HIS-Data
Home | Suche
Zedler: Teutsche Gerichte HIS-Data
5028-42-1812-3
Titel: Teutsche Gerichte
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 42 Sp. 1812
Jahr: 1744
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 42 S. 919
Vorheriger Artikel: Teutsche Gelehrte
Folgender Artikel: Teutscher Gerichts-Brauch
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

  Text Quellenangaben
  Teutsche Gerichte, Latein. Teutonica Judicia, haben, wie unter andern Conring in seinem Tractate de Origine Juris Germanici zeiget, in denen ältesten Zeiten bis auf das 13 Jahrhundert nicht so wohl nach geschriebenen Gesetzen, als vielmehr nach guten im Schwange gehenden Gewohnheiten, und nach der Billigkeit, geurtheilet.  
  Es wurden auch, die Bürgerlichen Händel und Streitigkeiten beyzulegen, keine Richter von grosser Gelehrsamkeit erwählet, sondern welche das Alter, die Klugheit, Gottesfurcht und Gerechtigkeit in Ansehen gebracht, indem die meisten von denen Layen des Lesens und Schreibens damahls unerfahren gewesen.  
  Im dreyzehenden Jahrhunderte aber schlich sich das Canonische Recht allmählich ein. Ja es kam endlich so weit, daß ein öffentliches Decret wegen dessen Annehmung ausgefertiget wurde, welches beym Goldast in seinen Reichs-Händeln P. II. c. 15 befindlich ist.  
  Es war aber damahls dennoch nur in denen Geistlichen Gerichten üblich, bis nachgehends auch der Civil-Proceß nach selbigem eingerichtet, und also dessen Ansehen nach und nach in die Höhe gebracht worden, wie solches Johann Strauch und Caspar Ziegler in ihren Dissertationibus de Origine et Auctoritate Juris Canonici erwiesen haben.  
  Wiewohl auch viele von ihren alten Gewohnheiten durchaus nicht weichen wolten. Ein Exempel dessen kommt unter andern im Sächsischen Land-Recht Lib. I. Art. 3 vor, allwo der Compilator diese Worte hinzusetzet: "Der Pabst mag kein Recht setzen, daher unser Land- oder Lehn-Recht mit ändern oder kräncken möge." Bes. Conring de Orig. Jur. German. c. 26.
  Um diese Zeit wurden auch die alten Gewohnheiten zu Papiere gebracht, unter welchen vornehmlich das Lübeckische Recht, und das Magdeburgische, welches man das Weichbild nennet, berühmt geworden, ingleichen der Sachsen- und Schwaben-Spiegel, wie auch das Sächsische und Schwäbische Lehn-Recht. Und dieses sind die Rechte, welche in Teutschland zur Zeit des 13 und 14 Jahrhunderts bräuchlich gewesen.  
  Im 15 Jahrhunderte aber kam noch das  
  {Sp. 1813|S. 920}  
  Römische, wie auch das Longobardische Lehn-Recht nach und nach auf, als nehmlich diejenigen, die dieses Rechts erfahren waren, in die Fürstlichen Raths-Stuben gezogen wurden, die denn ihre Künste höher zu treiben sich besten Fleisses angelegen seyn liessen. Man lehrete auch solches auf denen Teutschen Academien, wie es scheinet, nach dem Exempel der Schulen in Italien, welche damahls die Teutschen zu besuchen sich vor eine Ehre hielten.  
  Als demnach diejenigen, welche sich auf Schulen dieses Rechts beflissen, in die Ämter und Gerichte gezogen wurden, machten sie, daß solches Recht mit der Zeit nach und nach in denen Gerichts-Stuben eingeführet ward. Und Kayser Maximilian I that im Jahre 1495 die Verordnung, daß man bey der Cammer nach den Römischen Rechten sprechen solte; jedoch solten auch die üblichen Gewohnheiten und absonderlichen Rechte eines jeden Orts beybehalten werden.  
