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Zedler: Mäßigkeit HIS-Data
5028-19-180-20
Titel: Mäßigkeit
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 19 Sp. 180
Jahr: 1739
Originaltext: Digitalisat BSB Bd.19 S. 123
Vorheriger Artikel: Mäßig
Folgender Artikel: Mäßigkeit (Ritter-Orden der)
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen
  • Transkribierter griechischer Text der Vorlage

  Text Quellenangaben
  Mäßigkeit, wird in weitern und engern Verstande genommen.  
  Im weitern Verstande ist die Mäßigkeit diejenige Geschicklichkeit des menschlichen Gemüthes, da man die angebohrne verderbte Neigungen und die daher entstehende hefftige Bewegungen oder Affecten nach der Vorschrifft der gesunden Vernunfft im Zaum hält damit man andern nicht beschweret, sich aber nicht beunruhiget. Solche hat bey dem Ehrgeitz, Geldgeitz  
  {Sp. 181|S. 124}  
  und Wollust statt. In Ansehung anderer muß  
 
  • ein Ehrgeitziger seinen Ehrgeitz in Reden, Minen, Bewegungen des Leibes, Kleidung und andern ehrgeitzigen Verrichtungen;
  • ein Geldgeitziger seinen Geitz durch so merckliche vortheilhaffte Kunst-Griffe, und so deutliche Merckmahle des Neides;
  • ein Wollüstiger seine Wollust durch geile Gespräche, allzufreyen Umgang mit Weibs-Personen u.s.w.
 
  nicht so blicken lassen; denn solche Bezeigungen sind andern beschwerlich; nun aber ist der Mensch nach dem natürlichen Recht verpflichtet, dem andern nicht nur in seiner Nothdurfft, sondern auch in der Bequemlichkeit an die Hand zu gehen.  
  Die Mäsigkeit in engern Verstande bestehet in der Bezähmung derjenigen Wollust, da man die äusserlichen Sinne zu kützeln und zu belustigen suchet, damit man sich derer desfalls eingepflantzten Begierden vernünfftiger Weise bedienen, und dadurch die Erhaltung sein selbst und die Fortpflantzung seines Geschlechts dem Göttlichen Absehen gemäß befördert werde.  
  Es sind von dieser Wollust drey Arten:  
  1) die delicate, 2) die Bachische, und 3) die Venerische.  
  Die erstere gründet sich auf dem natürlichen Abscheu für alle dem, so der menschlichen Natur zu wieder; die andere auf den natürlichen Appetit zum Essen und Trincken, damit man sich erhalte; und die dritte auf die Lust zum Beyschlaff, die Fortpflantzung des menschlichen Geschlechtes zu befördern.  
  Diese Begierde hat der Mensch nach dem Fall zu seiner eigenen Belustigung und Kützelung seiner Sinnen zu gebrauchen angefangen, und dabey nicht auf die Erhaltung und Fortpflantzung seines Geschlechts gesehen, dahero es denn nöthig ist, daß er solche mäßiget und den Gebrauch derselben auf die göttliche Absicht richtet, welche Geschicklichkeit denn eben die Mäsigkeit genennet, und als die allgemeine Tugend in Ansehung sein selbst angesehen wird, woraus wieder andere besondere Tugenden entspringen, als die Gelassenheit, Nüchterkeit, Keuschheit.  
  Einige setzen zwey Arten der Mäßigkeit: die continentiam und die tolerantiam, welche letztere andere lieber fortitudinem nennen, so fern sie sich entweder auf angenehme oder unangenehme Sachen beziehet, nach dem bekannten Sprichwort das Epictets: anechou kai apechou, siehe den Philaret in Ethic. … ingleichen des Buddeus Instit. theol. moral. …
  Die alten Weltweisen haben zumtheil grosse Helden in der Mäsigkeit seyn wollen. Die Cynische Secte wolte mit einem Mantel, einem Fasse, Stecken und einer Tasche bey Wasser, Kraut und Feigbohnen vergnügt seyn, davon die Zeugnisse Stolle in der Historie der Heydnischen Morale … angeführet.  
  Epicurus lehrte, die Natur forderte zu ihrer Erhaltung nur solche Dinge, die leicht zu bekommen sind. Was man denn nicht leicht bekommen kan, das hat sie auch nicht nöthig. Geringe Kost bringt so viele Wollust als ein kostbar Mahl. Ja wer hungrig und durstig ist, wird bey Brodt und Wasser die höchste Wollust empfinden. Dieses lehrte er nicht nur, sondern bewieß es auch mit seinem eigenen Exempel. Denn seine ordentliche Mahlzeit war Brodt und Wasser, und wenn er sich was rechts zu gute thun wolte, ließ er sich ein stück Käse holen,  
  {Sp. 182}  
  wie
  • Cicero Tuscul. quaest.
  • Seneca epist. 25.
  • Diogenes Laertius
  • Gassendus de vita et moribus Epicur.
  • Menagius ad Laertium
 gewiesen haben.
  Eines mäßigen Lebens suchte sich auch Pythagoras zu befleißigen, welcher sich des Wein-Trinckens und Fleisch-Essens enthalten wie Jamblichius in seinem Leben … bezeuget.
  Von dem Socrates berichtet Diogenes Laertius ... Daß er gesagt, andere Menschen lebten, daß sie ässen, er aber ässe, daß er lebte, damit er so viel anzeigen wollen, daß da andere gedächten, sie wären dazu gebohren, daß sie essen und trincken solten, und also dieses vor den Endzweck ihres Lebens ansehen; so kehrte er dieses vielmehr um, und esse nur zu dem Ende, daß er seine Gesundheit erhalte, und um deßwegen befleißige er sich der Mäßigkeit. Man lese hiebey Hurtz in quaest. Alnetan. … und Buddeus in analect. hist. phil.
  Doch war bey vielen nur der Ehrgeitz der Grund solcher Mäßigkeit, daß sie damit den Ruhm grosser Weltweisen, die ihre Begierden bändigen könnten, zu erlangen suchten, welches Esprit de la faussete des vertus humain. anmercket.
     

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Stand: 27. Februar 2013 © Hans-Walter Pries