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Zedler: Theologus HIS-Data
5028-43-1035-1
Titel: Theologus
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 43 Sp. 1035-1049
Jahr: 1745
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 43 S. 531-538
Vorheriger Artikel: THEOLOGUMENA ARTIHMETICAE
Folgender Artikel: Theologus (JOANNES mit dem Beynahmen)
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen, Bibel
  • Transkribierter griechischer Text der Vorlage

  Text Quellenangaben
  Theologus, Theologe, Gottesgelehrter, Lat. Theologus, Frantz. Theologien, Ital. Theologo, heisset überhaupt ein Mann, der von GOtt und Göttlichen Dingen zu reden weiß.  
  Es haben anfänglich die Heyden sich dieses Nahmens bedienet, auch ihre Poeten und Priester Theologos genennet, wie Orpheus beym Stanley im Theile von Griechischen Dichtern auf dem Kupffer-Blatt tituliret wird, weil er insonderheit viel Reden von der Erkänntniß GOttes angeführet.  
  Daß die ältesten Griechischen Dichter Theologi genennet worden, weiset mit der ihm gewöhnlichen Gelahrheit Gisbertus Cuperus in Commentario ad Apotheosin Homeri ...; gleichwie davon, daß die Priester der Griechen Theologi genennet worden, Georg Siegmund Greens Exercit. Philol. de Theologis Grraecorum nachgelesen werden kan.  
  Inzwischen wollen wir hier nur eines und das andere von dem Gebrauche dieses Wortes gedencken. Es hiessen nehmlich bey denen Griechen insgemein alle, die in Untersuchung der natürlichen Wissenschafft, so wir von GOtt haben, begriffen sind, Theologi und ihre Kunst Theologia. So braucht Aristoteles dieses Wort, und so wurde Pheretydes ein Theologus genennet.  
  Ferner nennte man also die, so die Fabeln der Heyden von ihren Göttern genauer untersuchten, und andere in diesem Stücke unterrichteten, wie Lactantius de Ira Dei ... und Clemens Alexander Stromat. ... schreiben.
  Dieser Leute Schrifften wurden THEOLOGUMENA genennet.  
  Endlich hiessen auch diejenigen Theologi, welche bey denen vornehmsten Orackeln und Götzen-Tempeln aufwarteten, und andere in denen Geheimnissen unterrichteten, welcher Gebrauch aber erst im andern Jahrhunderte nach Christi Geburt scheinet aufgekommen zu seyn. So gedencket Plutarchus der Theologorum des Oraculi Delphici, Lucianus der Theologorum des Aesculapischen Orackels. In einer Smyrnischen Inscription beym Seldeno Marm. Arundell. ... werden die Theologi zu denen Sängern gesetzet; ja Reinesius Class. II. Syntagm. Inscript. ... vermeynet, es wären alle Bediente des Heydnischen Gottesdienstes also genennet worden.  
  Gleichwie aber die Väter der ersten Kirche viele Nahmen von denen Heyden entlehnet und auf heilige Sachen angewendet haben:  
  {Sp. 1036}  
  also haben sie auch den Nahmen eines Theologi unter den Christen eingeführet, daß die Lehrer nun auch genennet werden Theologi.  
  Zuweilen haben sie diesen Nahmen den Scriptoribus sacris beygeleget, wie also Eusebius de Praep. Evang. ... Mosen nennet, thaumasion theologon, einen admirabilem Theologum, und Lib. XII c. 19. wird Paulus von ihm genennet hebraios theologos, Ebraeus Theologus.  
  Im Neuen Testamente kommt dieses Wort nirgends vor, als in der Aufschrifft der Offenbahrung, wo Johannes theologos genennet wird (apokalypsis Iōannou tou Theologou), welcher Nahme darum dem Johannes vor allen andern Aposteln beygeleget worden, weil er insonderheit von der Gottheit JEsu Christi am herrlichsten geschrieben. Denn die alten Griechischen Patres pflegten die Betrachtung der menschlichen Natur Christi zu nennen akonomian; die Betrachtung der Göttlichen Natur Christi aber theologian.
  • Joh. Caspar Suiceri Thesaur. Ecclesiast. ...
  • Joh. Oweni Theologumena ...
  Ob nun aber dieser Titel von denen Christen, welche vorhin die Platonische Philosophie studiret gehabt, über Johannis sein Buch mit der Zeit gesetzet worden, wie Prof. Witsius in seinem Collegio Theologico gedacht; oder aber an und vor sich selber von Göttlicher Autorität sey, stellen wir jetzo an seinem Ort. Gewiß ist es, daß auch in der Syrischen Übersetzung eben dasselbe bey der Überschrifft zu finden, nur das an Statt Theologi das Wort Doctor und Lehrer gesetzet wird.  
  Nach dem Johannes führete Gregorius Nazianzenus den Zunahmen eines Theologi, weil er mit unerschrockenem Muth die wahre Gottheit Christi wider die Arianer vertheidiget: Mit der Zeit ist dieser Titeul allen zukommen, welche in einer Cathedral-Kirche als Episcopi gesessen.  
  Heut zu Tage heissen alle Theologi, die die Wissenschafft der geoffenbarten Wahrheiten wissen und andern wieder vortragen können.  
  Wider Arnolden, der in seiner Historia Theologiae Miysticae die theodidaktous in sensu recepto sic dictos mit den Theologis sensu recepto sic nominatis confundiret, bemercken wir, daß in dem hergebrachten und gar guten Verstande theodidaktos eigentlich derjenige sey, welcher über die Gnaden-Mittel auch die Gnaden-Früchte also geniesset, daß er den Dreyeinigen GOtt in sich hat, schmecket, höret, und, wiewohl durch das Wort, also innerlich zu unaussprechlicher Überzeugung und heiliger Empfindung von dem Heil. Geiste gelehret wird; Theologus aber einer heisse, der so viel richtige Wissenschafft von göttlichen Dingen erlanget, als andere zu lehren nöthig ist.  
