1. Th. Cap. II
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Seckendorff: Teutscher Fürsten-Staat HIS-Data
5226-2-1
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Von der Landes-Fürstlichen Regierung, Hoheit, und Botmäßigkeit insgemein.
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S. 31 (Forts.) CAP. I.
  Von der Landes-Fürstlichen Regierung, Hoheit, und Botmäßigkeit insgemein.
  Innhalt.
  Fortgang zur politischen beschreibung eines landes. Die landes-regierung ist keine eigenwillige §. 1.
  sondern eine rechtliche und wohlbestellte herrschafft §. 2.
  und erstrecket sich über alle unterthanen. §. 3.
  sie gründet sich 1) auf die Kayserl. belehnungen 2) auf die Erbhuldigung. §.  4.
  wird auch insgemein aus des landesherrn vorzug in worten und der that erkannt. §.  5.
  deren endzweck ist der gemeine wohlstand. §. 6.
  in geistlichen sowohl §. 7.
  als weltlichen sachen, wobey er 1. seinen stand erhält. 2. gesetze aufrichtet. 3. die justiz administriret. 4. obiges zu handhaben gehörige mittel gebrauchet. §. 8.
   
  DEmnach in dem vorgehenden ersten theil, oder vielmehr dessen entwurff, anleitung gegeben
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  worden, welcher gestalt man sich so wohl des landes, von dessen Staat man berichtet seyn will, als auch der darinnen befindlichen leuten, nach deren nothwendigsten umständen erkundigen könne; so schreiten wir nunmehr zu dem hauptwerck selbst, da wir denn zuerst am nöthigsten befinden, zu melden, was denn die landes-regierung sey, und worinnen sie bestehe.
§. 1 §. 1. Wir wissen, Gott lob, in teutschen landen von keiner solchen macht, welche von einem einigen menschen im lande, der sich für den obersten hielte, und die meiste gewalt mit oder ohne recht hätte, über die andern alle, zu seinem nuz und vortheil, nach seinem willen und belieben allein, geführet und ausgeübet würde, wie etwa ein herr über seine leibeigene knechte und mägde zu gebieten pflegt, und ihnen bald dieses, bald jenes, was ihm in seinem hause nutzen bringet, oder worzu er beliebung trägt, anschaffet.*
  * Und ob gleich die exempel nicht rar, daß schmeichelnde diener einem herrn dergleichen principia unter dem vorwand eines interesse beybringen wollen, so weiset doch die erfahrung, daß solche dinge einen schlechten ausgang gewinnen. Alle herrschafft von anfang der welt hat ja kein ander absehen gehabt, als daß der verständigste unter einigen sich zusammen geschlagenen haus-vätern gleichsam ein gemeiner vorsteher gewesen, unter dessen direction sie sich vor dem frevel böser leute schützen und in ruhigem wohlstand erhalten könten. Es wird auch an seinem ort noch vieles davon zu reden seyn, ob die in diesem oder die im folgenden §. beschriebene regie-
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  rungs-art das wahre interesse am meisten befördere. S. c. 4. und den 15. §. der addit.
§. 2 §. 2. Sondern es ist die Landes-fürstliche regierung in denen teutschen fürstenthümern und landen, wie fast in einer jeden rechtmäßig- und wohlbestellten policey, nichts anders, als die oberste und höchste botmäßigkeit des ordentlich regierenden Landes-Fürsten oder Herrn, welche von ihm über die stände und unterthanen des fürstenthums, auch über das land selbst, und dessen zugehörige sachen, zu erhaltung und behauptung des gemeinen nutzens und wohlwesens, in geist- und weltlichen stande, und zu ertheilung des rechtens, gebrauchet verführet wird.
§. 3 §. 3. Indem wir aber diese oberste botmäßigkeit der person des Landes-Herrn alleine zuschreiben, und sie dannenhero Landes-fürstlich oder Landes-herrlich nennen, so setzen wir dadurch beyseits alle andere personen in einem lande, die wir vorhero im ersten theil beschrieben haben, ob gleich dieselbe auch mit gewisser herrlichkeit und botmäßigkeit entweder von dem Landes-Herrn selbst und dessen vorfahren, oder auch von andern fremden und auswürdischen obrigkeiten, belehnet und begabet sind, als ferne nehmlich dieselben nach herkommen der lande nicht nur blosse lehen-leute oder im lande bezircket, sondern zugleich landsäßig und unterthanen sind: Sintemahl solchenfalls weder einem oder andern insonderheit, wie mächtig und reich er auch wäre,
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  noch denenselben mit einander, dergleichen oberste herrschafft und regierung im lande zukömmet, sondern sie sind gegen den Landes-herrn insgesamt und insonderheit für unterthanen zu achten.
