S. 291 (Forts.) |
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⇦ S. 291: §. 5 |
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§. 6. So zielen und dienen solche hauptsächlich
dahin, Erstlich, daß durch solches gebot der hohen obrigkeit eine
neue verbindung der unterthanen geschicht. Denn in den sachen, die
Gottes wort nicht zuwider, sondern zumahl gemäß gehen, seynd die
unterthanen gewissens halben schuldig zu gehorchen, und also über
die gemeine pflicht, die iedwederm menschen zukömmet, auch durch
satzung ihrer obern verbunden, die rechte religion zu ergreiffen.
Die vornehmsten personen aber des landes, in geist- und weltlichen
stande, werden an vielen orten mit einem cörperlichen eydesschwur
pflichtbar gemacht, bey der wahren religion zu bleiben, oder da sie
ja davon abtreten wolten, solches dem landes-herrn anzuzeigen, damit
er mit ihnen änderung treffen könne, und durch sie kein ärgerniß im
lande einschleiche. |
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Zum andern, daß durch die kirchen-ordnungen der
obrigkeiten die äusserlichen umstände der zeit, orts, und der maasse
und weise, welche in göttlichen und religions-sachen zu halten, und
sonderlich, da solche umstände in GOttes wort nicht absonder- |
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Teutschen Fürsten-Staats |
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lich oder unänderlich fürgeschrieben sind,
geordnet werden, damit alles ehrlich und ordentlich, andächtig und
fein zugehe. Zu solchem ende dienen nun allerhand heilsame puncten
der kirchen- und landes-ordnung, als da sind, daß wir dieselbe
Summarisch begreifen, die anordnung der kirchen-agenden, oder
ceremonien, wie es bey dem öffentlichen gottes-dienst, predigt und
feyer der sonn- und fest-tage, und bey reichung der H. Sacramenten,
der Tauffe und Heil. Abendmahls, auch andern christlichen
handlungen, als hochzeiten und begräbnissen, auch tröstungen der
krancken und sterbenden, vieler umstände halben zu halten, zu
welcher zeit ein und anders geschehen, was vor gebete, gesänge,
vermahnungen, anredungen, darbey vorgehen sollen, was für ceremonien
mit creutzen, kleidungen, lichtern, glocken-läuten, und dergleichen,
zu halten, von welchen allen ein gewiß Formular oder kirchen-agenda
in vielen fürstenthümern und landen verfertiget, oder sonst
gebräuchlich, und in den kirchen- und landes-ordnungen in allen
diesen puncten, dem gemeinen mann und männiglich zum besten, etliche
vornehme stücke, von jedweder solchen heiligen und christlichen
handlung verfasset und publiciret, welche darbey zur erweckung
christlicher andacht, erhaltung wohlstandes, und zu abwendung des
ärgernisses, in acht genommen werden müssen. * So weisen auch solche
ordnungen darauf, wie doch die christliche lehre jungen und alten
wohl beygebracht, und bey männiglich die rechte wissenschafft von
wahrer religion, samt der gottseligkeit und christlichem |
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Anderer Theil. Cap. 11. |
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wandel, gepflantzet werde, darzu denn nicht
allein die öffentliche, zu gewisser Zeit angestellte predigten,
darinnen solches alles deutlich, ordentlich und einfältig, gelehret
werden muß, sondern die anordnung der christlichen erziehung in den
schulen, die sonderbare informationes bey der jugend, und anderer
unwissender leute, aus dem Catechismo oder kurtzen begriff
christlicher lehre, die christliche nachforschung und
special-unterweisung, auch brüderliche vermahnung eines jeden insonderheit,
und dann die christliche haußzucht, dienet, und anleitung giebet,
von welchen im unterschiedlichen Evangelischen kirchen-ordnungen
stattliche nachricht zu finden. Und ist also der haupt-nutzen bey
diesem stück: 1. Die pflantzung der Christlichen religion, von
kindes-beinen auf, bey jungen und alten, durch allerhand vorher
gesetzte wege. 2. Eine öfftere übung des lobes und dienstes GOttes,
zu aller bequemlichen und gewöhnlichen zeit und gelegenheit. 3. Eine
vermehrung der christgläubigen seelen, daß immer mehr und mehr zum
wahren christenthum gebracht werden. 4. Eine gleichförmige stifftung
christlicher ceremonien, denen zwar kein verdienst zugeschrieben,
gleichwol damit andacht erwecket, und ärgerniß, wenn man dieselbe
öffters abschaffen und ändern wolte, bey den einfältigen verursachet
