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Zedler: Ehestand [1] HIS-Data
5028-8-360-2-01
Titel: Ehestand [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 8 Sp. 360
Jahr: 1734
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 8 S.195
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Hinweise:
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Übersicht
Erfordernisse der Gerechtigkeit
  Verpflichtung zur Ehe
  Unbequemlichkeiten
 
  für Verheiratete
 
  physikalische Umstände
  moralische Umstände
  für andere
  Vertrag
  Endzweck
  Lust des Mannes
  Herrschaft des Mannes

Stichworte Text   Quellenangaben
  Ehestand, Ehe, ist ein natürlicher Stand, in welchen zwey Personen von unterschiedenem Geschlechte mit einander treten, und sich verbinden, ihre Liebe zur Vermehrung des menschlichen Geschlechts einander alleine zu wiedmen, damit sie die aus solcher Verbindung zu hoffenden Kinder, gewiß vor die ihrigen mögen erkennen, und sie sodann zum Nutzen der menschlichen Gesellschafft wohl erziehen können.  
  Auf diese zum voraus gesetzte Beschreibung des Ehestandes wird sich unsere folgende Betrachtung gründen. Wir werden vor allen Dingen  
  {Sp. 361|S. 196}  
  demjenigen folgen, was uns die sich selbst gelassene Vernunfft lehret. Da aber der Ehestand zugleich unter die Mittel, wodurch unsere zeitliche Glückseligkeit befördert wird, kan gerechnet werden, so wollen wir nicht nur, was in diesem Falle die Gerechtigkeit, sondern auch was die Klugheit erfordert, betrachten.  
Erfordernisse der Gerechtigkeit Der Ehestand ist ein willkührlicher Stand. Ein jeder willkührlicher Stand gründet sich darauf, daß die Anstallten derer Menschen, und deren freyer Wille etwas hierzu beyträget. Die Natur hat zwar überhaupt den Trieb, das Geschlechte fortzupflantzen, denen Menschen eingeprägt. Der Ehestand ist ein Mittel, diesen Entzweck zu erlangen; gleichwohl ist diese Würckung der Natur keines Weges so allgemein, daß alle Menschen derselben unterworffen seyn solten, sondern es ist vielmehr der Willkühr dererselben, wie, wenn, wie offte, und von welchen Personen das Bündniß der Ehe müsse eingegangen werden, annoch überlassen.  
Verpflichtung zur Ehe Daher entstehet die Frage: Ob diejenigen, welche denen Kräfften nach, die Pflichten des Ehestandes zu erfüllen, sich geschickt befinden, schlechter Dings sich in denselben zu begeben verbunden sind? Oder ob sie eine blosse Befugnüß dazu haben, nach ihrem eigenen Gutbefinden sich in denselben zu begeben?  
  Wir antworten also: Wenn wir das gantze menschliche Geschlechte überhaupt ansehen, so ist es desselben Schuldigkeit, sich zulänglich fortzupflantzen. GOtt und die Natur machen nichts umsonst. Da nun der weite Erden-Creiß zu Erhaltung so vieler Menschen hinlänglich ist: der Mensch auch hiernächst die Krafft, sein Geschlechte zu vermehren, bey sich empfindet; und endlich eine solche Vermehrung, in Betrachtung, daß die Kräffte der grossen Gesellschafft dadurch zunehmen, zugleich auch das Werck der Zeugung mit einer Annehmlichkeit verbunden ist, den letzten Entzweck derer Menschen, welcher ihr wahres Wohlseyn und Vergnügen ist, keines Weges verhindert, sondern vielmehr befördert: so ist diese Fortpflantzung des menschlichen Geschlechtes eine Folge des Göttlichen Willens, und also eine denen Menschen obliegende Schuldigkeit.  
  Da aber die durch die Natur hiermit verknüpffte und alle hierbey sich befindende Beschwerlichkeiten überwiegende Annehmlichkeit so einen starcken Eindruck in die menschlichen Gemüther hat, daß sich der wenigste Theil dererselben dieser Pflicht entziehet: und die Menge dererjenigen, welche sich in diesem Falle bemühen, den Mangel dererselben, denen es beschwerlich fället, gar leichtlich ersetzet: so muß es dem göttlichen Willen einerley seyn, ob der Entzweck, daß die Erde bevölckert werde, durch alle, oder durch die meisten, die noch dazu die Versäumniß derer andern gar reichlich ersetzen, ausgeführet werde.  
