S. 155 (Forts.) |
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§. 22. Dieser haupt-gesellschafft der tugenden folgen auch die
andere, welche sonst in den büchern der sitten-lehrer weitläufftig beschrieben werden,
als die mäßigkeit im essen und trincken, welche einem regenten so viel nöthiger,
alldieweil er seiner gesundheit bey schwerer amts-verrichtung wohl wahrzunehmen, und
sich sonderlich für dem schändlichen laster des vollsauffens und schwelgerey, dadurch
er nicht nur sich selbst, und etwa etlichen wenigen leuten, wie ein jeder gemeiner
mann, sondern dem gantzen lande schaden thut, indem er sich zu zorn und
unbedachtsamkeit dadurch bewegen |
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S. 156 |
Teutschen Fürsten-Staats |
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lässet, sein hochnöthiges amt versäumet, und allen unterthanen böses
exempel giebet. |
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Die Keuschheit ist an einem regenten, über die gemeine
christen-schuldigkeit, deßwegen zu lieben, damit er mit desto besserm gewissen die laster, so
wider die keuschheit streiten, im lande abschaffe, und straffe, auch sich selbst für
gefahr und grossem haß seiner unterthanen verwahre, und gute gesundheit und zustand des
leibes und gemüths erhalte. Denn die exempel geben, daß durch unkeuschheit, und
sonderlich unzüchtiges gewaltsames beginnen der ober-herren, manches land in aufruhr,
oder mancher tapfferer mann und unterthan zu einer schweren that wider die regenten
bewogen worden, und er dadurch um seine hoheit, ja gar um sein leben kommen. |
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Die warheit und aufrichtigkeit, im reden und allem thun, die
verschwiegenheit, vermeidung aller falschheit und heucheley, insonderheit aber die
vesthaltung dessen, was versprochen, oder verschrieben, oder von denen vorfahren auf
die erben verbindlich gebracht worden, ist eine so nöthige fürstliche tugend, daß auch
ein jedweder dafür hält, es sey nichts ungereimters und schändlichers, als wenn man
einem fürsten oder herrn solte das gegenspiel, die unwarheit, waschhafftigkeit, und
brechung der zusage und fürstlicher brieffe und siegel, mit bestande zumessen können,
es wäre auch solches ihnen zum höchsten schimpflich, und würde er dadurch ein grosses
mißtrauen und verachtung bey männiglich gegen sich erwecken, und da es in wichtigen
dingen geschehe, |
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Anderer Theil. Cap. 7. |
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grossen streit und feindschafft, ja krieg und verderben über sich
laden. |
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Die Höfflichkeit, sonderlich aber die rechte art mit jederman nach
standes-gebühr umzugehen, sich ehrerbietig gegen höhere, freundlich gegen seines
gleichen, milde und günstig gegen andere vornehme leute, leutselig und gnädig gegen
diener und untergebene, mit worten und geberden zu erweisen, ist gleichergestalt eine
eigene fürstl. tugend und qualität, derer sich alle löbliche regenten befleißigen, und
solche für ihr bestes meister-stück halten, die gemüther der leute an sich zu ziehen,
und also gunst und ansehen zu erwecken. |
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Die gemeine freygebigkeit und gutthätigkeit gegen arme, gegen
wohlverdiente und bedrängte personen, auch gegen gute freunde und gönner, ist zum theil
oben unter der tugend der clementz gemeynet, und wenn sie zu rechter zeit gegen leute,
da es angelegt, mit frölichem muthe, und ohne verdrießliche aufrückung und zurechnung,
auch nach gelegenheit der einkünffte, und der beschaffenheit des bittens geschicht,
wird dadurch dem herrn grosse liebe und danckbarkeit erwecket, wie davon in mehr
angezogenen sitten-lehren weitere ausführung zu finden. Hingegen ist es über die maasse
schändlich, wenn die regenten geitzig seyn, alles zusammen sparen und scharren, weder