würde. |
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Zum dritten, gehen solche geistliche ordnungen
der hohen obrigkeit da hinaus, daß die hindernisse, anlasse und
verleitungen, dadurch dem wahren |
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gottes-dienst abbruch geschehe, und zu falscher
religion und sündlichen leben der weg bereitet würde, aufs
müglichste abgewandt, und aus dem wege geräumet werden, dahin denn
in vorigen zeiten gezielet worden, durch abschaffung allerhand
abergläubischer überflüßiger ceremonien, bild-wercks, lateinischer
unbekandter gebete und gesänge, also genannter geistlicher orden der
münche und nonnen, und was dergleichen mehr gewesen: Noch heute zu
tage aber behauptet wird, durch allerhand nützliche anstalten, damit
die entheiligung der feyertage, versäumung des gottes-dienstes mit
zusammenkünfften in zechen, mit spielen, schlaffen plaudern,
unnöthigen reisen in örter, da falsche lehre getrieben wird, ohne
gnugsamen unterricht der wahren religion, mit abhaltung der jugend
von den schulen, und von der information des catechismi vermieden,
auch bey der zulassung zur beicht und H. Abendmahl, bey der tauffe,
hochzeit und begräbnissen, allerley hinderniß, aberglauben und
mißbrauch, verboten wird, darvon in denen unterschiedlichen kirchen-
und landes-ordnungen viel nachgelesen werden kan. |
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Zum vierdten, wird durch die kirchen-ordnungen
der obrigkeit auch dieses gesuchet, daß die leute, welche sich auf
Gottes-wort und ihrem eigenen gewissen, für falscher lehre oder
ärgerlichem leben nicht hüten wollen, durch sonderbare straffen
davon abgehalten werden: Dieselben straffen sind nun zum theil
gantz weltlich, als daß nicht allein diejenige, welche wider ihren
nechsten durch al- |
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Anderer Theil. Cap. 11. |
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lerhand missethaten sündigen, sondern auch die
gotteslästerer, zauberer, und öffentlich verdamte ketzer, durch
allerhand straffen an leib und leben, ehre und gut, verweisung des
landes und dergleichen, angesehen werden, zum theil aber sind es
kirchen-censuren, mit anhangenden weltlichen straffen und
executionen, welche zu dem ende vorgenommen werden, daß diejenigen,
welche sich mit falscher lehre oder unchristlichen leben und wandel
vergriffen, und dadurch die christliche gemeine geärgert, und böses
exempel gegeben, unbeschadet der weltlichen straffe, als welche
absonderlich verordnet wird, nicht ohne sonderbare bezeigung,
demüthige abbittung, und öffentliche fürstellung und vorhaltung
ihres unrechts, wieder zur christlichen gemeinschafft mit andern
frommen leuten, und zum genuß der Heil. Sacramenten, auch andern
christlichen handlungen zugelassen, und also sie selbst vor sünden
desto mehr gewarnet, andern gute exempel zur besserung geben: ** Da
sie aber dessen allen sich auf unterschiedene erinnerungen, und
gebrauchte gradus und maasse weigern, und in unbußfertigen
verkehrten sinn dahin gehen wolten, gar aus der christlichen
versammlung gestossen, und in den bann gethan werden, biß so lange
sie sich zur christlichen bekehrung und öffentlichen
kirchen-disciplin, wenden. |
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Zum fünfften, und endlich zielen die
kirchen-satzungen der obrigkeiten auch dahin, daß dem gottes-dienst, durch
allerhand vorschub, unterhaltung derer darzu erforderten gebäuden
und diener, |
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Teutschen Fürsten-Staats |
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und in alle mügliche wege beförderung geschaffet
werde *** Zu dem ende sind angesehen die verordnungen von richtiger
besoldung der kirchen- und schul diener: Von nutzbarlicher
bestellung ihrer güter, zehenden, zinsen und einkommen, von erhalt-
und besserung der gebäude an kirchen und schulen, und der
geistlichen wohnungen, von immunitäten, freyheiten und
ehren-stellen derselben personen. Von sammlung eines vorraths zu mehrern
verlag solcher dinge, durch anstellung der gottes-kästen, und sonst
in andere wege. Item, von der aufsicht und assistentz der weltlichen
beamten, welche zu diesem zweck erfordert werden: Und fliesset aus
diesem grunde auch, was wir oben von etlichen sachen angedeutet, die
