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Seckendorff: Teutscher Fürsten-Staat HIS-Data
5226-2-7-27
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  • §. 27: vor die auferziehung und Versorgung der fürstl. kinder.
  • §. 28: sonderlich daß sie geschicklich in verschiedenen wissenschafften zu unterweisen...
  • §. 29: Hiernechst auch in anständigen exercitien zu unterrichten, auch geziemende ergetzlichkeiten zuzulassen.
  • §. 30: Endlich daß auch an deren versorgung ... gedacht werde.
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S. 170 (Forts.)   ⇦ S. 170 §. 26
§. 27 §. 27. II. Was die fürstlichen kinder eines landes-herrn betrifft, wiederholen wir die offtmalige erinnerungen, daß die gemeine schuldigkeit christlicher eltern gegen ihre kinder, solchen hohen standes-personen noch viel härter obliege, alldieweil solche kinder, sonderlich, was die söhne belanget, nicht nur um der eltern oder ihrer selbst, sondern um so vieler andern leute, ja des gantzen reichs, des hohen geschlechts, und der sämtlichen unterthanen willen, wohl in acht genommen werden müssen, zumahl die anreitzung und anleitung zum bösen, im hohen stande, und bey vielen mitteln und vermögen, viel grösser als bey gemeinen leuten, diese auch einer obrigkeit und genaueren obsicht, auch im alter, unterworffen sind, da hingegen solche hohe personen zu ihrem freyen willen mehrentheils gerathen, und also durch GOttes beystand sich selbst allein regieren und mäßigen müssen. Scan 190
  Das vornehmste aber nun, daß ein landes-herr bey seinen kindern, jungen herren söhnen, und fürstl. töchtern, über die gemeine christen- und eltern-pflicht thun kan, ist: 1. Die auferziehung zum fürstlichen und hohen stande und tugenden.
  2. Die gebührende fernere Versorgung, wenn sie auferzogen sind. Denn weil dergleichen standes-personen menschlicher weise die gewisse hoffnung haben, in was für einen stand und
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  amt ihre liebe kinder einsten leben werden, welches andere leute von den ihrigen nicht leichtlich und eigentlich wissen können, so wäre ja thörlich gehandelt, wenn man dieselben in andern tugenden, wissenschafften und qualitäten erziehen wolte, als die ihnen in ihrem amt und beruff, den man vor augen siehet, nöthig und wohl anständig ermessen werden. Dahero irren und versündigen sich die fürsten und landes-regenten weit und gröblich, wenn sie ihre junge herren wild und frech, nach eigenen willen, aufwachsen, oder zu etlichen, zwar nicht verwerfflichen, sachen, als, zu jagen, reiten, kriegs-übung, einer oder andern fremden sprache, allein, aber zu dem nöthigsten, und dem haupt-werck der regierung, nicht ziehen noch anweisen lassen. Wie, und welcher gestalt aber die rechte erziehung geschehen solle, davon hat ein landes-herr, reiffen rath zu pflegen, seines landes gelegenheit, und die beschaffenheit und fähigkeit seiner kinder, und verhofften landes-succesoren, wohl für augen zu haben, sie mit verständigen, tugendhafften dienern, hofmeistern, præceptoren und aufsehern zu versehen, gegen alle gleiche liebe und vorsorge zu erweisen, und also keines dem andern zur ungebühr vorzuziehen, und die wurtzel des neides unter sie zu pflantzen, dieselben, da ihrer zumahl wenig oder nur ein einiges wäre, deswegen nicht in eigenwilligkeit zu verzärteln, zum öfftern nach ihrem thun und wesen zu fragen, und ihnen selbst mit guten exempeln vorzugehen. Von diesem punct könte ausführlicher geredet werden, weil er aber eine sonderliche tracta-
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  tion erfordert, auch davon bey fürstl. hof-stätten viel weitläufftige ordnungen, rathschläge und verfassungen aufgerichtet sind, wollen wir dißmahl nur die hauptstücke solcher auferziehung summarisch andeuten, * worinnen nehmlich fürstl. und gräfliche kinder müssen unterwiesen, und wozu sie sollen gehalten werden.
