HIS-Data
Seckendorff: Teutscher Fürsten-Staat HIS-Data
5226-2-7-20
Anderer Theil > Cap. 7 > 2. Theil > Landesherr > § 20
Werk Inhalt ⇧ Landesherr
Von der gnade und mildigkeit.
⇦ §. 19 §. 21 ⇨

S. 149 (Forts.)   ⇦ S. 149 (Anfang)
  §.20. Die dritte Haupt-tugend eines regenten ist die Gütigkeit, Gnade oder Mildigkeit, mit welcher er GOtt dem HErrn, als der höchsten obrigkeit, nachahmen, und sich also gegen die Geringern gnädig, mild, freundlich und leutselig erweisen soll: Insonderheit aber ist man es in Teutschland, und dessen fürstenthümern und landen, nicht gewohnet, daß die landes-herren sich auf die art etlicher barbarischen könige und potentaten nicht sehen, nicht ansprechen, noch zu etwas erbitten, noch erweichen lassen: sondern man siehet, daß die löbliche regenten ihre unterthanen, hohe und niedere, nicht allein durch ihre räthe und diener, sondern auch wohl nach gelegenheit in eigener person anreden, nach beschaffenheit ihres standes grüssen, und die hand geben, ihr anliegen hören, ihre unterthänige schrifften annehmen, auf bescheid vertrösten, die vornehmsten zu sich an ihre tafeln, zur speisung und gespräche, ziehen, bey ihnen hinwiederum zuweilen bey ehren gelagen erscheinen, so dann auch in ihren bitten und anliegen sie gnädiglich erhören, und ihnen in einem und andern zu willen seyn; in ansehung ihres unvermögens, und zugestandenen schadens, ihre herrschafftliche gefälle mäßigen, oder auf eine zeit erlassen, auch die straffen, welche nicht zu vermeiden, nach ihren vermögen, und mit gelindigkeit, zur besserung und nicht zum verderben, ansetzen, und sonderlich, was auf solche weise an geld einkom- Scan 169
S. 150 Teutschen Fürsten-Staats
  met, nicht eben zu einem schatz und reichthum samlen, sondern hinwieder zu milden sachen, auf andere arme unterthanen, oder belohnung treuer diener, anwenden, viele beleidigungen aber, um verhoffter besserung willen, und aus mildigkeit, verzeihen oder übersehen. Und das thun sie nicht allein aus solcher hertzlichen gütigkeit, welche grossen fürstl. gemüthern fast angebohren, und ihr rechtes zeichen ist, sondern auch nach dem exempel der lob-seligen vorfahren, welche diese tugend nicht allein an sich gehabt, sondern auch deren viele, in ihren testamenten und letzten vermahnungen zum fleißigsten denen nachkommen recommendiret; ja sie thun auch solches zu ihren grossen nutzen, denn die erfahrung bezeuget, daß strenge unfreundliche regenten, von denen sich niemand, oder wenige eines gnädigen worts, geschweige anderer gut-thaten und mildigkeit, versehen, viel tapffere leute und diener von sich treiben, die unterthanen aus dem lande verjagen, oder doch von ihnen wiederum keinen guten willen und zuneigung, daran doch einem herrn seine vergnügung und sicherheit gelegen ist, verspüren, auch sich bey denen nachbarn verhasset machen, doch wird hiebey auch die rechte maasse gehalten, * daß die gelindigkeit nicht zu groß sey, und dadurch das ansehen des regiments, oder die zucht und schuldige gebühr der unterthanen, verringert werde, welches geschicht, wenn sich der landes-fürst gar zu gemein, zumahl mit unverständigen, liederlichen, oder mit hoffärtigen, ehrgeitzigen leuten, machen, mit ihnen ohne  
S. 151 Anderer Theil. Cap. 7.
  respect umgehen, allzuviel um und unter ihnen seyn, grobe fehler nicht straffen, alles übersehen, unverschämtes begehren nicht abschlagen, und also seine fürstliche hoheit und amt nicht gnugsam brauchen wollte.
  * Wir wollen dieses von allen tugenden, welche hier in folgenden und sonsten beschrieben seyn, ein vor allmahl erinnert und verstanden haben, daß solche müssen bey ihrem rechten Wesen erhalten, und jederzeit die masse getroffen, auch gegen andere neben-tugenden gehalten werden, denn sonsten solche nichts weniger als tugenden zu nennen seyn: Also sind z. e. die gerechtigkeit und gütigkeit an sich vortreffliche tugenden eines fürsten, wenn aber die erstere mit unbilliger strenge und die letztere mit einem gemeinen niederträchtigen wesen vermischet würde, so entstehen daraus heßliche laster. Medium est virtus inter duo extrema, und bleibt es also auch hier dabey, was der poet saget.
    Est modus in rebus; sunt certi denique fines,
    Quos ultra citraque nequit consistere rectum.
HIS-Data 5226-2-07-20: Teutscher Fürsten-Staat: Erster Theil: Cap. 7: § 20 HIS-Data Home
Stand: 14. September 2017 © Hans-Walter Pries