  Bey dieser Bewandniß der menschlichen Natur siehet man gantz deutlich, daß der Ehestand nur eine Pflicht der Beqvemlichkeit, keines Weges aber der Nothwendigkeit sey. Da nun die oberste Grund-Pflicht der Geselligkeit von niemanden fordert, eine Pflicht der Beqvemlichkeit mit Hintansetzung seiner eigenen, viel weniger, mit Hintansetzung vieler andern ihrer Bequemlichkeit, einem andern zu leisten: so kan auch von niemanden, der die Gabe der Enthaltung hat, bey der jetzigen Beschaffenheit derer Menschen schlechter Dings diese Pflicht nicht gefordert werden, sondern  
  {Sp. 352}  
  es stehet einem iedweden annoch frey, so wohl seine eigene, als die Beqvemlichkeit vieler andern, hierbey in Erwegung zu ziehen.  
Unbequemlichkeiten Daß aber viele Unbequemlichkeiten aus dem Ehestand folgen, kan gar deutlich dargethan werden.  
für Verheiratete Denn was die Personen, die in den Ehestand treten, selbst betrifft, so können sich so wohl physicalische, als moralische Umstände finden, welche den Ehestand höchst verdrüßlich machen.  
physikalische Umstände Was die physicalischen Umstände anbetrifft, so setzen wir zwar überhaupt zum Voraus, daß keine als diejenigen, welche sich nach der Beschaffenheit ihres Leibes und Gesundheit, zur Erzeugung derer Kinder tüchtig befinden, in den Ehestand treten können; dennoch aber können sich auch ausser diesen viele Umstände ereignen, welche denselben höchst unannehmlich machen.  
  Die Ordnung eines wohleingerichteten Wesens erfordert die Beständigkeit im Ehestand. Nichts, als eine augenscheinlich dargethane Untreue des Ehe-Gattens, eine gäntzliche Untüchtigkeit zum Kinder-zeugen, eine dem andern unerträgliche und ansteckende Kranckheit, und eine auf den höchsten Grad getriebene Feindschafft, können nach denen bürgerlichen Gesetzen dieses feste Band wieder auflösen. So annehmlich aber als die ersten Jahre des Ehestandes verstreichen, so leichte kan eine unglückliche Geburt offtermahls, auch eine offt wiederhohlte Geburt und eine unvermuthete Kranckheit dieses Vergnügen zu nichte machen. Hiewieder kan man zwar wohl wieder einwenden, daß nicht nur die sinnliche Lust, sondern auch eine Übereinstimmung der Gemüther der Grund der Liebe seyn müste. Allein man muß in diesem Falle wohl erwägen, nicht wie die Menschen seyn sollten, sondern wie sie selber sind.  
  Ferner so sind die Naturen derer sich verheurathenden Personen nicht gleich. Die Hitze und Kälte dererselben, nebst andern Umständen, die denen in diesem Stücke erfahrenen gar wohl bekannt sind, stimmen nicht überein, woraus denn sehr grosse, ja wohl gar der Gesundheit und dem Leben nachtheilige Unbequemlichkeiten entstehen können. Die wohl anständige Ehrbarkeit verbietet es in diesem Falle eine genaue Untersuchung anzustellen, und eine von weiten her gehohlte Untersuchung ist Theils ungewiß Theils unmöglich. Die äusserlichen Kennzeichen sind vielmehr wollüstige Einbildungen unkeuscher Gemüther, als sichere Merckmahle, und die sich Theils auf einer aus der Tugend entspringenden, Theils auf einer eingebildeten Scham sich gründende Verschwiegenheit derer Menschen macht die Erkenntniß solcher Dinge unmöglich. Endlich so ist der Anfang eines solchen Werckes unterschiedenen Personen so fürchterlich, daß sie das dabey vorkommende Übel vor unerträglich halten.  
