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Zedler: Gewohnheit HIS-Data
5028-10-1398-3
Titel: Gewohnheit
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 10 Sp. 1398
Jahr: 1735
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 10 S. 716
Vorheriger Artikel: Gewohnet seyn des Bösen
Folgender Artikel: Gewohnheits-Zeddel
Siehe auch:
Hinweise:

  Text   Quellenangaben
  Gewohnheit, Lat. Consuetudo, bedeutet überhaupt alle diese Handlungen, welche durch öfftere Wiederholung uns geläufig geworden.  
  Daß dieses geschiehet, können sowohl äusserliche als innerliche Ursachen seyn. So ist bey manchen Menschen eine Neigung zu Lastern, wodurch, wenn eine kleine Übung dazu kommet, gar geschwinde es zur Fertigkeit gedeyet.  
  Von aussen machet eine Gewohnheit, wenn man eine Handlung öffters siehet, da man denn bey nahe unvermerckt sich eben dergleichen angewöhnt. Nimmt man denn die Sache öffters vor sich, so werden wir immer fertiger darinnen. Daher ist gegründet, was man im Sprichworte saget: Consuetudo est altera natura, nur daß solches die Gerechtsame einer Handlung noch nicht darthut. Denn zielet die Gewohnheit auf was gutes, so ist sie lobens-würdig; hat sie aber böses zum Zweck, so ist sie verwerfflich.  
  Haben wir uns also was böses angewöhnet, so müssen wir uns solches wieder abgewöhnen. Selbiges geschicht Theils in Ansehung des Verstandes, welcher überzeuget wird, daß unsere Gewohnheit böse, Theils in Ansehung des Willens, welchen wir am besten dadurch bezwingen, wenn wir ihn auf das Gegentheil führen wollen; doch muß solches eben auf die Art geschehen, wie es mit der abzugewöhnenden Gewohnheit zugegangen, nemlich nach und nach, weil sonst ein weit grösseres Übel entstehen würde, wenn man solches auf ein Mahl thun wolte. So würde z.E. ein Mensch, der sich aus Gewohnheit oder bishero ungemein an das Taback-Schnupfen gewöhnet, sich auf ein Mahl schaden, wenn er mit eins davon ablassen wollte.  
  Bey denen Juristen ist die Gewohnheit oder das Herkommen, so durch einen langen Gebrauch in einer Societät, Policey oder Gemeine, daß es ein Recht sey, vernünfftig eingeführet und hergebracht ist, auch vor Recht gehalten, ob es gleich nicht durch Gesetze geboten.
  • l. 32. §. 1. π. de L. I. 35. eod.
  • §. 9. Inst. de J.N. et G.
  Eines jeden Beginnen aber, daß dieser oder jener vornimmt, oder vielen eine Zeit lang nachgelassen worden, mag eine solche rechtliche Gewohnheit nicht geheissen werden.  
  Es kann eine Gewohnheit eingeführet werden, nicht allein in einer Republic, wo das Regiment durch das gantze Volck oder die Vornehmsten im Volck geführet wird, sondern auch in einer Monarchie, nicht zwar, daß die Gewohnheit ihre Gültigkeit vom Volcke habe, sondern von der Majestät oder dem Regenten: denn das Volck oder die Bürger führen nur die Actus ein; daß es aber die Art eines Gesetzes überkomme, rühret her von der Wissenschafft, welche wenigstens vermuthet wird, und von der Ge-  
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  nehmhaltung eines Regenten.
  • Struu. S.C. Ex XI. th. 19.
  • Hunn. Encycloped. Jur. Part. I. 4.
  • ab Andler in Corpor. Const. Imp. Dom. 2. v. Consuetudo.
  Es wird aber zu einer beständigen Gewohnheit erfordert:  
 
1) daß sie nicht irraisonabel oder unbillig sey;
 
 
2) daß sie durch unterschiedene Actus eingeführet;
 
 
3) und es eine geraume Zeit hero so gehalten worden.
 
  So viel das erste Requisitum betrifft, soll die Gewohnheit nicht seyn wieder das natürliche und göttliche oder auch Völcker-Recht, und wieder die Erbarkeit. Solchem nach sind ungültige Gewohnheiten, oder viel mehr Corruptelen:  
   
 
  • wenn bey dem Schiffbruch Schiff-Waaren und Menschen der Obrigkeit verfallen seyn sollen, welches sie sonsten ein Grund-Ruhr-Recht nennen;
 
 
  • wenn ein Fuhrmann mit dem Wagen umwirfft, und dadurch ein Mensch erschlagen wird, daß er der Obrigkeit mit Pferd und Wagen verfallen seyn soll;
Ord. Crim. Art. 218.
 
