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Seckendorff: Teutscher Fürsten-Staat HIS-Data
5226-2-9-9
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Daß er auch auf die gerichte der landes-stände aufsicht führe...
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S. 253 (Forts.)   ⇦ S. 253: §. 8
  §. 9. Bey dem andern punct dieses capitels, was nemlich des landes-herrn, auch dessen regierung, amt und verrichtung in gerichts-sachen sey, gegen und wegen der andern gerichte, welche die stände des landes von ihm zu lehen, oder sonst in üblichen zugelassenem gebrauch haben, fallen nachfolgende stücke vor. 1. Kömmet dem Landes-herrn zu, und ist sein amt, darauf zu sehen, daß alle dieselben gerichte, die seyen nun der prälaten, oder grafen und herren cantzleyen, die sie mit räthen und secretarien bestellen, oder deren von der ritterschafft gerichte, darzu sie gerichts-verwalter und gerichts-schreiber annehmen, * so wol auch die gerichte der städte, darinnen die bürgermeister und raths-personen sitzen, und sich eines oder mehr stadt-schreibers oder syndicen darzu gebrauchen, wohl und mit tüchtigen personen besetzet, durch rechts-gelehrte verwaltet, und ihnen von denen gerichts-eigenthums herren kein unordentlicher thätlicher einhalt und verwirrung wiederfahre, auch daselbst kein ander recht und ordnung, als wie sie der landes-herr verordnet, und landes-gebräuchlich, oder den statuten gemäß sind, gehalten, und sonst auch alles, was wegen der gerichte des landes-herrn in vorhergehender 3. 4. 5. 6. 7. erinnerung angeführet worden, auch allhier in acht genommen werde. Scan 273
  2. Pfleget der landes-herr dem herkommen
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  nach, denen unter-gerichten, so wol auch denen, die er selbst nach und unter der regierung bestellet, keinen eingriff zu thun, daß er etwa die partheyen und sachen, die vor erst vor solchen gerichts-stellen erscheinen müssen, darzu denn eines jeden gerichts-verpflichtete unterthanen, oder die sich darunter aufhalten, verbunden sind, etwan abfordern, oder mit übergehung der ordentlichen unter-obrigkeit solche für seine räthe, noch weniger aber eines andern unter-gerichts erkäntniß ziehen lassen wolte, sondern es werden die dahin gehörige personen und sachen in erster instantz oder klage allda gelassen, und dahin gewiesen, auch die sich muthwilliger weise davon entziehen wollen, mit straffen darzu angehalten, sintemal die billigkeit erfordert, daß eines jeden gerichtbarkeit und respect über seine unterthanen erhalten werde, kan auch der landes-fürst ohne hülffe und unter-aufsicht solcher gerichts-herren nicht alles bestreiten, und geschehe den leuten selbst zu viel und wehe, wenn sie alsobalden von ihren ordentlichen richter, den sie in der nähe haben, und offt mit geringen kosten entschieden werden können, an die landes-fürstliche hohe gerichte ohne noth gezogen würden. Wolte aber der unter-richter in der sache nicht gebührlich verfahren, oder erwiese sich partheyisch und verdächtig, oder wäre sonst die sache rechtswegen also beschaffen, daß sie vor ihm nicht wohl könte expediret werden, denn wird er von des landes-herren cantzeley, nach gelegenheit zu fleißiger administration er-
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  mahnet, oder ihm, ein commissarius zugeordnet, oder auch der handel von ihm gar abgefordert. **
  3. In allen sachen aber, (etliche wenige, welche die rechts- gelehrte wissen, und gemeiniglich die peinliche ausgenommen,) darinnen vor solchen gerichten der stände, und denenjenigen, welche der landes-fürst selbst durch seine beamten bestellet, urtheil oder bescheid ertheilet wird, dessen sich ein oder beyde Theile beschweret befinden, stehet denenselben frey, an den Landes-Herrn, dessen regierung, hof- oder land-gerichte, durch das rechtliche mittel der appellation, oder ein anders, welches man supplication nennet, in gewisser zeit sich zu beruffen, und die sache daselbst anderweit anzubringen und auszuführen, darzu sind in etlichen landen sonderbare appellation-räthe und gerichte verordnet, mit eigenen ordnungen, so wol auch bedienten und advocaten, versehen: So findet man auch exempel, daß von manchem stand oder stadt im Reich, an andere fürsten und stände in rechts-sachen auf gewisse maasse appelliret wird, *** welche sonst nicht ordentliche landes-herren daselbst sind, oder doch die übung ihrer hoheit nicht in besitz haben.
