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Seckendorff: Teutscher Fürsten-Staat HIS-Data
5226-2-10-10
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Doch sind diese handhabungs-mittel behutsam zu gebrauchen
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S. 272 (Forts.)   ⇦ S. 272: §. 9
  §. 10. Es pfleget aber die landes-fürstl. obrigkeit, mit dem gebrauch dieser bißher summarisch erzehlten handhabungs mittel, wie billig behutsamlich umzugehen, eines theils, daß sie damit sich nicht übereilen, sondern alle andere gradus und wege vorhergehen lassen, ehe sie zu würcklicher anordnung, so wohl im gerichts- als heeres-zwang, schreiten. In summa, durch den gerichts-zwang lässet man keine execution oder bestraffung vorgehen, es sey denn in bürgerlichen fällen eine person des ungehorsams genug überführet, und davor zum überfluß durch gütliche und ernstliche anmahnung, wo nicht eine offenbahre thätigkeit vor augen, gewarnet. In peinlichen fällen aber rechtmäßige bedächtliche verhör- und erkundigung eingezogen, und urtheil und recht gesprochen. Bey dem kriegs-zwang ist noch mehrere vorsichtigkeit vonnöthen, nicht allein insgemein darum, daß dieses in allen regimentern das allerschwerste und letzte mittel ist, welches mit grosser gefahr unschuldiger leute und ihres bluts und guts, geführet, auch dadurch manches land und policey gar leicht zerstöret wird, davon man aus den geschichten aller zeiten gnugsame exempel nebenst der eige- Scan 292
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  nen erfahrung vor augen hat: Sondern auch darum, daß das Röm. Reich dißfalls mit gewissen rechten und satzungen versehen, daß zwar einem landes-fürsten und herrn ungewehret ist, veste plätze zu haben und zu bauen, kriegs-volck zu unterhalten, oder gute verfassung zu kriegs-sachen in seinem lande anzustellen, aber gleichwohl ihme gewisse schrancken gesetzet, worinnen er sich damit halten muß. * Wie wir denn oben im 1. capitel insgemein andeutung gethan, was dißfalls wegen der hoheit des Reichs, und Käys. Maj. in acht zu nehmen sey. Insonderheit aber hat er die ordnung und reichs-satzung vom Land Frieden, wie solche in vielen Reichs-Abschieden aufgerichtet und wiederholet, wohl vor augen zu haben, welche dahin hauptsächlich gehet, daß er keinen fürsten und stand des Reichs, oder wer sonst friedlich lebet, und des rechtlichen austrags gewärtig ist, mit heeres-macht überziehe, daß er auch keine werbung oder sammlung des krieges-volcks in andern herrschafften und gebieten, ohne vorwissen des in jedem Creyß des Reichs verordneten obristen, und der ordentlichen obrigkeit desselben orts vornehme, noch daß dergleichen von andern in seinem lande geschehen, und dahero den nachbarn eine furcht, nachdencken und gefahr, erwecket werde, verstattet: Daß er anderer obrigkeit unterthanen wider dieselbe nicht schütze noch aufnehme, ** oder sonst plackerey, zusammen-rottirung losen gesindes, und anderer unordnung nachsehe, seine kriegs-verfassung aber zu abwehrung solcher ungebührlichen dinge, die et-
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  wa andere vornehmen, und denn auch wider streiffende rotten, und unbefugte einfälle der nachbarn gebrauche, und sich damit, auf des und cräyses erfordern, dem gemeinen vaterlande zu hülffe zu kommen, gefast halte, wie solches alles aus denen reichs-satzungen erscheinet.
  Gleichwie aber auf dieser seiten, wenn eine obrigkeit die maasse und behutsamkeit im gebrauch ihrer gewalt und zwangs mittel überschreitet, und damit allzu hitzig und füreilend ist, grosse ungelegenheit erwecket, und ungerechtigkeit begangen, auch eine schwere verantwortung verursachet wird, darüber die hohe reichs obrigkeit endlich sich aufmachen, und dem freveln beginnen steuren und wehren muß: Also ist es im gegentheil auf der andern seiten nicht weniger schädlich, wenn die landes-herrn in diesem stück allzu schläfferig seyn, und auf keine gebührende vollstreckung dessen, was sie geordnet, und ihres respects auch rechts halben nöthig ist, gedencken, noch die erforderte mittel, sich und ihr land und leute zu schützen, bey der hand haben. Denn dadurch ihre ehre und hoheit mercklichen abbruch leidet, ihre gesetze, ordnungen und rechte, ohne nutzen, und land und leute vor räuberischem gesinde, und anderer gewaltthätigkeiten, wenig sicher sind. Darum sind nun die obige mittel hierzu desto fleißiger in bereitschafft zu halten.