  Diesemnach ist das heut zu Tage übliche Recht in Teutschland ein Mischmasch aus dem Römischen und Canonischen Rechte, wie auch aus denen alten Gewohnheiten und Statuten einer jeglichen Provintz und Stadt, welche insgesammt sich unendlich widersprechen. Und wird es in denen Gerichten gemeiniglich so gehalten, daß, wenn ein Land- oder Stadt-Statut vorhanden, dieses am ersten gültig ist. Wenn aber dergleichen mangelt; so gehet man alsdenn nach dem Römischen Rechte, in so weit solches angenommen worden.  
  Hieraus aber entstehet nun eine grosse Ungewißheit der Rechte; es eräugnen sich auch deswegen so viele Widersprechungen derer Rechts-Collegien. Und eben diese Ungewißheit ist es auch, welche denen Legulejis und Rabulisten Thüre und Fenster eröffnet, daß sie sich vor gelehrte Juristen ausgeben und gantz unverschämt die ungerechtesten Sachen vertheidigen können; so, daß wegen der so vielen und mancherley Satzungen, und deren gar gemeinen Widerspruchs öffters weder Richter, noch Partheyen wissen können, wornach sie sich in Entscheidung der Streit-Händel zu achten haben.  
  Der eine verläst sich allein auf das Römische Gesetz-Buch; der andere beziehet sich auf die Teutschen Rechte; der dritte zweiffelt, ob die letztern nicht veraltet; der vierte behauptet, daß die Teutschen Rechte noch jetzo denen Römischen vorzuziehen; der fünffte hänget sich an das Canonische, oder Päbstliche Kirchen-Recht; der sechste hält dieses vor den sichersten Weg, bey der gemeinen Land-Strasse, das ist, der Rechtsgelehrten und Urthels-Verfasser ihren Meynungen, zu beharren, u.s.w.  
  Bey welchem elenden Zustande einem angehenden Studioso der Rechte bey nahe der Schwindel in den Kopff kommen möchte, was denn endlich bey diesem Gemenge der Rechtsgelehrten zu thun, oder zu lassen, zu erlernen, oder zu verlernen seyn möchte. Es ist aber doch bereits unter dem Artickel Studium Juris, im XL Bande, p. 1229 u.ff. gezeiget worden, wie man sich bey solchen verwirrten Umständen irgend noch am besten zu rechte helffen könne.  
  Übrigens besiehe hierbey auch die Artickel  
   
  {Sp. 1814}  
  Um aber wieder auf die Teutschen Gerichte selbst zu kommen; so sind solche nach dem Unterscheid der Zeiten, auch unterschiedener Art gewesen; und weil vorgedachter Conring in seinem Tractat de Germanici Imperii Judiciis auf das eigentlichste hiervon gehandelt, wollen wir das Vornehmste daraus entlehnen, und hieher setzen, vorher aber sehen, wie es zu Zeiten Carls des Grossen damit beschaffen gewesen.  
  Damahls wurden so wohl die Streitigkeiten, welche das Königliche Haus unter sich, als gegen andere hatte, in der Versammlung der vornehmsten Stände, und des Volckes abgethan, dergleichen auch in denen von Wichtigkeit seyenden Angelegenheiten der Stände selber geschahe. Doch wurden diese Proceres oder vornehmsten Stände nicht als eigentliche Richter, sondern nur als Schiedsleute, oder auf solche Weise angesehen, wie etwan einige Fürsten noch heutiges Tages zugeben, daß man sie vor ihren eigenen Gerichten belangen kan. Doch sind die Exempel von diesem sehr seltsam.  
  Die geringern Sachen und Streitigkeiten aber entschied entweder der König, oder dessen Missi, oder Bevollmächtigte. Denn damahls wurden dieselben so geheissen, welche man jetzo Commissarien, Visitatoren, oder ausserordentliche Abgeordneten nennet. Zu Abthuung der andern ihrer Zwistigkeiten waren vom Könige in jedem Bezirck Grafen oder Richter gesetzet, und diesen gewisse Beysitzer oder Schöppen von edler oder anderer ehrlicher Ankunfft beygefüget. Diese untersuchten so wohl die Civil- als Criminal-Dinge. Es hatten auch die Grafen, wegen Weitläufftigkeit der Göwen oder Bezircke, ihre Nachgeordnete, oder nach ihrer Sprache Schultzen; von diesen aber konnte an jene provociret und appelliret werden.  