  • daß ein Mörder von der Todes-Straffe frey sey.
Carpz. IV. 9. 6.
  Dergleichen unbillige Gewohnheiten den Verbrecher nicht einmahl von der Straffe frey machen, es sey denn ein kleines Verbrechen, oder durch das bürgerliche Gesetz verboten gewesen. Struu. Disp. de Consu. ration. et irrat. Jen. 1667.
  Im übrigen kan die Gewohnheit wohl seyn wieder die Ration der bürgerlichen Gesetze. Auch ist nicht sofort diejenige vor unbillig zu achten, welche etwas hart zu seyn scheinet. Demnach ist die Gewohnheit gültig: daß ein Weib des Mannes Schulden bezahlen müsse. Carpz. I. Dec. 60.
  Vor das andere werden unterschiedene Actus erfordert; in raren Fällen zum wenigsten zwo, Carpz. II. 3. 22. in fin.
  in Sachen aber, die öffters vorkommen, müssen derer mehr vorhanden seyn, welches auf des Richters Gutbefinden ankömmt.  
  Es müssen aber die Actus öffentlich, beständig, einander conform seyn: denn die wiedrigen Actus, ob sie zwar die schon eingeführte Gewohnheit nicht können aufheben, so verhindern sie doch, daß die Gewohnheit nicht eingeführet werde.  
  Es sind aber hinlänglich sowohl die ausser-gerichtlichen als gerichtlichen Actus, wie denn auch nicht schadet, daß die erstern Actus wieder die Civilen-Gesetze gewesen, oder daß diejenigen, welche die Actus subpeditiren, die Meynung eine Gewohnheit einzuführen nicht gehabt.  
  Drittens wird eine geraume Zeit erfordert. Die Zahl derer Jahres aber ist zwar, nach Kayserlichen Rechten, nicht benennet, sondern beruhet auf Ermessen eines Richters, wie viel Jahre, nach Gelegenheit der Sache und deren Richtigkeit, nöthig, daß die Genehmhaltung hoher Obrigkeit daraus zu vermuthen oder abzunehmen. Gail. II. Obs. 31.
  Zwar die Sächsischen Rechte erfordern zur Einführung einer Gewohnheit 30. Jahr, Jahr und Tag. Carpz. II. 3. 21.
  Wenn aber jemand sich auf eine Gewohnheit bezühet, so lieget demselben ob, solche zu beweisen. Es langt aber nicht die Adsertion eines Rechts-Gelehrten oder eines Richters, ja nicht einmahl eines Fürsten; denn in denen Stücken, welche Facti sind, gar leicht mag geirret werden; Carpz. I. Def. 3.
  sondern es müssen, nebst der Zeit, die Actus, wodurch die Gewohnheit, dem Vorgeben nach, in-  
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  duciret seyn solle, bewiesen werden, und zwar nicht taliter, qualiter, sondern vollkömmlich.  
  Coler de Process. Exsecut. p. 1. c. 3. n. 34. giebt hierzu folgende Einleitung: Man solle ein und andere alte Actus, so weit man kommen kan, anführen; nächst dem einige Actus neulichster Zeit, so wären alsdenn die Actus der mittlern Zeit zu praesumiren, auch wäre zugleich lapsus temporis, (die Zeit) als das dritte Requisitum bewiesen. Dieses ist nicht nöthig, daß bewiesen werde, es sey die Gewohnheit nicht irraisonable. Meu. II. d. 378.
  Wäre aber eine Gewohnheit kundbar, so ist sie zwar noch zu adlegiren, sie brauchet aber keines Beweises, jedoch muß die Notorietät zu Zeiten bewiesen werden. Ingleichen wenn sie geschrieben oder zum Druck befördert, zumahl mit Obrigkeitlicher Auctorität; wiewohl sie dieser wegen zu denen geschriebenen Gesetzen nicht zu rechnen, weil man dieses Andenckens wegen thut. Sollte auch hohe Obrigkeit die Gewohnheit confirmiren, so behält sie doch die Art der Gewohnheit, hat auch ihre Gültigkeit nicht von der Zeit der Confirmation, sondern vorhero; jedoch brauchet es keines mehrern Beweises.  
  Endlich hat eine zu Recht beständige Gewohnheit gleichmäßige Würckung mit dem geschriebenen Recht; solchem nach hebet es die vorgehenden Gesetze auf. Aber wie, wenn das Gesetze die künfftige Gewohnheit inhibiret? Alsdenn mag die Gewohnheit die vorigen Gesetze nicht cassiren; es sey denn Sache, daß andere Ursachen und Umstände der Zeit, da die Gewohnheit inducirt wird, sich finden, welche vorhero dem Legislatori nicht bewust oder damahls vorhanden gewesen.  
  Im übrigen bleibet man bey der Gewohnheit stricte, in denen Fällen, worinnen sie induciret, und mag auf andere Fälle nicht einmahl, wegen Gleichheit der Ursache, gezogen werden, welches jedoch fehlet in solchen Gewohnheiten, so in einer eignen Art der Sache, Caussarum genere, als von denen Lehn-Gütern handeln.
  • Rosenthal de Feud. I. c. 15.
  • Gundlingiana VII. n. 3.
  • Müllers Natur- und Völcker-Recht 19. §. 4. p. 648.
     

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Stand: 24. Januar 2013 © Hans-Walter Pries