  * Wäre auch gut, wenn solche schrancken noch besser erhalten würden, damit so wohl mächtige, als auch schwächere Reichs-stände ihrer völligen freyheit und derer Reichs-satzungen völlig geniessen könten. Wel-
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  ches zu erläutern nicht noth ist, nachdem die seit etwa 50 jahren im Reich vorgelauffene handlungen, die theils in öffentlichen druck gekommen, nicht unbekannt sind.
  ** Vielmehr sind benachbarte stände verbunden, sich einander wider ungehorsame unterthanen beyzustehen, und werden auch von den hohen Reichs-gerichten mandata auxiliatoria zu dem ende erkant. Hieher gehöret reichs-abschied d. a. 1529. §. 10. Capitul. Leopold. art. 7. u. a m.
§. 11 §. 11. Und ist hierbey nicht zu vergessen, daß um solchen schutz und handhabung zu geniessen, etliche sonst freye, oder doch dem landes herrn nicht völlig unterworffene stände im reich, bevorab etliche reichs-städte und geistliche stiffter einen nahe gesessenen mächtigen landes-herrn zu einem Schutz-Herrn entweder willkührlich erbeten, oder auch erblich auserkohren, dem sie jährlich schutz-geld zu geben, auch wenn seine lande und leute noth leiden, hinwiederum eine gewisse hülffe zugesaget, also gar, daß offt aus solchem erbschutz eine gäntzliche landes-fürstliche hoheit entstanden, sonst aber die eigentliche beschaffenheit solcher schutz-verwandniß jedes orts, aus denen darüber aufgerichteten verträgen, abzunehmen.
§. 12 §. 12. Es dienet aber sonst zu rechtem gebrauch der handhabungs-mittel, und damit man wisse, wenn man zum gebrauch solcher mittel schreiten soll, auch dieses, daß die hohe obrigkeit ein wachsames auge auf alle ihre regiments-geschäffte, wie wir solche in vorigen dreyen cap. beschrieben, ohne unterlaß führe, und nicht erwarte, biß ihnen alle
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  sachen gleichsam in die hände gehen, und von sich selbst für augen treten. Weil aber einem menschen, alles zu erfahren, zu sehen und im gedächtniß zu haben, nicht müglich, so gehören auch zu diesem zweck unterschiedliche wege und mittel, dadurch die obrigkeiten erkundigen und erfahren, ob und wie dißfalls 1. ihr stand, macht und ansehen in acht genommen, 2. Ihren ordnungen nachgelebet, und 3. Gericht und recht erhalten werde, und also daraus schliessen können, ob und wie der vierdte punct, nehmlich, die würckliche handhabung und anordnung, vonnöthen. Die wollen wir zum beschluß dieses capitels, und des berichts von weltlichen regiment, mit anhängen: Das gemeinste und erste ist die bestellung fleißiger und verständiger diener in allen orten des landes, sonderlich an den gräntzen und wo man sich streits und widerspenstigkeit am meisten vermuthet. Denn solche beamten sind, nach ihrer bestallung, schuldig, fleißige nachfrage und aufsicht auf alle obige puncten, insonderheit auch auf das vornehmen der nachbarn, wie oben schon erwehnet, auf fremde personen, die durchs land reisen, und unterschleiff suchen, zu haben, und im fall darinnen mangel und nachdencken vorfiele, solchen alsobald, nach gelegenheit zu begegnen, das verbrechen zu straffen, und gewalt abzutreiben, oder da die sache zu schwer und wichtig wäre, dem landes-herrn zu berichten. Nichts wenigers auch werden denen ständen, die gerichte haben, gute ordnungen fürgeschrieben, und sie, ihren pflichten nach, dahin gewiesen, daß die sachen von wichtigkeit, die
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  land und leute betreffen, an die hohe obrigkeit berichten, was aber gute policey und gerichtbarkeit erfordert, solche mit fleiß, nach denen vorgeschriebenen ordnungen und instructionen, in acht nehmen müssen: Und weil dennoch der örter des landes viel seynd, in deren wenigsten die obrigkeiten, und dero beamten, wohnen, so ists sehr nützlich, wenn auch die schultheissen der dörffer dahin verpflichtet werden, daß sie auf gewisse nothwendige dinge, was bey ihnen und ihren nachbarn vorgehet, aufsicht haben,* theils selbst an- und abschaffen, das vornehmste aber an ihre obrigkeit und vorgesetzte berichten müssen. 2. Nach gelegenheit der zeiten und läuffte, oder des zustandes im lande, pflegen auch die landes-fürsten ausserhalb des landes, an andern orten, ihre vertraute leute und correspondenten zu haben, die ihnen von dem zustande der nachbarschafft, vom frieden und kriege beglaubten, und, wo nöthig, unvermerckten bericht thun, darnach sie sich in ihren anstalten achten, und richten können, 3. Was sonderlich den andern und dritten punct der regiments-geschäffte, als die ordnungen und gerichtbarkeit betrifft, gebrauchet der landes-fürst mit grossem nutzen das mittel einer Visitation, da er in gewissen jahren etlichen seiner vertrauten räthe und diener befehliget, in alle ämter und gerichte des landes umher zu ziehen, die beamten und inhaber derselben, samt den vornehmsten unterthanen vorzubescheiden, und nach den wichtigsten puncten, welche landes-fürstl. regalien, gute ordnung und richtige administration