  Die Priester strafften die geistlichen Fehler der Christen mit Kirchen-Busse; und die Bischöffe hatten die Gewalt über die Geistlichen und Mönche. Die Bischöffe selbst aber wurden bey ihrem Ertz-Bischoff oder auf dem Synodo verklaget; ob gleich nachgehends allmählig an den Päbstl. Stuhl zu Rom, wegen dessen Gewalt, appelliret wurde. Denen Bischöffen wurde auch gemeiniglich die Entscheidung der unter den Layen vorfallenden Streit-Sachen überlassen, weil man sich von ihnen eine sonderbare Heiligkeit und redliches Wesen einbildete.  
  Über geistliche Güter aber durffte die gantze Clerisey kein Urtheil sprechen; sondern es waren zu dem Ende Advocaten und Vitzthume von denen Königen hierzu verordnet. Derowegen auch die Geistlichen vor ihre Person der geistlichen, wegen ihrer Güter aber der weltlichen Gerichtsbarkeit unterworffen waren.  
  Von diesen Gerichten konnte man entweder an die Königl. Gevollmächtigten, die zu gewissen Zeiten die Provintzen durchreiseten, oder an die Pfaltz des Königes appelliren; da denn vom Könige, oder seinem Pfaltz-Grafen, welcher auch die Hof-Streitigkeiten beylegte, über die Appellation erkannt wurde. Jedoch stunde so gleich zu appelliren nicht frey, es sey denn, daß die Grafen, oder Gevollmächtigte, die Justitz nicht recht verwaltet hätten.  
  Alles aber ward durch einen kurtzen Proceß und wenig Verhören ausge-  
  {Sp. 1815|S. 921}  
  mmacht, daß demnach bey dieser Gerichts-Form nichts auszusetzen ist, ausser daß die Geistlichen an den Pabst appelliren durfften, der zwar ein heiliger Mann war, aber mit Teutschland nichts zu thun hatte.  
  Hierinnen ist mit der Zeit eine grosse Veränderung vorgegangen. Nach Abfassung der güldenen Bulle haben die Chur-Fürsten sich fast alleine der Königlichen Angelegenheit angemasset. Der Pabst hat sich auch einer grossen Macht über die Kayser herausgenommen, dergestalt, daß er dieselbe in Bann zu thun, und ihre Unterthan vom Gehorsam loß zu sprechen, keinen Scheu getragen. Er rühmte sich auch, der Kayser wäre sein Vasall, und das Reich rühre bey ihm zu Lehn.  
  Bey der Fürsten ihren Angelegenheiten ist dieses von dem alten Gebrauch übrig geblieben, daß dieselbe niemahls der Beurtheilung des Kaysers allein anheim gestellet, sondern mit Zuziehung der Vornehmsten durch einen kurtzen Proceß nach Recht und Billigkeit einschieden werden, welches daher insgemein das Fürsten-Recht genennet wird. Da auch in denen neuern Zeiten die Kayser sich die Macht nahmen, allein über die Personen und Lehn der Fürsten zu erkennen; so haben die behertztesten unter denen Ständen demselben nachdrücklich widersprochen.  
  Und wenn es gleich an andern Beweißthümern fehlte; so giebt doch die Einrichtung des gantzen Reichs gnugsam zu erkennen, daß dergleichen Wichtigkeiten des Kaysers Gutdüncken allein nicht überlassen werden können. Es sind demnach diejenige vor offenbare Schmeichler zu halten, welche das Fürsten-Recht ein leeres Gedicht zu nennen, sich erkühnet.  
  Dieses aber ist nachher erst aufgekommen, daß die Fürstlichen Familien, denen auch die freye Städte hierinne nachgefolget, sich frey erkieste Gerichte setzet. Die Teutschen nennen es in ihrer Sprache Austräge, die ihren Ursprung wahrscheinlicher massen zu des Kaysers Friedrichs II Zeiten, und während des grossen Zwischen-Reichs genommen. Diejenigen aber, denen ihre Macht mehr, als dieses gefiel, nahmen offtermahls den Krieg zum Schieds-Richter an.  
