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Zedler: Sünde [4] HIS-Data
5028-41-1-7-04
Titel: Sünde [4]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 41 Sp. 34
Jahr: 1744
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 41 S. 30
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Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Bibel

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Stichworte Text Quellenangaben
Sünder Von den Eintheilungen der unterschiedenen Sünden-Arten, kommen wir auf diejenigen Personen, von welchem man sagen kan, daß sie Sünde an sich haben.  
  Es ist fast unnöthig zu erinnern, daß man GOtt, als das heiligste Wesen hiervon ausschliessen müsse. Die Jüden haben ihm aber dennoch eine Sünde zugeeignet, indem sie in ihrem Talmud von GOtt nicht nur auf eine höchst ungereimte, sondern auch Gotteslästerliche Weise behaupten: Er habe eine grosse Sünde begangen, daß er den Mond nicht so groß als die Sonne erschaffen habe, welcher Sünde wegen die Juden vor ihn einen Ziegenbock opffern müsten.  
  Die andere Sünde, welche er begangen, sey, daß er Jerusalem, die heilige Stadt und Mutter in Israel, zerstören lassen, auch die Juden als sein auserwehltes Volck zerstreuet. Darüber lamentire er täglich mit diesen Worten: Wehe mir, was habe ich gethan! Lasse auch täglich 2 Thrä-  
  {Sp. 35|S. 31}  
  nen ins Meer fallen, die so einen schrecklichen Schall machten, daß man sie von einem Ende der Welt bis an das andere hören könne.  
Teufel Unter denen also, welche man die Sünde zueignen kan, machen die von GOtt zwar anfangs gut erschaffenen, hernach von ihm abtrünnig gewordenen Engel den Anfang. Was derselben erste Sünde gewesen, und wodurch sie so schwer gefallen? ist eine Frage, welche nicht durchgängig auf einerley Art beantwortet wird. So viel ist aus dem entsetzlichen Fall, welchen sie gethan, leichte zu schliessen, daß das Verbrechen nicht eine kleine Schwachheit, sondern eine über die massen grosse und sehr schwere Sünde müsse gewesen seyn.  
  Es meynen einige, auf eine lächerliche Weise das unzeitige Geschwätze sey die Ursache ihres Falles gewesen, indem sie wieder GOttes Willen, die Geheimnisse des Himmels den Weibern, mit welchem sie gebuhlet, entdecket und ausgeschwatzet hätten. Andere geben vor, ihre Träg- und Faulheit habe sie gestürtzet, allein es hat diese Meynung eben so schlechten Grund als die beyden ersten, und man siehet gar nicht, woher sie das erweisen wollen oder können.  
  Mit mehrerer Wahrscheinlichkeit behaupten einige, die Lügen wären der Teufel erste Sünde gewesen, und beziehen sich sonderlich auf die Worte Christi, da er Joh. VIII, 44. spricht: Der Teufel ist ein Lügner und ein Vater derselben. Allein Christus saget hier nicht so wohl, daß die Lügen des Satans erste Sünde sey, sondern vielmehr, daß der erste Urheber der Lügen der Teufel sey, welches beydes also nicht einerley und weit von einander unterscheiden ist.  
  Ferner stehen manche in den Gedancken, der Neid und Mißgunst sey der Teufel erstes Verbrechen, weil die alte Schlange der Satanas den ersten Menschen das Ebenbild GOttes und den glückseligen Zustand mißgegönnet, und sie deswegen darum gebracht habe. Sie führen auch zum Beweiß dessen die Worte aus dem Buch der Weisheit Cap. II, 24. an: Durch Teufels Neid ist der Tod in die Welt gekommen; allein es ist gleichwohl daher noch nicht zu schliessen, daß darum auch die erste Sünde, warum der Teufel vom Himmel gestossen worden, der Neid gewesen.  
  Einige hingegen glauben, es sey der Haß gegen den Sohn GOttes die erste Sünde: Denn der Teuffel habe ihn deswegen gehasset, weil er nicht seine Engels- sondern der Menschen-Natur in die Persönliche Vereinigung aufzunehmen beschlossen. Jedoch es ist solches Geheimniß der Menschwerdung des Sohnes GOttes dem Teufel vor dem Fall nicht bekannt gewesen, immassen nachgehends noch den guten Engeln gelüstete, in dieses Geheimniß zu schauen. Petr. I, 12.
