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⇦ S. 134 §. 16 |
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§. 17. Von denen tugenden des verstandes, welche sonst von denen gelehrten
unterschieden, insgemein aber unter dem nahmen der Weisheit, Klugheit und Kunst
begriffen werden, den anfang zu machen so wird niemand zweiffeln, daß sol- |
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che im regenten-stande zum allernöthigsten seyn, deßwegen auch der König Salomon zu
seiner königl. regierung nichts höhers und bessers, als die Weisheit von dem
Allmächtigen Gott zu bitten gewust: Ob gleich nun die teutschen fürstenthümer eben
keine königreiche seyn, darinn grosse weit gelegene landschafften, vielerley sprachen
und nationen, mancherley sitten und arten der völcker, widerspenstige unterthanen,
mächtige feindselige nachbarn, und andere so gar schwere wichtige umstände, wie bey
denen grossen reichen der welt sonst zu seyn pflegen, anzutreffen, so ist doch dazu ein
grosser verstand, und stattliche vorsichtigkeit und klugheit eben so wohl nöthig, soll
anders dem lande im geist- und weltlichen stande wohl fürgestanden, und der gemeine
nutzen befördert werden: Sintemahl auch eine kleine und schwache policey, davor doch
die meisten Teutschen fürstenthümer nicht zu halten, mit desto grösserm verstande will
geführet und gehalten seyn, kan auch dadurch zu grossen ehren und aufnehmen gedeyen: da
hingegen auch gröste gewalt und macht ohne verstand keine würckung hat: * Irren demnach
diejenigen weit, und sind schädliche rathgeber, welche nicht dafür halten, daß ein
fürst, der zum regiment gebohren ist, grossen verstand, wissenschafft und
vorsichtigkeit haben müste, sondern wohl besser sey, daß er nur etlicher massen sich
könne berichten lassen, und etwa andere äusserliche eigenschafften, mit leibes-übungen
und dergleichen, an sich habe, im übrigen aber verständige räthe halte, wie denn sol-
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Teutschen Fürsten-Staats |
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che verkehrte meynung zu nicht geringen schaden der land und leute, und zu
beschimpffung hoher standes-personen, an denen man heut zu tage einen etwas hohen
verstand und wissenschafft ihres amts, fast für ein wunder hält, gereicht, und dem
exempel der alten tapffern teutschen helden, welche, nach ihrer zeit und gelegenheit,
ihr amt selbst, mit vernunfft und eyffer, geführet, und sich dessen nicht geschämet,
gar nicht gemäß ist. Es[1] erlangen aber fürsten und herren die tugend der weißheit,
verstandes und geschicklichkeit, nechst der gnade Gottes, der darum angeruffen seyn
will, einmahl und ordentlicher weise durch ihre gute auferziehung, und fleißige
unterweisung in denen stücken, welche einem christl. regenten zu wissen vonnöthen sind,
so wohl in religions- als weltlichen sachen, weil aber solche information zur zeit
ihrer jugend, und wenn sie noch nicht im regiment seyn, vorgehen muß, so ist auch davon
an einem andern orte ausführlich und besser, auch unten in diesem capitel, etlicher
massen und summarisch zu handeln. ** |
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Ferner wiewohl mit grosser mühe, wann die auferziehung nicht vorher gehet, erlangen
sie auch weißheit und verstand durch Erfahrung, wenn sie entweder vor antretung der
regierung, im reisen, und aufhaltung an grosser herren, oder ihrer eigenen eltern und
befreundten höfen, auf regiments-sachen und weltliche händel, fleißige acht geben, oder
auch nach etlicher jahre selbst geführter regierung, sich unter der hand im verstande
und klugheit erbauen, indem sie die vorfallende sachen wohl be- |
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trachten, nach ihren ursachen und wirckungen erwegen, sich deren mit fleiß
erinnern, und von einer auf die andere mit gutem unterschied schliessen lernen. |
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Wohnet nun einem herrn der verstand der amts-verrichtung, und anderer nöthiger
wohlanständiger dinge bey, so erfordert seine und seiner räthe schuldigkeit, daß
solcher bey ihm mit fleiß erhalten, geübet und vermehret, und also nach vernunfft und
verstand, und nicht nach affecten, und eilsamen wanckelmüthigen einfällen, in allen
dingen verfahren, auch solche gabe des verstandes bey dem regenten nicht, wie von