  Auch dieses rühret aus den neuern Zeiten her, daß die Kayser und Fürsten die Erkänntniß über die Sachen nicht selbsten vornehmen, sondern dieselbe ihren erfahrnen Ministern übertragen, welches auch nicht anders seyn können, weil an statt derer schlecht und recht abgefaßten Landes-Gesetze das verworrene Päbstliche und Römische Recht eingeführet worden, die zu erlernen denen Fürsten eine nicht geringe Marter seyn würde.  
  Wegen der Geistlichen ist diese Veränderung vorgegangen, daß die Streit-Sachen der Bischöffe, welche ihre Person angiengen, nach und nach alle nach Rom gezogen worden, ohne daß man auf die Autorität der Ertz-Bischöffe und geistliche Provincial-Versammlungen gesehen hätte. Dergestalt, daß kein Weltlicher über einen Geistlichen etwas zu befehlen hat. Welches zwar unter denen Protestirenden geändert ist, bey denen Catholischen aber annoch so gehalten wird, ob schon Kayser Carl V, und etliche andere der Religion halber etliche Verordnungen gemachet, ohne den  
  {Sp. 1816}  
  Pabst darum zu fragen, der sich zwar darwieder sehr hefftig gesetzet; man hat aber dennoch auch an geistliche Personen die Hand geleget.  
  Zu Kaysers Friedrichs II, und in denen nächst folgenden Zeiten haben sich die meisten von der Geistlichkeit einer freyen Administration ihrer Güter angemasset, und die Advocaten verjaget. Es stehen aber die geistlichen Stände in Ansehung ihrer Lehn-Güter und Regalien unter dem Reich, und können ihnen dieselbige genommen werden, wenn sie etwas gegen den Land-Frieden, und andere Reichs-Gesetze, verbrechen.  
  Zu Kaysers Carls des Grossen Zeiten waren die Münche, was ihre Person anbelangt, unter der Gerichtsbarkeit der Bischöffe, von welcher nachgehends etliche alte Klöster eximiret, und dem Pabst unmittelbar unterworffen worden. Die neuen Orden aber, welche um das dreyzehende Jahrhundert, und nachgehends aufgekommen, stehen unter ihren Provincialen und Generalen, und erkennen die Jurisdiction des Pabsts. Welches deswegen geschehen zu seyn scheinet, damit die alten Bischöffe dadurch gedrücket würden.  
  Die Verwaltung der geistlichen Güter war im Anfang denen Advocaten gelassen, von denen mit der Zeit sich etliche Klöster loß gemachet; die meisten aber sind bey dem alten Zustande verblieben. Wenige sind auch von den allgemeinen Beschwerden befreyet worden.  
  Der geringern weltlichen ihre Sachen wurden zur Zeit Kaysers Carls des Grossen entweder bey der Bischöfflichen Audientz, die nachher trefflich um sich gegriffen, oder im weltlichen Gerichte abgethan. Allhier muste man erstlich zu denen Schöppen gehen, welche in den ältesten Zeiten durch die Gäuen und Flecken gesetzt waren. Von diesen wendete man sich zu denen Grafen, deren ihre Macht sich nachmahls viele Hertzoge und Bischöffe angemasset. Von denen Grafen konnte man an die Königlichen Abgeordneten provociren, und endlich wendete man sich zum Könige selbst, welcher zuletzt die Sachen bey Hofe ausmachete.  
  Als aber nachgehends im 15 Jahrhunderte die Appellationes allzusehr über Hand nahmen, woran die eingeführten weitläufftigen Processe, sammt der Rabulisten ihrer Tücke Schuld waren; so berathschlagete man sich, zu deren Abkommen ein beständiges Gerichte anzuordnen, welches endlich zu Speyer seinen festen Sitz erhielte. Die Ursache dessen war eben nicht, weil der Kayser mit seinem Hof-Lager bald hier, bald da sich befande; sondern weil eine solche Menge Streit-Sachen am füglichsten an einem absonderlichen Orte abgethan werden konnte.  
