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Seckendorff: Teutscher Fürsten-Staat HIS-Data
5226-5-47
Additiones > §. 47
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Von rechter erhaltung eines kammerstaats durch proportionirung der einnahmen und ausgaben
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S. 254 (Forts.) §. 47.
  An statt aber, daß ich diese materia besser ausführen solte, auch mängel und mittel, nach meinem wenigen vermögen, anzuzeigen hätte, muß ich nach gestalt der zeit, und der vollendeten mensur dieses buchs, nur etliche puncten kurtz und einfältig berühren, und das nachdencken andern überlassen. Wenn (1.) in überschlag eines Regenten einkünfften und ausgaben erscheinet, daß nicht allein nichts übrig bleibe, zu einem ehren- und nothpfennig, sondern auch jährlich ermangele, und von einem jahr ins andere ergriffen, oder von fremden geborget werden
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  muß; So lehret die vernunfft, daß man entweder die einkünffte vermehren, oder die ausgaben mindern müsse, und das widerspricht niemand, er sey dann mehr ein vieh, als ein mensch oder Christ. Die einnahme (2) zu vermehren, ohne ungerechtigkeit und beschwerung anderer leute, ist heute zu tage, nachdem fast alle nahrungs-mittel versuchet, und ziemlich hoch getrieben werden, nicht leicht, sondern gar schwer, und erfordert mehrentheils einen ziemlichen neuen verlag, der aber bey vorher gesetztem mangel so bald nicht zu haben, oder da gleich ein und andere neue nutzung, durch fleißiges nachdencken, zu erheben, so wird sie doch schwerlich gar groß, oder doch nicht lange beständig seyn; Jedoch hat ein Regent, und seine diener, eben an diesem punct nicht zu desperiren, sondern sein bestes darinnen zu thun, und Gottes segen zu gewarten.* Also bleibet (3) das andere stück vorzunehmen, nemlich, die ausgaben zu vermindern oder abzuschneiden, welches denn, der natur nach, in facto viel leichter und geschwinder zu thun ist. In erwegung nun derjenigen ausgaben, welche man abschneiden und einziehen will, so findet sich (4) gleichergestalt ferner aus der natur und vernunfft, daß man das unnöthigste und unnützlichste am ersten abthun, und das nothwendigste und nützlichste erhalten müsse. Denn gleich, wie einer zu errettung seines credits, oder erhaltung seines lebens, ehe seine mobilien oder geld, als sein kleid am leibe, oder gar sein weib und kind, oder die glieder seines leibes, missen will; Also ist es auch dißfalls in cammersachen nicht anderst beschaffen, ⇩ *
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  daß man das unnöthigere, ob es gleich auch angenehm und lieb ist, üm des nöthigen willen, quittiren und fahren lassen muß.
  Es bestehen aber (5.) die ausgaben eines regenten in unterschiedlichen stücken, darvon das erste Capitel §. 4. dieses dritten theils gesehen werden kan, doch sind nicht alle von gleicher art und nothwendigkeit, und muß ein guter unterschied gehalten, auch den falschen einwürffen begegnet werden, zum exempel, die versorgung des herrn, und der seinigen, mit speisung, kleidung und bedienung, ist in gemein nothwendig. Wenn aber die noth erfordert die ausgaben zu beschneiden, und man will an diesen stücken zu reformiren anfangen, so wird also bald von alten übelgezogenen, oder sonst in eitelkeit, unordnung, oder ihrem eigenen nutzen, ersoffenen hof-dienern, tausendfältige difficultät gemacht werden, unter andern also, es lauffe wieder des herrn reputation: herren, diener und gäste, müsten accommodiret seyn, man könne niemand von hof gehen heissen; Der diener ihr bestes sey, was sie mit dem maul davon brächten, es koste nicht viel, man habe es im lande; Die benachbarten, welche wohl etwan nicht so viel land hätten und von keinem so hohen hause wären, hielten sich nicht geringer. Einem herrn sey alles an der ehre und ansehen gelegen; Es sey plackerey und filtzigkeit, wenn man an essen und trincken, kleidern und dienern, etwas ersparen wolte; Man solle den plackern und schreibern die besoldung abbrechen; die diener, welche für überflüßig angesehen werden,
