daselbst geduldet wird Es könnte dieses nicht allein fleißige Einwohner machen, und zu erkundigung der nahrungs-mittel, folglich zu beförderung des commercii, sondern auch darzu dienen, daß ein fürst genau wissen könnte, wie viel ein jeder in seinem lande etwan gewinnen könnte, und wie viel also das land etwan an reichthum zunehme. Doch es brauchet dieses weiterer ausfuhrung, wozu hier der raum zu kurtz
  ** Und zwar dergestalt hart, daß sie bißher von keinen hat können verdauet werden. Und dauret es sonderlich vielen, daß die opera von handwerckern vor die lange weile solte geschrieben seyn. Zwar wendet man insgemein vor, es sey die auffhebung der handwercker keine sache, welche sich von einzelnen Reichs-Fürsten practiciren lasse; Allein es käme allenfalls auf die erfahrung an, wenn ein mächtiger Reichs-stand den anfang machte und sich etwa mit den nachbarn verstünde, ob nicht andere, bey mercklich verspührten nutzen nachfolgen würden. Man könnte auch vor erst den anfang bey errichtung etlicher manufacturen im lande machen lassen, und dabey denen gesellen und lehrjungen arbeit verschaffen, so würde ihnen wenig daran liegen, ob sie in die welt herum lieffen oder vielmehr bettelten, oder nicht. Einigen anfang haben auch berühmte Reichs-Fürsten bereits gemacht, nachdem sie die gewisse anzahl der lehrjungen und gesellen und sonst verschiedene mißbräuche abgeschaffet, wohin auch gehöret, was seither auf dem Reichstage von Kayserl. Majest. wider die unruhige zünffte zu Nürnberg v. a o. m. decretiret worden, macht aber die sache noch nicht aus, wo nicht nähere hand zum werck geleget wird. Damit aber die liebhaber der alten saal-baderey diese sache vor keine neuerung ansehen mögen, so wollen wir sie erinnern, daß bereits Io. Ferrarius Montanus L. II. deinstit. reip. c. 5. über die zünffte also geklaget hat: Die
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  zünffte hätten ordnungen, welche ihren privat-beutel etwas, dem gemeinen nutzen aber nichts eintrügen: Sie wolten ihre übel gelernete künste lieber mit guter faulheit execiren, als durch fleißige arbeit sich etwas ehrliches erwerben: Daher hindere dieser plebs, weil er selbst nicht empor kommen könne, nicht allein anderer leute, sondern auch zugleich des gemeinen bestens auffnahme: Endlich schliesset er: Quo magis invigilandum est magistratibus, ne tale quidpiam fiat, sed pestibus illis intercedatur; Quod statim fieret, nisi similem Deus ad similem duceret, faceretque ut similes contingerent labris lactucæ.
  *** Man erkennet solches noch ferner daraus, daß ein solcher meister öffters 10, 20. und mehr gesellen fördern kan, welche dem publico gar nichts ein, sondern vielmehr von ihren verdienst etwas aus dem lande tragen; Dahingegen wenn diese sich setzen, und weiber nehmen können, würde das land populiret, worinnen dessen glückseeligkeit bestehet, und die arbeit, welche sonst ein meister hatte, unter ihnen vertheilet, und was sie gewinnen, auch wieder im lande verzehret werden.
  **** Aber ein monopolium auf immer zu concediren ist ja so schändlich und noch schlimmer als die zünffte der handwercker.
  * Massen wo commercien und handthierungen floriren sollen, muß man denen leuten freyheit lassen, etwas ehrliches zu verdienen. Man stopffet aber auch neu angerichtete gewerbe damit, wenn man solche nicht zu ihrer vollkommenheit gedeyhen lässet, sondern der früchte eher gemessen will, ehe sie zeitig worden.
  ** Hierinnen sind nun zwar unsere zeiten von denen, da der herr autor dieses schrieb, ziemlich unterschieden, weil wohl wenig ungebauete ländereyen mehr zutreffen seyn werden, hergegen haben auch eben dadurch die früchte des landes sich gemehret, daß Teutschland jährlich noch eine grosse menge an an-
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  dern überlassen kan. Weil aber so viele menschen dabey diesem aus der Erde kommenden seegen GOttes in die hände sehen, so werden sie dadurch eben zu ergreiffung anderer nahrungs-mittel träge gemacht, wie davon in obiger anmerckung sub. sign. * geredet worden.
  *** Hieher gehöret nun die in dem 8 Cap. II. T. p. 227. gesetzte anmerckung.
  **** In so weit diese frage von den Cammer-güthern eines Fürsten zu verstehen, ist solche bereits im III. Th. Cap. 2. pag. 374. abgehandelt worden. Und fast auf die maasse wolte ich es auch von den güthern der privat-leute annehmen; Nemlich wo jemand gute gelegenheit hätte, seine güther selbst zu vergatten und auf das gesinde inspection zu führen, hat er freylich mehrern nutzen davon, als von einer verpachtung, weil doch der pachter mit den seinigen zu erhaltung des lebens einen profit haben oder verderben muß. Wo aber solches nicht ist, z e. es hätte jemand verschiedene güther, oder er könnte nicht gegenwärtig seyn, ist die verpachtung freylich besser, auch dem Staat zuträglicher.
  * Wolte GOTT, daß wir einmahl zu seiner ehre und des werthen Teutschlandes besten diese treffliche anschläge von armen- wäisen- und zucht-häusern noch mehrers erwegen möchten, ich bin gewiß, es würde bey sichtbahrlich verspührten nutzen der zufluß von gutthätigen hertzen nicht aussen bleiben, wie man dessen nunmehr in einigen städten ein exempel hat. Man könnte auch anfangs dem wercke durch einige anstalten im Lande auffhelffen, z. e. daß gewisse freywillige collecten, bey danckfesten, hochzeiten und kind-tauffen, erbschafften und verkauffungen geordnet, auch gewisse straff- und dispensations-gelder auf eine zeit darzu verwendet würden. Sonderlich solte ein zuchthauß vor böse und müßige leute treflichen nutzen schaffen, indem auch dadurch die straffen der landes-verweisung und Staupbesens auffgehoben werden
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  könnten, durch welche zeither mehr übel gestifftet als abgethan werden, indem man aus bösen menschen vollends desperate diebe und mörder machet, da sonst aus zuchthäusern bey verspührter besserung noch errettung zu hoffen, oder wenigst die Republique vor künfftigen unheil gesichert ist. Die unterhaltung solchen zuchthauses wäre auch gar leicht zu finden, ich kann mich aber dermahlen nicht weiter deßfalls heraus lassen.
   

  Anmerkungen HIS-Data  
  [1] korrigiert aus: augezeiget
  [2] korrigiert aus: nnd
HIS-Data 5226-5-42: Teutscher Fürsten-Staat: Additiones: §. 42 HIS-Data Home
Stand: 6. September 2017 © Hans-Walter Pries