untreuen bösen dienern zu ihrem selbst eigen-nutzen, und erlangung ungebührlicher
gewalt und hoheit geschicht, verdunckelt, verhindert, auf andere ungebührliche
vergebliche dinge abgeleitet, und ausser übung gebracht werde. *** Es kan aber solche
übung und erhaltung, auch vermehrung des verstandes nicht besser geschehen, als wenn
der landes-herr in seiner beruffs-arbeit fleißig ist, und andere unnöthige dinge,
fürwitzige wissenschafften, vergebliche thörichte künste, müßiggang und dann auch die
wollüste und schändliche laster, dadurch der verstand verderbet, und der mensch dumm,
unbedacht, viehisch und frevelhafft wird, mit höchstem fleiß vermeidet, oder, da er als
ein mensch hierinn fehlete, sich von treuen dienern mit bescheidenheit gerne erinnern,
und zu seinem amt anweisen lässet. |
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Ein ander haupt-mittel aber, die tugend des verstandes bey den regenten zu üben und
zu erhalten, ist die Annehmung guter Rathschläge: Denn darum hat ein herr und regent
räthe und diener, daß |
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er sich durch dieselbe in wichtigen dingen, die ihme schwer und bedencklich fallen,
berichten, und seinen verstand dadurch gleichsam erwecken, und erleuchten lasse. Denn
es ist die regiments-arbeit so groß und wichtig, daß von allen vernünfftigen leuten
jederzeit dafür gehalten worden, es sey kein regent und fürst so hoch begabet, weise
und verständig, daß er anderer leute rath entbehren könne. Und gleichwie es schändlich
siehet, wenn ein herr ohne verstand und klugheit dahin gehet, alles an seine diener
lässet, und den blossen nahmen und titul eines regenten behält: Also ist es auch sehr
schädlich und gewinnet schlechten ausgang, wenn ein regent, ohne rath verständiger
leute, nach eigenem kopffe handelt, oder die rathschläge zwar höret, aber seine
gedancken für die besten allezeit hält, und sich schämet, einem andern, ob er gleich
bessere und vernünfftigere vorschläge thut, zu folgen. **** |
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Darum ist es eine grosse tugend, und nechst der ersten, nemlich der selbst eigenen
weisheit, klugheit, und erfahrung an einen regenten die vornehmste: Wenn er in allen
wichtigen sachen, deren er sich unterfänget, daran seiner und der seinigen ehre, nutz
und wohlstand, und dann die wohlfarth des landes, und dessen zugehörungen, oder auch
eines und andern unterthanen leib, ehre und gut gelegen, reifflichen vernünfftigen rath
von seinen darzu bestellten vornehmsten dienern, geist- oder weltlichen, oder nach
gelegenheit, denen land-ständen, und nicht etwa von geringen höflingen und ohrenblä-
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sern in guter geheim, zu rechter zeit, wenn der sache noch zu rathen ist, mit
gedult, und ohne verdruß, wenns gleich wider seine vorgefaßte meynung wäre, in guter
aufmerckung, und mit verstande, anhöret und einnimmet, auch demjenigen folget, was in
der furcht Gottes, erbarkeit und gerechtigkeit am besten gegründet, und am
bequemlichsten auszurichten zu seyn, erachtet, auch dabey sich standhafft, und
unvänderlich erzeiget. Wie denn auf solche maasse, und bey löblicher intention,
gottesfurcht, und fleißigem gebet, eines solchen regenten, der göttliche seegen nicht
aussen bleibet, sondern der fürsten und könige hertzen in seinen händen hat, pfleget
dennoch seinen verstand, wenn er gleich nicht so fürtreffliche gaben hätte, zu dem
guten und besten wege zu leiten und zu führen. |
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Aus der tugend der weisheit und des verstandes fliessen auch her die
wissenschafften zu reden und zu schreiben. Ob es nun wohl scheinet, daß, zumahl nach
gelegenheit unserer teutschen fürstenthümer, hierinn keine sonderbare durchgehende
vortrefflichkeit an einem regenten, von hoher noth erfordert werde, denn sie solches
beyderley mehrentheils durch andere verrichten lassen, so sind doch solche
eigenschafften, auf gewisse maasse, nöthig und unentbehrlich. Und ist dahero die
auferziehung eines herrn dahin auch zu richten, wie an seinem ort gehöret werden soll.
Wenn es aber hieran ermangelt, und soll gleichwohl noth halben etwas förmliches reden,
zum exempel, einen wichtigen vortrag seinen |
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räthen, oder andern zu thun, einen fremden potentaten, oder der Kays. Majest.