  Die neuern Gerichte aber in Teutschland sind also eingerichtet. Wenn eine Privat-Person mit seines gleichen streiten will; so gehet er in der ersten Instantz nach dem Richter derselbigen Stadt oder Flecken, wo der andere wohnet, wenn nur dieser nicht privilegirt ist. Hierüber ist in allen Fürstenthümern und Reichs-Landen ein höchstes und allgemeines Land-Gerichte anzutreffen, an welches von jenem dahin appelliret wird. Die meisten Reichs-Städte aber absolviren ihre Jurisdiction  
  {Sp. 1817|S. 922}  
  mit einer eintzigen Instantz.  
  Die allgemeine Reichs-Gerichte, sind die Cammer zu Speyer (nunmehr aber zu Wetzlar) und der Kayserliche Reichs-Hof-Rath. Es haben aber theils Stände die Gerechtigkeit, daß ihre Unterthanen gantz und gar nicht an diese höchsten Gerichte appelliren können, wie also bey denen Chur-Fürsten zu befinden, wiewohl bey denen Geistlichen von einigen in Zweiffel gezogen worden, ob sie nicht diese Gerechtigkeit vielmehr nur also gebrauchten, als in der That hätten; Ferner das Haus Österreich, und der König in Schweden, in Ansehung seiner Teutschen Provintzien, (besiehe Instrum. Pac. Westphal. art. 10. §. 12.) welcher auch deswegen zu Wißmar ein Gerichte angeordnet hat, damit die Appellationes, die sonst an den Reichs-Hof-Rath, oder nach Speyer giengen, allda abgethan würden. Setze hinzu Capit. Leopold. art. 27 und 28.
  Dieses aber ist nunmehr fast allen Ständen gemein, daß man von denenselben nicht appelliren kan, es sey denn, daß die Sache eine gewisse Summe Geldes überschritte, welches Quantum doch an einem Orte grösser, am andern geringer ist. Und zwar ceßiret überhaupt die Appellation in liquiden Sachen gantz und gar, in den übrigen aber nur alsdenn, wenn die Summe nicht über 400 Thaler ist. Reichs-Absch. von 1654. §. 107 und 112. Besiehe auch Rhetz Instit. Jur. Publ. Lib. II. tit. 3. §. 24.
  Die Criminal-Jurisdiction aber haben nicht allein die Stände des Reichs, sondern auch etliche Städte, wie auch viele von Adel, ohne daß von ihnen appelliret wird.  
  Wenn die Stände unter sich selbst Streit haben; so schreiten dieselbe gemeiniglich in der ersten Instantz zu denen Schieds-Richtern, oder Austrägen. Dieselbe sind entweder durch der Stände absonderliche Convention gesetzet worden, oder sie seynd in denen Reichs-Gesetzen ausgemachet. Der Ursprung derselben ist ungewiß. Diejenigen scheinen der Wahrheit am nächsten zu kommen, die sie von denen Zeiten Kaysers Friedrichs II und dem grossen Zwischen-Reiche herholen, wie bereits oben erwehnet worden. Es ist also deren Urheber nicht Kayser Maximilianus I. wie zwar einige wollen, ob gleich dieser selbigen eine neue Gestalt gegeben, welche in der Cammer-Gerichts-Ordnung zu Worms von 1495 enthalten.  
  Von denen unterschiedlichen Arten der Austrägen, die daselbst benennet werden, sind vornehmlich noch zwey im Gebrauch, nehmlich daß entweder der Beklagte drey Fürsten, oder andere Stände benennet, aus welchen sodann einer von dem Kläger erwehlet wird, oder daß der Kayser einen oder mehr Commissarien verordnen soll.  
  Es sind aber etliche Sachen, welche zu denen Austrägen nicht gehören, sondern gleich nach der Cammer, oder den Reichs-Hof-Rath gebracht werden müssen. Also hat das Austrage-Gerichte nicht Statt in solchen Fällen, welche  
 
1) schlechterdings und unmittelbar vor die gesammten Reichs-Stände gehörig sind, als z.E. in Sachen wider den
 
  {Sp. 1818}  
 
  Königlichen Land-Frieden in Fiscalischen Sachen, u.d.g.