  Wer nun die Annehmlichkeit einiger Jahre dem Verdrusse vieler nachfolgenden nicht vorzuziehen vermag; wer sich bey einem, wiewohl nur wegen der Ungewißheit wahrscheinlichen Übel, nichts zuwagen unterstehet, und wer endlich ein zukünfftiges und seines Ortes sehr leicht entbehrliches Vergnügen durch eine ihm fast unerträgliche Unlust zu erlangen sich nicht entschlüssen kan, der stellet ein deutliches Exempel dar, daß der Ehestand mit vielen Unbequemlichkeiten verknüpfft sey.  
moralische Umstände Was die moralischen Umstände anbetrifft, so finden sich gleichfalls unterschiedene Unbequemlichkeiten. Es sind nicht alle Menschen geschickt  
  {Sp. 363 |S. 197}  
  mit einer Person in einem genauern Umgange beständig zu leben. Wir billigen keines Weges einen solchen Eigensinn, und wenn wir dasjenige ins Werck stellen könnten, was wir wünschten, so sollten alle Menschen Meister über sich selbst, und vollkommen seyn. Gleichwohl aber ist bey so viel Leuten das Übel soweit eingerissen, daß sie ihre Fehler zwar wohl unterdrücken, nicht aber gäntzlich ablegen wollen. Sie sind ruhig, wenn sie keinen Gegenwurff ihres Eigensinnes finden, bey dessen daseyn aber können sie sich zwar wohl zwingen, welches ihnen aber wegen des Zwanges eine unsägliche Unlust erwecket. Ein solcher Mensch thut besser, er erwählt aus zweyen Übeln das kleineste, und vermeidet lieber die Gelegenheit sich zu zwingen, als daß er sich durch diesen Zwang in die gröste Unruhe stürtzen soll.  
  Nächst diesem sind die Weiber keine leblose Creaturen, von der blosen Lufft können sie sich nicht ernähren, und so angenehm das Vergnügen des Ehestandes ist, so kan doch weder der Hunger noch der Durst dadurch gestillet, noch der Leib dadurch vor der Kälte bewahret werden. Es müssen also andere Mittel hergeschafft werden, um alles dieses zu erhalten. Ein tugendhaffter, geschickter und fleißiger Mensch, hat zwar Mittel genug, sich vor sich selbst hinzubringen, ob aber sein Vorrath hinlänglich sey, nicht nur eine Frau, sondern auch die aus der Verbindung mit derselben, richtig hervorkommende Folgerungen zu ernähren, ist freylich eine Frage, welche offtermahls mit nein muß beantwortet werden. Daß es aber eine Unbeqvemlichkeit sey, Personen, die man liebet, oder die man doch lieben soll, ohne Versorgung zu sehen, wird wohl niemand leugnen können.  
für andere Dieses sind die Unbeqvemlichkeiten auf Seiten derer verheyratheten Personen selber, auf Seiten anderer äussert sich nachfolgendes.  
  Alle Menschen sind zur Kinderzucht nicht geschickt. Ohne Kinder aber in dem Ehestande zu leben, ist so wohl wieder den Willen GOttes, als auch, so wenig in der Willkühr derer verheyratheten Personen stehet, daß viele Eltern nicht pro caussa efficiente libera, sondern nur pro caussa sine qua non ihrer Kinder angesehen werden.  
  Diese Kinder sollen nun erzogen werden. Wird hierinnen etwas versäumet, so werden nicht alleine die Kinder unglücklich, sondern auch dem gemeinen Wesen zur Last. Alles dieses aber, daß man seine Beqvemlichkeit der Pflicht sich zuvereheligen vorziehen könne, bestehet nur in so ferne, als das verheyrathen keine Pflicht der Nothwendigkeit ist. Findet sich hingegen ein Mangel an Leuten, so ist ein ieder verbunden, diesen Mangel durch das Kinder-zeugen zu ersetzen.  
  Adam, Cain und Abel haben ohne Verletzung ihres Gewissens den Ehestand nicht unterlassen können. Und von Diogene Laertio II. 26. wird erzehlet, daß man zu Athen, nachdem der gröste Theil derer Bürger wäre aufgerieben worden, durch ein Plebiscitum habe verordnen müssen, daß nicht allein ein jeder ein Weib zu nehmen schuldig sey, sondern auch daneben mit andern Frauens-Personen, weil die Anzahl derer Männer, gegen die Anzahl derer Weiber geringer gewesen, Kinder zu zeugen befugt seyn soll, ob gleichwohl sonst bey denenselben die Polygamie verboten gewesen. Durch die-  
  {Sp. 364}  
  sen Umstand, hat auch Socrates seine beyden Weiber die Xantippe und die Myrto bekommen.
