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Zedler: Seele [10] HIS-Data
5028-36-1051-4-10
Titel: Seele [10]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 36 Sp. 1133
Jahr: 1743
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 36 S. 580
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Übersicht
Die Freyheit der Seele (Forts.)
  historisch (Forts.)
 
  Neuzeit
 
  5 Klassen der Meinungen

Stichworte Text   Quellenangaben
Neuzeit Gehet man in den neuern Zeiten weiter fort, und kommt auf den Benedict Spinoza; so will er zwar das Ansehen haben, als glaube er die Unsterblichkeit der Seele, ja in dem Appendice ad principio Cartesii geometrico more demonstrata part. 2. cap. 12. beweiset er sie seinem Bedüncken nach aus den allerdeutlichsten Principien. Allein es läuft alles da hinaus, daß die Seele nicht kan zernichtet werden; sondern, weil sie nach seinem Haupt-Satz nur ein Theil der Natur, die er GOtt nennete, sey, und nicht ihre eigene Subsistenz habe, so müsse sie wieder in die Natur zurückgehen, von welcher nichts könne zernichtet, oder in Nichts verwandelt werden.  
  Dieses heist keine Unsterblichkeit, welche man wohl von der Zernichtung unterscheiden muß. Denn obwol die Seele, wenn sie unsterblich seyn soll, nicht darf zernichtet werden, so gehöret doch noch was mehrers dazu. Es reimt sich die Unsterblichkeit der Seele keinesweges zu den Lehrsätzen des Spinoza. Denn da er nun eine Substantz behauptete, und alles zu Materie machen wolte, folglich auch die Seele materiell seyn solte, so war in der Natur selbst seiner Seele kein Grund einer Unsterblichkeit. Ja, es solte die Seele, seiner Meynung nach, nicht einmahl ihre eigene Subsistenz haben, weswegen schlechterdings die Unsterblichkeit wegfället.  
  Diesem wird Thomas Hobbes beygefüget, welcher nicht nur überhaupt alle Substanzen, die keine Cörper sind, geleugnet; sondern auch noch Einwürffe dawider macht, oder vielmehr seine Meynung von der Sterblichkeit der Seele in dem Leviathan cap. 44. aus der Heil. Schrifft beweisen will. Denn er meynet, die Unsterblichkeit des ersten Menschen wäre auf den Baum des Lebens im Paradies angekommen; weil er nun durch den Fall aus demselbigen gestoßen worden, damit er seiner Hand nicht mehr ausstrecke, und von dem Baum des Lebens esse, 1 Mos. III, 22. so sey hiedurch seine Seele sterblich geworden. Es sage auch Hiob Cap. XIV, 10. wo ist aber ein Mensch, wenn er todt und umgekommen, und dahin ist? Und Salomon im Pred. bezeuge Cap. III, 19. es gehe dem Menschen, wie dem Vieh, und Cap. IX, 5. es wüsten die Todten nichts, wie denn auch in heil. Schrifft die Seele oftmals soviel, als das Leben bedeute.  
  Zu den neuern Zeiten hat der berühmte Dodwell mit einer besondern Meynung von der Unsterblichkeit der Seele viel Aufsehens gemacht. Denn er hielt dafür, daß die Seelen aller Menschen sterblich wären, und daß nur denjenigen, welche das Evangelium hätten und getauft würden, die Unsterblichkeit als ein besonderes Geschenck mitgetheilet würde. Diese Meynung trug er in dem folgenden Buche vor: Discursus epistolaris, probans ex scripturis et Patribus primitivae ecclesiae, quod anima sit principium naturaliter mortale; sed immor-  
  {Sp. 1134}  
  tale reddendum vel per rerum Dei arbitrium, ut puniatur; vel per illius cum divino Spiritu baptismali unionem, ut praemium accipiat: ubi simul ostenditur, neminem post Apostolos habere potestatem dandi Spiritum divinum immortalizantem nisi episcopus, welches er 1706 zu Londen in Englischer Sprache heraus gegeben hat.  
  Aus dem angeführten Titel des Wercks läst sich schon schlüssen, wohin seine Meynung gerichtet, die er zwar bereits in seinem Buch de conjugio p. 17. entdecket hatte. Er meynet, die Seele des Menschen sey ihrer Natur nach sterblich, ob sie wol von der Materie gäntzlich entfernet sey: der Geist aber der Unsterblichkeit werde denen, welche dem Evangelio Christi gehorchten, als ein Gnaden-Geschenck mitgetheilet. Solche Unsterblichkeit werde in der Schrifft Geist genennet, und von der Seele, als ein absonderlicher Theil des Menschen, unterschieden. Die Seelen derer hingegen, welche dem Evangelio nicht gehorsam wären, machte GOtt nach seinem Willen unsterblich.  