  * Ein mehrers hievon hat man aus denen instructionen und bestellungen, welche bey wohl eingerichteten fürstl. höfen denen hoff-meistern junger fürstl. kinder pflegen gegeben zu werden, zu ersehen, wovon unten im IV. theil ein entwurff anzutreffen ist.
§. 28 §. 28. Alle fürstliche, und dergleichen kinder insgemein, herren und fräulein, werden mit nutz und nothwendig unterwiesen
  1. In der Christlichen seligmachenden Religion: Wie sie nach Gottes wort recht glauben, und christlich leben sollen. Ingleichen, wie sie sich für falscher lehre zu hüten, und gegen die listige schein-gründe und anfechtung falscher lehrer aus Gottes wort zu verwahren haben.
  2. In allen Christlichen Tugenden, nach den heiligen Zehen Geboten, und der Sitten-Lehre, darzu sie von jugend auf angeführet, darüber von ihren eltern, und andern vorgesetzten festiglich gehalten, und die vorgehende mängel, und darwider streitende laster, sonderlich, worzu ein jedes am meisten geneigt wäre, erinnert, gestraffet und abgeschaffet werden müssen.
  3. Sonderlich aber in denenjenigen tugenden, welche hohen standes-personen, wenn sie gleich auch nicht regieren, dennoch wohl anstehen,
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  und ihnen ehre und ruhm bringen, als da sind: Bescheidenheit, fürsichtigkeit, freundlichkeit, demuth, warheit, mäßigkeit, höfflichkeit, etc.
  4. In denen insgemein nothwendigen stücken des lesens, schreibens und rechnens, denn es ein grosser übelstand, wenn hierinnen vornehme leute gar ungeübt seyn.
  Diese vorhergehende 4. stücke achtet man billig für unentbehrlich und höchst-nothwendig, folgende aber dienen den jungen herren zu besserm grund dessen, was sie in ihrem regenten-stande einsten lernen sollen, denen fürstlichen Princeßinnen aber, zu erweckung ihres verstandes, und sonderbarer wohlanständigkeit und nutzbarkeit, sonderlich, weil sichs zutragen kan, daß eine fürstl. und gräffliche weibl. person, wie anderswo gedacht, in vormundschafft ihrer kinder zu einer landes-regierung gelangen kan, oder auch gewissen ämtern und herrschafften, die ihnen zum leib-geding eingeräumet werden, vorstehen muß. Dahero können in der jugend in teutscher sprache, wo nicht eine Princeßin, aus sonderbarer beliebung der fürstl. eltern, oder ihrer selbst, zur lateinischen lust hätte, folgende stücke auch gelehret werden.
  5. Eine deutliche gemeine erklärung von den welt-geschöpffen Gottes in der natur, dadurch des menschen verstand in denen dingen, damit er täglich umgehet, erleuchtet, aberglauben verhütet, seine gesundheit befördert,[1] und sein gemüth zum lobe Gottes, auch zu belustigung und rechtem brauch jedes natürlichen dinges ermuntert wird.
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  6. Die wissenschafft und beschreibung des landes, und dessen gelegenheit, darinnen sie gebohren sind, der unterscheid zwischen obrigkeit und unterthanen, die historien und geschichte ihrer vorfahren, auch wohl des teutschen reichs. Dadurch können sie zu guter vorsichtigkeit in ihrem thun und leben, zu gebührlichem respect gegen andere personen, und zu tugend und ehre mercklich erbauet werden.
  7. Die Beschaffenheit eines vernünfftigen haußhalts, wie man dasjenige, was Gott zu jedem stande, und sonderlich dem ihrigen bescheret, wohl gebrauchen, nützen und erhalten könne.
  8. Die art und gebührliche weise förmlich, und zur nothdurfft in allerhand fürfallenden begebenheiten mit andern personen, sonderlich denen, damit sie umgehen, zu reden, auch brieffe zu schreiben.