  • Pufendorf de Off. Hom. et Ciuis …
  • Thomasius Jurisp. Diu.
  • Müller im Rechte der Natur …
Vertrag Da ein iedweder willkührlicher Stand der Menschen jederzeit einen Vertrag voraussetzet, der Ehestand aber ein solcher willkührlicher Stand ist; so folget, daß der Ehestand sich allemahl auf einen Vertrag gründe. Alles dasjenige nun, was zu einem vollkommenen Vertrag gehöret, dieses wird auch zu dem Ehestande erfordert. Weil aber derjenige Vertrag, auf welchem sich der Ehestand gründet, die Sponsalia, oder das Verlöbniß, genennet wird: so wollen wir die dahin gehörigen Fragen an ihrem Orte erörtern.  
Endzweck Der Endzweck der Ehe ist dieser, daß die Eltern, die aus einer solchen Verbindung zu hoffenden Kinder gewiß vor die ihrigen erkennen, und sie sodann zum Nutzen der menschlichen Gesellschafft wohl erziehen mögen. Die Erzeugung derer Kinder also überhaupt ist nicht allein der Endzweck des Ehestandes, sondern es muß die Gewißheit derer Kinder, und die daher entstehende Erziehung mit in Betrachtung gezogen werden.  
  Nächst diesem Endzwecke werden auch noch andere angeführet, so wohl die Stillungen derer Begierden, und das damit verbundene Vergnügen, als die gesellige Beyhülffe derer Ehe-Gatten werden vor Endzwecke des Ehestandes angegeben. Das beydes keine eigentliche Endzwecke des Ehestande sind, erhellet daher, weil dieselben auch ausser dem Ehestande können erlanget werden. Das mutuum adjutorium oder die gesellige Beyhülffe kan durch andere Verträge so wohl Manns- als Weibs-Personen erhalten werden.  
  Die Stillung der Begierde ist vielmehr der Verbindung mit einer Person zuwieder. Und da man doch die Erzeugung derer Kinder von dem Ehestande als einen Endzweck auszuschlüssen nicht vermag, so verträget sich die Stillung derer Begierden keines Weges mit derselben, als welche ihr vielmehr verhinderlich ist.  
  Ob nun zwar alle beyde nicht vor Endzwecke des Ehestandes können gehalten werden, so haben doch dieselben mit ihm eine genaue Verbindung, und können aus solchen hergeführet werden. In wie weit aber solche Stat haben können, oder nicht, wollen wir bey einem jeden Stücke insonderheit betrachten.  
Lust des Mannes Es ist nemlich die Frage, ob ein Mann bloß seine Lust zu büssen sich seines Weibes bedienen könne? und ob es erlaubt sey, nach geschehener Schwängerung ferner weit sich mit seinem Ehe-Weibe einzulassen? Die Lehrer des Rechts der Natur sind hierinnen nicht einig. Wir wollen dahero die Gründe dererjenigen betrachten, welche mit ja antworten, und hierbey dasjenige, was dawieder kan eingewendet werden, und uns der Wahrheit gemäßer zu seyn scheinet, anführen.  
  Man muß zugeben, daß die Annehmlichkeit, welche sich in diesem Falle ereignet, natürlich sey, sie ist also keines Weges an und vor sich selbst denen göttlichen Endzwecken  
  {Sp. 365|S. 198}  
  zuwider. Menschen zu castriren, oder sich selbst castriren zu lassen, ohne Ursache sich der ehelichen Liebe bloß aus einer vermeynten und gezwungenen Heiligkeit gantz und gar zu entziehen, heisset die Natur und den Schöpffer in seinen Wercken meistern. Der Mensch muß nur diese Lüste durch die Vernunfft auf ihre rechte Endzwecke richten, so sind sie nicht nur höchst unschuldig, sondern gar geboten, nur setzet man dieser vernünfftigen Richtung allzu weite Grentzen. Müller in der Lehre von dem Rechte der Natur 12. §. 11. schlüsset daher, weil die Keuschheit nicht in gäntzlicher Unterdrückung, sondern in vernünfftiger Richtung oder Liebe bestehe, so könnten sich Eheleute dieser empfindlichen Lust zu Beförderung ihrer Liebe bedienen, dahero es ihnen denn auch erlaubt sey, sich nach der Schwängerung mit einander einzulassen.  