  Endlich sagen die meisten, die Hoffart habe dem Teufel und seinen Engeln den Fall zuwege gebracht; Allein was von dieser Meynung zu halten, soll bald mit mehrerm ausgeführet werden.  
  Ausser diesen Meynungen machen andere bey Untersuchung der ersten Sünde des Satans diesen Unterschied, und sehen solches Verbrechen an theils in Ansehung seiner, dadurch er sich selbst gestürtzet, das, sagen sie, sey die Hoffart; theils in Ansehung der Menschen, dadurch er das menschliche Geschlecht gestürtzet, und das sey die Lügen. Denn damit  
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  er sie desto eher betriegen und verführen könne, habe er durch die Schlange fälschlich und lückenhaffter Weise geredet, und sie also zu Falle gebracht.  
  Andere machen folgenden Unterscheid, und meynen, der Würckung nach könnten alle Sünden dem Teuffel beygeleget werden, weil er ja die Menschen zu allen Sünden und Lastern antriebe; eigentlich aber und den Gemüths-Neigungen nach könnte man einem Geiste, wie der Teufel sey, nicht alle Sünden beylegen, bevoraus die auf sinnliche und empfindliche Dinge giengen; sondern nur allein Hoffart und Mißgunst: Denn jene sey ein ordentlicher Appetit seiner eigenen Vortreflichkeit, diese eine Traurigkeit wegen eines andern Vortreflichkeit; sie wollen aber von diesen beyden Haupt-Sünden andere, so daraus entspringen, oder mit diesen verwand sind, nicht ausschliessen, als da ist: Haß, Neid, Untreue, Ungehorsam, Abgötterey, Ungerechtigkeit, Gotteslästerung und dergleichen.  
  Noch andere betrachten das Verbrechen des Satans nach dem Anfang, Mittel und Vollziehung seines Falls. Beym Anfange, sagen sie, habe sich gefunden Hoffart, Hochmuth, Undanck und Eigenliebe; beym Mittel aber Ehrgeitz; und endlich bey der Vollziehung Haß, Neid, Wiederspenstigkeit und Verzweiffelung.  
  Ob nun wohl bey so unterschiedenen Gedancken der Gelehrten, und da die Schrifft überdis nichts ausdrückliches gesetzet, dahero auch nichts gewisses und gründliches gesagt werden kan; so scheinet doch, wo wir ja etwas erwehlen sollen, derer Meynung am wahrscheinlichsten zu seyn, welche die Hoffart vor die erste Sünde des Satans, die ihm eigentlich diesen Fall verursachet, ausgeben: Denn da findet sich noch ein und anderer Grund, womit solche vor andern Meynungen behauptet werden kan.  
  Erstlich ist solches abzunehmen aus der listigen Verführung der ersten Menschen; denn diese suchte er durch keine andere Sünde, als durch Hoffart zu fällen, ohne Zweiffel, weil ihm diese seinen Fall auch gebracht hatte, und er also aus seinem Exempel leicht urtheilen konnte, daß solches der nächste Weg zu ihrem Falle seyn würde. Darum überredete er sie nach der Gleichheit GOttes zu streben, und sprach: Welches Tages ihr davon esset, so werden eure Augen aufgethan, und werdet seyn, wie GOtt. 1 B. M. III, 5.
  So dann wird auch die Hoffart ein Anfang aller Sünde genennet; Syr. X, 15. Hoffart treibet zu allen Sünden, oder wie es nach dem Griechischen lautet: Der Sünde Anfang ist Hoffart. Darum sagt auch Salomon: Wer zu Grunde gehen soll, der wird zuvor stoltz und stoltzer Muth kommt vor dem Fall.  
  Weiter siehet man des Satans Hoffart auch daher, weil er von Christo wolte angebetet seyn: Diß alles will ich dir geben, hieß es, so gut niederfällest, und mich anbetest. Matth. IV, 9.