der ursachen halber zu dem geistlichen regiment gezogen werden, weil
sie zu desselben beförderung dienen, oder aus gottes wort und dem
christenthum ihre beste anstalt und entscheidung finden, oder alter
gewohnheit nach, denen geistlichen in aufsicht befohlen worden,
worüber denn die weltliche obrigkeiten gleicher gestalt ihre
satzungen ausgehen lassen, als da sind allerley verordnungen von
hohen und niedern schulen, darinnen nicht alleine die unterweisung
in christlicher lehre, sondern auch in andern künsten,
wissenschafften und sprachen, geschicht. Hiernechst auch von anstalt
und verwaltung der hospitalien, waysen-häuser, siechhäuser, und
dergleichen. Also auch von der ordnung des heiligen ehestandes, so
wohl, wie derselbe nach Gottes wort |
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Anderer Theil. Cap. 11. |
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und weltlichen rechten, in unverbottener
verwandschafft als auch sonst nach willen der eltern, rechtem
consens der eheleute, und mit gebräuchlichen christlichen
ceremonien, angefangen, und vollzogen werden sollen. |
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* Zu wünschen wäre auch wohl, wenn unsere
Evangelische kirche eine durchgehende conformität in solchen
ceremonien beliebete. Denn obgleich diese dinge an sich
gleichgültig, so geben sie doch bey denen unwissenden, welche
allemahl den grösten hauffen ausmachen, ingleichen bey anderer
religion zugethanen, einen ungleichen eindruck, widrige concepten,
und ärgerniß. |
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** Daß diese öffentliche kirchen-censuren mehr den
effect einer welt- als geistlichen straffe haben, zudem mit grossem
mißbrauch verknüpffet seyn, kan ich jetzo nicht weiter ausführen,
weil sonst dieses buch gar zu sehr anwachsen möchte. |
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*** Je nöthiger aber dieses stück von einer hohen
landes obrigkeit in obacht zu nehmen, je weniger pflegt man, zumahl
heutiges tages, darauf zu sehen. Dann insgemein sind zu erhaltung
kirchen und schulen und zumahl zu besoldung der dazu gehörigen
bedienten kaum die höchstbedürfftigsten mittel gelassen, und wo ein
extraordinairer fall sich begiebet, so muß in allen landen darzu
gesammlet werden, die Kirchen- und Schuldiener selbst aber müssen
offt mehr dorffs- als seelen-hirten abgeben. Wie ich denn leider!
verschiedentlich dergleichen prediger, die zugleich schulmeister und
organisten abgeben, auch schuldiener, die den winter über
informiren, den sommer aber das vieh hüten müssen, angetroffen Wie
ich nun glaube, daß ein jeder diese und dergleichen schlechte
anstalten mißbilligen wird, also solten noch wohl mittel und wege
übrig seyn, daß kirchen und schulen samt deren dienern nach
nothdurfft könten versehen werden. Wir wollen dabey von ehemahliger
secularisation |
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Teutschen Fürsten-Staats |
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der geistlichen güter nichts sonderlich
gedencken, als wovon bereits oben P. I. C. 4. §. 4. erwehnung
geschehen, sintemahl auch hohe häupter dasjenige, was von denen
alten überflüßig zu geistlichen sachen gestifftet, und diesen zum
stein des anstosses worden, gantz füglich wiederum der Republic zum
nutzen verwenden können, nunmehro auch ein jeder das
interdictum, uti possidetis, vorschützen wird; doch ist auch dasjenige, was zur
pflantzung und handhabung der ehre GOttes gereichet, nicht gantz
hindan zu setzen. Das beste mittel hierzu möchte wohl seyn, wenn die
in noch guten zustande sich befindende Gottes Cästen u. andere milde
stifftungen wohl administriret, und der mit der zeit so denn sich
ergebende überschuß denen schlecht versehenen kirchen samt denen
dienern zum besten angewendet würden, welcher vorschlag aber allhier
wegen mangel des raums nicht umständlicher ausgeführt werden kan.
Etwas weniges hat auch der Herr autor davon in den addit §. 11, 12. und 13 gemeldet. Wo nun dergleichen vorsorge übersehen, oder wohl
gar die bey einziehung der kirchen-güter noch gewidmete besoldungen
vergessen werden, da heist es freylich nach dem sprichwort: |
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Kirchen-guth hat eiserne zähne,
Es frist eines
mit dem andern hin;
Und bringt dem dritten erben kein gewinn. |
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