  In sensu praegnanti aber, welcher nicht ohne addito zu brauchen ist, heißt Theologus derjenige, dessen Fähigkeit andere zu lehren, auch mit den Gnaden-Früchten, dem Schmecken und Fühlen der Gnade GOttes begleitet wird, siehe des Herrn D. Löschers Theologische Annales des I Decennii ...  
  Es muß aber einer, welcher der Gottesgelahrheit obliegen will, gewisse Gaben und Fähigkeiten haben, und zwar so wohl natürliche als geistliche. Zu jenen, oder zu denen natürlichen gehöret vornehmlich ein solches Naturell des Verstandes, welches nicht nur überhaupt zu den gelehrten; sondern auch insonderheit zu  
  {Sp. 1037|S. 532}  
  den Theologischen Wissenschafften geschickt ist. Wie aber solches in einer gewissen Vermischung derer natürlichen Fähigkeiten, womit der Verstand eines Menschen von Natur begabet ist, in Ansehung ihrer Lebhafftigkeit bestehet; also hat man alle drey Haupt-Fähigkeiten zur Theologie, obwohl nicht in gleichem Grad, nöthig.  
  Die vornehmste darunter ist die Urtheilungs-Krafft (Judicium) welches macht, daß einer ein gründlicher Theologe werden: die Göttlichen Wahrheiten in ihrem gehörigen Zusammenhange einsehen: ihre Gründe, darauf sie beruhen, erkennen, und die Einwürffe dagegen widerlegen kan.  
  Das Gedächtniß kommt einem in Erlangung derer zur Theologie nöthigen Historischen und Philologischen Wissenschafften zustatten, und bringt zuwege. Daß man sich als einen belesenen Theologen zeigen kan.  
  Kommt das Ingenium darzu, so hat man sonderlich im Vortrage Theologischer Materien gute Vortheile zu gewarten, daß man vermittelst dessen ein ordentlicher und deutlicher Theologe seyn kan, der hiernächst seine Sachen munter und lebhafft vorzustellen weiß.  
  Doch, weil sich diese Kräffte des Verstandes nicht bey allen in gleichem Grad befinden, hat man billig zu untersuchen, wie es hierinnen mit einem stehe, und sich nach Beschaffenheit derselbigen auf eine Wissenschafft mehr; als auf die andere zu legen. Denn die Gottesgelahrheit fasset sowohl judicieuse, als auch Gedächtniß-Wissenschafften in sich und wenn gleich manche soweit wie andere nicht kommen können, und in verschiedenen Stücken zurück bleiben müssen; so ist doch schon genug, wenn sie so viel lernen, daß sie GOtt in seiner Kirche dienen können.  
  GOtt braucht in seinem Hause allerhand Gefässe und dürffte vielleicht der Kirche wenig gerathen seyn, wenn ein jeder ein grosser und hochgelehrter Theologe werden wolte. Ein vor der Welt gering scheinender Prediger auf dem Lande; ja ein blosser Schulmeister auf dem Lande kan offt seinem GOtt angenehmere Dienste thun, wenn er es mit ihm und seiner Ehre redlich meynet; als wohl mancher grosser Doctor der Theologie.  
  Solche natürliche Gaben aber, wenn sie auch noch so schön und vortrefflich wären, machen das Werck allein nicht aus. Der Endzweck, welcher bey der Theologie beobachtet werden muß, daß einer als ein Mensch GOttes vollkommen, und geschickt sey zu allem guten Werck ist viel zu hoch, als daß man ihn durch blosse natürliche Kräffte und Mittel erreichen solte.  
  Demnach müssen die geistlichen Gaben darzu kommen, daß nehmlich eine wiedergebohren und bekehrt sey, folglich den wahren Glauben bey sich habe, im Verstande erleuchtet im Hertzen gereiniget sey, und also nicht mehr der Sünde, sondern seinem JEsu diene. Denn der Apostel Paulus sagt 1. Cor. II, 14. Der natürliche, (oder unwiedergebohrne) Mensch vernimmt nichts vom Geist GOttes, er kan von den geistlichen und übernatürlichen Dingen, die der Geist GOttes in dem Worte geoffenbaret, nichts annehmen, vor wahr halten, und ihm einen Beyfall geben.  
  Und eben dieser Apostel bezeuget, die Theologie sey eine Erkänntniß der Wahrheit tēs  
  {Sp. 1038}  
  kat' eusebeian, zur Gottseeligkeit, welche nicht nur die Gottseeligkeit zum Zweck hat, und solche bey andern befördert; sondern auch an sich selbst von der Art ist, daß sie lebendig thätig und kräfftig, mithin bey demjenigen, bey welchem sie sich befindet solche Würckung thut, daß ein frommes und gottseliges Leben damit verknüpffet ist.  
  Ist der Endzweck eines Beflissenen der Gottesgelahrheit dahin zu richten, daß er vollkommen und zu allem guten Werck, oder zur Erbauung der Kirche geschickt werde; hierzu aber hinlängliche Erkänntniß, himmlische Weisheit, und ein heiliges Leben nöthig ist; so sind das solche Gaben, die man von dem Heiligen Geist empfangen muß, und wenn man den nicht hat, wie ihnen denn die Welt nicht empfangen kan, Joh. XIV, 17.
  so kan man denjenigen Zweck, den man billig bey der Theologie haben muß, nicht erreichen.  
