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Zedler: Gott [9] HIS-Data
5028-11-295-17-09
Titel: Gott [9]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 11 Sp. 324
Jahr: 1735
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 11 S. 179
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Folgender Artikel: Gott [10]
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel

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Übersicht
Wesen Gottes (Forts.)
  Beschreibung Gottes (Forts.)
 
  bejahende Eigenschaften
 
  Verstand Gottes
  göttlicher Wille und Macht

Stichworte Text  
bejahende Eigenschaften Es hat uns aber der Begriff, daß GOtt ein von der Natur wahrhafftig unterschiedenes Wesen sey, verschiedene verneinende Eigenschafften GOttes an die Hand gegeben; da wir aber auch oben gesehen, daß GOtt die erste Grund-Ursache aller Dinge ist, so wird uns dieses, so viel die menschliche Schwachheit zuläst, auch auf bejaende Begriffe leiten.  
  Es äussert sich GOtt durch die Schöpffung, und durch die Erhaltung der Welt. Würdigen wir dieses eines genauern Anschauens, so entdecket sich allenthalben unsern Augen ein allweisester Verstand, ein gerechter sowohl als allgütiger Wille, und eine überschwenckliche Allmacht.  
  Was sonst etwa noch von GOtt bejaende Eigenschafften vorkommen sollten, wird sich gar leichte unter nur genannte 3. beschlüssen lassen, denn alle bejaende Eigenschafften GOttes sind Thätigkeiten GOttes gegen die Natur, und zwar vollkommen wohl und mit unbeschreiblicher Kunst abgerichtete Thätigkeiten, die von keinem andern, als von einem freyen und willkührlich-würckenden Wesen ausgeübet werden können. Da nun aber unsere Gedancken menschlicher Weise geschehen, so können wir uns freylich die Freyheit und Willkührlichkeit in GOtt nicht anders als menschlich vorstellen, nemlich als einen vollkommenen vernünfftigen Verstand, vollkommenen Willen und vollkommenen Macht, das, was man gedenckt und will, würcklich auszuführen. Denn soll menschlicher Weise etwas durch willkührliche Thätigkeit hervor gebracht werden, so kann es ohne Verstand, Wille und Macht nicht geschehen, dahero müssen auch alle bejaende Eigenschafften oder Thätigkeiten GOttes gegen die Natur auf obgedachte Begriffe hinaus lauffen.  
Verstand Gottes Von dem Verstande GOttes also zu reden, werden wir nicht besser thun können, als wenn wir Müllern Metaph. ... welchem wir so bey Ausarbeitung dieses Articels das meiste zu dancken, seine Gedancken abborgen. Wir befinden nemlich bey Betrachtung der Welt so einen vortreflichen Zusammenhang und Ausfluß eines aus dem andern, daß überall unverwerffliche Zeugen eines weisen Wesens auftreten, welches dieses alles so weißlich geordnet und gemacht, daß, wer nur seine Augen nicht muthwillig verschlüssen will, allenthalben Spuhren von dem allervollkommenesten Verstande, der dieses alles so eingerichtet, antreffen wird.  
  Da nun aber der menschliche Verstand, wenn er auch  
  {Sp. 325|S. 180}  
  die Geschicklichkeit, deren er von Natur fähig ist, auf den höchsten Gipfel gebracht hat, nur einige kleine Theile derer in der Natur selbst an einander hangenden Reihen derer Dinge in seinen Begriffen zu erreichen fähig ist, so muß hingegen der göttliche Verstand, oder die göttliche Weißheit, indem GOtt der Schöpffer und Erhalter aller Dinge ist, unstreitig auch die gantze ungeheure Subordination aller Dinge in der gantzen Welt, ja, da GOtt unendlich, und an die endlichen Determinationen, die er denen weltlichen Dingen gesetzet, nicht ein Mahl gebunden ist, unendlich weiter sich erstrecken, so, daß wenn GOtt auch einen der gantzen Natur vollkommenen adaequaten Verstand, der die gantze Natur vollkommen zu übersehen vermögend wäre, erschaffen hätte, selbiger dennoch vom göttlichen Verstande noch eben soweit als die Natur von GOtt, das ist, als die Endlichkeit von der Unendlichkeit unterschieden seyn würde.  
