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Zedler: Sitten HIS-Data
5028-37-1846-14
Titel: Sitten
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 37 Sp. 1846
Jahr: 1743
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 37 S. 936
Vorheriger Artikel: Sittelsbrunn
Folgender Artikel: Sitten … bey denen Rechtsgelehrten
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel

  Text Quellenangaben
  Sitten, Mores, wird in einem dreyfachen Verstande genommen.  
  Erstlich verstehet man dadurch  
  {Sp. 1847|S. 937}  
  den Habitum oder die Einrichtung des menschlichen Willens, da er zu gewissen Thun und Lassen geneigt ist, welcher Habitus entweder nach der gesunden Vernunft eingerichtet; oder mit derselben streitet.  
  Im ersten Fall ist er vernünftig theils nach der Ethic, welches die tugendhafften Sitten sind, theils nach der Politic, so die artigen Sitten genennet werden; Jene bestehen darinnen, daß ein Mensch sich nach dem göttlichen Willen, welchen er durch die Vernunfft aus der Natur erkennet, in dieser oder jener Verrichtung zu richten, allezeit willig ist. Diese hingegen sind, wenn man sich bey vorfallender Gelegenheit nach den eingeführten Gewohnheiten geschickter Leute äusserlich aufführet.  
  Streiten die Sitten mit der gesunden Vernunfft, so geschiehet solches ebenfalls auf zweyerley Weise: einmahl nach der Ethic, wenn man nach dem Triebe der verderbten Neigungenn, des Ehrgeitzes, Geld-Geitzes und der Wollust zu gewissen Thun und Lassen geneigt ist welches man die Lasterhafften Sitten nennet; hernach nach der Politic, wenn man sich dem Geschmack geschickter Leute nicht accommodiret, und sich nach solchem wunderlichen Eigensinn richtet, welches die groben und wunderlichen Sitten sind.  
  Jene, als die Lasterhafften, können in einer doppelten Absicht betrachtet werden: Erstlich in Ansehung der drey Haupt-Neigungen an sich selbst, und da entstehen die Sitten eines Ehrgeitzigen, Geldgeitzigen und Wollüstigen; denn in Ansehung der Verbindung einer Neigung so wohl mit gewissen Fähigkeiten des Verstandes, als mit andern Neigungen, welche Verbindung in Ansehung der Grade der Lebhafftigkeit muß geprüfet werden. Denn andere Sitten wird man antreffen bey einem Ehrgeitzigen als Geldgeitzigen[1]; andre bey dem, da Ehrgeitz und Wollust, oder Geld-Geitz einander die Wage halten; Andre bey einem Ehrgeitzigen, der zugleich guten Verstand hat.
[1] HIS-Data: korrigiert aus: Ehrgeitzigen
  Vors andre versteht man durch die Sitten das Thun und Lassen selbst, so fern solches nach dem angenommenen Habitus geschiehet; und drittens bedeuten solche auch eine gewisse blosse äusserliche Beschaffenheit des Thun und Lassens, zu welcher dritten Bedeutung die unterschiedenen Arten der Sitten in Ansehung des Alters, des Geschlechts, der Profeßion, des Standes, der Ämter und anderer Umständen, die man pfleget anzuführen, gehören.  
  Man betrachtet den Unterschied der Sitten insgemein nach zweyerley Umständen, deren sich einige an dem Menschen selbst; einige aber ausser demselbigen befänden. Zu jenen rechnet man  
 
1) die Beschaffenheit des Leibes, und zwar insonderheit des Geblüts, oder des Temperaments, welches zu den Gemüths-Neigungen und Sitten viel beytrage, so durch die tägliche Erfahrung bestärcket werde, wenn man gleich die Art und Weise, wie es zugehe, nicht wissen könnte, auch ungewiß sey, ob die Determination, da man auf eine gewisse Art der Schein-Güter und also auf gewisse Neigungen falle, von dem Leibe und dessen Temperament den Ursprung habe; oder ob in der Seelen selbst, wie sie ausser dem Leibe vor sich betrachtet werde, bereits ein Unterschied der Neigungen zu finden sey. Hiervon wird in dem Artickel: Temperament, ausführlich gehandelt.
 