  Nöthig ist eine hinlängliche Erkänntniß der Göttlichen Wahrheiten; wie aber diese eine völlige Versicherung von dem Göttlichen Ansehen der Heil. Schrifft voraus setzet, und solche durch das innerliche Zeugniß des Heiligen Geistes, so sich nicht blos auf den Verstand; sondern auch auf das Hertz erstrecket, muß gewürcket werden; also kan derjenige, in welchem der Heilige Geist nicht ist, dergleichen Überzeugung nicht haben.  
  Nöthig ist die himmlische Weisheit.  
  Solche wohnet nicht bey den Obersten der Welt 1 Cor. II, 6 ff.
  sie ist keine Frucht der Natur: sie muß von GOtt erbeten Jac. I, 5.
  und bey der selbstständigen Weisheit, das ist, JEsu Christo, der uns zur Weisheit gemacht, 1 Cor. I, 30.
  gesuchet werden.  
  Nöthig ist die Heiligkeit des Lebens, und das ist schon Beweis genug, daß niemand zu allem guten Werck könne geschickt seyn, er sey denn ein Mensch GOttes, oder aus GOtt gebohren.  
  Und, was das vornehmste, so ist das Gebet, wie überhaupt bey dem Studiren; also insonderheit bey der Theologie eines derer vornehmsten Mitteln. Ein Gottloser aber kan dieses Mittel nicht gebrauchen. Denn seyn Gebet kan dem HErrn nicht gefallen, und wird daher von ihm nicht erhöret,
  • Esa. I, 15.
  • Joh. IX, 31.
  Diese und andere Gründe sind so deutlich, daß man nicht sehen kan, was man dawider einwenden möge. Solte das Ansehen der Menschen bey ein und dem andern mehr gelten; als die Beweisthümer, die in der Sache selbst und in dem Worte GOttes gegründet sind, so kan man auch gar leicht solche menschliche Aussprüche anführen, die dasjenige, was gesagt worden, bestätigen.  
  Die Wahrheit ist so klar, daß sie nicht nur in der Evangelisch-Lutherischen; sondern auch in der Reformirten und Römischen-Catholischen Kirche erkannt und bezeuget worden.  
  Unter denen Reformirten schreibet Andreas Hyperius de recte formando theologiae Studio ... [9 Zeilen Lateinischer Text]; worauf er hin-  
  {Sp. 1039|S. 533}  
  zu setzet: [7 Zeilen Lateinischer Text]  
  Von denen Römisch-Catholischen leget der berühmte Lud. Ellies Du Pin in Methodo studii theolog. recte instituendi ... nach der Lateinischen Übersetzung, die 1722 in 8. herausgekommen ein Zeugniß ab, und thut folgenden nachdrücklichen Ausspruch: [7 Zeilen Lateinischer Text]  
  Von denen Evangelisch-Lutherischen aber kan man den Professor Francken beyfügen, welcher in Methodo Studii Theolog. ... sagt: [14 Zeilen Lateinischer Text]  
  Verlangt man von einem ältern derer Evangelisch-Lutherischen Gottesgelehrten zu hören, was die Theologie sey, und wie man dabey beschaffen seyn müsse, so wisse man, daß der berühmte Joh. Conrad Dannhauer in Hodosoph. ... davon folgende Beschreibung gemacht; Theologia nostra est habitus divinitus datus, in conscientia pura ac animo devoto, qui hominem summe miserum efficaci doctrina ad salutem uitamque aeternam reducit.  
  Ausser diesen aber haben solches mit mehrern gezeiget:  
 
  • Johann Gerhard in Methodo Studii Theol. ...
  • Abraham Calov in Paedia Theolog. de methodo Studii Theolog. ...
  • Philipp Jacob Spener in der Allgemeinen Gottes-Gelahrheit aller gläubigen Christen und rechtschaffenen Theologen 1680 in 12. Darinnen er unter andern dasjenige, was von denen geistlichen Gaben eines Gottesgelehrten gesagt worden, mit vielen Zeugnissen Evangelisch-lutherischer Theologen bestätiget;
  • Joh. Heinr. Majus in Select. exercit. philolog. et exeget. ...
  • Joh. Frantz Buddeus in Isagog. ad Theol. Univers. ...
  • und Herr D. Salomon Deyling in Institutionib. Pastoral. ...
siehe Walchs Vorbereitungs-Gründe der Dogmatischen Theologie ...
  Es  
  {Sp. 1050}  
  hat jemand angemercket, daß man ein Gemüthe das zur Theologie geschickt, aus drey Kennzeichen erkennen könne:  
 
1) Wenn es an geringschätzigen Dingen keinen Geschmack findet, sondern einen natürlichen Trieb hat, sich auf gründliche Sachen zu legen. Einige Ingenia fallen auf lauter Kleinigkeiten, auf argutias, auf Wortspiele, die schicken sich zwar zu andern Studien, aber nicht zur Theologie, die erfordert ein Ingenium das Realitäten liebet. Wiewohl dieses mit dem Unterscheide anzusehen, wenn einer bey den Kleinigkeiten wichtige Dinge versäumet, so schicket er sich allerdings zur Theologie nicht; wenn er aber gern in allen Dingen, auch in Kleinigkeiten, Grund und Gewißheit liebet, jedoch darüber nicht die wichtigen und reellen Sachen fahren lässet, so kan man nicht sagen, daß ein solcher sich nicht zur Theologie schicken solte.
 
 
2) Wenn es einem besondern Trieb und Begierde hat, die Wahrheiten zu erkennen, und auf den Grund einer jeden Sache zu kommen, auch bereit sey, alles darüber zu leiden, und auszustehen.