  Doch aber selbst dabey, daß wir GOtt einen Verstand zuschreiben, muß man sich wohl in Acht nehmen, daß das Wort Verstand nicht in seiner gewöhnlichen natürlichen Bedeutung vor eine oder etliche in GOtt, wie in uns Menschen befindliche determinirte Kräffte, eine Erkenntniß, die man vorher nicht hatte, zu erlangen, genommen werde, und also die Anthropopathie in einen verwerfflichen Anthropomorphismum degenerire. Denn der göttliche Verstand ist eine Würckung GOttes in die Natur, die denen Würckungen unsers Verstandes nur ähnlich siehet. Es können demnach in GOtt keine Sinne, kein Gedächtniß, keine Urtheilungs-Krafft, keine Dichtungs-Krafft, und überhaupt keine Vernunfft in natürlichem Verstande seyn, weil selbige mit allen ihren Kräfften eben GOtt allererst erschaffen als eine Fähigkeit, die einen von Natur unwissenden Geist voraus setzet, dem sie zu einem nothdürfftigen Mittel verliehen worden, die Unwissenheit zu vertreiben, und die zu seinem Zwecke nöthige Wissenschafft zu erlangen.  
  Kann man nun also GOtt keinen natürlichen Verstand zuschreiben, desto weniger werden sich die Würckungen des Verstandes von ihm sagen lassen, als daß GOtt um etwas erkennen zu können, es erst empfinden müsse, das empfundene mercke, oder sich dessen erinnere, und hierdurch die Ideen derer Dinge erlange, diese als concretas in ihre abstracta zergliedere, und aus diesem Grunde die Ideen in Propositionen zusammen ordne, aus deren einer er andere vorher unerkannte Wahrheiten durch Schlüsse heraus bringe und demonstrire, vielweniger, daß er etwas wahrscheinlich vermuthe.  
  Da indessen GOtt der Schöpffer des menschlichen Verstandes ist, so erkennet er, ob gleich sein Verstand selbst nicht menschlich ist, doch das verborgenste des menschlichen Verstandes. Der das Ohr gepflantzet hat, sollte der nicht hören: der das Auge gemacht hat, sollte der nicht sehen: Ps. 94. 9. GOtt selbst braucht zur Erkenntniß dessen kein Auge, Ohr und dergleichen natürliche Kräffte, weil er ein übernatürliches Wesen ist, und also auch die sich selbst gelassene richtige Vernunfft, als einen Hertzens-Kündiger verehret. Wir verneinen also von GOtt alle diejenigen Eigenschafften des Verstandes, welche natürlich und endlich. Also kann dem göttlichen Verstande kein erstes Principium gesetzet seyn, aus welchem seine in der Ordnung der Natur hervorleuchtende Weisheit, wie etwa die menschliche aus dem ihrigen, auf eine von der Freyheit oder dem Willen GOttes independente Art sollte flüssen müssen.  
  {Sp. 326}  
  Es irren also die Scholastischen Weltweisen, wenn sie gesagt, daß man die Wahrheit in dem Verstande GOttes antecedenter ad voluntatem Dei, das ist, nicht als von dem freyen Willen GOttes dependirend, sich vorstellen müsse. In dem menschlichen Verstande ist es zwar also, dessen Wahrheiten und deren Erkenntniß von seinem endlichen Principio cognoscendi und der Natur derer Dinge oder Obiecte, diese beyde aber nicht von der Freyheit der menschlichen Seele, sondern von GOTT und Natur dependiren; GOTT aber durch die Wahrheit den menschlichen freyen Willen, nicht aber jene durch diesen, will gemeistert haben; dahero freylich die Wahrheit der menschlichen Erkenntniß von dem menschlichen Willen independent ist.  
