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Zedler: Materie [2] HIS-Data
5028-19-2028-8-02
Titel: Materie [2]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 19 Sp. 2032
Jahr: 1739
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 19 S. 1064
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Übersicht
Materie in den äußerlichen Sinnen
  Kann Materie denken?
  Ursprung
Schwere
Durchsichtigkeit

Stichworte Text   Quellenangaben
Materie in den äußerlichen Sinnen Betrachtet man die Materie, wie sie sich durch die äusserlichen Sinnen zu erkennen giebet; so wird deren wesentliche Eigenschafft auch auf unterschiedene Art bestimmet.  
  Cartesius in princip. phil. … meynet, ihre wesentliche Eigenschafften bestünden darinnen, daß sie ein in die Länge, Breite und Dicke ausgedehntes Wesen sey, daher man auch insgemein das Wesen eines Cörpers in der Ausdehnung setzet. Weil man aber noch untersuchen könte, ob nicht der Raum, die Bewegung, der Schatten, auch ausgedehnet wären, die man gleichwohl nicht vor cörperlich halten kan; so haben andere dafür gehalten, daß das Wesen der Materie oder des Cörpers in der Impenetrabilitate oder Undurchdringlichkeit bestünde, als Stair in physiol. nov. experim. Dafür andere die soliditatem impenetrabilem, die undurchdringliche Festigkeit, angenommen.  
  Insgemein lehret man, die Materie sey eine pur leidende Substantz, und meynet, daß dieses derjenige Begriff sey, welcher den Grund aller ihrer Eigenschafften in sich fasse, deren man fünff zu zehlen pfleget,  
  {Sp. 2033|S. 1065}  
  daß sie ausgedehnt, sich zertheilen lasse, fest sey, eine gewisse Figur habe, und bewegt werden könne.  
  Alles, was uns mittelbar vor die Sinnen kommt, sind Cörper, die ihre besondere Materien und Formen haben, daß man also insoweit die Materie überhaupt betrachten, und deren wesentliche Eigenschafften, die bey einer jeden besondern Materien angetroffen werden, untersuchen kan. Denn, daß manche Materie groß, eine gewisse Farbe hat, weich oder hart, flüßig u.s.w. ist, solches gehöret ihr nur zufälliger Weise zu, weil sich dergleichen Eigenschafften nicht beständig bey einer jeglichen Materie befinden. Ist ietzo eine Materie groß, so ist hingegen eine andere klein; und wenn ich ietzo was Schwartzes vor mir sehe, so findet sich wieder auch was Weisses u.s.w.  
  Dergleichen Veränderungen bey den Beschaffenheiten der Ausdehnung, der Theilbarkeit, der Festigkeit, der Figur und des Vermögens eine Bewegung anzunehmen nicht wahrzunehmen, die man deswegen vor wesentliche Stücke der Materie hält, und sie gar wohl aus dem leidenden Vermögen, etwas anzunehmen, herführen kan, daß also dieses der erste wesentliche Begriff der Materie wäre. Ob aber gleich eine Materie an sich selbst und ihrem Wesen nach sich selbst nicht bewegen kan, so ist doch nichts ungereimtes und gefährliches in der Meynung, daß GOtt ihr in der Schöpffung eine Bewegungs-Krafft mitgetheilet. Man siehet dieses alsdenn vor was zufälliges an, und indem solche GOtt in die Materie geleget, so gewinnt ein Atheist nichts dabey.  
  Das erste also, was wir von der Materie begreiffen, ist die Ausdehnung, worinne aber keine Activität gegründet ist. Dennoch aber finden wir, daß die gantze Materie der Welt in beständiger Handlung oder Bewegung sey, immassen sie unaufhörlich verändert und verwandelt wird. Diese bewegende Krafft muß entweder von einer äusserlichen würckenden Ursache hergeleitet werden, oder sie muß als eine zufällige Forme an der Materie hängen. Welche die erste Meynung erwehlen, sagen, GOtt selbst bringe alle Bewegungen und Veränderungen in den materialischen Dingen durch unmittelbare Würckung hervor; oder sie geben vor, GOtt habe eine mittlere bewegende Substantz geschaffen.  
