HIS-Data
Home | Suche
Zedler: Lebens-Art HIS-Data
5028-16-1272-5
Titel: Lebens-Art
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 16 Sp. 1272
Jahr: 1737
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 16 S. 647
Vorheriger Artikel: Lebenium
Folgender Artikel: Lebens-Balsam
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel

  Text  
  Lebens-Art, Lat. Genus Vitae, ist in der Welt nicht alle Zeit einerley gewesen, sondern man ist Staffels-Weise fortgegangen.  
  Der erste Grad war Vita siluestris, da die Menschen vor Erbauung derer Städte und Dörffer in denen Wildnissen wie die Thiere sich erhielten,  
  [zwei Zeilen lateinische Verse]  
  da die kalten Höhlen ihre Häuser wären, und sie ihre Kost bloß an denen Gewächsen, wie das Erdreich selbige freywillig hervor brachte, sucheten. Insonderheit sind die Eicheln deswegen berühmt, daß sie vor dem Acker-Bau denen Menschen an  
  {Sp. 1273|S. 648}  
  Statt des Brodes gedienet: Dahin man denn auch Äpfel, Birnen und andere Früchte und Kraut-Wurtzeln rechnen kann.  
  Hierauf ist gefolget Vita pastoralis, die Vieh-Zucht, oder das Hirten-Leben, da die Menschen einige Arten derer Thiere in denen Wäldern gefangen, eingesperret und zu ihrem Nutzen gezähmet. Unter denenselben sind die Schaffe die ersten gewesen, und hierzu am meisten beqvem geachtet worden, Theils weil sie an sich selbst nicht sehr wild, sondern sanfftmüthig, Theils weil sie zur Speise ihre Milch, Käse und Butter, zur Kleidung aber ihre Wolle darreichen.  
  Der dritte Grad ist Vita agrestis oder Agricultura, der Acker-Bau. Bey welchem dennoch die Menschen die vorigen beyden Arten zu leben nicht abgeschaffet, sondern, was ihnen aus denenselben dienlich, beybehalten. Jedoch hat der Acker-Bau den Vorzug erlanget, und ist auf denselben nicht allein vom Pöbel, sondern auch von Fürsten und Königen grosser Fleiß angewendet worden, so gar, daß derer Regenten Einnahme und Vermögen fast allein im Acker-Bau und Wiese-Wachs bestanden. Ja wenn man einen loben wolte, so war es gnug, daß man von ihm sagen konnte, er sey bonus Colonus, ein guter Acker-Mann. Aus diesem sonderbahren Fleisse, den Acker-Bau fortzutreiben, entstund eine solche wohlfeile Zeit, daß man selbige Seculum aureum, die goldene Zeit genennet.  
  Nachdem ist aufkommen Vita cíuilis siue vrbana et mirior, da die Menschen nach abgeschafften Wildnissen und wilden Früchten angefangen, ihnen schöne Häuser, und durch die Gärtnereyen mancherley schmackhaffte Früchte zu verschaffen, die Vieh-Zucht, den Acker-Bau, die Jägerey, den Vogel-Fang, die Fischerey und den Wein-Bau stattlich zu verbessern, und ihr Haus-Wesen also einzurichten, damit in Küch und Keller alles sauber, und an der Taffel alles ordentlich zugienge. Welche Art zu leben, wenn sie in ihren Grentzen bleibet, ohne Zweifel die beste, ungeachtet selbige von einigen Stoicis getadelt, und vor verschwenderisch ausgeruffen wird: sinte Mahl die Verschwendung nicht bestehet in dem Wechsel, sondern in dem Überflusse derer Speisen.  