  So scheinet auch Paulus dessen ein Zeugniß beyzutragen, wenn er an den Timotheum von einem Bischoffe also schreibet: Daß er sich nicht aufblasen, und den Lästerer, nach dem Grund-Text, dem Teufel ins Urtheil fallen solle, das ist, damit er nicht in gleiche Verdammniß fallen möge, als wie der Teuffel durch Hochmuth. 1 Tim. III, 6.
  Endlich das übrige alles zu übergehen, so gefällt diese Meynung den mei-  
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  sten Kirchen Lehrern, und wird auch vom Luthero, und unsern Gottesgelehrten als die Beste angenommen.  
  Nun fragt sichs aber noch: Worinne denn vornehmlich diese des Satans Hoffart bestanden? oder, worauf sie eigentlich gerichtet gewesen? Ambrosius und andere meynen: Der Teufel habe sich seiner Gaben, seiner Macht, Würde und Vortrefflichkeit wegen erhoben. Augustinus saget, er habe nicht mehr von GOtt dependiren, sondern ein Herr für sich seyn wollen. Gregorius M. und andere halten davor, er habe keiner höhern Gewalt, und also auch GOtt nicht unterworffen seyn, hingegen aber wohl über alle Creaturen, wider GOttes Willen herrschen wollen.  
  Die Jüden, und mit ihnen der gelehrte Lightfoot, wie auch Reuchlinus halten dafür: er habe denen Menschen, nach dem Befehl GOttes zu dienen, und sie auf ihren Wegen zu behüten sich geweigert, und das darum, weil er eine weit edlere Creatur wäre, und ein viel besseres Wesen habe als der Mensch, so nur aus einem groben Erdenkloß erschaffen, und also nichts als Koth und Asche wäre.  
  Scotus und einige mit ihm stehen in den Gedancken, er habe gar nach dem Göttlichen Wesen gestrebet, und GOtt gleich seyn wollen, so sie theils aus dem Esaia XIV, 14. Ich will gleich seyn dem Allerhöchsten: und Ezech. XXVIII, 2. Ich bin GOtt, ich sitze im Thron GOttes; theils aus dem Nahmen Michael erweisen wollen: Denn der Ertz-Engel hätte sich diesem Unternehmen des Satans wiedersetzet, und gesaget: Wer ist wie GOtt? Daher er denn sofort den Nahmen Michael, als welcher dieses bedeutet, erhalten.  
  Endlich wollen einige der Scholastischen Weltweisen, und Papisten: Der Teufel habe die persönliche Vereinigung mit GOtt begehret, und deßwegen den Sohn GOttes verächtlich gehalten, daß er solche mit dem menschlichen Geschlechte vorzunehmen beschlossen, weil seine Natur zu der Göttlichen sich viel besser schicke, und bequemer sey zur Vereinigung; Daher auch Bernhardus schreibet: Lucifer habe in GOtt gesehen, daß der Mensch über der Engel Natur würde erhoben werden, dieses aber habe er als ein hoffärtiger Geist den Menschen nicht gegönnet, und sey also gefallen.  
  Allein gleichwie dieses letztere schon oben in Zweiffel gezogen worden; also hat man auch von den übrigen keine so genaue Gewißheit. Darum bleibet es bey dem Ausspruch Lutheri: Es ist genung, daß wir wissen, daß gute und böse Engel seyn, und daß alle von GOtt gleich gut geschaffen worden; so ist auch gewiß, daß die Engel gefallen, wie es aber geschehen, weiß man so genau nicht; die Schrifft hats nicht angeführet, und Christus und die Apostel habens auch nicht offenbaret.  