  Aber auch dieses läst sich auf den göttlichen Verstand nicht deuten. Denn da der göttliche Verstand und Wille nicht zwey unterschiedene Dinge in GOTT selbst, sondern nur zwey unterschiedene Verhältnisse der einigen gantz einfachen GOttheit gegen die Welt sind, die wir nur wegen der Ähnlichkeit, die sie mit denen Würckungen unsers Verstandes und Willens haben, vermittelst der Anthropopathie uns unter dem Bilde eines Verstandes und Willens vorstellen, so hebt sich von sich selbst auf, wenn man fraget, ob Verstand oder Wille eines dem andern in GOtt vorgehe, und welches von einander dependire? GOtt ist untheilbar.  
  Reden wir also von dem Willen oder dem Verstande GOttes, so ist es GOtt selbst. Er hat durch die Schöpffung, und also offenbarlich durch seinen Willen aller in der Natur hervor leuchtenden Weisheit ihre ersten Principia gesetzet. Er ist der Schöpffer derer Elemente und Geister, welche die Principia der natürlichen Weisheit sind, die in dem Zusammenhange derer Dinge selbst anzutreffen. Er ist der Schöpffer derer Sinne und der Vernunfft, welche das Principium der menschlichen Weisheit sind. Er ist der Urheber aller Zwecke derer Dinge, als des Principii aller moralischen Weisheit: Da nun alles in dem göttlichen Willen seinen Ursprung hat, und durch angezeigte Principia alle erschaffene Weisheit eben endlich und umschränckt ist, indem sie sich über dieselbe nicht erstrecken kann, so kann die erschaffende Weisheit selbst kein Principium, das sich ad voluntatem creandi antecédenter verhalte, weil, wenn sie wie die menschliche Weisheit antecedenter ad voluntatem humanam in die Grentzen determinirter Principiorum eingeschräncket wäre, sie unstreitig endlich, und folglich nicht göttlich seyn müste.  
  Es bleibt also, wie schon gesagt, dabey, daß der göttliche Verstand kein determinirtes Principium habe, aus welchem seine in der Ordnung der Natur hervorleuchtende Weisheit auf eine von dem Willen GOttes independente Art flüssen sollte. Ob nun gleich die göttliche Weisheit, in so ferne sie in denen natürlichen Wercken GOttes auf eine endliche Art determinirt befunden wird, sich unserm Verstande in einer fortwährenden Folge des einen aus dem andern darstellet, und also die Existentz derer natürlichen Dinge sowohl als unserer Ideen von demselben an gewisse Grentzen der Zeit, in welcher das folgende aus dem vorhergehenden erfolget, gebunden ist, so kann doch in GOtt selbst, weil er ein von der Natur unterschiedenes Wesen, und also ausser aller Zeit ist, unmöglich, wie etwa in der Natur und in denen Würckungen des menschlichen Verstandes, eines auf das andere folgen, sondern die gantze Folge der Zeit, und  
  {Sp. 327|S. 181}  
  die gantzen in derselben auf einander folgenden Reihen aller Dinge und deren in denen menschlichen Seelen durch sie erweckten Gedancken und Begierden müssen nothwendig dem göttlichen Wesen alle zugleich und das eine so unmittelbar als das andere, und nicht etwa auf ein Mahl nur ein Theil der Zeit und derer in ihr geschehenen Dinge gegenwärtig seyn.  
  Es ist also eben Falls nur auf menschliche Weise gesprochen, wenn man GOtt eine Vorhersehung zuschreibt, weil in GOtt keine Zeit, und also auch kein Vorhersehen Stat hat. Von der Vorsehung GOttes aber selbst werden wir unten unter Vorsehung GOttes reden.  
  Da endlich das Wesen einer menschlichen Gedancke ein mehrers nicht in sich halten kann, als nach ihrem Principio möglich ist, so kann GOtt, wenn wir ihn nach derjenigen Thätigkeit betrachten, die wir uns unter dem Bilde eines göttlichen Verstandes vorstellen, weder an die Grentzen, die er seiner Weisheit in der Natur, noch vielweniger an diejenigen, die er dem menschlichen Verstande durch die Schöpffung mit freyer Bestimmung determinirter Principiorum gesetzet, und folglich an gar keine Grentzen gewisser durch ein Principium determinirter Möglichkeiten und Unmöglichkeiten gebunden seyn.  