  Obgleich nun des Luculli Apicii und anderer ihr unerhörter Überfluß in Tractamenten billig zu verwerffen, so ist dennoch zuläßig, daß die Menschen ihre Speisen nach der Geschicklichkeit, die ihnen GOtt verliehen, ändern. Warum hätte sonst derselbe gütige Vater so mancherley Getraide, Wein-Stöcke, Öl-Bäume und Obst, ja die Thiere, Fische und Vögel selbst erschaffen, wenn der Mensch zu seiner Beqvemlichkeit nicht brauchen solte? Denn daß man zu rechter Zeit säet, mähet und einbringet, ist keine Wissenschafft des Viehes, sondern es gehöret zu des Menschen Unterhalt, und zwar nicht ohne Unterscheid vor alle, sondern nur vor diejenigen, die den Acker- Garten- und Wein-Bau verstehen. Denen aber diese Wissenschafften mangeln, die nennet man noch heute zu Tage billig wilde Leute und Barbarn.  
  Über Haupt aber wird jeder Stand des Menschen, so lange er lebet, eine Lebens-Art genennet. Nach dem nun der Mensch die in ihm gelegten Kräffte wohl oder übel gebrauchet, nach dem sagt man, er habe eine gute oder böse Lebens-Art. Diese zu ergreiffen hat GOtt in den  
  {Sp. 1274}  
  freyen Willen des Menschen gesetzet, und ihn dadurch in Stand gesetzet, daß, wenn er eine gute Lebens-Art erwählet, er den Namen eines tugendhafften erhält, welches ausser dem mit Recht nicht geschehen könnte; dagegen aber auch sich zuzuschreiben, wenn er durch eine üble Lebens-Art sich den Schand-Flecken eines lasterhafften zuzühet.  
  Damit nun dieses unterbleibe, und jenes geschehe, ist es freylich eine wichtige Sache, eine rechte Lebens-Art zu erwählen. Dies ist der nächste Zweck derer Kirchen und Schulen. Man weiset uns da den Weg zu einer vernünfftigen Lebens-Art, welche die, so ihr nachgehen, am Ende crönet. Wir selbst liegen so im finstern, daß wir ohne Handleiter nicht dahin gelangen können. Daher folget, daß junge und derer Sachen unwissende vor sich keine Lebens-Art ergreiffen können. Sie müssen sich von solchen leiten lassen, die die Sache verstehen. Sich selbst hierinnen zu rathen, ist gefährlich. Man kennet meisten Theils weder sich noch die Lebens-Art, die man annehmen will. Und da gehet es auf ein gerathe wohl.  
  Der Trit, den du hier thust, ist leichte gethan, aber auch desto gefährlicher. Untersuche also deinen Beruff. Den wirst du am besten erfahren, wenn du dich erst recht erkannt. Ein wichtiges Werck, wozu viel zu wenig, daß Eltern mit einem Macht-Spruche: das und das soll mein Kind werden, solches heben. Dein Kinde kan zwar eine ehrliche Lebens-Art in der Welt ergreiffen, die aber doch unrecht. Z.E. dein Kind wird von dir der Artzney-Kunst gewiedmet; es fehlen aber die Gaben dazu, so sündiget ihr beyde wieder GOtt. Dieser als der Schöpfer hat deinem Kinde Kräffte gegeben, die einen andern Endzweck haben. Dieser soll sich nun deiner eitlen, wo nicht gar meisten Theils sündlichen Absichten wegen ändern, und die Mittel darzu ändern sich nicht. Du elender unvermögender gebiete ein Mahl der Natur, daß sie sich nach deinen Leidenschafften ändere, so mögte es angehen. So lange aber dies nicht ist, welches nimmermehr geschehen wird, so lange bist du der gröste Thor, daß du eine Sache verlangest, dazu dir die Kräffte, und folglich die Mittel fehlen.  