2) Wenn eine dingliche Klage angestellet würde; denn da muß der Beklagte in demjenigen Gerichte belanget werden, in dessen Gerichtsbarkeit das streitige Gut gelegen ist. So kan auch
3) niemand auf das Austräge-Gerichte provociren, wenn er demselben ausdrücklich renunciiret hat.
4) Kan auch das Austräge-Gerichte in Ehe-Sachen nicht statt finden, welches bey denen Römisch-Catholischen eine ausgemachte Sache ist, bey denen Protestirenden aber sich gantz anders verhält.
5) Können keine Austräge in Reichs-Lehns-Sachen angestellet werden: Denn davon zu erkennen, kommt dem Kayser und dem gesammten Reiche zu.
Mehrere Fälle, worinne die Austräge keinen Platz finden, siehe beym Bechmann in Exercit. Jur. Publ. 10. §. 32.
  Indessen finden sich bey denen Austrägen gleichwohl diese Beschwerlichkeiten, daß von selbigen an das Cammer-Gerichte und den Reichs-Hof-Rath appelliret werden kan, weswegen auch wenig Streit-Sachen auf solche Art Ende kommen, und werden auch viele Unkosten darzu erfordert, indem der Schieds-Fürsten ihre Commissarii beschencket und herrlich tractiret werden müssen. Hierzu kömmt, daß dem Austräge-Gerichte eine Zeit von einem halben oder gantzen Jahre gesetzet ist, binnen welcher aber eine Sache von Wichtigkeit zu endigen in Teutschland ein recht Wunderwerck wäre.  
  Wegen der Execution derer in diesen höchsten Gerichten gefälleten Urtheile wird ohngefehr auf solche Weise verfahren. Erstlich wird dem Condemnirten auferleget, daß er dem Urthel ein Gnüge thun solle, mit der Bedrohung, eine gewisse Summe Geldes, oder Marck reines Goldes, theils dem Fisco, teils dem Rechtbehaltenden, im Verweigerungs-Fall auszuzahlen. Wo er diesen nicht nach kömmt, wird die Straffe vollzogen. Fährt er in der Halsstarrigkeit fort; so wird er mit dem Bann, oder der Achts-Erklärung beleget, und mit Gewalt zur Raison gebracht.  
  Ist er ein Reichs-Stand; so wird die Execution dem Kreiß-Director, oder einem Stande von selbigem Kreise aufgetragen. Wenn der Kreiß nicht mächtig genung ist, den Condemnirten zu zwingen; so wird zweyen oder dreyen die Execution aufgetragen. Doch dergleichen Executiones geschehen selten; und kommt vielmehr mit Teutschlands Brauch und der Stände Freyheit überein, dergleichen wichtige Sachen durch gewisse Schieds-Richter beylegen zu lassen. Indessen aber hat man doch auch in den neuern Zeiten Exempel von dergleichen Executionen, wie, nur eines eintzigen zu gedencken, einem jeden in frischem Andencken schweben wird, was deshalber bey geraumen Jahren her im Hertzogthum Mecklenburg vorgegangen.  
  Wenn aber etwas vorfält, das den gantzen Staat angehet, darüber kan der Kayser schlechterdings nicht nach seinem eigenen Gefallen disponiren; sondern es muß solches auf den Reichs-Tage, oder einer allgemeinen Versammlung der Stände vor-  
  {Sp. 1819|S. 923}  
  getragen, und mit Dero Genehmhaltung darinnen ein Schluß gefasset werden. Besiehe Capitul. Leopold. Art. 39. sub fin. wie auch die nachfolgenden Kayserlichen Wahl-Capitulationen.
  Von noch andern ehedem in Teutschland bekannt gewesenen und zum Theil noch üblichen Gerichten, nebst deren Verfassung und Gerichtsbarkeit siehe unter dem Artickel Reichs-Gerichte im XXXI Bande, p. 82 u.f. wie auch Teutsche Reichs-Grundfeste.  
     

HIS-Data 5028-42-1812-3: Zedler: Teutsche Gerichte HIS-Data Home
Stand: 18. November 2016 © Hans-Walter Pries