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Seckendorff: Teutscher Fürsten-Staat HIS-Data
5226-2-11-2
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§. 6: Durch dieselben wird gute ordnung des gottesdienstes ... gesucht
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  §. 6. So zielen und dienen solche hauptsächlich dahin, Erstlich, daß durch solches gebot der hohen obrigkeit eine neue verbindung der unterthanen geschicht. Denn in den sachen, die Gottes wort nicht zuwider, sondern zumahl gemäß gehen, seynd die unterthanen gewissens halben schuldig zu gehorchen, und also über die gemeine pflicht, die iedwederm menschen zukömmet, auch durch satzung ihrer obern verbunden, die rechte religion zu ergreiffen. Die vornehmsten personen aber des landes, in geist- und weltlichen stande, werden an vielen orten mit einem cörperlichen eydesschwur pflichtbar gemacht, bey der wahren religion zu bleiben, oder da sie ja davon abtreten wolten, solches dem landes-herrn anzuzeigen, damit er mit ihnen änderung treffen könne, und durch sie kein ärgerniß im lande einschleiche. Scan 311
  Zum andern, daß durch die kirchen-ordnungen der obrigkeiten die äusserlichen umstände der zeit, orts, und der maasse und weise, welche in göttlichen und religions-sachen zu halten, und sonderlich, da solche umstände in GOttes wort nicht absonder-
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  lich oder unänderlich fürgeschrieben sind, geordnet werden, damit alles ehrlich und ordentlich, andächtig und fein zugehe. Zu solchem ende dienen nun allerhand heilsame puncten der kirchen- und landes-ordnung, als da sind, daß wir dieselbe Summarisch begreifen, die anordnung der kirchen-agenden, oder ceremonien, wie es bey dem öffentlichen gottes-dienst, predigt und feyer der sonn- und fest-tage, und bey reichung der H. Sacramenten, der Tauffe und Heil. Abendmahls, auch andern christlichen handlungen, als hochzeiten und begräbnissen, auch tröstungen der krancken und sterbenden, vieler umstände halben zu halten, zu welcher zeit ein und anders geschehen, was vor gebete, gesänge, vermahnungen, anredungen, darbey vorgehen sollen, was für ceremonien mit creutzen, kleidungen, lichtern, glocken-läuten, und dergleichen, zu halten, von welchen allen ein gewiß Formular oder kirchen-agenda in vielen fürstenthümern und landen verfertiget, oder sonst gebräuchlich, und in den kirchen- und landes-ordnungen in allen diesen puncten, dem gemeinen mann und männiglich zum besten, etliche vornehme stücke, von jedweder solchen heiligen und christlichen handlung verfasset und publiciret, welche darbey zur erweckung christlicher andacht, erhaltung wohlstandes, und zu abwendung des ärgernisses, in acht genommen werden müssen. * So weisen auch solche ordnungen darauf, wie doch die christliche lehre jungen und alten wohl beygebracht, und bey männiglich die rechte wissenschafft von wahrer religion, samt der gottseligkeit und christlichem
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  wandel, gepflantzet werde, darzu denn nicht allein die öffentliche, zu gewisser Zeit angestellte predigten, darinnen solches alles deutlich, ordentlich und einfältig, gelehret werden muß, sondern die anordnung der christlichen erziehung in den schulen, die sonderbare informationes bey der jugend, und anderer unwissender leute, aus dem Catechismo oder kurtzen begriff christlicher lehre, die christliche nachforschung und special-unterweisung, auch brüderliche vermahnung eines jeden insonderheit, und dann die christliche haußzucht, dienet, und anleitung giebet, von welchen im unterschiedlichen Evangelischen kirchen-ordnungen stattliche nachricht zu finden. Und ist also der haupt-nutzen bey diesem stück: 1. Die pflantzung der Christlichen religion, von kindes-beinen auf, bey jungen und alten, durch allerhand vorher gesetzte wege. 2. Eine öfftere übung des lobes und dienstes GOttes, zu aller bequemlichen und gewöhnlichen zeit und gelegenheit. 3. Eine vermehrung der christgläubigen seelen, daß immer mehr und mehr zum wahren christenthum gebracht werden. 4. Eine gleichförmige stifftung christlicher ceremonien, denen zwar kein verdienst zugeschrieben, gleichwol damit andacht erwecket, und ärgerniß, wenn man dieselbe öffters abschaffen und ändern wolte, bey den einfältigen verursachet würde.