  Bey fürstlichen und gräfflichen jungen herren aber, welche zur regierung erzogen werden, wird nun absonderlich erfordert:
  1. Die unterweisung in lateinischer sprache, zum wenigsten so weit, daß sie solche wohl verstehen, und zur nothdurfft ihre gemüths-meynung darinnen entdecken können. Denn solche sprache ist ihnen, wegen stattlicher bücher, die darinnen geschrieben, vieler handlungen, die im reich mit fremden nationen vorgehen, aus vorfallenden reisen an fremde orte, und in der regierung selbst, wenn sie im geistlichen regiment von religions- und schul-sachen, und im weltlichen von gerichts- und rechts-fällen hören, und informiret werden sollen, unentbehrlich.
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  2. Die unterrichtung in solchen tugenden und sitten, welche für andern zum regenten stand nöthig seyn, und wir theils oben beschrieben haben. *
  3. Die gründliche unterweisung in der beschaffenheit und regierungs-zustande ihres väterlichen fürstenthums oder landes.
  4. Eine nothdürfftige unterrichtung von dem zustand des Römischen Reichs, dessen haupt, und gliedern, satzungen und herkommen.
  5. Eine zum wenigsten summarische unterweisung dessen was recht und billig ist, aus göttlichen, natürlichen und land-rechten.
  6. Eine unterrichtung von kriegs- und darzu gehörigen sachen.
  Uber dieses nach gelegenheit der fähigkeit und natur eines jungen herrn:
  7. Aus den Mathematischen Wissenschafften, was zum feldmessen, baukunst, festungs-bau, und dergleichen, auch zu vortheilhafftiger mechanic und handgriffen gehöret.
  8. Eine Wissenschafft der Welt- und Reichs-geschäfften, von anfang bis zu unsern zeiten, samt der Geographie und Chronologie.
  9. Eine gemeine politische unterweisung von allerhand arten der regimenter, und wie solchen vorgestanden werden müsse.
  10. Eine etwas genauere anweisung zur Beredsamkeit, und rechter art zu schreiben.
  11. Erlernung anderer sprachen, deren wir wohlstandes, und um der benachbarten willen ge-
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  brauchen, als der Frantzösischen,[2] Italiänischen, Spanischen etc.
  12. Eine etwas gründlichere unterweisung in natürlichen wissenschafften.
  13. Eine unterrichtung aus der kunst, die Logic genannt, wie man in allen sachen auf die umstände sehen, und eines aus dem andern schliessen lerne.
  Wolte man auch einen jungen herrn, nach befindung seiner zuneigung, zu mehrern Philosophischen wissenschafften, oder andern sprachen, anführen, könte ihme zwar solches nicht schaden, und ihn geehrt, auch ansehnlich und beliebt machen. Aber es ist auch dahin zu sehen, daß dadurch das nothwendige nicht verabsäumet, auch der gesundheit und gemüths der person geschonet, und er dadurch nicht zu einem einsamen leben, und stetem bücher-lesen, von seiner beruffs-arbeit abgeleitet werde, welches eben so wohl schädlich als unverantwortlich wäre. **
  Nechst diesen dingen, wodurch tugenden des verstands und gemüths gepflantzet werden, sind fürstl. eltern auch auf die leibes-gelegenheit ihrer fürstl. kinder bedacht, daß auch in solchen stücken sie 1. Zu anständigen übungen, 2. In geziemender ergetzlichkeit gehalten werden.
  * Nemlich im 17. und folgenden §§. dieses capitels.
  ** Es ist auch bey solcher unterweisung fürstl. kinder dahin zu sehen, daß dabey keine pedantische art, sondern eine recht lebhaffte und practische methode gebrauchet werde. Daher denn abzunehmen, wie viel an erwehlung und bestellung eines geschickten hoff-meisters, und anderer nachgesetzten informatorum gelegen, und wie nöthig es sey, daß ein fürst durch sei-
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  ne geheimde und andere des wercks erfahrne räthe jederzeit fleißige aufsicht führen lasse.