 
2) Die Beschaf-
 
  {Sp. 1748}  
 
fenheit des Alters, da das unterschiedliche Alter auch einen mercklichen Unterschied unter den Sitten verursache, so nicht weniger die Erfahrung bezeuge, wie nehmlich, Kinder, Jünglinge, Männer, alte Leute in ihren Sitten von einander unterschieden, welcher Punct in dem Artickel: Alter, in den Supplementen zu diesem Lexico zu suchen.
 
 
3) Die Beschaffenheit des Geschlechts, daß man bey dem Frauen-Zimmer andre Sitten, als bey den Manns-Personen antreffe. Denn die Weibs-Personen hätten mehr sanguinisches, oder phlegmatisches an sich, und daher wären sie weichlicher, zärtlicher, von einer starcken Einbildungs-Krafft, schwächerem Judicio, auch neugierig, vorwitzig, leichtgläubig, veränderlich, zuweilen listig, mehr zu lustigen als ernsthaften Dingen geneigt, auch mehrentheils verliebter, als die Manns-Personen.
 
 
Ihre Ehre suchten sie nicht in grossen Dingen, sondern in dem Ruhm, daß sie schön und galant wären. Weil ihre Einbildungs-Krafft sehr starck, so wären sie von geschwinden Affecten, daß sie sich leicht erzürnen, freuen, betrüben, hoffen, fürchten können.
 
 
Doch sey unter den Weibs-Personen selbst ein grosser Unterscheid, daß ausser dem Naturell, so diesem Geschlecht eigen sey, manche noch was besonders vor den andern habe. Ja man fände bey einigen wohl mehr, als männliche Geschicklichkeit. Dieses sähe man aus den Exempeln derer, die zum studieren nicht ungeschickt gewesen, und das Scepter glücklich geführet. Wiewohl von solchen etlichen Exempeln kein allgemeiner Schluß auf die andern alle zu machen, noch deswegen das, was von den Sitten dieses Geschlechts bekannt und am Tage sey, in Zweiffel zu ziehen.
 
  Die äusserlichen Umstände, welche den Unterschied der menschlichen Sitten verursachen und befördern sollen, theilet man in natürliche und moralische; Zu den natürlichen pflegt man unter andern den Ort und die Zeit zu ziehen. So haben die Gelehrten nach unterschiedlicher Beschaffenheit der Örter auch unterschiedliche Sitten der Menschen bemercket, welches sich so gar auf gantze Völcker erstrecket, wovon oben in dem Artickel, vom Naturell der Völcker, im XXIII p. 1246 u.ff. geredet worden.  
  Daß nach dem Unterschied der Zeit die Sitten unterschiedlich und veränderlich, ist klar. Man darf nur die alten Zeiten gegen die jetzigen halten, so wird sich dieses zeigen. Unsere deutsche Nation hat jetzt eine gantz andere Art zu leben, als ihre Vorfahren gehabt, wie sie Tacitus beschreibet. Die Zeit an sich selbst thut hierbey nichts, welche keinen Eindruck in die menschlichen Gemüther hat; Weil aber die Zeit die Veränderung der Sitten, so aus gantz andern Ursachen herrühret, gleichsam anzeiget, und entdecket, so pfleget es zu geschehen, daß der Zeit selbst diese Veränderung beygemessen wird.  
  Es können aber dieser Veränderungen Ursachen mancherley seyn, als der Regenten Exempel und Anordnungen, wenn sie eben dahin abzielen, daß eine gewisse Lebens-Art oder besondere Sitten sollen eingeführet werden; Die Reisen der Völcker aus einem Land in das andere; die Haupt-Veränderungen der Reiche und der Staaten, und was dergleichen mehr ist.  
  Weil nun solche Veränderung unvermerckt geschiehet,  
  {Sp. 1849|S. 938}  
  und wir es gemeiniglich nur gewahr werden, wenn es vorbey ist, daß diese und andere Sitten zu der und jener Zeit mode gewesen, so pflegt man solches der Zeit zuzuschreiben. Es haben einige einen genium seculi statuiren wollen, welcher nach den Zeiten die Gemüther der Menschen lencke, und die Sitten der Menschen verändere. Dieser Meynung ist Barclajus, welcher in icone animor. … saget: omnia secula genium habent, qui mortalium animos in certa studia solet inflectere.  
  Mit diesen stimmet überein der ungenannte Auctor, der Germania milite destitutam geschrieben, und der so genannte Peter Firmianus, von dem ein besondres Buch unter dem Titel: Seculi genius, Paris 1663 in 12 heraus. Allein es urtheilet der Herr Heumann in act. philos. … gar recht, es gehörten diese genii seculorum mit in das Capitel, welches Clericus in arte critic. … verfertiget, es wären blosse Wörter, da diejenigen, die sie brauchten, selbst nicht wüsten, was sie damit haben wolten.  
  Durch die moralischen Dinge verstehet man diejenigen Sachen, denen die Menschen entweder nach ihren Gutbefinden einen Werth beygeleget, oder die lediglich auf menschliche Anordnungen ankommen. Denn ob sie schon vor sich keinen Einfluß in die menschlichen Gemüther hätten, so gäbe doch die Einbildung, die man von ihnen habe, zur Veränderung der Sitten Anlaß. In Erwegung dessen, pflegt man den Unterschied der Sitten zu bemercken  
 