Menschen Die Menschen sind es, welchen man nach den gefallenen Engeln die Sünde zueignen kan. Hier entstehet nun die Frage, ob man von allen und jeden Menschen, die jemahls in der Welt gelebet haben, und noch leben werden, mit gutem Fug behaupten könne, daß sie Sünde an sich haben? Da der Sohn GOttes die menschliche Natur an sich genommen, und also als ein wahrhaffter Mensch auch in der Welt gelebet, so kan man nicht schlechterdings ohne alle Ausnahme  
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  auf diese Frage antworten. Es ist zwar an dem, daß einige Gottesgelehrten, Christum den allergrössesten Sünder nennen. Lutherus selbst nennet ihn also. Dieses ist aber nicht so zu verstehen, als ob sie durch diese Benennung dafür hielten, Christus sey würcklich wie andere Menschen in Sünden empfangen und gebohren, und habe also ebenfals Sünde an sich gehabt; Sondern sie nennen Christum den allergrössesten Sünder deßwegen, weil er die Sünden der gantzen Welt auf sich genommen, und vor GOtt als ein Sünder oder also sey angesehen worden, als ob er alle diese Sünden selbsten begangen habe. Unsern Heyland müssen wir also von der Zahl der Sünder ausschliessen.  
  Von den offenbar gottlosen Menschen ist es wohl ohnstreitig, daß ihnen die Sünde müsse zugeschrieben werden; von den Frommen und Wiedergebohrnen aber will Petersen und sein Anhang das Gegentheil behaupten. In einer Antwort des erstern auf Herrn M. Schüßlers Hirten-Brief, in welchem ihm und seinem Anhang vorgehalten worden, sie lehreten, daß ihre Frommen ohne Sünde wären, oder nicht mehr sündigten, nimmt er diesen Punct absonderlich vor.  
  Er machet darinne viel Aufhebens und will seinen Satz aus den Briefen Pauli, Petri Jacobi und Johannis erweisen, und führet auch Stellen aus den Patribus an. Allein es ist die Frage nicht, ob einer der im Stande der Wiedergeburth stehet und fortgehet, über die Sünde herrsche, ihr nicht mehr diene, wider sie streite? worüber die Gottesgelehrten einig sind; sondern ob 1) alle im Stande der Wiedergeburth stehende, 2) etliche, die es in der Heiligung weiter gebracht, ohne alle gegenwärtige würckliche Sünden seyn, und gar nicht würcklich sündigen?  
  Petersen behauptet in der angeführten Schrifft bald das erstere, bald das andere, und verstecket endlich seine Meynung unter den Satz, die Sünde herrsche nicht, ihre Herrschafft sey überwunden. Zuweilen lässet er Schwachheits-Sünden bey den Wiedergebohrnen zu, und ein andermahl will er fast nichts davon wissen.  
  Er gründet sich sonderlich auf Johannis Worte, daß, der aus GOtt gebohren, nicht Sünde thue, nicht sündigen könne. Er verstehet dieselben also, daß die Person, welche im Stande der Wiedergeburth stehet, Specificative keine Sünde begehe, nicht fallen könne, und daß eine wiedergebohrne Person auch keine Schwachheits- oder Irrthums-Sünde begehe. Jedoch Johannis Worte sind reduplicative zu verstehen, daß nehmlich der Wiedergebohrne, der gantze Christe, auch mit und nach seiner Gabe und Art der Wiedergeburth betrachtet, nicht Sünde thue, und so lange, so ferne er diese Gabe und Art hat, nach derselbigen nicht sündigen könne: Das ist, die Wiedergebohrnen willigen nicht in das Böse, thun nicht wissentliche und vorsetzliche Sünden, so lange sie solche sind.  
  Es fraget sich beyläufig: ob man in seinem Taufbunde durch sein gantzes Leben ohne allen Rückfall könne stehen bleiben? oder: ob sich ein Wiedergebohrner, von seiner Wiedergeburth an biß an sein seeliges Ende aller vorsetzlichen Sünden enthalten könne? Man siehet wohl, daß hier nicht die Rede von Kindern sey, die in ihrer  
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  Kindheit; oder von Erwachsenen, die gleich nach ihrer Tauffe sterben; sondern von solchen, welche, nachdem sie getaufft und wiedergebohren worden, als Erwachsene eine gute Zeit nach ihrer Wiedergeburth auf Erden leben, und wohl alt werden.  
  Von diesen fragt man: Ob bey solchen möglich sey, daß sie Lebenslang ohne einigen Rückfall im Tauffbund, und also im Stand der Gnaden verharren? So gehet auch die Frage nicht dahin: ob sich ein Wiedergebohrner aller Sünden Zeitlebens enthalten könne? welches Niemand behaupten wird, weil man wohl weiß, daß Gläubige und Wiedergebohrne ihre Schwachheits-Sünden begehen, und ihre Fehler haben. Vielmehr verstehet man vorsetzliche Sünden, dadurch man sein bisher gehabtes geistliches Leben wieder verliehret, und aus dem Stande der Gnade GOttes fället.  