  Wie gemein ist aber nicht diese Sünde. Gemeinen Leuten mögte man es in etwas zu gute halten, weil sie es nicht verstehen, doch in so ferne nicht gantz zu entschuldigen sind, weil sie klügere und unparteische um Rath fragen, aber auch denselben folgen sollten; aber daß gemeiniglich gelehrte auch gelehrte, vornehme auch wieder in vornehmen Amts-Stellen sich befindende Kinder haben wollen, mögte wohl zeigen, daß ein nicht geringer unverantwortlicher Hochmuth dahinter stecke, der doch je weiter von ihnen entfernt seyn sollte, je besser sie sich als der gemeine Mann düncken.  
  Dieses Versehen beruhet unsers Bedünckens auf einer unrecht erkannten Einrichtung des gemeinen Wesens. Lauter hohe machen den Staats-Cörper nicht aus, und lauter niedrige können sich alleine nicht regiren. Wer nun die Sache nicht recht kennet, bildet sich den, der über andere was zu gebieten hat, um vieles glücklicher als den ein, dessen Schuldigkeit zu gehorchen, welches doch im Grunde falsch. Einen andern zu regiren, ist so schwer, als wohl immer zu gehorchen. Bist du also zum gehorchen gemachet, wird dir es leichte  
  {Sp. 1275|S. 649}  
  ankommen, es zu thun; und erhebet dich dein Geist über andere, wirst du auch die Regirungs-Last mit leichter Mühe ertragen, und beydes wird gut von Statten gehen; kehre es aber um, und setze erstern dem Fürsten an die Seite, und letztern unter die geringsten im Lande, da wirst du sehen, wie jener einen Staats-Fehler über den andern begehen, dieser aber, der gleichsam zum herrschen geboren, eine Unruhe nach der andern erregen wird.  
  Es zeiget also von einer grossen Einsicht derer Fürsten, die in ihren Ländern die weise Anstallt machen, daß untüchtige von Wissenschafften ab- und tüchtige auch wohl aus einer zerfallenem Bauer-Hütte hervor- und durch Hülffs-Mittel aufgezogen werden. Wäre dirs in der Ausübung so möglich, als löblich die Absicht, wie schön würde ein solches Land blühen. An Statt daß ein grosser Theil der Einwohner thut, wozu er nicht beruffen, und unterläst, was er thun sollte; so würde man einen jeden in seinem rechten Beruffe finden, und mit welcher Munterkeit würde das Werck nicht von Statten gehen.  
  Man sehe doch nur solche Leute an, die wieder ihren natürlichen Trieb und Geschicklichkeit eine Lebens-Art ergreiffen, wie sauer wird es ihnen nicht. Zwey Schüler sietzen nebeneinander. Der eine hat Geschicke und Lust dazu, und der bringet es mit halber Arbeit weiter als sein Nachfolger, der unermüdet in seinem Wercke, aber alles mit Wiederwillen thut, und keinen Anstand dazu hat. Und was ist endlich der Vortheil bey solchem letztern? Wenns am besten, ist es eine schon späte Reue. Der Glaube kommt ihm in die Hand, und da siehet er, daß er unrecht gethan; die Zeit, die so kurtz, was zu lernen, ist dahin. Nun ändert er seinen Vorsatz. Da wird er, da er lange Zeit auch Schulen und Vniuersitäten zugebracht, endlich z.E. im 30. Jahr gewahr, daß es da nicht fort will, begiebt sich zum Leisten, und wird Junge bey einem Schuster in einem solchen Alter, da ein anderer von diesen Handwercke als Meister in der besten Kundschafft stehet.  
  Ein anderer hat wieder sein Geschicke und Trieb vielleicht aus eitlen, wo nicht thörichten und sündlichen Absichten derer seinigen, Theologiam etliche Jahre studiret. Nun stirbt der Urheber dieses Wercks, und da fällt die Verbindlichkeit weg, und die Änderung ist nicht so geschwinde beschlossen, als angetreten. So löblich nun dies ist, wo es aus vernünfftigen Bewegungs-Gründen geschiehet, so übel redet gemeiniglich der meiste Hauffe davon. Selbst der Ausspruch des allerwahrhafftesten JEsu: wer seine Hand an den Pflug leget, und siehet zurück, der ist nicht geschickt zum Reiche GOttes, muß eine gewaltsame Deutung leiden, die nicht am rechten Orte angebracht ist. Gleich als wenn man sagen wolte, der, so hinter dem Pfluge hergehet, müsse denselben in seiner Unrichtigkeit fortschleppen lassen, und thue unrecht, wenn er ihn wieder zu rechte hebe und bringe.  