  4. Von der regierung und cantzeley des landes-herrn aber gehen nun die appellationen an die hohen gerichte des Reichs, wie darvon in des Römischen Reichs Cammer-Gerichts-Ordnung gnugsame nachricht zu finden: Jedoch hat solche nicht allenthalben statt, sondern, wie wir anderswo gemeldet, sind viel Chur- und Fürsten des Reichs also privilegiret, daß von ihnen keine weitere
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  appellation oder beruffung, es mögen gleich die sachen von einem unter-gericht dahin gerathen, oder in erster instantz daselbst gebracht seyn, an die käyserliche Cammer verstattet werden, sondern bey dem, was daselbst endlich erkant worden, muß es allerdings verbleiben, und werden diejenigen, die sich auf verstattete rechtliche verhör und proceß**** damit nicht ersättigen, sondern an die hohen reichs-gerichte oder sonst appelliren, und dergleichen remedia brauchen wollen, ernstlich gestraffet. Damit sich aber niemand der übereilung zu beschweren, werden in denenselben landen die gerichts-instantzien desto bester und förmlicher auch deren unterschiedlich viel angeordnet, und ist insonderheit nach Sachsen-recht gebräuchlich, daß auf die ersten urtheile, auch wohl auf die andern Leuterungen, und Ober-Leuterungen dadurch der beschwerte theil eine erklärung der urtheile, auf ferneres anbringen seiner nothdurfft, erlangen mag, verstattet werden, nach maasse und inhalt derer darüber aufgerichteten ordnungen. *****
  5. Uber diese landes-fürstl. hohe direction und vorzug über die unter-gerichte im lande, durch allerhand anordnung in gerichts-und proceß- sachen durch advocation, appellation, wie auch durch visitation derselben, ist auch dieses an den meisten orten noch ein sonderbarer vorbehalt, daß in peinlichen sachen die Landsäßige Gerichts-herren, welche hohe jurisdiction haben, nicht allein in allen stücken sich des rechtens bey den schöppen-stühlen, oder juristen-facultäten, belernen, auch demjenigen was daselbst
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  erkannt wird, nachkommen, und hierinnen nicht nach eigenem willen, verfahren müssen: Sondern auch, daß sie keine verwirckte und zuerkante todes-straffen erlassen, die peinlichen processe bürgerlich machen, oder geld-straffe dafür nehmen dörffen, sondern, wo aus erheblichen ursachen ein milders vorzunehmen, haben sie solches dem Landes-Herrn zu berichten, und dessen verordnung zu gewarten.
  * Auch ordentlich ad acta vereyden lassen müssen: Wiewohl einiger orten hierwider die contraire observanz allegiret werden will, welche aber meines erachtens als eine irraisonnable und denen guten sitten und gesetzen widerstehende, auch zum unrecht und boßheit anleitende gewonheit, zu betrachten, und folglich von dem Landes-Herrn nicht zu gestatten ist.
  ** Und damit erst beyläuffige erkäntniß eingezogen werde, wird auf der partheyen suppliciren, bericht von dem gerichts-herrn, entweder mit verboth, in der sachen nicht weiter zu verfahren, oder auch ohne dasselbe, abgefordert.
  *** Dergleichen geschahe vor dem aus Pohlen nach Magdeburg, und itzo sollen noch einige städte am Rhein gen Aacken, und die städte am Baltischen meere gen Lübeck dergleichen thun, wie Conring d. O.J.G. und Mevius ad Jus publ. anführen.
  **** Ein anders wäre demnach, wo die querela denegatæ velprotractæ justitiæ mit recht statt hätte, davon bereits P. 2. c. 2. §. 4. berührung geschehen.
  ***** Es ist dieses nicht allein gebräuchlich, sondern auch die privilegia de non appellando darauf gegründet.
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Stand: 17. September 2017 © Hans-Walter Pries