§. 29 §. 29. Die leibes-übungen der jungen herren bestehen in allerhand hurtigkeiten, und exercitien, welche anderswo in besondern büchern beschrieben sind, als tantzen, reiten, rennen, fechten, sowohl auch in zierlichen geberden, die ihnen, nach standes-gelegenheit, anstehen, und sie durch solche dinge ihnen ein ansehen und beliebung machen ihre höfflichkeit darmit üben, auch wohl in krieges-fällen sich deren gebrauchen können. Man kan auch hieher ziehen etliche künste, welche sonst unter die wissenschafften gerechnet werden, als, etwas von der music, (doch gemeine, und der gesundheit schädliche art derselben, als, da sind, welche mit starckem blasen verrichtet werden, ausgenommen) so dann auch etwas von der mahlerey, und kunst zu reissen, davon sie lust, und nutz bey vorhabenden gebäuden, und derer zierrathen, auch sonst zu allerhand feinen inventionen haben können.
  Die ergetzlichkeit bestehet in allerhand zulässigen und mäßigen spielen, nach unterscheid des alters, als, ballen, ballonenschlagen, mit kugeln werffen, schacht- und andere kunstreiche spiele, ohne gewinn und eyffer, vornehmen, mit allerley geschoß, wenns ohne gefahr geschehen kan, sich erlustigen, mit der jägerey und wäidwerck umgehen, beitzen, fischen, etc. Mit einer reise an andere schöne örter, mit conversation bey ihren freunden und verwandten, oder auch geringern standes wohlgezogenen jünglingen, und was des dinges mehr ist, je-
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  doch, daß es ohne versäumung der nöthigsten unterrichtung in vorhergesetzten stücken, und mit gebührender umwechselung geschehe, ein junger herr sich auch nicht gar zu viel darein verliebe, sonderlich auch seine leibes-constitution darüber beobachtet, und unmäßige bewegung verhütet werde.
  Die Fürstliche und Gräffliche Töchter werden auch nützlich und wohl angehalten, zu feinen geberden, zierlichen täntzen, zu allerhand frauenzimmers-arbeit, mit künstlichen nehen und sticken, mit abreissen, so dann mit zurichtung etlicher guten confecturen, und artzneyen, gebrandten wassers, sonderbaren speisen, und dergleichen, was solchen standes-personen anständig, und zu ihrer fürstlichen eltern, oder in künfftigen ehestande ihrer herren und gemahle beliebung, gereichen kan.
  Ihre ergetzlichkeiten werden angestellet in zulässigen, kunstreichen, unärgerlichen spielen, spatzierenfahren zu jagten und fischereyen, anhörung der music, oder, daß sie selbst etwas davon lernen, in der jugend auch bey herren und fräulein, daß sie selbst bey artigen aufzügen und comödien, unter der anweisung und aufsicht ihrer vorgesetzten, sich brauchen lassen, oder da sie erwachsen, dergleichen anschauen, und sich damit belustigen.
§. 30 §. 30. II. Die anderweite fernere versorgung, nachdem die fürstl. und dergleichen kinder, etwas erwachsen, und in denen nothwendigen stücken, die wir vorhero beyläufftig angezeiget, angewiesen werden, welches nach unterscheid ihrer art
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  und fähigkeit, gegen das 16. oder 18. jahr, bey jungen herren zu geschehen pfleget, erachten wir, darinnen zu bestehen, daß sie alsdann zu einer erfahrung der sachen, die ihnen nöthig, nützlich oder wohl anständig, nach gelegenheit entweder zu einer und anderer vornehmen verrichtung bey den regiments-geschäfften gezogen, oder an fremde höfe und länder, oder hohe schulen, doch mit guter behutsamkeit, gebührlicher instruction, und treuen dienern, oder in rechtmäßige kriege, für das vaterland, oder für eine bekannte, redliche sache, geführet werden, darzu denn auf einen gebührenden verlag, und nothwendige bedienung zu gedencken ist.