  Seine vornehmsten Gründe sind diese:  
 
  • Erstlich wäre GOtt seiner Natur nach allein unsterblich, und daher könte man dieses von der Seele nicht sagen.
  • Vors andere sey diese seine Lehre in der ersten Christlichen Kirche gebilliget worden, wie denn Justin der Märtyrer, Athenagoras, und andere gelehret hätten, daß die Unsterblichkeit der Seele ihr nicht von Natur zukomme; sondern ein bloßes Geschenck GOttes sey.
  • Drittens hätte man die Meynung vom Ursprung der Seele, daß sie per traducem von unseren Eltern gezeuget würden, auch in der ersten Kirche am meisten gebilliget, welches Anlaß gäbe, die Sterblichkeit der Seelen zu glauben.
  • Viertens hätten weder die Juden im alten Testament, noch Christus in dem neuen die Lehre von der Seelen Unsterblichkeit vor einen Glaubens-Artickel gehalten, in dem sonst jene die Sadducäer nicht würden unter sich geduldet; dieser aber ihren Irrthum widerleget haben, welches er nicht gethan, und vielmehr wider die Pharisäer disputiret hat.
  • Fünftens sey der Tod der Sünden Sold, und demnach müsse er nicht nur über den Leib; sondern auch über die Seele kommen, welche vornehmlich gesündiget hätte, wie man denn auch noch auf diese Weise die Scrupel am besten heben könte, welche wegen der Verstossung so vieler Menschen und der ewigen Höllen-Strafen entstünden.
Einen Auszug von diesem Buch findet man
  • in den Actis Eruditor. 1707 p. 207.
  • in den Unschuld. Nachr. 1706. p. 447. und 1707. p. 642.
  • und in des Grapius Theologia recens controversa part. 2. p. 105.
  Eine so irrige, gefährliche und dabey seltsame Meynung fand in Engelland vielen Widerspruch. Clarck war der erste, der sich öffentlich dargegen satzte, und einen Brief an ihn in Englischer Sprache drucken ließ, darinnen er ihn widerlegte, welcher in den Act. erud. 1707. p. 212. in einen Auszug gebracht worden.
  Ein gleiches that auch Turner; der heftigste aber war Chishull, der eine Beschuldigung einer Ketzerey wider ihn herausgab, und ihn darinnen hart tractirte, welches auch Milles, Whitby, Norris und andere gethan haben. Er suchte sich nicht nur Dodwell selbst  
  {Sp. 1135|S. 581}  
  wider diese Gegner zu vertheidigen; sondern es nahm auch Johann Pitt seine Parthey. Ein Verzeichniß der von beyden Theilen heraus gegebenen Schriften findet man in
  • des Grapius Theolog. recens controv. part. 2. p. 106. u.ff.
  • Pfaffens introduct. in histor. theologiae literariam part. 2. p. 207. u.ff.
  • in des Fabricius delectu argumentor. et Syllabo Scriptor. qui veritatem religionis christ. asseruerunt p. 439 und ff.
denen man noch beyfügen kan
  • Clercs biblioth. choisie tom. 26. p. 364. u.ff.
  • den Bücher-Saal tom. 2. p. 851.
  • und das Leben des Dodwells, welches in Englischer Sprache heraus gekommen ist, worinnen p. 556. seine Meynung von der Unsterblichkeit der Seele vorgetragen wird.
5 Klassen der Meinungen Alle die bisher erzehlten Meynungen von der Unsterblichkeit der Seele können in fünf Classen gebracht werden.  
1. Klasse Die erste begreifft diejenige, daß die Seele wieder in das Wesen GOttes, oder in die Seele der Welt zurück gehe, welches die Meynung der Egyptier, der orientalischen Philosophen, und der meisten Griechischen, der Pythagoräer, der Platonicker und Stoicker gewesen ist. Doch befand sich der Unterscheid dabey, daß die Stoicker die Seele der Welt vor GOtt hielten, welche hingegen die Platonicker von einander unterschieden haben. Bey dieser Meynung ist zweyerley zu erinnern.  
