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§. 10. Es pfleget aber die landes-fürstl. obrigkeit, mit dem
gebrauch dieser bißher summarisch erzehlten handhabungs mittel, wie billig
behutsamlich umzugehen, eines theils, daß sie damit sich nicht übereilen,
sondern alle andere gradus und wege vorhergehen lassen, ehe sie zu würcklicher
anordnung, so wohl im gerichts- als heeres-zwang, schreiten. In summa, durch
den gerichts-zwang lässet man keine execution oder bestraffung vorgehen, es sey
denn in bürgerlichen fällen eine person des ungehorsams genug überführet, und
davor zum überfluß durch gütliche und ernstliche anmahnung, wo nicht eine
offenbahre thätigkeit vor augen, gewarnet. In peinlichen fällen aber
rechtmäßige bedächtliche verhör- und erkundigung eingezogen, und urtheil und
recht gesprochen. Bey dem kriegs-zwang ist noch mehrere vorsichtigkeit
vonnöthen, nicht allein insgemein darum, daß dieses in allen regimentern das
allerschwerste und letzte mittel ist, welches mit grosser gefahr unschuldiger
leute und ihres bluts und guts, geführet, auch dadurch manches land und policey
gar leicht zerstöret wird, davon man aus den geschichten aller zeiten gnugsame
exempel nebenst der eige- |
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nen erfahrung vor augen hat: Sondern auch darum, daß das
Röm. Reich dißfalls mit gewissen rechten und satzungen versehen, daß zwar einem
landes-fürsten und herrn ungewehret ist, veste plätze zu haben und zu bauen,
kriegs-volck zu unterhalten, oder gute verfassung zu kriegs-sachen in seinem
lande anzustellen, aber gleichwohl ihme gewisse schrancken gesetzet, worinnen
er sich damit halten muß. * Wie wir denn oben im 1. capitel insgemein andeutung
gethan, was dißfalls wegen der hoheit des Reichs, und Käys. Maj. in acht zu
nehmen sey. Insonderheit aber hat er die ordnung und reichs-satzung vom Land
Frieden, wie solche in vielen Reichs-Abschieden aufgerichtet und wiederholet,
wohl vor augen zu haben, welche dahin hauptsächlich gehet, daß er keinen
fürsten und stand des Reichs, oder wer sonst friedlich lebet, und des
rechtlichen austrags gewärtig ist, mit heeres-macht überziehe, daß er auch
keine werbung oder sammlung des krieges-volcks in andern herrschafften und
gebieten, ohne vorwissen des in jedem Creyß des Reichs verordneten obristen,
und der ordentlichen obrigkeit desselben orts vornehme, noch daß dergleichen
von andern in seinem lande geschehen, und dahero den nachbarn eine furcht,
nachdencken und gefahr, erwecket werde, verstattet: Daß er anderer obrigkeit
unterthanen wider dieselbe nicht schütze noch aufnehme, ** oder sonst
plackerey, zusammen-rottirung losen gesindes, und anderer unordnung nachsehe,
seine kriegs-verfassung aber zu abwehrung solcher ungebührlichen dinge, die et-
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wa andere vornehmen, und denn auch wider streiffende rotten,
und unbefugte einfälle der nachbarn gebrauche, und sich damit, auf des und
cräyses erfordern, dem gemeinen vaterlande zu hülffe zu kommen, gefast halte,
wie solches alles aus denen reichs-satzungen erscheinet. |
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Gleichwie aber auf dieser seiten, wenn eine obrigkeit die
maasse und behutsamkeit im gebrauch ihrer gewalt und zwangs mittel
überschreitet, und damit allzu hitzig und füreilend ist, grosse ungelegenheit
erwecket, und ungerechtigkeit begangen, auch eine schwere verantwortung
verursachet wird, darüber die hohe reichs obrigkeit endlich sich aufmachen, und
dem freveln beginnen steuren und wehren muß: Also ist es im gegentheil auf der
andern seiten nicht weniger schädlich, wenn die landes-herrn in diesem stück
allzu schläfferig seyn, und auf keine gebührende vollstreckung dessen, was sie
geordnet, und ihres respects auch rechts halben nöthig ist, gedencken, noch die
erforderte mittel, sich und ihr land und leute zu schützen, bey der hand haben.