 
 
3) Wenn es eine besondere Aufrichtigkeit hat, die recht erkannten Wahrheiten anzunehmen und alle irrdische Vortheile und Vorurtheile derselben aufzuopffern, und lieber alles darüber zu leiden, als von der Wahrheit abzuweichen.
 
  Von einem solchen Gemüthe kan man sich in der Theologie etwas vortreffliches versprechen. Siehe Rambachs Dogmatische Theologie ...
  Jacobus, als der in der Schule Christi und des Heil. Geistes die Theologie studiret, kan uns den richtigen Begriff von einem Gottesgelehrten machen. Solches thut er in seiner Epistel Cap. III, 17.
  Die Weisheit aber von oben her, ist aufs erste keusch, darnach friedsam, gelinde, lässet ihr sagen, voll Barmhertzigkeit und guter Früchte, unpartheyisch, ohne Heucheley. Der Apostel beschreibet in diesen Worten  
 
1) die Gottesgelahrheit oder Lehre eines Gottesgelehrten, welche hagnē, rein, seyn soll,
 
 
2) Die Sitten eines Gottesgelehrten, und zwar anfänglich diejenigen, die ihm eigen sind: er soll eirēnikos, friedfertig; epieikēs, gelinde; eupeithēs seyn, hernach zeiget er auch die Sitten, die er mit andern Christen gemein hat. Er soll
 
a) voll Barmhertzigkeit und gute Wercke,
b) adiakritos,
c) ohne Heucheley seyn.
 
  Der Apostel nennet die Theologie die Weisheit von oben her, V. 15.
  Die Weisheit, die von oben herab kommet, d.i. nach Cap. I, 5. diejenige, die von GOtt gegeben wird, die von dem Vater des Lichts kommt.  
  In diesem Verstande wird sie von Paulo 1. Cor. II, 7. die Weisheit GOttes genannt, weil sie von GOtt ist offenbaret worden. Siehe davon den Artickel: Theologie.  
  Die Gottesgelahrheit wird also mit Recht Theosophia, und ein Gottesgelehrter Theosophus genennet.  
  Die alten Juden haben schon die Theologie einer Weisheit, die von oben her sey, geheissen. Schöttgen in Horis Hebraic. ...
  Diese Weisheit soll hagnē, d.i. rein seyn. Der alte Lateinische Dolmetscher übersetzet zwar: pudica, züchtig. Was aber  
  {Sp. 1041|S. 534}  
  vorhergehet und nachfolget ist wider diese Übersetzung. Die Syrische, Engelländische, Holländische und Frantzösische Übersetzung geben es durch: rein hagnos heisset bey den Griechen nicht nur keusch, sondern auch rein. Hagnos olympos, Hesiod in Scuto ... Der reine Olympus, d.i. der Himmel, der ohne Wolcken ist, ingleichen in ergois ... heisset es: Der Gottesdienst solle hagnōs kai katharōs verrichtet werden, allwo das letztere Wort das erste erkläret.
  Jacobus setzet Cap. IV, 8. katharizō und hagnizō in einerley Bedeutung zusammen.  
  Bey denen Lateinern stehet auch zuweilen castus vor purus. Siehe des Poreus Lexicon crit.
  A culpa castus. Plaut. in Poenulo ...
  Vir in privatorum periculis caste integreque versatus. Cicero pro Manil. ...
    Man sehe vornehmlich
  • 1 Joh. III, 3.
  • Phil. I, 16.
  • Apostel-Gesch. XXI, 26.
  L'Enfant verstehet die Reinigkeit von Sorgen und irrdischen Absichten, oder von Lastern und bösen Begierden. Dergleichen haben auch vorher Nic. Hemming in Comment. über diese Epistel Erasmus in Paraphrasi gethan. Allein Jacobus zeiget hier die reine und unverfälschte Lehre eines Theologen an. Der Apostel verlangt, die Lehre und das Leben eines Gottesgelehrten solle rein und unbefleckt seyn, Cap. I, 27.
  Weil er sagt: Die Weisheit von oben ist prōton hagnē epeita eirēnikē, vors erste rein, hernach friedfertig; so ist zu schliessen, daß er nicht von einerley Sache rede. Dieweil er die Vollkommenheiten des Willens hernach (epeita) erzehlet; so siehet man leicht, daß er zuerst (prōton) die Vollkommenheit des Verstandes, d.i. die Reinigkeit und Wahrheit der Erkänntniß und Lehre beschreibe.  
  Die reine Lehre kan auch deswegen hagnē, keusch, genennet werden, weil die verderbte Lehre im Alt. Test. Hurerey und Ehebruch genennet wurde. Paulus nennet demnach die Kirche parthenon hagnēn, eine keusche Jungfrau; weil sie die wahre Lehre behauptet, und denen falschen Aposteln nicht folget. Daher saget auch Hegesippus beym Eusebius Hist. Eccles. ... Die Kirche sey bis auf des Trajans „Zeiten eine reine und unbefleckte Jungfrau geblieben, da die Schänder der Heil. Lehre noch wären verborgen gewesen.„  
  Daß Jacobus die Orthodoxe und richtige Lehrer allhier verstehe, ist ferner daraus zu erkennen, daß er nicht nur Cap. I, 21. die Christen an der gepflanzten, d.i. an der zuerst von den Aposteln vorgetragenen Lehre zuhalten ermahnet: sondern auch Cap. III. 1. diejenigen bestraffet, welche ohne sattsame Gelehrsamkeit nach dem Lehr-Amte strebten. Er erzehlet v. 13. u.ff. daß damahls Leute gewesen, welche sich vor andern vor Weise gehalten. Weil nun eben diese Heuchler und Zäncker waren, und solcher Gestalt Fehler des Verstandes und Willens hatten; so schreibet Jacobus: Die Weisheit aber von oben etc.  