§. 4 §. 4. Dieses gründet sich nun, nechst dem uhralten herkommen, auch in den meisten orten darinnen, daß (1) dem Landes-herrn in den Käyserl. lehn-brieffen oder Confirmation der regalien verliehen und gegeben werden, fürstenthümer, graffschafften, herrschafften, schlösser, städte, dörffer, lande, leute, mannschafften, lehenschafften, geist- und weltliche, oberst- und niederste gerichte, regalien, zölle, geleite, müntze, bergwercke, wildbahn, fischereyen, renthen, gefälle, nutzungen, mit allen und jeglichen obrigkeiten, ehren, würden, freyheiten, herrlichkeiten, und allen zugehörungen, in welchen sonderlich die wörter, fürstenthum, land und leute, alle und jegliche obrigkeit, oberste und niederste gerichte, regalien, herrlichkeiten, ehren und würden zu mercken sind,* welche keiner andern person im lande können zugeeignet werden, (2) Erkennen solche hoheit und Landes-fürstl. regierung, die andern stände und unterthanen des landes hohe und niedrige selbst; indem sie dem Landes-Fürsten, nach altem schuldigem herkommen, wenn er in die regierung tritt, oder wann sie im lande ihr eigenthum zu verwalten antreten, mit einem leiblichem eyde die unterthänigkeit der erbhuldigung ** schweren. Unter andern auch gemeiniglich mit diesen oder dergleichen worten, daß sie ihm wollen getreu,
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  hold, gehorsam und gewertig seyn, und daß sie alles thun und lassen wollen, was getreuen unterthanen von Gottes und rechtswegen ihrem Erb-herrn und landes-fürsten zu thun und zu lassen wohl anstehet und gebühret. Da hingegen ein blosser lehenmann rechtswegen nicht den gehorsam, sondern nur die treue und gewärtigkeit zu lehen- diensten zu schweren pfleget, oder doch weiter nicht verbunden ist.
  * Ich habe auch überdem in einigen alten Kayserl. lehnbriefen das Wort Ehren-Rechte angetroffen, welches meines erachtens die ehre und vorzug eines regenten vor andere im lande befindliche hohe und niedere personen deutlich anzeiget. Haben auch sonst die rechts lehrer angemerkt, daß durch diese und dergleichen formuln die landes Fürstliche Obrigkeit und eminenz verliehen werde. S. auch die addit. §. 20.
  ** Von dieser wird im 7. cap. §. 5. mehrers vorkommen, wie denn auch unten in addit. §. 21. davon gehandelt worden.
§. 5 §. 5. Man verstehet und mercket auch diese hoheit und botmäßigkeit über das gantze land, und alle dessen stände in denen orten, wo dieselbe alle landsäßig sind, sonderlich daraus, daß der Landes-Fürst nicht allein einem bürger oder bauren, oder einem herrn oder edelmann absonderlich, sondern allen insgesamt, mit folgenden oder dergleichen worten befiehlet: Wir gebieten allen unsern prälaten, grafen, herren, denen von der ritterschafft, bürgemeistern, richtern und räthen
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  der städte, etc. schultheissen, dorffs-vorstehern, und insgemein allen unterthanen, wes standes oder würden die seyn. Wenn aber der adel und höhere stände ihre befreyung, von der landes-fürstl. obrigkeit haben, so werden auch dieselben in solchen ausschreiben nicht genennet.* So pfleget auch kein land-stand heut zu tage, ob gleich solches vor alters nicht ungewöhnlich, und etwa mehr ein zeichen der demuth als hoheit gewesen, den titul, Von GOttes Gnaden** bey seinen nahmen zu setzen, oder wenn er gleich gräfliches standes ist, sich, wenn er mit seinem landes-Fürsten redet, oder ihme schreibet, Wir, *** zu heissen, wie der Landes-Fürst von sich zu schreiben pflegt, und damit seinen höchsten nach Gottes willen habenden regiments stand, und vorzug vor seinen unterthanen, üblichem gebrauch nach, anzeiget. Andere sonderbare unterschiede und vorbehaltene stücke und anzeigungen, die wir an gehörigen ort versparen, und allhie von der landes-fürstlichen hoheit insgemein reden, zu geschweigen.