  Hierbey aber ist sehr wohl zu erwägen, ob eine solche Beförderung der Liebe einen vernünfftigen Grund habe oder nicht. Wir unsers Orts wollen vielmehr das letztere als das erstere behaupten. Was vor unbillige Anforderungen kan nicht ein wollüstiger Ehe-Gatte an dem andern machen, wenn man eine solche Beförderung der Liebe will zugeben. Darzu, daß beyde Theile zum Kinderzeugen angereitzet werden, ist, wenn die Begierden ordentlich eingerichtet sind, die eintzige Handlung, wovon man die Würckung wahrscheinlich hoffen kan, schon genug, und gebrauchet es keiner fernern Anlockungen.  
  Ob wir nun zwar dergleichen Unordnung im Ehestande nicht vor recht sprechen, so ist es doch eine andere Frage, ob dieselbe aus andern Gründen nicht könne hergeleitet werden, und ob man nicht der Verderbniß der menschlichen Natur in diesem Stücke was nachzugeben habe? Auf eben diese Gedancken gründet sich der andere Schluß, welchen man zu Behauptung dieser Meynung anzuführen pfleget. Man führet die Lehre des Apostels Paulli 1. Cor. 7, 2. seqq. an: Um der Hurerey willen habe ein ieglicher Mann sein eigen Weib, und ein iegliches Weib ihren eigenen Mann. Das Weib ist ihres Leibes nicht mächtig, sondern der Mann, desselben gleichen der Mann ist seines Leibes nicht mächtig, sondern das Weib. Entziehe sich nicht keines dem andern, es sey denn aus beyder Bewilligung eine Zeitlang, daß ihr zum Fasten und Beten Muse habt, und kommt wiederum zusammen, auf daß euch der Satan nicht versuche um eurer Unkeuschheit willen. Es ist besser freyen denn Brunst leiden.  
  So wahrscheinlich als diese Lehre des heiligen Apostels angezogen zu werden pfleget, so bestehet sie doch auf gantz andern Gründen, als man vermeynet. Der Apostel redet nicht ohne Bedingung, er richtet sich nur nach der Verderbniß der Corinthier, und rathet ihnen ein kleineres Übel an, um ein grösseres zu vermeiden. Die erste Einschränckung, die er hinzu setzt, ist diese: Um der Hurerey willen geschehe solches. Ferner sie sollten zusammen kommen, daß sie der Satan nicht versuche, nicht schlechterdings, sondern um ihrer sonst so gewöhnlichen Unkeuschheit willen.  
  Und endlich spricht er ausdrücklich: l.c. 6. seq. Solches sage ich euch aber aus Vergunst, und nicht aus Gebot. Ich wollte aber lieber, alle Menschen wären, wie ich bin. Man siehet hierbey ausdrücklich, daß der heilige Mann in der gantzen Abhandlung  
  {Sp. 366}  
  die Verderbniß derer Menschen vor Augen gehabt habe, denn wäre dieses nicht, so wäre der Satz gantz falsch: Es ist dem Menschen gut, daß er kein Weib berühre. vs. 1.
  Und wenn er sich erkläret, daß er lieber wollte, alle Menschen wären wie er, so gehet seine Meynung nicht dahin, daß kein Mensch solle Kinder zeugen, denn sonst würde das menschliche Geschlechte gar bald untergehen, sondern er zielet nur auf die hierbey vorkommende Unkeuschheit, er saget gleichfalls nicht schlechterdings: ihr sollt der Brunst wegen heurathen, sondern nur, es ist besser zu heurathen, als daß ihr in grösserer und dem gemeinen Wesen schädlichere Dinge verfallet, wenn ihr ja eure verkehrte Neigungen nicht bändigen könnet.  