  Das eine ist, daß die Weltweisen scheinen, als hätten sie die menschliche Seele vor unsterblich gehalten, welches in der That nicht ist. Denn da sie sagen, sie müsse nach dem Tode in das göttliche Wesen, oder in den Welt-Geist zurück kehren, so geben sie damit zu verstehen, wie die Seele durch solche Vereinigung ihre eigene Subsistenz verlieret; fällt aber diese weg, so kan sie nicht unsterblich seyn. So viel folgt wohl daraus, daß sie nicht könne zernichtet werden, welches aber gantz was anders, als ihre Unsterblichkeit, wie schon erinnert worden.  
  Die Meynung selbst ist höchst irrig und ungereimt. Denn sie gründet sich darauf, daß die Seele ein Stück des göttlichen Wesens sey, welches gantz abgeschmackt, man mag die Sache auf Seiten GOttes, oder der Seele selbst erwegen. Soll sie ein Stück des göttlichen Wesens seyn, so folget, daß das Wesen GOttes in sehr viele Theile könne getheilet werden; Läßt sich aber das Wesen GOttes in viel Stücke theilen, so muß es etwas materielles seyn, weil man nicht begreiffen kan, wie sich ein geistliches Wesen solte in Stücke theilen lassen. Soll GOtt ein Geist seyn, so bestehet er aus keinen Theilen, und läßt sich daher seyn Wesen nicht theilen: wolte man aber sagen, es sey ein materielles und cörperliches Wesen, so wäre ja dieses sehr thöricht.  
  Solche Schwierigkeiten finden sich auch auf Seiten der Seele selbst, denn wäre sie aus dem göttlichen Wesen entsprungen, so müste sie göttliche Eigenschafften an sich haben, welches ja wider alle Vernunfft, und die tägliche Empfindung an uns, und Erfahrung an andern lehret uns, wie die menschlichen Seelen mit so vielen Schwachheiten umgeben sind, wie das Verderben so tief in denselbigen stecke, welches man nimmermehr zusammen reimen kan, wenn sie Theile des göttlichen Wesens seyn sollen.  
  Was insonderheit den Plato betrifft, daß er die  
  {Sp. 1136}  
  Seele der Welt von dem höchsten GOtt unterscheidet, und aus jener die menschlichen Seelen herleiten will, so scheint diese Meynung etwas leidlicher. Allein, wenn man dabey erweget, wie er die Seele der Welt unter die göttliche Hypostases rechnet, so wird man eben diese Schwierigkeit dabey finden. Denn ist die Seele der Welt unmaterialisch, so hat man ebenfalls keinen Grund der Theilung; bestehet sie aber aus einer Materie, so müssen auch die menschlichen Seelen, die von ihr abgerissen worden, materiell seyn.  
2. Klasse In die andere Classe setzet man die Meynung des Aristoteles von dem intellectu agente, es sey nur der Zahl nach eine eintzige Seele, oder ein eintziger allgemeiner Verstand der Menschen, und zwar ausser ihnen, der sie vernünftig mache. Diese Meynung ist so abgeschmackt, daß niemand derselben beypflichten kan, wenn er seine Vernunft brauchen, und sich durch die Autorität des Aristoteles nicht will einnehmen lassen. Man darf hier eben nicht fordern, daß uns gewiesen werde, wie es zugehe, daß ein allgemeiner Verstand sich ausbreiten und in allen Menschen würcken möge, noch die Folgerung anmercken, daß auf diese Weise der Mensch keine vernünftige Seele habe; sondern nur dieses angeben, daß man bey dem Menschen nicht nur so vielerley; sondern auch gantz widerwärtige Gedancken antrifft, daß, wenn der eine etwas bejahet, so wird solches von dem andern verneinet. Sollte nun dieser allgemeine Verstand die Gedancken bey allen Menschen würcken, so müste er wider sich selbst würcken, bald wahre, bald falsche; bald gute, bald böse Gedancken erwecken, welches was ungereimtes wäre.  