  Es pflegen auch wohl die regierende herren, wenn sie in ein hohes alter kommen, und erwachsene söhne haben, die wohl erzogen, und tugendhafft sind, und sich sonderlich gegen ihre eltern in rechtschaffener treuer liebe finden lassen, ein gewisses stück landes, oder etliche einkünffte, oder, wie man exempel hat, eine gantze regierung abzutreten, *  doch, daß ihr nahme und respect darbey betrachtet, und bis in die gruben erhalten werde.
  Eine Haupt-vorsorge aber des landes-herrn, für die fürstl. kinder, oder nechste erben, bestehet darinnen, daß sie ihnen aufs müglichste ihre altväterliche lande, fürstenthümer oder herrschafften, erhalten, dieselben nicht mit schulden,und andern unrath, beschweren, kriege, schwere rechtfertigungen, oder grosse feindschafft, oder übele anordnung in diesem oder jenem stück, böse, untreue, hochmüthige und eigennützige diener, und was mehr ihnen zu schaden
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  dienen kan, verlassen und auferben, sondern vielmehr, wie sie ihnen inskünfftige ein friedfertiges und wohlgeordnetes regiment, nach ihrem tode einräumen mögen, in ihrer regierung stets bedacht seyn, auch durch bedachtsame Christl. testamente und letzte geschäffte, guten rath und erinnerung mittheilen, was sie etwan, zeit ihres regiments, nützliches oder schädliches in acht genommen, welches die nachfolger auch brauchen oder meiden könten, oder, was sie auch zu rechter einigkeit, und billigmäßiger vertheilung unter den fürstl. successoren, dienlich zu seyn erachten, so weit es sich nach der landes gelegenheit, alten verträgen und herkommen, thun lässet, ** anschaffen und verordnen, damit einem jeden sein stand und auskommen erhalten, auch anlaß gegeben werde, etwas nützliches zu des landes besten, mit verrichten zu helffen.
  Hierzu gehöret auch eine vorsorge, für eine Christliche, Fürstliche und anständige Heyrath, daß die regenten in diesem stück für ihre kinder insgesamt sorgfältig, und ihnen dazu bey rechtem alter, u. bey vorstehender guten gelegenheit, beförderlich seyn, hingegen, da sie sehen, daß dißfals zur ungebühr, unzeit, und mit schaden verfahren werden wolte, solches müglichst abwenden. Insonderheit aber die fürstlichen und dergleichen Töchter, betreffende, pflegen die eltern nicht weniger dahin zu sehen, daß, so wohl bey ihrem leben, als auch nach ihrem tödtlichen hintritt, von ihren herren söhnen an gehöriger aufwartung, kleidung, schmuck und unterhaltung, wenn sie zu jahren kommen, denen Töchtern die ge-
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  bühr verschaffet, auch sie, nach göttlicher schickung, zu guter heyrath, an christ- und fürstliche, oder hohe und gemäße standes-personen, bey welchen zumahl gleiche religion, tugend, ehre und gebührliches auskommen zu finden, nicht gehindert, sondern vielmehr darzu befördert werden. Und muß ihnen die gebührende ausstattung aus dem fürstlichen einkommen, oder derer land-stände fräuleins-steuer, wie es das herkommen erfordert, wiederfahren, sie hingegen durch gewöhnliche verzicht, von fernerm zuspruch auf die erbschafft des landes, abgewiesen, auch hinwiederum durch rath ihrer eltern, oder herren brüder, mit gebührender gegen-vermächtniß versehen werden. Verheyrathet sich aber eine solche fürstliche, und dergleichen tochter nicht, so wird ihr nichts destoweniger bey der hof-statt ihrer fürstl. eltern, oder herren brüdern, die gebührende fürstl. unterhaltung, zeit ihres lebens, verschaffet. Vor der reformation der religion, ist bey fürstl. häusern gebräuchlich gewesen, von den jungen herren und fräulein, soviel, als müglich, und man zur landes-regierung entrathen, oder nicht wohl verheyrathen können, auf geistliche stiffter und clöster, theils ohne ihren willen, zu bringen, und sie mit gelübden, zu einem leben ausser der ehe zu verbinden, dargegen sie an solchen orten, theils grosse, oder doch nothdürfftige, einkünfften, ohne beschwerung des landes, daraus sie gebohren, gefunden, welches dennoch heute zu tage in Teutschland, sonderlich bey den römisch-catholischen, zum theil auch noch auf etlichen wenigen reformirten stifftern, darzu man