  Und so fraget man auch nicht: ob ein Rückfall von den Wiedergebohrnen könne geschehen? welches vor sich klar und ausser allem Zweiffel ist; sondern: Ob es möglich sey, daß von den Wiedergebohrnen ein solcher Rückfall vermieden werde, und sie sich also ihr Lebelang aller vorsetzlichen und Tod-Sünden enthielten; damit aber beständig in ihrem Tauffbunde beharreten.  
  Ist auf solche Art die Streit-Frage deutlich, und man will selbige ordentlich beantworten, so muß man einen Unterscheid unter der Möglichkeit und Würcklichkeit der Sache machen, und daher wieder zwey besondere Fragen anstellen. Die eine ist: Ob die bestandige Beharrung in dem Tauffbund, mithin in dem Stande der Gnade GOttes möglich sey? Solche Möglichkeit kan man wohl nicht läugnen. Solte sie nicht statt haben, so müste sie unmöglich seyn, und also was widersprechendes in sich halten, welches entweder mit dem Willen GOttes; oder mit den Gnaden-Würckungen bey einem Gläubigen; oder mit den Gnaden-Mitteln, deren sich GOtt dabey bedienet; oder mit dem Zustand und den Seelen- Kräfften eines Wiedergebohrnen streiten müste; so sich aber nicht sagen lässet.  
  Vielmehr zeiget sich das Gegentheil, und da also nichts widersprechendes vorhanden ist so muß die Sache auch möglich seyn. Denn siehet man hier auf GOtt, so kan er nicht nur solche Gnade mittheilen, daß man beständig in seinem Tauffbund beharret, und allen Rückfall vermeidet; sondern er will auch dieses thun, wenn man nur solche Gnade annimmt, eben weil es sein Wille ist, daß man im Tauffbund bleiben, und allezeit im Glauben beharren möge.  
  Erwegt man ferner die Gnaden-Würckungen GOttes in den Seelen der Wiedergebohrnen, so fern sie erneuert und geheiliget werden, so ist auch in Ansehung derselben möglich, allen Rückfall zu vermeiden, indem ihnen GOtt die Gnaden niemahls entziehet; noch verringert; sondern vielmehr bereit ist, selbige immer nach einem reicheren Maaße zufliessen zu lassen, eben weil sie sollen wachsen, zunehmen und in dem Herrn starck werden.  
  Nimmt man noch weiter die Gnaden-Mittel dazu, deren sich GOtt bey der Wiedergeburth und Erneuerung bedienet, so sind sie so kräfftig und so beschaffen, daß ein Wiedergebohrner dadurch einen beständigen Glauben haben, der durch keinen Rückfall unterbro-  
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  chen wird. Die Tauffe ist ein kräfftiges Mittel der Wiedergeburth, welche krafft der Tauffe sich durch die gantze Lebenszeit eines Menschen äussern kan, wenn er sie nicht muthwillig ersticket. Denn solte ihre Würckung nur eine Zeitlang dauern können, so würde die Schuld, wenn ein Rückfall geschiehet nicht so wohl an den Menschen, als vielmehr an dem Mittel und Willen GOttes liegen, welches keinesweges zugedencken, vielweniger zu sagen ist. Geschichts, daß ein Wiedergebohrner ein und andere geistliche Schwachheit empfindet; so ist auch ein kräfftiges Mittel zur Stärckung des Glaubens vorhanden, und zwar das heilige Abendmahl.  
  Man giebt vielleicht alles das zu, wendet aber ein: es käme hier vornehmlich auf den Zustand der Wiedergebohrnen selbst an, daß, weil sie mit vielen und mancherley Schwachheiten umgeben, und dabey vieler Gefahr unterworffen, es nicht wohl möglich, daß sie in dem Tauffbund Lebenslang ohne Rückfall stehen blieben, so machet dieses noch keine Unmöglichkeit aus. Nimmt man die Sache genau, so fliesset weiter nichts daraus, als daß man fallen kan, welches freylich von den allermeisten geschiehet; ist aber dieses möglich, so muß auch das Gegentheil möglich seyn, daß man nicht falle.  