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  seyn gute leute, rechtschaffene kerl, hätten lange gedienet, darzu bekämen sie ein geringes, und verdienten ein mehres; Dieses sey eines vornehmen dieners freund oder sonst wohl recommendiret; Es könne nicht mehr nach der alten einfalt hergehen, die zeit sey ietzo gantz anderst, und viel gefährlicher; Dahero gebühre sich mehr diener, knechte, trabanten, garden, und dergleichen, zu halten. Dieses, und dergleichen viel mehr, hält manche sonst löbliche Regenten auf, daß sie sich nicht resolviren können, und aus furcht des schimpffs, in der unordnung continuiren, auch wohl darinnen also languiren und sterben, nicht bedenckende, daß es noch viel schimpflicher sey, in stetem mangel, sorg, und borg zu sitzen, oder das schreyen und klagen der unterthanen zu verursachen. Nichts besser ist dißfalls (6.) als unpartheyisch und genau die sache zu erwegen, und den schein und dunst von dem wahren nutzen und reputation zu unterscheiden. Nach obigem exempel ist gantz nothwendig und real, daß der Regent sich und die seinigen, auch freunde und gäste, nach standes-gebühr, speisen lasse. Aber nicht nothwendig ist es, sondern eine einbildung, daß er zwey oder drey gänge, und iedesmahls zwölff, zwantzig oder mehr speisen haben müsse. Nicht nothwendig ist es, daß man frembd geträncke und köstliche niedliche speisen üm groß Geld erkauffe; nicht nöthig ist, daß bey ankunfft frembder gäste, da es zumal nicht solenne fürstlichen ehrenmahle und ausrichtungen sind, allen und ieden, so wol den einheimischen, (welche mehrentheils die
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  gröste unordnung selbst machen) als den fremden, der wanst gefüllet werde, oder daß fremde und einheimische edelleute, pagen, trompeter, laqueyen, kutscher, und also jeder mit seines gleichen sich zusammen geselle, und mehr darauf gesehen werde, wie ein diener dem andern, auf seines Herrn kosten, wol auffwarte, und mit speise und tranck überflüßig an die hand gehe, als wie die Herren selbst tractiret werden, die mehrentheils mit einer mäßigen und reinlichen bedienung wohl zufrieden seyn, und keinesweges begehren, daß ihren dienern überflüßig mehr, als sie zu hause gewohnet sind, mit schaden und beschwerung gereichet werde. Alle reputation, die man mit prassen suchet zu erhalten, wird durch ein paar schwätzhafte und klagende diener verderbet, die, wo es sonst etwan nicht notorium ist, den frembden beym schlaff-trunck vertrauen, es sey kein geld in der cammer, die diener bekommen keine besoldung, man borge alles zusammen, und zahle wenig, es mangele an geträid, Wein, haber, heu, holtz, und wenn die gäste hinweg seyn, werde es wieder schlimm hergehen, etc. Also ist auch die kleidung ein nothwendig stück, folget aber nicht, daß man damit zu hoch fahren, alle neue kostbahre trachten alsobald nachthun, oder die libereyen zu köstlich machen müsse, weil es andere reichere herren oder grössere verschwender auch thun.
  Viel diener zu halten, stehet zwar auch ansehnlich, und kann ein mildes gemüthe freylich nicht sonder beschwerde und heimliches mitleiden leute ent-
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  urlauben, die eine zeitlang gedienet, aber da es der staat der cammer anders nicht erfordert, da muß dieses auch überwunden seyn, und gehet gleichsam her, als in einem schiff, da man zur zeit der äußersten gefahr, wider seinen willen, nicht allein die schweresten und besten waaren über port wirffet, sondern auch wohl nur etliche menschen auf einem kleinem nachen salviren kan, die andern aber im zerbrechenden schiff lassen muß. Doch können licentirte diener, wo sie tauglich sind, ihr glück anderswo noch versuchen, die aber nichts taugen, kan man desto eher vergessen. Also ist nicht ohne grossen respect, und hat wider stoltze und ergreiffende nachbarn seinen nutz, daß man viel soldaten unterhalte. Wenn es aber dem Herrn an andern dingen mangelt, so kan er der kriegs kosten wohl entbehren, und mit versöhnung der unterthanen, auch sammlung vorraths, und vernünfftiger tractation seiner geschäffte an hohen orten, nebenst aufwendung darzu erforderter, doch mäßiger kosten, ein grosses ausrichten; Dahingegen ihn und das land der unterhalt müßiger soldaten consumiren, und doch, im fall der noth, gegen starcke feinde nichts helffen, gegen schwache aber die mühe nicht verlohnen wird. Dahero in diesem stück die vorfahren sich gar mässig gehalten, hingegen tapffere und viel unterthanen, gute freunde und bundes-genossen, gehabt, und die mittel nicht gesparet, solche zu erlangen.