  Der Satz, welcher von Wolffen in denen vernünfftigeren Gedancken von den gesellschaftlichen Leben derer Menschen 2. §. 23. angeführet wird, daß der Beyschlaff nur ein Mittel sey zur Erzeugung derer Kinder, und daß das Mittel nicht weiter als zur Erreichung des End-Zwecks müsse angewendet werden, ist von der grösten Wichtigkeit. Der Mensch ist zwar zur Lust in diese Welt gebohren, er kan auch die gröste Lust, wenn er der Ordnung der Natur nachlebet, erlangen; er muß aber die Lust, welche nur ein Mittel ist, wohin die Lust des Beyschlaffes gleichfalls gehöret, nicht wieder die Natur zu einem Endzwecke machen.  
  Der Grund, welchen man von denen Thieren hat, daß sie nach der geschehenen Empfängniß sich von einander enthalten, ist nicht gäntzlich zu verwerffen. Denn da wir den Beyschlaff und die daraus entstehende Annehmlichkeit mit denen Thieren gemein haben, so kan man die Ordnung der Natur an denenselben wohl bemercken. Sollte man auch gleich dieses an allen Thieren nicht mercken, so sehen wir doch, da es bey den meisten eintrifft, die Spuren der Natur.  
  Will man auch einwenden, der Mensch habe ein Vor-Recht vor denen Thieren, und könne mehr Lust als die Thiere genüssen, so muß man doch das Vorrecht derer Menschen in gantz andern Stücken, als in sinnlichen Lüsten, und mehr in der Beschaffenheit, als in derselben Anzahl und Graden suchen. Wollte man auch diese Meynung ausser dem, daß man der verderbten menschlichen Natur hierinnen nachsähe, zugeben, so würden die schrecklichsten Folgerungen daraus flüssen, und die Sodomiterey, Knabenschänderey und andere stummen und abscheulichen Sünden vor recht sprechen müssen, weil sie eben den End-Zweck der Lust haben.  
  Man berufft sich ferner auf den Überfluß des Saamens, welchen die Natur denen Manns-Personen gegeben, und könne man sich also dieses Überflusses zu seiner Lust bedienen. Hierbey muß aber annoch erstlich erwiesen werden, daß die Natur und nicht vielmehr die Übermäßigkeit in Essen und Trincken und die verderbte Begierde des Willens diesen Überfluß hervorbringe. Hiernächst wenn man auch einen solchen Überfluß wollte zugeben, so kan man doch nur eine öfftere Erzeugung derer Kinder, und also die Polygamie, nicht aber eine unumschränckte Freyheit, seine Begierden zu stillen, daraus schlüssen.  
  Diejenigen irren noch weit mehr, welche den Saamen des Menschen sogar unter die excrementa rechnen wollen. Sie suchen zwar hierbey  
  {Sp. 367|S. 199}  
  den Schöpffer zu erheben, welcher aus dem allergeringsten das alleredelste zu bereiten fähig sey. GOTT aber will nicht aus leerer Einbildung, sondern aus seinen Wercken erkannt werden, und wer den Wunder-Bau des menschlichen Cörpers genauer betrachtet, wird durch die vielfältigen und wunderbaren Gänge, wodurch der Saame bereitet wird, ingleichen durch die genaue Verwahrung dieses Theiles gar leicht erkennen, daß selbiger nicht ein schlechter Auswurff, sondern das edelste des menschlichen Cörpers sey. Endlich so ist das Vorgeben von dem Nutzen der Superinfoetationis so unbegründet, daß wenn man sich nur nicht die Wollust verblenden lässet, einen grössern Schaden daher zu leiten vermögend ist.  
  Aus diesem allen erhellet zur Gnüge, daß die Restinctio Libidinis in dem Ehestande zwar wohl vor ein zugelassenes Mittel, um ein grösseres Übel zu vermeiden, keines Weges aber vor ein eigentliches und von der Natur verordnetes Mittel kan gehalten werden. Und ist also die Unkeuschheit im Ehestande ebenso wohl Sünde als ausser demselben. Heegen Dissert. de Gamomoechia, vulgo Eheliche Buhlschafft.