  Es gab dazumahl Leute, welche meynten, die blosse Wissenschafft der wahren Religion sey zur Seeligkeit zulänglich; wider welche der Apostel Cap. II, 14. und 20. streitet. Weil auch das Theo-  
  {Sp.1042}  
  logische Wissen aufblasen kan, so setzet Jacobus bald darzu, ein Theologe müsse eirēnikon friedfertig seyn, und verstehet dadurch einen Mann der sich an Friede und Eintracht vergnüget.  
  Doch redet der Apostel denen verderblichen Irrthümern nicht das Wort; sondern erfordert vor allen Dingen prōton die richtige Theologie; hernach epeita den Frieden.  
  Ein Theologe ist ferner nach der Vorschrifft des Apostels epieikēs; die Bedeutung dieses Worts hat Poeciles ... untersuchet. Die epieikeia wird bald mit Reden, bald mit Schweigen bewiesen. Die Wahrheit muß mit Bescheidenheit vorgetragen werden, und man muß sich der Worte, welche mehr Haß gegen die irrenden, als gegen die Irrthümer anzeigen, enthalten. Herm. Witsius bekennet in der Rede de Theologo modesto ... aufrichtig,  
  „daß er die Hitze des Hieronymus, Athanasius und anderer Väter, wie auch einige der neuern Gottesgelehrten gegen die Dispentienten nicht billige; und daß er die harten Worte lieber den übeln Zeiten zuschreibe, und sie ihnen wegen anderer grossen Tugenden zu gut halte, als zur Nachahmung anpreise.„  
  Mit Stillschweigen wird offt mehr Gutes, als durch das Disputiren und widerlegen, befördert. Jacobus erfordert nicht nur die Kunst und Klugheit zu lehren von einem Gottesgelehrten, sondern verlanget auch, daß er eupeithēs, bereit zu lernen sey. eupeithēs ist hier aus den Worten des Königs Agrippa Apost. Gesch. XXVI, 28. zu erklären, allwo er spricht En oligō me peitheis Christianon genethai. Deine Rede ist zum überzeugen sehr bequem, und machet bey nahe, daß ich ein Christ werde.  
  Wie apeithein Apost. Gesch. XIV, 2. und Joh. III, 36. so viel heisset, als: einer richtigen Überzeugung und Lehre nicht glauben; also ist eupeithēs so viel als: einen redlichen Lehrer gerne hören, und so bald man seinen Irrthum erkennet, alsbald der richtigen Meynung Beyfall gebe. Vatablus übersetzet es: Tractabilis. Casp. Ulenberg in seiner Teutschen Übersetzung: folgsam. Eben dieses lehret Paulus 1 Corinth. XIV, 32.
  Die Geister der Propheten sind den Propheten unterthan, d.i. Niemand soll auf seiner Meynung halsstarrig beruhen; sondern jedermann soll dem, der ihn was besseres lehret, nachgeben. Petrus gab hierinne ein gut Exempel: Denn da er nicht richtig wandelte, und ihm Paulus widerstand; so gab er bald nach, und folgte der guten Erinnerung, Gal. II. 11.
  Nun folgen drey andere Tugenden, welche die Gottesgelehrten mit andern Christen gemein haben. Die alte Lateinische Übersetzung giebet eupeithēs  suadibilis, und setzet noch zwey Wörter: bonis consentiens darzu, welches Ulenberg ausdrücket: Den Guten geneigt. Soll man sagen, daß ein Wort aus dem Grund-Texte verlohren worden? Keines weges. Die Rand-Glosse ist unvorsichtiger Weise in den Text gezogen worden.  
  Die erste und dritte Tugend braucht keine weitläufftiger Erklärung. Jacobus beschreibet hier die Liebe des Nächsten, und verlangt ein Theologe soll voll Barm-  
  {Sp. 1043|S. 535}  
  hertzigkeit und guter Wercke seyn. Diese Erinnerung war desto nöthiger, je mehr Leute damahls nach Anzeichen des 11 Capitels waren, welche nicht so wohl auf das Thun, als vielmehr auf das Wissen giengen.  
  Anyprokritos ist nachdrücklich gesetzt: Denn hypokritēs ist eigentlich ein Comödiant, der insgemein nichts weniger, als das ist, was er vorstellet. In der Sitten-Lehre sind dieses Hypocritae oder Heuchler, welche vor Christen und Kinder GOttes wollen angesehen seyn, da sie doch Kinder des Zorns und Satans-Kinder sind.  
  Was heißt aber adiakritos? Weil diakrinō zuweilen soviel bedeutet, als: ich urtheile, so giebt es der alte Lateinische Übersetzer: non judicans; Vatablus nihil dijudicans. Erasmus in Paraphr. neminem damnans.    
  Weil es aber auch heisseßt: ich streite, zancke.
  • Apost. Gesch. XI. 2.
  • Jud. v. 9.
  so hat der Syrische Dolmetscher es übersetzet: ohne Uneinigkeit. Diesem sind auch Beza, Piscator und Brochmand gefolget.  
  Weil ferner mēden diakrinomenos Apost. Gesch. X, 20.
  soviel bedeutet als: der nicht zweiffelt, völliges Vertrauen hat; auch dieser Sinn  
 
  • Matth. XXI, 11.
  • Apost. Gesch. XI, 23.
  • Jac. I, 16.