  Hast du keine Kräffte und Fähigkeiten zu der unternommenen Sache, so hast du einen sicheren Grund zu schlüssen, daß GOtt dieselbe nicht wolle. Folge also in Erwählung deiner Lebens-Art dem durch deine Kräffte und Trieb offenbarten göttlichen Willen, so kannst du eines göttlichen Beruffs versichert seyn, ausser welchem alles vergeblich. Ja, wirst du sagen, wie, wenn einen  
  {Sp. 1276}  
  sein Geschicke zu einer Kunst oder Wissenschafft treibet, die Brod-loß ist? Darauf dienet zur Nachricht, daß es schlimm genung, daß gemeiniglich in Erwählung einer Lebens-Art eine Hoffnung reichen Gewinsts zur Grund-Regel genommen wird. Daher kommet das Übel, daß sich alles auf Dinge, die als Geld einbringend schon im Ruffe sind, leget, dadurch denn, in dem alles auf einen Zweck gleich als auf einem Wege forteilet, einer den andern hindert, daß man sich in denen schon renommirten Facultäten, Künsten und Handwercken über die Menge beschweret, wodurch der Stümper gemeiniglich so gut, als der sein Werck recht gelernet, fortkommet. Diese einander hindernde Menge würde sich bald verringern, und ein jeder dadurch glücklicher werden, so bald gedachtes Vorurtheil aus denen Gemüthern derer Menschen vertilget würde, und man nicht noch dazu selbst die verspottete, die sich auf eine so genannte Brod-lose Kunst legen.  
  Und das ist gantz falsch, daß eine gute Kunst und Wissenschafft in der Welt ohne Nutzen sey, und den, der sie erlernet, Hülffloß lasse. Wage es immer darauf. Merckest du, daß du zu einer gantz ausserordentlichen Sache Fähigkeit, Kräffte und Lust hast, erlerne selbige, sie wird dich, wo deine eigene Aufführung nicht etwa zur Hinderniß gereichet, gewiß nicht Hungers sterben lassen. Wirst du dabey nicht zum reichen Manne, so wisse, daß das nicht nöthig, und hast du nothdürfftigen Unterhalt, so laß dir gnügen. Gehet es mit der ergrieffenen Lebens-Art in deinem Vaterlande nicht fort, versuche es anderwärts. Die Erde ist überall des HErrn, und der Prophet gilt gemeiniglich im Vaterlande am wenigsten. Erkennet man in diesem Lande deine Verdienste nicht, bist du doch nicht an dasselbige gebunden. Versuche es anderwärts. Unterdrucket man dich an diesem Orte, wird man dich an jenem vielleicht erheben.  
  Sollten auch vielleicht gegenwärtige Zeiten deiner Wissenschafft noch nicht fähig seyn, arbeite aufs künfftige. Denn auch dazu hast du den Beruff, wenn du Kräffte und Trieb dazu bey dir merckest. Befleißige dich übrigens eine Lebens-Art, so deinen Tagen und Orte des Aufenthalts, so viel Gerechtigkeit, Ehrbarkeit und Klugheit erlauben, gemäß ist, es wird dir GOtt durch Menschen so viel zuwerffen, als dir nöthig, und mehr kannst du mit keinem Grunde des Rechtens fordern.  
     

HIS-Data 5028-16-1272-5: Zedler: Lebens-Art HIS-Data Home
Stand: 12. Juli 2013 © Hans-Walter Pries