  Deswegen die Enthaltung vom Beyschlaffe nach geschehener Schwängerung die Menschen zum Lobe gerechnet, wie aus dem Exempel der Kayserin Zenobiae beym Trebellio, Pollione und des Kaysers Pescennii Nigri beym Spartiano in eius Vita 6. zu ersehen.  
  Was das andre anbelangt, nemlich das mutuum adjutorium, so ist dasselbe gleichfalls kein wesentliches Stücke des Ehestandes, sondern es wird dasselbe nur unter gewisser Bedingung, die aus der Beschaffenheit derer Eheleute entstehet, nothwendig. Man muß in diesem Falle seine Gedancken auf die Erziehung ihrer Kinder richten. Da es nun Eheleute geben kan, dergleichen die Hohen dieser Welt sind, die wegen ihrer weitläufftigen Umstände eine gantz andere Einrichtung in ihrem Hauß-Wesen, als im gemeinen Leben gewöhnlich ist, haben: so ist unter selbigen das mutuum adjutorium nicht nothwendig; hingegen da in dem gemeinen Leben die Erziehung und der Unterhalt derer Kinder auf keine andere Art und Weise als durch ein wohleingerichtetes Hauß-Wesen kan erhalten werden: so ist bey solchen Umständen die gesellige Bey-Hülffe vor eine Nothwendigkeit zu achten. Dahero denn Grotius de Jure Belli et Pacis … gar recht saget: Conjugium naturaliter esse existimamus talem cohabitationem maris cum femina, quae feminam constituat quasi sub oculis et custodia maris. Ungeachtet dieses, weil es allzu weitläufftige Begriffe giebet, vor keine Definition des Ehestandes zu halten, und deswegen in dieser Betrachtung von  
 
  • Kulpisio in Collegio Grotiano
  • Zieglern in Not. ad Grotium
  • Böclern
  • Henninges
  • Hochstättern in Colleg. Pufendorf
 
  mit Recht verworffen worden.  
Herrschaft des Mannes Eben aus dieser Betrachtung des Hauß-Wesens[1] und nicht der eigentlichen Beschaffenheit des Ehestandes flüsset, daß der Mann des Weibes Herr sey, welches aber annoch so zu verstehen, daß der Mann gnugsamen Verstand, seinem Hauß-Wesen vorzustehen, besitze: Anderweitig die Herrschafft dem klügsten Theilen müsse einge-
[1] HIS-Data: vergl. Haus-Wirth
  {Sp. 368}  
  räumet werden. Und ist also eine solche Herrschafft mehr eine mit Liebe und Freundschafft geführte Lenckung als eine unumschränckte Gewalt über den Ehe-Gatten zu nennen.  
  Daß aber die bürgerlichen Gesetze dem Manne die Herrschafft schlechterdings zuschreiben können, rühret daher, weil solche Gesetze dasjenige, was gemeiniglich zu geschehen pfleget, verordnen, damit dieselben, in so ferne als es möglich ist, gemeine Regeln,, nicht aber Sätze von sonderbaren Zufällen seyn mögen, und muß man dieses jederzeit in der Zusammenhaltung derer natürlichen und bürgerlichen Gesetze wohl bemercken.  
  Doch sind in diesem Stücke viele mit uns nicht einig. Etliche beruffen sich auf den natürlichen Vorzug derer Männer, und führen dißfalls den Aristotelem ad Nicomachum VIII. 13. an. Alleine dieser natürliche Vorzug findet in der Erfahrung so vielen Widerspruch, daß dessen nichtiger Grund sattsam deutlich ist. Andere hingegen beruffen sich auf die Heilige Schrifft, und führen das Gebot GOttes Gen. 3, 16. an, dein Wille soll deinem Manne unterworffen seyn.
  • Hornius in politic. I. 1.
  • Henninges in Not. ad Grotium
  Alleine dieses ist mehr vor eine Special-Straffe des Weibes, als vor ein allgemeines natürliches Gesetz zu halten und in dem Paradiese würde die Herrschafft nicht Stat gehabt haben.