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  durch wahl derer darinnen schon sitzenden personen, welche man capitularen nennet, oder durch verordnung der landes-fürsten, gelanget, also gehalten wird. Wie nun das erste mittel von denenjenigen, die einer andern religion sind, mit guten gewissen nicht ergriffen werden kan, also ist auch diß letztere mit den reformirten stifftern heute zu tage sehr eingeschräncket, haben auch landes-herren dahin zu sehen daß sie hierinnen mit behutsamkeit verfahren, und die ihrigen bey solchen fällen also versorgen, daß dadurch nicht etwa andere, die mehr darzu berechtiget, oder deren mehr bedürffen, unterdrücket, und hindan gesetzet, oder auch ihren kindern, wider ihre zuneigung und gelegenheit, etwas aufgebürdet, oder ihnen auch anlaß zu müßigem und ärgerlichem freyen leben gegeben werde.
  * Ob solches wohl oder übel gethan, wird von denen politicis hin und wieder abgehandelt. Doch meynte ich daß in Teutschland dergleichen untersuchung so grossen nutzen nicht habe, nachdeme daselbst die abtretung der regierung so grossen schaden oder unruhe nicht thun kan, als wohl in andern ländern dann und wann geschehen seyn mag. Vielmehr zeigen einige exempel berühmter Teutschen fürstenthümer, daß dergleichen unternehmen nicht ohne guten success und vergnügen practiciret worden.
  ** Es entstehet demnach hierbey die frage: Ob ein Teutscher landes-fürst in seinem testament etwas, so denen pactis domus und alten Erb-recessen zuwider, disponiren könne? welche frage wohl nicht davon zu verstehen, wenn diejenige, in deren præjudiz gehandelt wird, darein consentiren, denn solches braucht keiner frage, und dependiret dißfalls die veränderung nicht vom testament, sondern vielmehr von dem pacto und consens. Allein sonder mitbewilli-
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  gung derer, so ex pactis majorum bereits ein recht haben, zu disponiren, ist eine sache, welche meistens verneinet wird. Und obgleich vor der bejahenden meynung etwas angeführet werden könte, so ist es doch vor den ruhestand und erhaltung der landes-wohlfarth besser, wenn dergleichen gelegenheit zu zwistigkeiten verhütet, und da ja einige veränderung vorzunehmen, bis auf gelegene zeit versparet werden. In dem fürstl. hause Sachsen hat man seit 100. jahren her verschiedene testamenta, pacta und recesse gehabt, welche aber meists die verträge der fürstl. vorfahrer und pacta domus, sonderlich die d. a. 1629. zum grunde setzen, und haben einige linien dieses fürstl. hauses in ansehen der primogenitur, und sonsten, darinnen nicht ehe änderung gemacht, als biß bequeme gelegenheit sich darzu ereignet. Woraus ferner folget, daß in zweiffelhafften fall ein solch vorhandenes testament allemahl so viel der klare innhalt nicht widerspricht, nach dem grund der alten verträge zu erklären seye, wie man dessen an dem notablen testament Graf Simonis VI. von der Lippe d. a. 1597. ein exempel hat, welches nach einigem streit dennoch in denen ao. 1614. und 1616. erfolgten verträgen vor die erhaltung des vor alters eingeführten primogenitur-rechts erkläret, und dieses von denen käysen confirmiret worden.

  Anmerkungen HIS-Data  
  [1] korrigiert aus: befördet
  [2] korrigiert aus: Frantzöischen
   
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Stand: 15. September 2017 © Hans-Walter Pries