ihnen selbst noch den ihrigen die gebühr wiederfahren lassen, und niemand zu willen
seyn wollen, es geschehe nun durch ungerechte gewaltthätige mittel, und weitere
unordentliche ausbreitung ihres vermögens, oder auch ohne die- |
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S. 158 |
Teutschen Fürsten-Staats |
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selbe, wenn sie das, was ihnen zwar gebühret, nicht zu nöthigen
sachen, und zu ihrem respect und ehren-stande anwenden, noch davon etwas zur ehre
Gottes, erfreuung und erquickung armer, und anderer personen, die es verdienen,
anlegen, sich niemands erbarmen, sondern nur das vergängliche geld sammlen, und sich
darmit sehr glückselig schätzen, oder, da sie ja etwas geben wollen, solches gezwungen
und gleichsam schande halben thun, und dasselbe hoch rechnen, und was dergleichen
laster eines geitzigen und neidischen menschen mehr sind, welche einem regenten
vielweniger, als andern, anstehen, * alldieweil er so viel mehr mittel und wege hat,
gutes zu thun, auch solch einkommen und vorzug nicht eben zu seinen blossen und eigenen
nutz, sondern zu trost und freude vieler leute, nach dem exempel des gütigsten Gottes,
dessen stelle er vertritt, anlegen sollte. Auf der andern seite ist es auch sehr
schändlich, und übelständig, wenn die landes-herren im geben und geschencken allzufrey
und unbedachtsam seyn, entweder, wenn sie ihre regalia und sonderbare fürstl. vorzüge
verschleudern, oder unverdienten liederlichen leuten, die sich wohl mit einem geringern
behülffen, oder nichteswürdig sind, oder in trunckener weise, da sie es hernach reuet,
und durch allerhand vorwand das versprechen wieder zurück gezogen werden muß, oder zu
der zeit, wenn sie etwa viel nöthigere und schuldige ausgaben hätten, und solche
darüber ins stecken bringen, ihre freygebigkeit, oder vielmehr verschwendung wollen
spüren lassen. Noch ärger aber ist, wenn sie nicht von dem ihrigen, |
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S. 159 |
Anderer Theil. Cap. 7. |
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oder ihrem überfluß, sondern mit fremden gut, oder auf das vermögen
und sauren schweiß ihrer armen unterthanen, die schenckung thun, welches geschicht in
anweisung grosser geld-straffen, die einem andern zu gefallen, so hoch, und ohne erlaß
gesteigert werden. Item, mit neuen anlagen, sonderbaren freyheiten und privilegien, die
mancher zum verfang und verderben anderer, seines gleichen, ausbittet, und in andere
beschwerliche wege mehr. |
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Nachdem auch zu übung der tugenden die Gaben des Leibes erfordert
werden, so erheischet die gebühr, daß auch ein großer herr auf seinen leib, dessen
kräffte und erquickung, gute sorgfalt anwende. |
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* Zudem auch nach meynung der politicorum dem regenten nur schädlich
seyn: Denn es kan nicht fehlen, daß so viel geld ein regent aus dem contribuirten
vermögen seiner unterthanen sammlet, und in den Kasten verschließen lässet, so viel
gehet dem lande ab, und wird gleichsam extra commercium gesetzet, da doch der flor und
auffnahme eines landes in der menge des baaren geldes bestehet. Daher hat man es bey
weisen fürsten als eine staats-maxime angemercket, daß sie dann und wann kostbare
gebäude und andere anstalten angefangen, damit die unterthanen wieder etwas verdienen
und folglich die glieder des politischen cörpers sich wieder erhohlen möchten. Woraus
nun ferner abzunehmen, daß gar unnöthiger aufwand und pracht eines fürsten, wobey
zumahl das geld häuffig ausser landes geschleppet wird, alsdenn bey reysen, vielen
kostbaren kleidungen und d. g. geschiehet, eben so schlimm und noch schlimmer als
übermäßige sparsamkeit und geitz zu halten seyn, welche wir daher schon im vorigen
verworffen haben. |
S. 160 §. 23 ⇨ |