  * Dahero in denen landen, wo die reichs-freye ritterschafft ist, es in denen ausschreiben nur heisset: Entbiethen unsern amtleuten, voigteyen, Castnern, Kellern, burgermeistern etc. wozu bei denen stifftern, welche zugehörige Clöster haben, das Wort Prälaten noch gesetzet wird S. ferner die addit. §. 22.
  ** Wenn dieser titul, oder wie es auch sonst geheissen: dei misericordia, divina miseratione: zuerst aufkommen, davon findet man bey denen Scribenten unterschiedliches, welches hier anzu-
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  führen der raum nicht zulässet. Das ist gewiß, daß die geistlichen Personen sich dessen eher als die weltlichen gebrauchet, wiewohl er auch mit der Zeit gar gemein worden. Daher Leuberus klaget, daß sogar die canonici sich dieses tituls angemasset und hätte es wenig gefehlet, daß nicht auch die burgermeister in den reichs-städten sich desselben bedienet hätten; welches denn um deßwillen habe berühren wollen, damit die vorige meynung derer, welche diesen titul zum Beweißthum der von GOtt unmittelbahr herfliessenden hoheit eines Regenten gebrauchen, offenbahr werden möge.
  *** Wenn dieses gebräuchlich worden, daß die Regenten sich Wir geschrieben, ist nicht zu deutlich auszumachen: der herr Mabillon hält dafür, daß bereits einige Merovingische Könige sich dessen bedienet und der antagonist meines vaterlandes, Leuberus, will, so viel Teutschland betrifft, daß erst nach dem grossen interregno die teutschen Kayser ihre diplomata mit dem worte Wir angefangen, welches voritzo gründlicher zu untersuchen nicht noth ist.
§. 6 §. 6. Es bestehet aber, wie gedacht, die landes-fürstliche regierung in erzehlung und behauptung gemeines nutzes und wohlstandes in geist- und weltlichen sachen.
  Der letzte zweck zwar aller menschlichen handlungen und thaten soll seyn die Ehre Gottes, darzu das menschliche geschlecht fürnemlich erschaffen, insonderheit aber gebühret denen hohen obrigkeiten, welche Gottes statthalter auf erden sind, dahin zu sehen, daß ihres höchsten himmlischen Ober-Herrns ehre in allen dingen gesuchet werde, weil aber eben durch treue und fleißige ausrichtung ih-
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  res amts und beruffs, wie derselbe göttlichem wort, und den natürlichen und land- üblichen rechten gemäß ist, und zu geist- und leiblicher wolfarth zielet, Gott dem Herrn selbst gehorsam, ehre und dienst geleistet wird, so kan auch aus der beschreibung dieser ihrer obliegenden landes-fürstlichen regierung der letzte zweck von sich selbst erscheinen.