  • Röm. IV, 20. XIV, 23.
 
  vorkommt; so hat Hammondus die Übersetzung gemacht: Die ohne Zweiffel und Unbeständigkeit ist. Doch meynet er, Jacobus könne auch hiermit andeuten es sey kein Unterscheid unter den Armen zu machen, und man solle allen ohne Unterscheid gutes thun.  
  Jacobus giebt uns wohl die beste Erklärung an die Hand, wenn er Cap. II, 4. ou diekrithete gebraucht u. v. 1. u. 9. die Bedeutung durch mē prosō polēptein, keinen Unterscheid unter Edlen und Unedlen machen, anzeiget. Lutherus übersetzet demnach gantz recht: Unpartheyisch. Reizius behält eben diesen Verstand: Machet keinen Unterscheid. Augustinus de gratia et lib. arb. ad Valentinum ... giebt adiakritos durch inaestimabilis, nehmlich in thätigen, nicht aber in leidenden Verstande.  
  Die Worte Jacobi könnten demnach also übersetzet werden: Die Weisheit aber von oben her ist vor allen Dingen rein, hernach auch friedfertig, gelinde, nimmt gerne Unterricht an, ist voller Barmhertzigkeit und guter Früchte, machet keinen Unterscheid der Personen, und treibet keine Heucheley. Siehe Christoph August Heumanns Progr. quo ideam Theologi Jacobaeam contemplatur etc. Göttingen 1734, und den Auszug daraus in dem III Bande der Gründlichen Auszüge aus denen neuesten Theologisch- Philosophisch- und Philologischen Disputationibus ...  
  Unter allen Tugenden, die von einem Theologen können gefordert werden, soll die Demuth hervor leuchten. Weswegen auch Paulus die Christen ermahnet, daß niemand mehr von ihm halte, als sich es gebühret, sondern daß ein jeglicher mäßig von sich urtheile. Rom. XII, 3.
  Er brauchet eine schöne parōnomasian, und befiehlet mē hyperphronein par' ho dei phronei. Alla phronein eis to sōphronein. Der alte Lateinische Übersetzer giebet diese Worte: Non plus sapere, quam oportet sapere, sed sapere ad sobrietatem, und einige wollen, Paulus erfordere, die Christen sollen ihren Sinn von dem Bestreben nach einer eitlen Weisheit und falsch berühmten Wissenschafft,  
  {Sp. 1044}  
  wie auch von dem Forschen nach Dingen, die mehr hoch als nützlich sind abwenden; hingegen sich zu einer gesunden, nüchternen und heilsamen Erkänntniß Göttlicher Dinge von gantzen Hertzen kehren.  
  Der Zweck aber des Apostels ist, die mancherley Gnade GOttes in Mittheilung der Göttlichen Erkänntnis und der geistlichen Gaben sonderlich den Lehrern in der Römischen Kirche zur Betrachtung vorzustellen, und sie solchergestalt ihrer Schuldigkeit zu erinnern und zuermahnen, daß sie sich nach dem Maasse des Glaubens, welches GOtt einem jeden zugetheilet hat, und nach ihren Kräfften mässen, auch die von GOtt verliehenen Gnaden-Gaben zum Nutzen der Kirche recht gebrauchen solten. Er erfordert also Anfanges, daß sie nicht eine höhere Meynung von sich hegen sollen, als sich es geziemet, sondern daß sie nach der Demuth oder mäßig von sich urtheilen mögen.  
  Der seel. Lutherus hat die Übersetzung dem Sinne des Apostels gantz gemäß gemacht: Daß niemand weiter von ihm halte, denn sichs gebühret zuhalten, sondern daß er von ihm mäßiglich halte.  
  Die Worte Pauli lassen auch keine andere Auslegung zu. Das Wort hyperphronein deutet bey den Griechen dasjenige Laster an, da einer sich allzuviel zuschreibet, und sich was über seine Kräffte ist, zueignet, über solchen Ruhm stoltz wird, andere geringe hält und verachtet. Vermöge des Gegensatzes zeiget also das sōphronein die Tugend an, da einer in der Meynung von sich in gehörigen Schrancken bleibet, seiner schwachen Kräffte eingedenck ist, in allen Stücken, und gegen jedermann sich demüthig und leutselig aufführet. Der Apostel ermahnet also hiermit zur Demuth; welches auch Chrysostomus, Theodoretus und Theophylactus gelehret haben.  
  Dieses ist die Tugend, die Chrysostomus opp. edit. Bernhard de Montfaucon ... tēn mētera tōn agathōn, die Mutter des guten nennet, und welche uns von Christo und den Aposteln so offt eingeschärffet wird. Sie gehöret vor alle Christen, und Paulus fordert sie von allen, die zu Rom sind; vornehmlich aber von denen Gottesgelehrten und Predigern, welche Vorbilder der Gläubigen im Worte und Wandel seyn sollen. Ein Bischoff d.i. ein Lehrer der Kirche soll sōphrōn bescheiden, mē authadēs nicht einer der Gefallen an sich hat und stoltz ist, seyn, Tit. I, 7.
  Er soll nicht mehr von seinen Gemüths-Gaben halten, als es sich gehöret.  
  Weil alle gute und alle vollkommene Gabe von dem Vater des Lichts kommet; so darf ein Gottesgelehrter seinen Kräfften und Verdiensten nichts zuschreiben, sondern muß die Wissenschafft Göttlicher Dinge, alle Gaben und Geschicklichkeit gäntzlich vor Göttliche Geschenck halten. Wer also erkennet, daß er alles der Gnade und Barmhertzigkeit GOttes zu dancken habe; der wird sich seiner Gaben wegen nicht stoltz rühmen, oder damit prahlen, noch andern, die bessere charismata haben, verachten.  