  Darüm ist die opinion das schädlichste gifft, durch welches von anfang der welt her nicht nur so viel unzehliche privat-personen, sondern gantze rei-
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  che, fürstenthümer und lande, ihr heyl und auffnehmen eingebüsset. Daß wir bey vorigen exempel bleiben, und die opinion von der wahrheit desto besser unterscheiden lernen; Solte ein Herr unglückselig seyn, der zum exempel, mit acht guten gesunden, im lande erzeugten wolzugerichteten und völlig aufgetragenen speisen sich tractiren liesse, oder mit seiner Gemahlin, und etlichen beliebten und geschickten wenigen personen, bey gutem und vertraulichem gespräch, seine mahlzeit, ohne allzu langes, ungesundes und verdrießliches sitzen, und vieler umbstehenden aufwärter, maulsperren und aufmercker, einnehme, wenig, aber treue, höfliche und hurtige diener hätte und sich rathsamlich kleidete, hingegen niemanden nichts schuldig wäre, und im vorrath und vermögen sässe, in ehren-fällen eine grosse ansehnliche ausrichtung zu thun, in noth und gefahr um baar geld kriegsvölcker zu erlangen, grosse Potentaten und deren ministros zu obligiren, wol-meritirten dienern gnaden-geschencke zu geben, und damit qualificirte leute zu sich zu ziehen, und welches das erste mit seyn solte, zu der Ehre GOttes, und zu immerwährendem unsterblichem lobe und gemeiner wolfarth, in beförderungen und stifftungen bey kirchen und schulen etwas ansehnliches auszurichten, oder auch nützliche gebäude zu führen, oder wolgelegene örter zum Lande zu erkauffen. Solte hingegen ein Herr glücklich seyn, der hundert und etliche hundert personen am Hof im sold und kost hat, und männiglich[1] einen überfluß an essen und trincken wiederfahren läs-
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  set, daß man sich über die kleidung, liberey, tapezereyen, und andere köstlichkeiten, verwundert, (wiewol es bey unordentlichen hof-stätten an dem allen auch ermangelt) aber in andern obbenahmten stücken, aus mangel der mittel, weil sie die hofstatt hinweg frist, nichts ausrichten, noch præstiren kan, so gerne er auch wolte. Ich meyne nicht, daß jener mit recht für unglücklich, und dieser mit bestand für glücklich, zu achten seyn würde, ob gleich sonst von beyden, dero hohen standes- und amts-wegen billich mit grossem respect zu reden. Die meisten werden vielleicht sagen, es wäre das beste, wenn beydes beysammen stünde, nemlich eine ansehnliche reiche hofstatt, und gute mittel zu andern nöthigen und nützlichen ausgaben; Diese meynung lässet man in ihren werth, ob gleich viel unnöthiger wahn darbey mit unterläuffet, und ein Regent zehenmal mehr wege hat, sein geld viel reputirlicher und besser, als auf den äusserlichen pracht anzuwenden; Die frage ist aber alhier nur, an welchem orte man abbrechen soll, wenn es mangelt, oder ob credit, schuldigkeit, nothwendigkeit, gerechtigkeit, welches alles warhafftige dinge, und keine einbildungen sind, dem eitelen schein und wahn des alten herkommens, der eingebildeten reputation oder der lust und bequemlichkeit, weichen solle; Wer dieses letztere im hertzen hat, (denn mit dem munde werden es die wenigsten bejahen) der ist einem herrn und Regenten, seine wahre ehre und nutzen zu behaupten, und hofstatten zu versorgen, nimmermehr geschickt noch nütz-
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  lich, ob er gleich sonst, standes und anderer qualitäten halben, ehren und respects würdig seyn möchte.
  * Inmassen denn nicht ohne, daß in vielen provincien noch hin und wieder etwas nützliches zu stifften: Doch findet man auch nicht wenig ursachen, daß der gewünschte endzweck nicht allemahl erhalten wird: Als 1. die vielen müßigen leute, so öfters mit winde handeln und dadurch einen grossen Herrn zur diffidenz, weiter etwas anzugreiffen verleiten; 2. Der neid unter den dienern selbst, die nicht so wohl darauf sehen, was einem herrn und lande gutes gethan werden soll, als wie sie demjenigen, der etwas redliches stifften will, hindern mögen; 3. Der mangel an gelde und verlag, daher man lieber mit den alten modis der anlagen sich fortstümpelt. Daraus entstehet 4. wo ja noch etwas angewendet wird, die übereylung, daß man der zeit nicht erwartet, sondern die früchte gerne eher geniessen will, als sie zeitig worden, v.d.g.
   

  Anmerkungen HIS-Data  
  [1] korrigiert aus: mä niglich
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Stand: 11. September 2017 © Hans-Walter Pries