selbst, oder dero abgesandten, etwas mündlich zu vernehmen geben; Also auch in
vertrauten sachen selbst etwas schreiben, der muß sich fürwahr auch hierzu üben, und
allenfals durch seine räthe berichten lassen, damit hierinn zu seinem despect oder
schaden nicht verstossen, oder doch seine meynung recht eingenommen werde. |
⇧ Anfang |
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Unter die gaben des verstandes, und zwar diejenige, so man künste nennet, die zum
theil im nachdencken, zum theil aber auch im handgriff, und einem äusserlichen werck
bestehen, wird an einem regenten und teutschen fürsten auch die Krieges-kunst
erfordert, samt dem, was derselben in allen stücken anhängig ist. Denn obgleich das
Röm. Reich durch gewisse satzungen zu friede und ruhe eingerichtet, und ein teutscher
fürst für sich ordentlicher weise ein friedsamer regent seyn solte, so verursachen doch
die innerliche unruhen, denen unser vaterland durch Gottes straffe, und seine eigene
mängel vielfältig unterworffen, so wohl auch, daß dadurch ein landes-herr dem gantzen
vaterlande wider einen auswärtigen feind dienen kan, daß ein teutscher fürst der
kriegerischen wissenschafft und übung nicht unerfahren seyn solle, nur daß er sich mit
gebrauch derselben, wie in andern seinem thun, in den schrancken der gebühr ***** und
der reichs-satzungen, creiß-verfassungen, und kriegs-ordnungen halte: In der krieges-
kunst an sich selbst aber kan und mag er sich, zumahl in der jugend, durch selbsteigene
zuläßige übung bekant machen, oder verständiger leute rath gebrau- |
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Anderer Theil. Cap. 7. |
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chen, und in seinem lande zu diesem ende allerhand nützliche ordnungen und
verfassungen anstellen. |
⇧ Anfang |
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* Die Historien alter und
neuerer zeiten bezeigen dieses genugsam. Offters ist ein an sich schwacher und geringer
staat durch verstand und geschicklichkeit der regenten, zu solchen kräfften und ansehen
kommen, daß man sich dessen nicht genug verwundern kan: Dahingegen auch ein mächtiges
reich, wo ein schlechter regent am ruder gesessen, schiffbruch leiden müssen. Und achte
ich davor, daß nebst der göttlichen vorsehung hierauf sonderlich das ab- und aufnehmen
der republiquen ankomme, und also der spruch des poeten wahr werde:
- - - - summisque
negatum
stare diu: - - - - |
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** §. 27. und folgenden. Item. §. 39. der addit. |
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*** Insgemein pfleget man
dieses denen dienern, welchen ein premier-ministre im kopff stecket, schuld zu geben,
daß sie auf allerhand art den fürsten von den regiments-geschäfften abzuziehen, und
dadurch zu verhindern pflegen, daß er seinen verstand nicht schärffen noch eine lust zu
tractirung der affairen bekommen möge, damit sie desto ungehinderter schalten und
handthieren können. Es weiß daher der sonst angeführte Baron Schröder de Ministriss.
die schädlichkeit solcher diener nicht gnug zu beschreiben, und wie er sie in allen mit
dem stoltzen Hamann vergleichet, also fehlet nicht viel, daß er ihnen nicht auch dessen
begräbniß anwünschet. Besser ist freylich wohl, wenn ein fürst der regierung selber
vorstehen kan, welches denn der Cardinal Mazarini, vielleicht aus eigener erfahrung,
wohl verstanden, und daher vor seinem tode dem könige in Franckreich angerathen: daß er
künfftig selber regieren und keinen favoriten sich ergeben solle. |
⇧ *** |
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**** Dieses ist wohl der
stärckeste grad einer eigenwilligen herrschafft, worauf ohne zweiffel grosser schaden,
wo nicht gänzliches verderben, erfolgen muß. |
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Darum sollen denn
verständige diener einem solchen fürsten mit guter vernunfft, jedoch auch in
geziemender ehrerbietung, in zeiten remonstration thun, und nicht etwan gedencken, wie
sie nur eine zeitlang das werck auffrecht erhalten und sich dabey bereichern könnnen,
es möchte hernach gehen wie es wolle. Denn dadurch handelt man nicht allein wider sein
gewissen, sondern sündiget auch wieder GOtt, seinen fürsten und zumahl die armen
darunter leydenden unterthanen. Sapienti sat! |
⇧ Anfang |
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***** Er überschreitet aber
diese schrancken, wenn er dem krieges- u. soldaten-wesen sich gantz und gar ergiebet,
nicht allein damit, daß er selbst zu felde ziehet, starcke kriegs-rüstungen zu grosser
beschwerde und mit ruin seiner unterthanen hält, unnöthige kriege anfänget: Sondern
auch, wenn er viele anstalten, die doch nach beschaffenheit seines zum kriege nicht
geschickten staats nur schädlich sind, anrichtet, alles gerne nach militarischen fuß
tractiret sehen möchte, solche arth leute vor allen heget und ihnen auch in andern
regierungs-sachen gehör giebt. Was dieses vor schaden bringe, wäre mit alten und neuern
exempeln zu beweisen: welche ein fürst fleißig und dabey dieses zu erwegen hat, daß ein
militair-wesen, wenn solches weiter, als zum wahren endzweck des staats nöthig,
gebrauchet wird, mit einer nützlichen regierung und heilsamen policey, nimmer beysammen
stehen könne, sondern diese werden durch jenes ruiniret, und endlich der staat ins
gröste labyrinth gestürtzet werden. Man sehe dieses nur an dem alten römischen reich,
welches wohl niemahls in einem schlimmeren zustand gestanden, als da die soldaten das
haupt empor huben, und endlich gar die wahl der Käysere zu sich rissen. Mehrere exempel
übergehen wir. |
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