§. 7 §. 7. Insgemein betrifft die regierung, wie gedacht, geist- und weltliche sachen, der geistlichen zwar haben sich die Landes-herren in vorigen zeiten* wenig oder nichts annehmen dürffen, sondern dieselbe sind hauptsächlich von der geistlichkeit und clerisey, nicht allein mit lehren und predigen, auch reichung der Sacramenten, welches eigentlich denen kirch-dienern zustehet, sondern auch mit der obersten aufsicht auf kirchen und schulen, und was deren anhängig ist, geführet und bestellet worden. Nachdem aber vor zweyhundert und etlichen jahren, wie bekant, ein grosser theil teutschlandes sich zu der evangelischen religion, in der Augspurgischen Confeßion begriffen, gewendet, und das amt oder die gewalt der bischöffe dißfalls gemäßiget worden, haben damahls die fürsten und stände dieser ** confeßion, und nunmehr ihre nachfolger, die regierung in geistlichen sachen, so weit solche einer christlichen obrigkeit zukömmet, und wie nicht zu verleugnen, in denen ersten und besten zeiten der christlichen kirchen, von christlichen kaysern und königen auch gebrauchet worden, *** wieder über sich genommen, von der wir hernach, wenn erst von dem weltlichen regiment, als dem bekantesten, wird seyn ge-
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  handelt worden, auch weitern unterricht hören werden. ****
  * Man muß dieses nicht von denen ältern zeiten der christlichen kirchen verstehen, als in welchen allerdings die christliche regenten die oberste auffsicht in kirchen-sachen geführt, kirchen-ceremonien angerichtet, kirchendiener ab- und eingesetzet, synodos gehalten, u.d.g. wie denn auch unter den Fränckischen königen biß auf Ludovicum Pium der letzteren bey die 70. von Hertio erzehlet werden. Carolus M. selbst hat viele kirchen-ceremonien reguliret, massen er nach bericht Sigeberti die evangelia und episteln, und wie die Ann. Franc. berichten, auch die orgeln eingeführet hat, deren die erste Pipino von dem griechisch. Kayser war geschencket worden, und was d. m. welches bei den scribenten selbiger zeiten zu sehen. Doch ist nicht ohne, daß Carolus M. zu dieser geistlichen gewalt den grund geleget: wie denn die allgemeine klage bei denen Politicis, daß die Magni der Kirchen und republic allemahl den grösten stoß gethan; und hat die gewalt der geistlichen sich nach und nach also vermehret, daß biß auf die reformation[1] viele Länder und sonderlich teutschland darüber haben seuffzen müssen.
  ** Heut zu tage stehet die regierung in geistlichen sachen nicht allein denen ständen dieser augspurgischen confession zu, sondern auch denen reformirten, vermöge des westphälischen friedens, durch welchen der vormahlige lange zwietracht gestillet worden. Wie denn endlich auch der Hr. autor C. IX. §. 2. dieses recht denen protestirenden ständen beider religionen und §. 5. denen reformirten mit nahmen eingestehet.
  *** Von der warheit dieses satzes sind alle schrifften der sogenannten publicisten voll. Vor allen a-
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  ber hat neuerlich der hr. Hertius recht bündige gründe aus dem alterthum deßfalls dargeleget d. sup. terr. Wohin mich der kürtze halber bezogen haben will.
  **** In dem XI. cap. dieses theils.
§. 8 §. 8. In weltlichen regiments-sachen aber erweiset sich die landes-fürstliche hoheit, und daher entspringende regierung, zu dem obigen zweck des gemeinen nutzes und wohlstandes, in nachfolgenden, also um besserer verständniß willen gesetzten vier haupt- puncten:
  Als erstlich, läst ein Landes-herr ihme angelegen seyn, und ist es auch zuförderst befügt, den stand, den ihme Gott verliehen, die dazu gehörige ehre und macht und alles dasjenige, was ihme darzu dienet und mittel giebet, in seinem gebührlichen wesen, vor unordnung, abgang und verletzung zu erhalten, damit er das ansehen und die kräffte habe, den heilsamen zweck in allen ständen zu erreichen, und seine regierung über land und leute nutzbarlich spühren und würcken zu lassen.
  Fürs andere, hat er macht, gute gesetze und ordnungen im lande auffzurichten, dadurch gerechtigkeit, friede und ruhe, und das vermögen des landes und der leute im schwange gebracht, erhalten, das böse gestrafft, und das gute befördert werde.
  Drittens, gehöret auch dem Landes-fürsten die höchste gerichtbarkeit im lande, nehmlich zwischen seinen unterthanen, welche streitig sind, das recht zu verordnen, und sonst einem jeden nach befindung der sache und seines verdiensts die gebühr wiederfahren zu lassen.
S. 41 Anderer Theil. Cap. 2.
  Vierdtens, wird auch erfodert, die verordnung, anstellung und gebrauch derjenigen mittel, wordurch die vorigen stücke wider ungehorsame unterthanen, oder auswärtige feinde und gewaltübende können auf bedürffenden fall ausgerichtet und gehandhabet werden.
   

  Anmerkungen HIS-Data  
  [1] korrigiert aus. roformation
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Stand: 12. September 2017 © Hans-Walter Pries