Denn dadurch ihre ehre und hoheit mercklichen abbruch leidet, ihre gesetze,
ordnungen und rechte, ohne nutzen, und land und leute vor räuberischem gesinde,
und anderer gewaltthätigkeiten, wenig sicher sind. Darum sind nun die obige
mittel hierzu desto fleißiger in bereitschafft zu halten. |
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* Wäre auch gut, wenn solche schrancken noch besser erhalten
würden, damit so wohl mächtige, als auch schwächere Reichs-stände ihrer
völligen freyheit und derer Reichs-satzungen völlig geniessen könten. Wel- |
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ches zu erläutern nicht noth ist, nachdem die seit etwa 50
jahren im Reich vorgelauffene handlungen, die theils in öffentlichen druck
gekommen, nicht unbekannt sind. |
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** Vielmehr sind benachbarte stände verbunden, sich einander
wider ungehorsame unterthanen beyzustehen, und werden auch von den hohen
Reichs-gerichten mandata auxiliatoria zu dem ende erkant. Hieher gehöret
reichs-abschied d. a. 1529. §. 10. Capitul. Leopold. art. 7. u. a m. |
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§. 11 |
§. 11. Und ist hierbey nicht zu vergessen, daß um solchen
schutz und handhabung zu geniessen, etliche sonst freye, oder doch dem landes
herrn nicht völlig unterworffene stände im reich, bevorab etliche reichs-städte
und geistliche stiffter einen nahe gesessenen mächtigen landes-herrn zu einem
Schutz-Herrn entweder willkührlich erbeten, oder auch erblich auserkohren, dem
sie jährlich schutz-geld zu geben, auch wenn seine lande und leute noth leiden,
hinwiederum eine gewisse hülffe zugesaget, also gar, daß offt aus solchem
erbschutz eine gäntzliche landes-fürstliche hoheit entstanden, sonst aber die
eigentliche beschaffenheit solcher schutz-verwandniß jedes orts, aus denen
darüber aufgerichteten verträgen, abzunehmen. |
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§. 12 |
§. 12. Es dienet aber sonst zu rechtem gebrauch der
handhabungs-mittel, und damit man wisse, wenn man zum gebrauch solcher mittel
schreiten soll, auch dieses, daß die hohe obrigkeit ein wachsames auge auf alle
ihre regiments-geschäffte, wie wir solche in vorigen dreyen cap. beschrieben,
ohne unterlaß führe, und nicht erwarte, biß ihnen alle |
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sachen gleichsam in die hände gehen, und von sich selbst für
augen treten. Weil aber einem menschen, alles zu erfahren, zu sehen und im
gedächtniß zu haben, nicht müglich, so gehören auch zu diesem zweck
unterschiedliche wege und mittel, dadurch die obrigkeiten erkundigen und
erfahren, ob und wie dißfalls 1. ihr stand, macht und ansehen in acht genommen,
2. Ihren ordnungen nachgelebet, und 3. Gericht und recht erhalten werde, und
also daraus schliessen können, ob und wie der vierdte punct, nehmlich, die
würckliche handhabung und anordnung, vonnöthen. Die wollen wir zum beschluß
dieses capitels, und des berichts von weltlichen regiment, mit anhängen: Das
gemeinste und erste ist die bestellung fleißiger und verständiger diener in
allen orten des landes, sonderlich an den gräntzen und wo man sich streits und
widerspenstigkeit am meisten vermuthet. Denn solche beamten sind, nach ihrer
bestallung, schuldig, fleißige nachfrage und aufsicht auf alle obige puncten,
insonderheit auch auf das vornehmen der nachbarn, wie oben schon erwehnet, auf
fremde personen, die durchs land reisen, und unterschleiff suchen, zu haben,
und im fall darinnen mangel und nachdencken vorfiele, solchen alsobald, nach
gelegenheit zu begegnen, das verbrechen zu straffen, und gewalt abzutreiben,
oder da die sache zu schwer und wichtig wäre, dem landes-herrn zu berichten.
Nichts wenigers auch werden denen ständen, die gerichte haben, gute ordnungen
fürgeschrieben, und sie, ihren pflichten nach, dahin gewiesen, daß die sachen
von wichtigkeit, die |
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land und leute betreffen, an die hohe obrigkeit berichten,
was aber gute policey und gerichtbarkeit erfordert, solche mit fleiß, nach
denen vorgeschriebenen ordnungen und instructionen, in acht nehmen müssen: Und
weil dennoch der örter des landes viel seynd, in deren wenigsten die
obrigkeiten, und dero beamten, wohnen, so ists sehr nützlich, wenn auch die
schultheissen der dörffer dahin verpflichtet werden, daß sie auf gewisse
nothwendige dinge, was bey ihnen und ihren nachbarn vorgehet, aufsicht haben,*
theils selbst an- und abschaffen, das vornehmste aber an ihre obrigkeit und
vorgesetzte berichten müssen. 2. Nach gelegenheit der zeiten und läuffte, oder
des zustandes im lande, pflegen auch die landes-fürsten ausserhalb des landes,
an andern orten, ihre vertraute leute und correspondenten zu haben, die ihnen
von dem zustande der nachbarschafft, vom frieden und kriege beglaubten, und, wo