  Zum dritten, gehen solche geistliche ordnungen der hohen obrigkeit da hinaus, daß die hindernisse, anlasse und verleitungen, dadurch dem wahren
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  gottes-dienst abbruch geschehe, und zu falscher religion und sündlichen leben der weg bereitet würde, aufs müglichste abgewandt, und aus dem wege geräumet werden, dahin denn in vorigen zeiten gezielet worden, durch abschaffung allerhand abergläubischer überflüßiger ceremonien, bild-wercks, lateinischer unbekandter gebete und gesänge, also genannter geistlicher orden der münche und nonnen, und was dergleichen mehr gewesen: Noch heute zu tage aber behauptet wird, durch allerhand nützliche anstalten, damit die entheiligung der feyertage, versäumung des gottes-dienstes mit zusammenkünfften in zechen, mit spielen, schlaffen plaudern, unnöthigen reisen in örter, da falsche lehre getrieben wird, ohne gnugsamen unterricht der wahren religion, mit abhaltung der jugend von den schulen, und von der information des catechismi vermieden, auch bey der zulassung zur beicht und H. Abendmahl, bey der tauffe, hochzeit und begräbnissen, allerley hinderniß, aberglauben und mißbrauch, verboten wird, darvon in denen unterschiedlichen kirchen- und landes-ordnungen viel nachgelesen werden kan.
  Zum vierdten, wird durch die kirchen-ordnungen der obrigkeit auch dieses gesuchet, daß die leute, welche sich auf Gottes-wort und ihrem eigenen gewissen, für falscher lehre oder ärgerlichem leben nicht hüten wollen, durch sonderbare straffen davon abgehalten werden: Dieselben straffen sind nun zum theil gantz weltlich, als daß nicht allein diejenige, welche wider ihren nechsten durch al-
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  lerhand missethaten sündigen, sondern auch die gotteslästerer, zauberer, und öffentlich verdamte ketzer, durch allerhand straffen an leib und leben, ehre und gut, verweisung des landes und dergleichen, angesehen werden, zum theil aber sind es kirchen-censuren, mit anhangenden weltlichen straffen und executionen, welche zu dem ende vorgenommen werden, daß diejenigen, welche sich mit falscher lehre oder unchristlichen leben und wandel vergriffen, und dadurch die christliche gemeine geärgert, und böses exempel gegeben, unbeschadet der weltlichen straffe, als welche absonderlich verordnet wird, nicht ohne sonderbare bezeigung, demüthige abbittung, und öffentliche fürstellung und vorhaltung ihres unrechts, wieder zur christlichen gemeinschafft mit andern frommen leuten, und zum genuß der Heil. Sacramenten, auch andern christlichen handlungen zugelassen, und also sie selbst vor sünden desto mehr gewarnet, andern gute exempel zur besserung geben: ** Da sie aber dessen allen sich auf unterschiedene erinnerungen, und gebrauchte gradus und maasse weigern, und in unbußfertigen verkehrten sinn dahin gehen wolten, gar aus der christlichen versammlung gestossen, und in den bann gethan werden, biß so lange sie sich zur christlichen bekehrung und öffentlichen kirchen-disciplin, wenden.