  Sagt man, dieser allgemeine Verstand richte sich nach der Beschaffenheit und nach dem Unterscheid der Organorum, die er bey den Menschen antreffe; so ist es gewiß damit nicht ausgemacht. Denn es lassen sich vier Umstände dawider einwenden. Die Gedancken der Menschen verändern sich gar zu oft in so kurtzer Zeit, wer wolte aber sagen, daß sich auch die Organa so oft und bald veränderten? Hält man entweder seine eigene, oder auch anderer Menschen Gedancken gegen einander, so befindet man, daß sie nicht nur in gewissen Eigenschafften unterschieden; sondern auch oft einander entgegen stehen, welches ohnmöglich von dem Unterscheid der Organorum kan hergeleitet werden. Man hat Gedancken, die gar nicht von der Beschaffenheit der Werckzeuge dependiren, und da ein grosses dabey mit auf unsern Willen ankommt, daß man bald an dieses, bald an jenes gedencken könne, so müste auch dieser allgemeine Verstand unserm Willen unterworfen seyn.  
3. Klasse In der dritten Classe können diejenigen stehen, welche sagen, die Seele sey ein subtiler Cörper, welcher nach dem Tode vergehe, wie die Epicuräer, und alle, die es mit ihnen halten, statuiren. Solche Meynung ist eben so leicht, als wie die vorigen, widerlegen. Denn es kommt alles darauf an, ob man die Würckungen, welche die Seele hervorbringt, aus der Materie herführen kan. Es ist bald zu Anfang dieses Artickels gewiesen worden, daß  
  {Sp. 1137|S. 582}  
  dieses nach den Eigenschafften, die uns von der Materie bekannt werden, keinesweges angienge. Wolte man aber mit der Sache auf die Allmacht GOttes kommen, und fragen: ob GOtt nicht eine Materie, die gedencken könne, hervorzubringen vermögend sey? so haben zwar einige, als Richard Bentley, Jacob Bernhard, Humfred Ditton dafür gehalten, GOtt könne keine denckende Cörper, oder eine mit Verstand und Willen begabte Materie hervorbringen; es antwortet aber Fabricius in dem delectu argumentor. et Syllabo scriptor. qui veritatem religionis christ. asseruerunt, nachdem er dieses angeführet, p. 423 sehr bedächtig darauf: Hoc ut affirmem, non possum a me impetrare. Nam quid Deus possit vel non possit, non sum tam insolens, ut determinare me posse praesumam.  
  Wenn D. Buddeus in den element. philosophiae theoret. part. 6. cap. 1. §. 8. gesagt: Es sey was verwegenes, wenn jemand vorgeben wolte, es stritte mit der Natur der Materie, daß sie gedencke, so hat er sich darüber in thesib. de Atheismo et Superstitione cap. 6. §. 6. not. erkläret, wie er von dem Wesen der Materie rede, welches uns nicht genug bekannt sey; von den Eigenschafften aber derselbigen sey die Rede gar nicht, welches auch in dem bescheidenen Beweiß, daß das Buddeische Bedencken noch fest stehe, pag. 25. wider den Herrn Wolffen, der hier einen Einwurff gemacht, erinnert worden.  
  Die Gründe, welche Lucretius wider die Unsterblichkeit der Seele anbringt, haben Gassendus in philosophia Epicuri tom. 1. pag. 286. und in Syntagm. philosophiae Epicuri p. 29. u.ff. auch Buddeus in thes. de Ath. et Superstit. cap. 7. §. 2. widerleget.  
  Was aber den Hobbes, nebst seinen Argumenten, die er aus der Schrifft nimmt, um seine Meynung von der Sterblichkeit der Seele bestärcken, betrifft, so sind selbige gewiß so schwach, daß sie mit leichter Mühe können beantwortet werden. Denn was er von der Unsterblichkeit der ersten Menschen im Paradies, und von dem Baum des Lebens vorbringt, schickt sich hieher gar nicht. Hobbes vermischet die Unsterblichkeit in Ansehung des natürlichen Lebens mit der Unsterblichkeit der Seele. Der erste Mensch war im Paradies unsterblich, das ist, er wäre nicht gestorben; welche Unsterblichkeit er durch den Sünden-Fall verlohren, daß er sterben muste, und dergleichen allen seinen Nachkommen widerfähret; so aber die Unsterblichkeit der Seele nicht aufhebet.  
  Meynet er, der Baum des Lebens habe insonderheit der Seelen Unsterblichkeit zuwege gebracht, so muß er dieses beweisen. Sagt Hiob Cap. XIV, 10. Wo ist aber ein Mensch, wenn er todt und umkommen und dahin ist? so redet er nicht von dem Zustand der Seelen; sondern des Cörpers nach dem Tode, wie denn auch schon oben die Worte Salomons wider ihn gerettet worden. Auch thut nichts zur Sache, daß in heil. Schrifft das Wort Seele so viel sey, als das Leben. Denn das ist ja nicht die eintzige Bedeutung dieses Wortes; ja zuweilen wird Leben und Seele einander entgegen gesetzt.  