  Dieses ist das phronein eis to sōphronein, wie GOtt einem jeglichen das Maaß des Glaubens beygeleget hat. Chrysostomus schreibet: Da er gesagt: emerise, er hat mitgetheilet, so hat  
  {Sp. 1045|S. 536}  
  er den, der weniger bekommen getröstet und den der mehr erhalten, erniedriget. [Ein Satz Griechisch], denn wenn GOtt mitgetheilet hat, und es nicht deine Einrichtung ist, was machest du dich groß?  
  Paulus der Göttliche Lehrer der Heyden schrieb alles, was er rühmliches that, Gott zu: Von Gottes Gnade bin ich, das ich bin etc. 1 Corinth. XV, 10.  
  Die andern Apostel, welche niedriger, als er waren, nennte er Brüder, Mit-Brüder, Mit-Arbeiter, Mitstreiter. Als in der Corinthischen Gemeinde einige aus Verwunderung Pauli, andere des Apollo Nachfolger seyn wolten; so lehrete Paulus, daß dieselben sie als Diener Christi und Haushalter über GOttes Geheimnisse, die die Gaben Gottes zum gemeinen Besten der Kirche gebraucheten, anzusehen hätten; und er ermahnete sie: Lieben Brüder, lernet an uns, daß niemand höher von sich halte etc. 1 Corinth. IV, 6.  
  Die von menschlicher Weisheit, und critischem Stoltze aufgeblasen sind, machen sich die Homerischen Worte Iliad. Z. ...eigen Aien aristeuein, kai hypeirochon emmena allon; welches sich zu dem demüthigen Sinne der Jünger Christi und Lehrer der Kirche nicht schicket. Röm. XII, 16.
  Unsere Wissenschafft in Göttlichen Dingen, so groß sie auch seyn mag, ist und bleibet unvollkommen. Paulus war von Gott ohne Maas gelehret, und die Göttlichen Dinge zu hören, bis in den dritten Himmel erhaben worden; er schreibet aber 1 Corinth. XIII, 9. Unser Wissen ist Stückwerck, und unser Weissagen ist Stückwerck etc.  
  Die Theologie in diesem Leben ist merikē das ist unvollkommen, und mit der Kindheit zu vergleichen, ja dem Anschauen in einem Spiegel, und der Dunckelheit ähnlich. Hingegen das teleion wird in die seelige Ewigkeit verspahret, wo wir GOtt autoprosōpos sehen werden.  
  Der Mangel in der geistlichen Erkänntniß ist unsre Schwachheit zuzuschreiben. Wer kan die unbegreiffliche Natur und das Wesen des Dreyeinigen Gottes erklären, und mit seinem Verstande deutlich, völlig und vollkommen verstehen? Wer will die Art und Weise der Geheimnisse erreichen und aussprechen? Wie viel ist auch, das wir, weil die Heilige Schrifft davon schweiget, gar nicht wissen? Wie vieles ist in der Heiligen Schrifft so schwer zu verstehen, daß keine Auslegungs-Regeln zureichen, oder daß doch unterschiedene Erklärungen oder Muthmassungen gleiches Gewichte haben?  
  Wir reden von solchen Stellen, zu deren Erklärung alte Gebräuche, Verfassungen, Geschichte, Ort-Beschreibungen, Zeitrechnungen, Geschlechts-Register, Erkänntniß natürlicher und anderer Dinge nöthig sind, die wir aber heute zu Tage gröstentheils nicht wissen; ob schon was zum Glauben und Wandel nöthig ist, deutlich genug offenbahret ist. Was soll man von  
  {Sp. 1046}  
  den Weissagungen von zukünfftigen Dingen sagen? Welche sich einbilden, daß sie die Beschaffenheit der Göttlichen Geheimnisse wüsten, und auf mathematische Weise demonstriren könnten, machen, da sie weise seyn wollen, daß sie nichts verstehen, und verwickeln sich gemeiniglich in grosse Irrthümer. Demüthige Gottesgelehrten erkennen und bekennen vielmehr ihre Unwissenheit. Josephus Scaliger Opusc. Var. ... saget recht:  
  Nescire velle; quae magister maximus
Docere non vult, erudita inscitia est.
 
  Es ist einem Gottesgelehrten keine Schande, die Unwissenheit aufrichtig zu bekennen in Dingen, die entweder nicht können oder sollen erkannt werden. Augustinus Ep. CXCVII ... schreibet: Magis eligo cautam ignorantiam confiteri, quam falsam scientiam profiteri. Daniel Heinsii Wahlspruch ist wahr: Quantum est, quod nescimus! Ein Ausleger der Heiligen Schrifft muß alle Mittel anwenden, den Sinn derselben zu erforschen, zu erklären, und zu retten; es wäre aber ein schändlicher Ehrgeitz, wenn auch der Gelehrte und erfahrene Ausleger sagen wolte, daß er alles in der gantzen Bibel verstehen und vollkommen auslegen könne.  
  Ein Gottesgelehrter muß bescheiden seyn, daß er nicht seinem Kopffe folgen, und nicht idias epilyses mache; nicht mit neuen Erklärungen prahle, nach seinem Sinne dysnoēta, darinne andere das epechein erwählen, auslegen, und anderer geschickten Ausleger Erklärungen verachte oder durchziehe. Siehe des berühmten Herrn Doctor Christian Friedrich Börners Progr. qvo Promotionem Doctoralem qvinque Theol. Licentiatorum indicit. etc. Leipzig 1741. und den Auszug daraus in dem IX. Bande der Gründlichen Auszüge aus denen neuesten Theologischen, Philosophischen und Philologischen Disputationibus ...  