1) in Ansehung des Standes, so fern die Menschen entweder Regenten, oder Unterthanen, entweder edle oder unedle wären. Denn Regenten wären mehrentheils ehrgeitzig, wiewohl sie sich anders in der Monarchie, anders in der Aristocratie verhielten. So wäre auch bey den Adelichen mehrentheils ein Ehr-Geitz, nachdem das äusserliche Bezeugen eingerichtet werde; Das gemeine Volck hingegen liesse sich insgemein von Wollust und Geldgeitz beherrschen
 
 
2) in Ansehung des Vermögens. Reiche Leute wären stoltz, frech und vermessen, und achteten andre Leute nicht viel; Arme aber wären niedergeschlagen, kleinmüthig, verzagt, und weil sie sich Kümmerlich behelffen müsten, nehmen sie leicht geitzige Sitten an.
 
 
3) In Ansehung der Lebens-Art, da man vielerley Arten der Menschen, folglich auch der Sitten habe. Denn da wären Hof-Leute, Gelehrte, Soldaten, Kauffleute, Handwercks-Leute, und die das Land-Leben erwehlten.
 
  Es können hier verschiedene Schrifften nachgelesen werden. Von denen, die in ihren Moralen diese Materie mitgenommen, ist aufzusuchen  
 
  • Buddäus in elementis philosophiae practicae
  • Kemmerich in der Academie der Wissenschafften, 3te Öffnung ...
 
  Gewisser massen kan man auch diejenigen hieher rechnen, die durch Kennzeichen und Caracteres die menschlichen Sitten der Tugend und des Lasters vorgestellet. Unter den Alten ist Theophrastus bekannt, dessen Caracteres offt griechisch und lateinisch, sonderlich durch Vorsorge des Casauboni und Petri Needhams herausgegeben worden. Diesem Exempel sind viele neuere, besonders unter denen Frantzosen gefolget, und haben allerhand Bücher unter dem Titel Caracteres herausgegeben, von denen Walch  
  {Sp. 1850}  
  in der Dissertation de arte aliorum animos cognoscendi … eine Nachricht gegeben, auch Fabricius in Bibliotheca graeca … und Paschius de variis modis moralia tradendi … gehandelt.  
  Die Sitten der Völcker untersuchet  
 
  • Bodinus in Methodo hist. … und de Republic. …
  • Besoldus in Discursu de natura populorum;
 
  Der Regenten aber nach der unterschiedenen Regiments-Art Machiavellus in Discurs. in Livium. ... Walchs Philosophisches Lexicon.  
     

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Stand: 3. April 2013 © Hans-Walter Pries