  Die meisten Nachfolger des Cartesius haben sich heute zu Tage unterstanden, zu behaupten, daß bloß der allmächtige Wille des Schöpffers alles in der Welt thue, bewege, und durch die Bewegung regiere, und zwar unmittelbar in Ansehung der Krafft, mittelbar aber in Betrachtung der Substantzen, Mitteln oder Werckzeuge. Also erkläret sich auch Sturm in Physica Elect. … hiervon. Sie bilden sich ein, GOtt bewege noch, wie bey der Schöpffung, durch seine unmittelbare Krafft alles selber, wie etwan ein Holtzhacker die Axt, die keine Macht vor sich hat, gebrauche, oder wie ein Müller Wasser oder Wind anbringe, die Mühle zu bewegen und herum zu treiben. Die Gründe hierwieder kan man unter dem Artickel Bewegung im III. Bande p. 1603. u.ff. nachlesen.  
  Es scheinet aber diese Meynung nicht allein der gesunden Vernunfft, sondern auch der H. Schrifft selbst zuwider zu seyn. Denn Moses schreibt im 1 B. II, 2. GOtt habe geruhet, oder aufgehöret zu würcken. Bes. auch 1 B. Mose VIII, 2. Josua V, 12.
  Da aber GOtt geruhet, hat sich doch die Materie beweget.  
  Andere erdichteten eine mittlere Substantz, welche GOtt gemacht haben soll, der Welt vorzustehen und sie zu regieren, auch alle Handlungen der Erzeugung, der Ersetzung und Verfertigung zu beför-  
  {Sp. 2034}  
  dern. Dieses erste Principium der Bewegung ist insonderheit von den Alten Welt-Weisen bald Natura naturans, bald auch die Seele oder der Geist der Welt, bald wiederum  
 
  • Calidum omniscium,
  • Cholcodea,
  • Animarum datrix,
  • Archeus,
  • Principium hylarchicum oder plasticum
  • u.s.w.
 
  genennet worden, wovon an seinem Orte. Besiehe auch hierbey Schelhammers Naturam sibi et Medicis vindicatam.
  Vielmehr scheinen es diejenigen am besten getroffen zu haben, welche davor halten, das gleich beym Anfange der Welt die Materie, die aus nichts gemacht, und durch das unmittelbare Anblasen GOttes beweget wurde, mancherley Bewegungs-Kräffte mitgetheilet worden, daß sie ohne weitere besondere Hülffe GOttes unzehlige Würckungen verrichten, und auf vielerley Weise verändert werden könne; wovon unter dem Artickel Krafft im XV. Bande p. 1662. u.ff. ein mehrers.  
  Die Materie ist also nach dieser Erklärung dasjenige, was einem Cörper die Ausdehnung giebet, mit seiner widerstehenden Krafft; folglich kein so wüster Klumpe, das ist, kein Hauffe zusammen geworffener ähnlicher Theile, darinnen nichts, als die Grösse, unterschieden werden könte; sondern vielmehr ist alles darinnen auf gantz besondere Art von einander unterschieden. Und rühret der gemeine Begriff von der Materie, da man sich dieselbe als einen kraftlosen Klumpen vorstellet, dessen Theile insgesamt, sie mögen so groß oder so klein genommen werden, als man immer will, bloß von der Einbildung her, welche die Sachen undeutlich vorstellet, und daher vieles übersiehet, was in ihnen ist.  
  Also nimmt Wolff mit Cartesio an, daß die Materie eine Ausdehnung habe, oder in die Länge, Breite und Dicke ausgespannet sey. Allein er hält davor, daß noch was mehrers dazu gehöre, nemlich die so genannte Vis inertiae, oder die widerstehende Krafft, die Kepler zuerst in ihr entdecket, und Newton seines Ortes gleichfalls in derselben erkannt, als wodurch sie eben geschickt wird zu leiden, und darinnen man auch den eigentlichen Grund zu suchen hat, warum die Leidenschafften der Materie sich auf eine verständliche Art erklären lassen.  