  Hat es mit der Möglichkeit seine Richtigkeit, so fragt sich weiter: Ob man denn auch würcklich Exempel derer, welche Lebenslang in der Gnade beständig, ohne einigen Rückfall, geblieben, habe, und welches dieselbigen sind? Daß es überhaupt dergleichen Heilige gegeben, hat man wohl nicht zu läugnen; wenn man aber insbesondere sagen soll, wer dieselbigen gewesen, so lässet sich davon mit keiner völligen und gantz überzeugenden Gewißheit reden.  
  Denn die Erkänntniß, welche wir von solchen Exempeln haben können, und die hier muß voraus gesetzet werden, reicht dahin nicht, daß daraus ein gantz gewisser Schluß zu machen wäre. Sie gründet sich entweder auf eigene Erfahrung, welche wohl nicht weiter, als auf eine starcke Wahrscheinlichkeit zu bringen, daß dieser und jener beständig in seinem Tauffbunde geblieben, weil eine Möglichkeit des Gegentheils allezeit statt hat, und diese die völlige Gewißheit aufhebet; oder auf Zeugnisse anderer.  
  Solche sind entweder göttliche oder menschliche. Jene; oder die göttlichen, würcken an sich eine gewisse Erkänntniß; sie sind aber hier nicht so genau abgefasset, daß wir daraus deutlich und gewiß sehen könnten, wie dieser oder jener in dem Stande der Gnaden beständig, ohne allen Rückfall verblieben sey. Sie sind wohl so beschaffen, daß wir zu glauben Ursache haben, Henoch, Abraham, Isaac, Jacob, Joseph, Samuel nebst andern, und in dem neuen Testament Zacharias, Elisabeth, Maria und mehrere wären solche gewesen, bey denen kein Rückfall; weil sie aber das weder ausdrücklich sagen; noch solche Umstände angeben, aus denen dieses gewiß zu schliessen, so bleibt doch allezeit das Gegentheil noch möglich; daß man dencken kan; es könne gleichwohl seyn, daß ein und der andere Rückfall geschehen, wenn davon gleich nichts aufgezeichnet sey. Damit wird ihre beständige Beharrung höchst wahrscheinlich; jedoch nicht völlig gewiß. Die mensch-  
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  lichen Zeugnisse machen hier noch eine geringere Wahrscheinlichkeit. Haben sie gleich an sich ihr gültiges Ansehen; so sind doch diejenigen, die sie abgeleget haben, nicht im Stande gewesen, des andern beständige Beharrung mit einer Gewißheit einzusehen.  
  Das alles hebt die Hauptsache, von welcher die Frage ist, nicht auf. Man fragt ob es möglich sey, daß ein Wiedergebohrner in dem Stande der Gnaden sein Lebenlang ohne allen Rückfall bleiben könne? Und das ist es, was vorher erwiesen worden. Solchen Beweiß brauchte man nicht einmahl anzustellen, wenn gantz ungezweiffelte Exempel anzugeben wären, indem was würcklich geschehen ist, auch möglich seyn muß; da aber solche nicht anzuführen, so ist das eben die Ursache, warum wir vorher von der Möglichkeit geredet haben, ehe wir der Exempel gedacht.  
Maria Es ist übrigens bekannt daß die Papisten, ausser noch einigen andern Personen besonders die heilige Jungfrau Maria von aller Sünde frey sprechen. Allein es fället diese Meynung nicht nur von sich selbsten weg, wenn man erweget, das ja Maria eben wie andere Menschen eines Erlösers nöthig gehabt, sich auch desselben getröstet, wie solches aus ihren Worten: Und mein Geist freuet sich GOttes meines Heylandes; erhellet, und daher nothwendig müsse Sünde gehabt haben; sondern es ist dieselbe auch mit sehr schwachen Gründen unterstützet.  
     

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Stand: 15. Februar 2013 © Hans-Walter Pries