  Also demnach, wenn wir den in GOtt zu suchenden Ursprung der in der Natur zu erblickenden Weisheit einen Verstand nennen, von solchem Verstande aber alle natürlichen Einschränckungen durch die Abstraction hinweg thun, als neulich die Einschränckung in die Grentzen eines determinirten Principii, die determinirte Folge des folgenden aus dem vorhergehenden, Krafft deren nicht beydes zugleich, sondern nur eines nach dem andern existiren kann, und endlich die Einschränckung in die Grentzen gewisser Möglichkeiten, welche, und nicht ein mehrers, ein gewisses determinirtes Principium zuläst, so überkommen wir eine richtige Idee von der Allweisheit und Allwissenheit des göttlichen Verstandes, so weit sie dem menschlichen Verstande aus dem Grunde, daß GOtt ein von der Natur unterschiedenes Wesen sey, aufs höchste durch blos verneinende Ideen und Schlüsse zu erreichen möglich ist.  
göttlicher Wille und Macht Gleiche Bewandniß hat es mit dem göttlichen Willen und Macht. Wir Menschen finden in uns eine Fähigkeit, Zwecke und Mittel zusammen zu ordnen, so, daß wir Zwecke wollen, und zum Gebrauch derer dazu dienlichen Mittel uns entschlüssen, welche Fähigkeit wir unsern Willen nennen, gleichwie hingegen die Kräffte der Natur, so weit der Gebrauch derselben unserer Freyheit der Gestallt unterworffen ist, daß wir durch selbige, als durch Mittel, unsere abgezielte Zwecke zu erlangen, und zur würcklichen Existentz zu bringen vermögen, unsere Macht heissen. So stellen wir uns auch die Thätigkeit, durch welche GOtt die in der Natur so richtig auf einander passenden Zwecke und Mittel erlesen, als einen Willen oder Rathschluß GOttes, die Thätigkeit aber, durch welche GOTT solches alles vermittelst der Schöpffung und Erhaltung würcklich herzustellen vermag, als die Macht GOttes.  
  Wir mercken aber nochmahls, daß solches nur nach menschlicher Weise gesagt werde, sintemahl beyderley Thätigkeit, so deutlich auch ihre Existentz, in so fern sie sich in der Natur auf die in derselben determinirte endliche Art äussert, uns in die Augen leuchtet, dennoch von Seiten GOttes, als eines von der Natur unterschiedenes Wesens, der menschlichen Vernunfft unbegreiflich ist. Es hat also der bejaende Begriff, den wir sowohl  
  {Sp. 328}  
  von dem Verstande oder der Allweisheit GOttes als auch von dem Willen u. der Allmacht GOttes haben, zu seinem wahrhafften Gegenstande das, was allen dreyen Begriffen gemein ist, nemlich die ungezweifelte That und Würckung GOttes, durch welche er der Schöpffer und Erhalter der Welt ist. Denn wenn der menschliche Verstand von dieser göttlichen Thätigkeit den in ihr zu suchenden ersten Grund der gantzen so richtig an einander hangenden Folge derer Dinge auseinander abstrahiret, so ist solcher abstracter Begriff die eigentliche Idee des göttlichen Verstandes oder der göttlichen Weisheit.  
  Wenn der menschliche Verstand von eben derselben göttlichen Thätigkeit den in ihr eben Falls zu suchenden ersten Grund derer in der Natur denen Dingen bestimmten Zwecke und Mittel abstrahiret, so ist solcher abstracte Begriff die eigentliche Idee des göttlichen Willens. Wenn endlich der menschliche Verstand von der gedachten göttlichen Thätigkeit den in ihr nicht weniger zu suchenden ersten Grund der durch die Schöpffung würcklich hergestellten Existentz einer so ungeheure Menge aller Dinge und ihrer Kräffte abstrahiret, so ist solcher abstracte Begriff die eigentliche Idee der Allmacht GOttes.  
     

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Stand: 25. Februar 2013 © Hans-Walter Pries