Kann Materie denken? Hierbey haben einige die Frage aufgeworffen, ob denn nicht also zum Wesen der Materie erfordert werde, daß sie auch müsse dencken können? Allein, nachdem gar viele unter dem Worte Materie und Cörper zwey unterschiedene Dinge, die doch gar sorgfältig von einander zu unterscheiden gewesen, auf eine höchst ungeschickte Art mit einander vermenget, obgleich das letztere schon etwas mehrers, als das erstere unter sich begreifft, oder besser zu reden, jenes bloß wie der Stoff und Zeug derer entweder noch hervorzubringenden oder würcklich schon hervorgebrachten Cörper oder zusammen gesetzten Dinge, diese aber als eine blosse Würckung der Materie anzusehen sind: so hat es nothwendig auch nicht anders geschehen können, als daß man sich mit unter kein Bedencken gemacht, dieses von der Materie überhaupt genommen, platterdings zu bejahen. Zumal da man so lange Zeit in den Gedancken gestanden, GOtt könte einem Cörper, oder wie man noch ungeschickter zu reden gewohnt gewesen, der Materie eine Krafft zu dencken mittheilen.  
  Es ist aber aus denen Lehr-Sätzen der neuern Welt-Weisen zur Gnüge bekannt, daß kein Gedancke aus dem Wesen und der Natur eines Cörpers kommen kan, und indem einige haben wollen, GOtt solle ihnen dieselbige beylegen; so erkennen sie sol-  
  {Sp. 2035|S. 1066}  
  ches von selbst. Solchergestalt müste GOtt machen, daß aus dem Wesen eines Cörpers etwas erfolgete, was aus ihm nicht erfolgen könte, und demnach das Wesen desselben verändern, oder ihnen zugleich das Wesen eines andern Dinges, daraus Gedancken kommen können, mittheilen. Nun ist aber bekannt, daß sowol das Wesen eines Dinges unveränderlich ist, als daß auch das Wesen eines Dinges einem andern nicht mitgetheilet werden kan; und demnach ist es eben so viel, wenn man saget, GOtt solte der Materie eine Krafft zu dencken mittheilen, als wenn man verlangte, GOtt solle das Eisen zugleich zu Golde machen, so, daß es Eisen und Gold zugleich wäre. Welches ja eine so unmögliche Möglichkeit, als einen offenbaren Widerspruch in sich hält.  
  Allen Ansehen nach aber mag man sich wohl durch den schon von dem Aristoteles sowol, als viel andern derer ältern und neuern Welt-Weisen gemachten Unterscheid der Materie, da sie solche unter andern in Materiam sensibilem und intelligibilem, oder in die empfindliche und verständliche abgetheilet, auf so ungereimte Gedancken haben verleiten lassen, ohne den daran zu bemerckenden Unterscheid bey sich selbst etwas genauer erwogen, oder auch wohl deren Lehr-Sätze hiervon gantz und gar nicht eingesehen zu haben; massen ja die empfindliche Materie bey dem Aristoteles selbst schon nichts anders als den eigentlichen Stoff oder Zeug, woraus die natürlichen Cörper zusammen gesetzet sind, die verständliche aber bloß in uneigentlichem Verstande so genennet wird, eigentlich aber nichts anders als dasjenige vorstellet, was in der empfindlichen Materie gleichsam eingeschlossen ist, und die Krafft zu verstehen besitzet, ohne deswegen die empfindliche Materie selber zu seyn. Und also ist nur nöthig, alle diese Dinge, welche eigentlich nicht zum Wesen der Materie gehören, aufs genaueste davon abzusondern; so ist kein Zweifel, daß sich nicht die hierbey vielen anscheinende Schwierigkeit gar bald von selbst solte heben lassen.  
  Wie denn unter andern auch Rohault in diesem Stücke sehr deutlich und ausführlich ist, wenn er sagt, daß alle solche Beschaffenheiten, ohne welche, wenn sie von der Materie in Gedancken abgesondert werden, dieselbe dennoch in ihrem Wesen bestehen kan, ihr nur zufälliger Weise angehören, als da sind, die Grösse, die Farbe, der Geschmack, die Härte oder Weiche, Flüßigkeit, u.s.w. weil dieselben alle nur den Unterscheid derer aus der Materie gestalteten Cörper machen; Diejenigen aber, ohne welche die Materie nicht begriffen werden kan, zu ihrem eigentlichen Wesen gehören, und zu ihrer Beschreibung mitgenommen werden müssen. Diese sind nun, nach seiner Meynung, die schon oben gedachte Ausdehnung, (Extensio) die Theilbarkeit, (Divisibilitas) die Gestaltung (Figura) und die Dichte oder Gediegenheit und Undurchdringlichkeit, (Impenetrabilitas.)  