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  der justitz betreffen, zu fragen, ob denenselben nachgelebet, oder darwider gehandelt werde. Da sich nun bey obrigkeit, beamten, oder unterthanen, mangel und gebrechen befinden, werden dieselben entweder so bald durch die visitatoren, oder, der wichtigkeit nach, auf ihren bericht, vom landes-herrn selbst, nach befindung, durch ernste anmahnung und befehl, abgeschaffet, die überfahrung bestraffet, und besserung in allen ständen eingeführet. 4. Damit auch allerhand unordnung, laster und mißhandlungen destoweniger verschwiegen bleiben, gebrauchet man mit nutzen im lande, in allen städten, ämtern und gerichten, das mittel einer gerichtlichen nachfrage, oder nach altem landes-brauch zu reden, einer Ruge, oder Ruge-gerichts, Voigt- gerichts, Policey-gerichts, oder wie es nach unterschiedlicher landes-art genennet wird,** da nehmlich alle unterthanen, zu gewisser zeit, 2. 3. oder viermahl des jahres vorgefordert, ihnen die vornehmsten puncten, der landes- und dergleichen ordnungen vorgelesen, und darauf ein jeder absonderlich gütlich befraget wird, ob er etwas, so wider ordnung und recht, auch wider christliche religion, zucht und erbarkeit, lauffe, von jemand zu sagen wisse. Es werden auch ins geheim besondere leute bestellet, die darauf acht geben, und es denen verordneten zu solchen rüge-gerichte anzeigen sollen. So nun etwas dergleichen an den tag kömmet, werden diejenigen, die es angehet, nach gelegenheit, gütlich abgemahnet, oder um ein leidliches, zu ihrer besserung gestraffet, oder nach befindung,
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  die sache in ordentliche geistl. oder weltliche gerichte, zu fernerer verordnung, gewiesen. Wenn aber solche rügen nur auf etliche geringe oder wenige verbrechen angesehen, und denn nicht auf besserung und gebührliche gradus, sondern auf geld-straffen oder zechen vornemlich gedacht wird, wie vieler orten geschiehet, kan damit obiger zweck nicht erlanget werden. Es dienet hierzu auch mercklich , wenn die schrifften oder protocolle solcher gerichte zu des landes-herrn regierung jedesmahl von den ämtern und städten eingeschicket, und durchgesehen werden, ob durch solche berichte ein und anders erscheine, und wahrzunehmen sey, darauf man anderweite anordnung machen, und die obrigkeitliche vorsorge und macht gebrauchen solle, und wird auf solche weise des landes-herrn ordnungen ein ansehen gemacht, dem rohen hauffen, der allezeit zucht hasset, wo nicht liebe zur tugend, doch furcht der straffe, womit sich endlich die weltliche obrigkeit begnügen muß, eingejaget, und also durch diese und dergleichen mittel auf solche erkundigung, nach unterscheid der fälle, dasjenige, was löblich geordnet und bedacht, oder sonst der unterthanen pflicht, und der obrigkeitlichen hoheit gemäß ist, desto besser und nachdrücklicher gehandhabet, welches denn der nothwendige effect und beschluß der regiments-geschäffte ist, und den heilsamen nutzen, die wohlfarth der unterthanen und obrigkeit, unzweiffelich nach sich führet.
  * Zu dem ende sind ihnen auch wohl gewisse instructions-puncta vorgeschrieben, auf welche sie verpflichtet, und zu deren gelobung unter andern dadurch an-
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  gehalten werden, wenn die beamten dann und wann unvermuthet in denen dörffern und flecken sich einfinden, und von allen fleißige nachfrage mithin selbst gute aufsicht halten. Wohin hohe regenten um so mehr zu sehen haben, als durch dieser personen unwissenheit oder nachläßigkeit öffters nicht weniger nachtheil verhänget wird, wie die erfahrung lehret.
  ** Von solcher rüge-gerichte wiederaufrichtung ist sonderlich in den Würtenbergischen, Gothaischen und Mecklenburgischen Landes-ordnungen gehandelt worden. Wiewohl ich wegen des vielen dabey unterlauffenden mißbrauchs nicht viel darvon halte, auch gar wenig sonderbahren effect gespühret. Dahingegen die in voriger anmerckung berührte art, und die fleißige aufsicht redlicher geistlichen samt denen kirchen-visitationen bessern nutzen haben.
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Stand: 2. Oktober 2017 © Hans-Walter Pries