4. Klasse Zu der vierten Classe gehören diejenigen, welche die Seele vor ein Accidens, oder gewisse Eigenschafft des Cörpers, so aus einer mechanischen Einrichtung  
  {Sp. 1138}  
  der Materie entstünde, ansehen. Weil aber diese die Subsistenz der Seele, die sie vor sich hat, gar leugnen, und also die gantze Seele aufheben, so kan man sie, eigentlich zu reden, nicht unter diejenigen zehlen, welche die Unsterblichkeit derselbigen aufgehoben.  
5. Klasse Zu der fünfften und letzten Classe könnte man die Meynung des Dodwells rechnen, die gewisser massen von den andern bereits erzehlten unterschieden ist. Wie sie in der That gottlos ist, und nichts anders in sich hält, als daß sie die Unsterblichkeit der Seele umwirfft; also ist sie auch unbegreifflich, wenn man erweget, wie er vorgiebt, daß die Seele sterblich sey; und gleichwohl nicht zugeben will, daß sie materiell sey, Ingleichen, wenn er hinzu setzet, daß sie nach Auflösung des Leibes wieder in die Lufft zurück gehe, und dennoch mit dem Leibe nicht vergehe.  
  Seine schon angeführten Gründe sind sehr leicht. Denn wenn er die Unsterblichkeit, die GOtt allein zukäme, vorschützet, so hebt solche die Unsterblichkeit der menschlichen Seele nicht auf, und bleibt dennoch zwischen beyden ein grosser Unterscheid, massen die Unsterblichkeit GOttes absolute und independenter zu betrachten; gleichwie man auch sagen muß, GOtt allein ist gut, und dennoch sprach er bey der Schöpfung: und siehe, es war sehr gut.  
  Giebt er vor, daß seine Lehre von der ersten Christlichen Kirche gebilliget worden, so versiehet er es darinnen, wenn er von der Autorität der Kirchen-Lehrer ein Argument hernehmen will, deren Ausspruch keine Regel der Wahrheit und des Glaubens abgeben kan, besonders, da sie zum Theil selbst übel von dem Wesen der Seele unterrichtet gewesen. Ja, was er jeder von ihnen anführet, verhält sich nicht einmahl so, als er vorgiebt. Denn was Justinus sagt, gehet nur dahin, daß man sich die Unsterblichkeit der Seele ohne einer Dependenz von GOtt nicht einzubilden habe; sondern daß ihre beständige Existenz von GOtt dependire, welcher, wenn er wolte, sie wieder in ein Nichts verwandeln könnte.  
  Nicht weniger fällt gar leicht weg, was er von den Jüden im Alten und von Christo im Neuen Testament vorgiebt, als hätte man die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele vor keinen Glaubens-Artickel gehalten, indem man die Sadducäer geduldet, und sie nicht verdammet hätte. Denn was die Jüden dabey versehen, ist ihrem verderbten Zustande zuzuschreiben; Christus aber hat die Sadducäer beym Matth. XXIL nachdrücklich widerleget, obschon nicht so offt, als die Pharisäer, weil diese mehr waren, und sie also grösseren Schaden thun konnten.  
  Die Worte Röm. VI, 23. Der Tod ist der Sünden Sold, daraus Dodwell folgern will, die Seele müsse sterblich seyn, weil sie vornehmlich gesündiget, beweisen nichts. Denn verstehet er hier den natürlichen und leiblichen Tod, und will ihn auf die Seele ziehen, so widerspricht er sich selber, indem auch die Getaufften und die dem Evangelio gehorchen, leiblicher Weise sterben müssen, denen er aber gleichwohl die Unsterblichkeit zueignet. Es verstehet aber Paulus nicht bloß den natürlichen, sondern auch den ewigen Tod, welchen eine immaterielle Substanz gar wohl über sich nehmen kan.  
  Es wird noch des Peters Pomponatius zu gedencken seyn, welcher um deßwillen bis zuletzt versparet worden, weil man nicht  
  {Sp. 1139|S. 583}  
  einig ist, ob er die Unsterblichkeit der Seele geglaubet, oder geleugnet. Er hat einen Tractat de immortalitate animae geschrieben, dessen schon oben gedacht worden, darüber der Gelehrten Gedancken sehr ungleich sind, was nemlich seine Meynung von der Unsterblichkeit der Seele sey.  