  Es will zwar Kulpisius in Collegio Grotiano … behaupten, es würde auch diese Herrschafft im Stande der Unschuld geblieben seyn. Er beziehet sich dißfalls auf die Worte Paulli 1. Cor. 11. 7. das Weib sey des Mannes Ehre. und der Mann sey nicht vom Weibe, sondern das Weib sey vom Manne, er sey nicht geschaffen um des Weibes Willen, sondern das Weib um des Mannes willen. Doch diese Worte sind so deutlich nicht, daß man eine Herrschafft des Mannes über das Weib führen könne, da hingegen Theils der Satz gewiß ist, daß wir dem Stande unserer Natur nach, und wie dieselbe ohne Verderbniß zu betrachten ist, einander alle gleich sind, und die Unterwerfflichkeit erstlich von unserer Verderbniß herrühret, daß also auch im Stande der Unschuld keine Herrschafft zu finden gewesen wäre.  
 
  • Grotius de Jure Belli et Pacis
  • Boecler in Notis ad hunc locum
  • Velthusius de Pudore Nat. …
  • Kulpisius in Colleg. Grot. …
  • Pufendorf de Jure Nat. et Gent.
 
  wollen zwar eine solche Herrschafft des Mannes über sein Weib dahin leiten, daß der Mann den Anfang zu der ehelichen Gesellschafft mache, und sich die Frau der Herrschafft des Mannes freywillig unterwürffe; alleine dieses kan vor keinen Grund einer solchen Herrschafft gehalten werden, indem derjenige Theil, welcher bey einem Bündnisse den Anfang machet, keines Weges einiges Vorrecht erhält, wie denn auch, daß der Mann den Anfang machet, mehr aus einem Gebrauche als aus der Natur entspringet; daß sich aber die Frau freywillig unter die Herrschafft des Mannes begeben soll, ist eben dieses, was annoch soll bewiesen werden, und kan  
  {Sp. 369|S. 200}  
  man ohne Voraussetzung eines ausdrücklich geschlossenen Bündnisses dieses nicht so schlechterdings behaupten.  
  Proeleus in Grund-Sätzen des natürlichen Rechts … nebst Ridigern in Inst. Eruditionis … wollen zwar demjenigen Theile, welcher den meisten Verstand habe, in dem Ehestande die Herrschafft beylegen. Alleine so schlechterdings nur auf den Verstand zu sehen, ist nicht genug, indem dadurch nur ein unvollkommenes Recht entstehet, welches nichts anders anzeige, als daß iemand zur Herrschafft geschickt sey, nicht aber, daß er dieselbe würcklich erlangt habe. Denn wenn dieses Principium angenommen werden solte, so würden in denen andern Gesellschafften, als zwischen Regenten und Unterthanen daher die grösten Zwistigkeiten entstehen, Treuer in Obseru. ad Pufendorfium de Officio Homin. et Ciu.
  Es bleibt also dabey, was wir oben gesetzet, daß eine sich auf Freundschafft und Verstand gründende Lenckung in Ansehung des Haus-Wesens dem Manne übrig bleibe. Müller im Rechte der Natur …
  Die vornehmste Pflichten im Ehestande bestehen in Erweisung einer dem End-Zwecke des Ehestandes gemässen Liebe, die Zeugung derer Kinder ermahnet einen ieden insonderheit an dasjenige zu dencken, was wir die eheliche Pflicht zu nennen pflegen. Kein Theil darff den andern, der den gerechten End-Zweck hat, hierinnen zu wider seyn. Leute, die theils durch ihr Alter, theils durch die Natur,, theils durch andere Zufälle in die Umstände versetzet worden sind, daß sie sich zu Erfüllung dieser Pflichten nicht mehr tüchtig befinden, sind gantz und gar von dem Ehestande abzuhalten, damit nicht dieser heilige Stand zum Deck-Mantel der Bosheit werde. Die Auferziehung der Kinder erfordert die allergenaueste Freundschafft derer Eltern; dahero dieses das allerheiligste Bündniß ist, welches die Menschen mit einander schlüssen können. Vermischt sich ein Ehe-Mann mit einer Person, so beleidigt er dadurch die Pflicht einer seinem Ehe-Weibe zugesagten Treue, welches Verbrechen der Ehebruch genennet wird.  
  Ob eine Ehe nach dem Rechte der Natur unauflößlich sey, ist unter dem Titel, Ehe-Scheidung betrachtet worden.  
     

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Stand: 3. Januar 2023 © Hans-Walter Pries