nöthig, unvermerckten bericht thun, darnach sie sich in ihren anstalten achten,
und richten können, 3. Was sonderlich den andern und dritten punct der
regiments-geschäffte, als die ordnungen und gerichtbarkeit betrifft, gebrauchet
der landes-fürst mit grossem nutzen das mittel einer Visitation, da er in
gewissen jahren etlichen seiner vertrauten räthe und diener befehliget, in alle
ämter und gerichte des landes umher zu ziehen, die beamten und inhaber
derselben, samt den vornehmsten unterthanen vorzubescheiden, und nach den
wichtigsten puncten, welche landes-fürstl. regalien, gute ordnung und richtige
administration |
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der justitz betreffen, zu fragen, ob denenselben
nachgelebet, oder darwider gehandelt werde. Da sich nun bey obrigkeit, beamten,
oder unterthanen, mangel und gebrechen befinden, werden dieselben entweder so
bald durch die visitatoren, oder, der wichtigkeit nach, auf ihren bericht, vom
landes-herrn selbst, nach befindung, durch ernste anmahnung und befehl,
abgeschaffet, die überfahrung bestraffet, und besserung in allen ständen
eingeführet. 4. Damit auch allerhand unordnung, laster und mißhandlungen
destoweniger verschwiegen bleiben, gebrauchet man mit nutzen im lande, in allen
städten, ämtern und gerichten, das mittel einer gerichtlichen nachfrage, oder
nach altem landes-brauch zu reden, einer Ruge, oder Ruge-gerichts, Voigt-
gerichts, Policey-gerichts, oder wie es nach unterschiedlicher landes-art
genennet wird,** da nehmlich alle unterthanen, zu gewisser zeit, 2. 3. oder
viermahl des jahres vorgefordert, ihnen die vornehmsten puncten, der landes-
und dergleichen ordnungen vorgelesen, und darauf ein jeder absonderlich gütlich
befraget wird, ob er etwas, so wider ordnung und recht, auch wider christliche
religion, zucht und erbarkeit, lauffe, von jemand zu sagen wisse. Es werden
auch ins geheim besondere leute bestellet, die darauf acht geben, und es denen
verordneten zu solchen rüge-gerichte anzeigen sollen. So nun etwas dergleichen
an den tag kömmet, werden diejenigen, die es angehet, nach gelegenheit, gütlich
abgemahnet, oder um ein leidliches, zu ihrer besserung gestraffet, oder nach
befindung, |
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die sache in ordentliche geistl. oder weltliche gerichte, zu
fernerer verordnung, gewiesen. Wenn aber solche rügen nur auf etliche geringe
oder wenige verbrechen angesehen, und denn nicht auf besserung und gebührliche
gradus, sondern auf geld-straffen oder zechen vornemlich gedacht wird, wie
vieler orten geschiehet, kan damit obiger zweck nicht erlanget werden. Es
dienet hierzu auch mercklich , wenn die schrifften oder protocolle solcher
gerichte zu des landes-herrn regierung jedesmahl von den ämtern und städten
eingeschicket, und durchgesehen werden, ob durch solche berichte ein und anders
erscheine, und wahrzunehmen sey, darauf man anderweite anordnung machen, und
die obrigkeitliche vorsorge und macht gebrauchen solle, und wird auf solche
weise des landes-herrn ordnungen ein ansehen gemacht, dem rohen hauffen, der
allezeit zucht hasset, wo nicht liebe zur tugend, doch furcht der straffe,
womit sich endlich die weltliche obrigkeit begnügen muß, eingejaget, und also
durch diese und dergleichen mittel auf solche erkundigung, nach unterscheid der
fälle, dasjenige, was löblich geordnet und bedacht, oder sonst der unterthanen
pflicht, und der obrigkeitlichen hoheit gemäß ist, desto besser und
nachdrücklicher gehandhabet, welches denn der nothwendige effect und beschluß
der regiments-geschäffte ist, und den heilsamen nutzen, die wohlfarth der
unterthanen und obrigkeit, unzweiffelich nach sich führet. |
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* Zu dem ende sind ihnen auch wohl gewisse
instructions-puncta vorgeschrieben, auf welche sie verpflichtet, und zu deren gelobung unter
andern dadurch an- |
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gehalten werden, wenn die beamten dann und wann unvermuthet
in denen dörffern und flecken sich einfinden, und von allen fleißige nachfrage
mithin selbst gute aufsicht halten. Wohin hohe regenten um so mehr zu sehen
haben, als durch dieser personen unwissenheit oder nachläßigkeit öffters nicht
weniger nachtheil verhänget wird, wie die erfahrung lehret. |
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** Von solcher rüge-gerichte wiederaufrichtung ist sonderlich
in den Würtenbergischen, Gothaischen und Mecklenburgischen Landes-ordnungen
gehandelt worden. Wiewohl ich wegen des vielen dabey unterlauffenden mißbrauchs
nicht viel darvon halte, auch gar wenig sonderbahren effect gespühret.
Dahingegen die in voriger anmerckung berührte art, und die fleißige aufsicht
redlicher geistlichen samt denen kirchen-visitationen bessern nutzen
haben. |
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