  Viele haben wider ihn geschrieben, wie ebenfalls schon gezeiget worden, und ihn nicht nur beschuldiget, daß er der Seelen Unsterblichkeit geleugnet; sondern auch daher Anlaß genommen, ihn in die Classe der Atheisten zu setzen, wie unter andern Buddeus in den thesib. de atheism. et superstit. cap. 1. §. 24. gewiesen hat. Andere entschuldigen ihn, daß er nicht sowol die Unsterblichkeit geleugnet, als vielmehr behauptet, sie könne aus der Vernunft, sonderlich nach den Principien der Aristotelischen Philosophie nicht bewiesen werden; er glaube aber fest und gewiß, weil sie die Schrifft lehre. Dieses Urtheil fället Raynaud in erotematib. de bonis et malis libris n. 42. pag. 25.  
  Es scheinet nicht, daß Pomponatius so ohne Bedingung, und schlecht weg die Unsterblichkeit der menschlichen Seele geleugnet habe; sondern wenn man nur bloß die Vernunft zu Rathe zöge, wie aus des Contareni, eines Cardinals, Werck, so er von der Unsterblichkeit der Seelen wider Pomponatium geschrieben, der vorher in der Philosophie sein Lehrmeister gewesen war, zu sehen ist.  
  Eben dieses behauptet Bayle in seinem dictionar. unter dem Wort Pomponatius, welcher sich bey dieser Materie weitläufftig aufgehalten. D. Buddeus sagte am angeführten Ort, man sähe nicht, mit welchem Recht man ihn aus seinem Buch de immortalitate animae der Atheisterey beschuldigen könne, da er nicht ein, sondern vielmahl bekennet, er glaube die Unsterblichkeit der Seele fest und gewiß, wie sie die heilige Schrifft lehre; er leugne nur dieses, daß nach den Grund-Sätzen der Aristotelischen Philosophie sie nimmermehr könne bewiesen werden. Es könnte seyn, daß er, um seinen Gegnern einen blauen Dunst vor die Augen zumachen, nur dieses so vorgegeben, weil man aber niemanden ins Hertz sehen könnte, so liesse sich auch davon nichts urtheilen. Anders urtheilet man in den Unsch. Nachr. 1701. pag. 51 da man dieses Buch recensiret, und solches ein Teufels-Buch nennet, worinnen er die Unsterblichkeit der Seele geleugnet, und nur zum Schein vorgegeben, daß er solche nach der Schrifft glaube.  
Literatur   Von den Scribenten, welche von der Unsterblichkeit der Seele gehandelt, hat Fabricius in delectu argumentor. et syllabo scriptor. qui veritatem religionis christ. asseruerunt, cap. 18. p. 425 u.ff. ein weitläufftiges Verzeichniß gemacht, indem dergleichen Bücher in sehr grosser Menge vorhanden. Die vornehmsten und bekanntesten von den neuern sind
  • Renelmus Digbäus in demonstrat. immortalitatis animae rational.
  • Joachim Hildebrand in immortalitate animae rational. ex solo naturae lumine apodicticis et topicis rationib. ex eodem rationis lumine vindicata;
  • Hector Gottfried Masius de immortalitate animae;
  • Johann Eberhard Schweling in mente immortali contra atheos et scepticos demonstrata;
  • Vincentius Plac-

    {Sp.1140}

    cius in dem gründlichen Beweiß von der Seelen Unsterblichkeit aus dem blossen Licht der Natur;
  • Johann Nicolaus Hardschmidt de immortalitate animae hum. ex philosophor. veter. et recent. argumentis examinata et demonstrata.
Es hat auch Herr D. Löscher in den praenotionib. theologic. pag. 103 u.ff. verschiedene historische Umstände von dieser Materie, die sonderlich die Aristotelischen Philosophen betreffen, angeführet. Noch gehöret hieher des Cornelius Dietrich Kochs confutatio Plinii argumentor. contra immortalitat. et resurrectionem, welche Beweiß-Gründe des Plinius lib. 7. cap. 57. histor. natur. zu finden. Nach den Principien des Herrn Leibnitz hat Thümmig in meletematibus varii et rarioris argumenti pag. 150. einen Beweiß von der Seelen-Unsterblichkeit angestellet.
     

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Stand: 1. März 2013