  Zum fünfften, und endlich zielen die kirchen-satzungen der obrigkeiten auch dahin, daß dem gottes-dienst, durch allerhand vorschub, unterhaltung derer darzu erforderten gebäuden und diener,
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  und in alle mügliche wege beförderung geschaffet werde *** Zu dem ende sind angesehen die verordnungen von richtiger besoldung der kirchen- und schul diener: Von nutzbarlicher bestellung ihrer güter, zehenden, zinsen und einkommen, von erhalt- und besserung der gebäude an kirchen und schulen, und der geistlichen wohnungen, von immunitäten, freyheiten und ehren-stellen derselben personen. Von sammlung eines vorraths zu mehrern verlag solcher dinge, durch anstellung der gottes-kästen, und sonst in andere wege. Item, von der aufsicht und assistentz der weltlichen beamten, welche zu diesem zweck erfordert werden: Und fliesset aus diesem grunde auch, was wir oben von etlichen sachen angedeutet, die der ursachen halber zu dem geistlichen regiment gezogen werden, weil sie zu desselben beförderung dienen, oder aus gottes wort und dem christenthum ihre beste anstalt und entscheidung finden, oder alter gewohnheit nach, denen geistlichen in aufsicht befohlen worden, worüber denn die weltliche obrigkeiten gleicher gestalt ihre satzungen ausgehen lassen, als da sind allerley verordnungen von hohen und niedern schulen, darinnen nicht alleine die unterweisung in christlicher lehre, sondern auch in andern künsten, wissenschafften und sprachen, geschicht. Hiernechst auch von anstalt und verwaltung der hospitalien, waysen-häuser, siechhäuser, und dergleichen. Also auch von der ordnung des heiligen ehestandes, so wohl, wie derselbe nach Gottes wort
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  und weltlichen rechten, in unverbottener verwandschafft als auch sonst nach willen der eltern, rechtem consens der eheleute, und mit gebräuchlichen christlichen ceremonien, angefangen, und vollzogen werden sollen.
  * Zu wünschen wäre auch wohl, wenn unsere Evangelische kirche eine durchgehende conformität in solchen ceremonien beliebete. Denn obgleich diese dinge an sich gleichgültig, so geben sie doch bey denen unwissenden, welche allemahl den grösten hauffen ausmachen, ingleichen bey anderer religion zugethanen, einen ungleichen eindruck, widrige concepten, und ärgerniß.
  ** Daß diese öffentliche kirchen-censuren mehr den effect einer welt- als geistlichen straffe haben, zudem mit grossem mißbrauch verknüpffet seyn, kan ich jetzo nicht weiter ausführen, weil sonst dieses buch gar zu sehr anwachsen möchte.
  *** Je nöthiger aber dieses stück von einer hohen landes obrigkeit in obacht zu nehmen, je weniger pflegt man, zumahl heutiges tages, darauf zu sehen. Dann insgemein sind zu erhaltung kirchen und schulen und zumahl zu besoldung der dazu gehörigen bedienten kaum die höchstbedürfftigsten mittel gelassen, und wo ein extraordinairer fall sich begiebet, so muß in allen landen darzu gesammlet werden, die Kirchen- und Schuldiener selbst aber müssen offt mehr dorffs- als seelen-hirten abgeben. Wie ich denn leider! verschiedentlich dergleichen prediger, die zugleich schulmeister und organisten abgeben, auch schuldiener, die den winter über informiren, den sommer aber das vieh hüten müssen, angetroffen Wie ich nun glaube, daß ein jeder diese und dergleichen schlechte anstalten mißbilligen wird, also solten noch wohl mittel und wege übrig seyn, daß kirchen und schulen samt deren dienern nach nothdurfft könten versehen werden. Wir wollen dabey von ehemahliger secularisation
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  der geistlichen güter nichts sonderlich gedencken, als wovon bereits oben P. I. C. 4. §. 4. erwehnung geschehen, sintemahl auch hohe häupter dasjenige, was von denen alten überflüßig zu geistlichen sachen gestifftet, und diesen zum stein des anstosses worden, gantz füglich wiederum der Republic zum nutzen verwenden können, nunmehro auch ein jeder das interdictum, uti possidetis, vorschützen wird; doch ist auch dasjenige, was zur pflantzung und handhabung der ehre GOttes gereichet, nicht gantz hindan zu setzen. Das beste mittel hierzu möchte wohl seyn, wenn die in noch guten zustande sich befindende Gottes Cästen u. andere milde stifftungen wohl administriret, und der mit der zeit so denn sich ergebende überschuß denen schlecht versehenen kirchen samt denen dienern zum besten angewendet würden, welcher vorschlag aber allhier wegen mangel des raums nicht umständlicher ausgeführt werden kan. Etwas weniges hat auch der Herr autor davon in den addit §. 11, 12. und 13 gemeldet. Wo nun dergleichen vorsorge übersehen, oder wohl gar die bey einziehung der kirchen-güter noch gewidmete besoldungen vergessen werden, da heist es freylich nach dem sprichwort:
  Kirchen-guth hat eiserne zähne,
Es frist eines mit dem andern hin;
Und bringt dem dritten erben kein gewinn.
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Stand: 2. Oktober 2017 © Hans-Walter Pries