  Aus diesem Satze schlüssen auch die neuen wider die alten, daß die Materie ihr gemessenes Wesen durch die Form erlange; diese im Gegentheil behaupten, daß die Materie der Forme das Wesen gebe, weil die Forme nichts anders sey, als eine gewisse Weise oder Maaß, wodurch die Materie beschräncket wird.  
Ursprung Diese also beschriebene Materie ist im Anfange der Dinge von dem allmächtigen Schöpffer herfür gebracht worden. Und wie sie der Zeug ist, woraus alle übrige besondere Cörper gestaltet worden, und durch die ihr eingedruckte Bewegung nach den Gesetzen derselben (secundum leges motus) noch täglich gezeuget werden; so werden auch sie durch  
  {Sp. 2036}  
  ihre Zerstörung in dieselbe hinwieder aufgelöset; die Materie aber bleibet unzerstörlich und unveränderlich in ihr selbst.  
Schwere Übrigens sind die Materien nicht alle von einerley Art der Schwere. Da wir täglich Sachen zu heben haben; so finden wir, daß einige groß und dabey leichte sind, andere hingegen ihnen an der Grösse viel nachgeben, und doch an der Schwere dieselben weit übertreffen. Jedermann fühlet es, daß ein Glas, mit Quecksilber gefüllet, gar viel schwerer ist, als wenn man Wasser darinnen hat. Man fühlet nicht weniger, daß ein Schwamm viel leichter ist, als ein Stein, ungeachtet er viel grösser ist, als dieser.  
  Diejenigen, welche mit Abwägung vielerley Waaren umgehen, sehen zur Gnüge, daß die Waare gemeiniglich mehr Raum einnimmt, als das Gewichte. Z.E. ein Hut Zucker von 4 Pfunden nimmt gantz augenscheinlich einen gar weit grössern Raum ein, als das Gewichte von Bley oder Meßing, damit man ihnen abwäget. Und findet man selbst unter dem Gewichte, deren eines aus Steinen, das andere aus Bley gemachet worden, einen mercklichen Unterscheid in der Grösse, sonderlich wenn die Gewichte groß sind. Jedermann siehet, daß das steinerne Gewichte weit grösser ist, als das bleyerne, ob sie gleich auf der Wage inne stehen, auch gleich schwer befunden werden, wenn man sie auf oder an den Händen gegeneinander abwäget.  
  Gleicher Gestalt weiset es der Augenschein, daß immer eine Waare mehr Raum einnimmt, als die andere, ob man gleich einerley Gewichte hat. Z.E. Baumwolle nimmt einen weit grössern Raum ein, als der Zucker, wenn man von beyden ein Pfund nimmt. Da nun diejenige Waare, welche auf der Wage mit dem Gewichte inne stehet, mit ihm einerley Schwere hat; so erhellet hieraus, daß diejenige, welche einen grössern Raum einnimmt, als das Gewichte, unter einerley Grösse mehr Schwere haben muß, als das Gewichte. Und eben solchergestalt ist klar, daß, wenn zwey Sachen von verschiedener Grösse mit einerley Gewichte, und also auch mit einander selbst, auf der Wage inne stehen, die grössere unter einerley Grösse weniger Schwere hat, als die kleinere. Und auf solche Weise hat man gefunden, daß nicht alle Cörper, und also auch nicht alle Materien, gleich schwer sind, ob sie gleich einerley Grösse haben.  
  Zu Erläuterung dieses Satzes kan auch dienen, was Ougthred in Archimede promoto von Ghetaldo erzehlet, daß er mit Gold, Quecksilber, Bley, Silber, Kupffer, Eisen, Zinn und Wasser eine Probe gemacht, und, als er von einem jeden derer gemeldeten Stücke, der Grösse oder der Menge nach, gleich viel genommen, befunden, daß ein Stücke Gold von 100 Gran, ein anderes Stücke Quecksilber, ob es ihm gleich der Grösse nach gleich gewesen von 71 3/7, Bley 60 10/19, Silber 54 55/57, Kupffer 47 7/19, Eisen 42 2/19, Zinn 38 18/19, und Wasser 5 5/19 betragen.  
Durchsichtigkeit Endlich werden die Materien auch durchsichtiger, indem die zwischen ihnen befindlichen Räumlein mit einer Materie erfüllet werden, die ihnen an Dichtigkeit näher kommt, als die vorigen.  
     

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Stand: 3. April 2013 © Hans-Walter Pries