  Überhaupt aber ist eines Gottesgelehrten Schuldigkeit, Christo einig nachzuahmen. Christus hat ohnfehlbar alle Eigenschafften eines rechtschaffenen Lehrers gehabt. Er hat seinen Schülern, wie in andern Dingen, also auch in diesem Stücke ein Exempel gelassen, de, sie nachfolgen sollen: und es sind auch seine Jünger so wohl als die Lehrer der ersten Kirche bemüht gewesen, in seine Fußstapffen zu treten.  
  Des Plato, Zeno, Aristoteles und anderer Philosophen-Schüler, haben allen Fleiß angewendet, sich ihren Lehrern in allen Stücken gleich zu stellen. Mit wie viel grössern Eyffer solten nicht Christi Nachfolger solches thun, da sie den vollkommensten Meister vor sich haben? Königen und Fürsten sucht man alles nachzuthun; wie viel billiger aber trachtet man diese Ehre dem Könige aller Könige zu erweisen.  
  Überhaupt suchte Christus mit seiner Lehre nicht den Zulauff und Anhang des Volcks, nicht irr-  
  {Sp. 1047|S. 537}  
  dische Hoheit, nicht den Ruhm eines gelehrten Mannes, sondern seiner Zuhörer Wohlfahrt und Gottes Ehre. Sein Vortrag war überaus deutlich; wobey er sich stets nach seinen Zuhörern richtete, und denselben bald Milch, bald harte Speise vorlegte, alles aber mit der grösten Sanfftmuth und Gedult verrichtete.  
  In seinem Umgange war er weder hochmüthig noch eigensinnig, oder mürrisch und verdrießlich, sondern stets liebreich, friedlich und gesellig. Seine Zuhörer wieß er beständig auf die Heil. Schrifft: die Sadducäer widerlegte er aus der Heil. Schrifft: seinen Jüngern erklärte er die Heil. Schrifft: ja es war dieselbe der Mittel-Punct seiner Predigten.  
  Gleichergestalt erfordert die Schuldigkeit der Gottesgelehrten, ihre Schüler stets auf Mosen und die Propheten zu führen. Wenn Christus Glaubenslehren fürtrug, so hielt er sich nicht mit curiösen Fragen und subtilen Gedancken auf, sondern trug alles so deutlich und einfältig für, daß es auch der allergemeinste Mann fassen könnte; indem er sich fürnehmlich bemühete, diejenigen Dinge bekannt zu machen, ohne deren Wissenschafft und Glauben, man die Seeligkeit nicht erlangen kan. Und diese Lehren unterstützte er nicht etwan mit weit gesuchten Vernunfft-Schlüssen, sondern mit denen allerdeutlichsten und einfältigsten Gründen, welche gemeiniglich darinnen bestunden, daß es Gott also offenbaret und verordnet habe.  
  In der Sittenlehre kan wohl niemand deutlicher reden, oder besser, allen alles werden, als Christus. Man höret gar nichts von exteriorationibus, deificationibus, orationibus passivis, simplificationibus, expropriationibus; sondern es sind die Lebens-Pflichten ohne alle Mathematische Demonstration und Philosophische Subtilität auf das vernehmlichste angezeiget.  
  Die Principia, woraus dieselben fliessen, sind ungemein feste, und bestehen fürnehmlich in drey Sätzen. Der erste ist: der Mensch sey höchst verderbt, und könne sich ohne Gottes Hülffe nicht ändern. Der andere: Alle Besserung des Lebens müsse von der Verbesserung des Gemüths anfangen. Der dritte: Gott sey ein Geist, und werde nicht durch äusserliche Gebräuche und Übungen, sondern fürnehmlich durch ein rein und heiliges Hertz bedienet und verehret.  
  Muste Christus die Irrenden widerlegen, so zanckte er nicht mit den Pharisäern, Sadducäern etc. über einer streitigen Frage, sondern grief nur diejenigen falschen Meynungen an, welche den Grund des Glaubens über den Hauffen stiessen. Kam es aber zum Streit selbst, so verfuhr er darinnen so sanfftmüthig, gründlich und deutlich, daß man hätte meynen sollen, er disputire nicht, sondern er lehre. Er grief keinesweges die Person, sondern den Irrthum an. Er schimpffte nicht, sondern er trug die Schmach gedultig. Er suchte seine Feinde nicht lächerlich oder verächtlich zu machen, sondern allein die Wahrheit zu retten.  
  Wie wohl würde es nun um die Kirche stehen, wenn alle Gottesgelehrten in diese Fußstapffen treten wolten? aber dieses hat vielen zu einfältig  
  {Sp. 1048}  
  geschienen. Man hat gleich in denen ersten Jahrhunderten lieber dem Plato und hernach dem Aristoteles, als Christo nachfolgen wollen, und allerhand schwere und subtile Fragen aufgeworffen, von denen doch Christus geschwiegen. Valentinus, Marsio, Arius etc. haben Leute gefunden, welche in ihre tollen Vernunfft-Schlüsse besser, als die lautere Lehre Christi gefallen. Ja es sind Menschen, welche für den Origenes, Augustinus etc. mit solcher Hefftigkeit gestritten, daß sie zuletzt nicht mehr gefraget, was Christi, sondern was des Origenes oder Augustinus Meynung sey.  
  Aber das Unheil ist unbeschreiblich, welches erfolget, wenn man in geistlichen Dingen jemand anders als Christo nachahmet. Wenn man sich mit dem Beyfall grosser Kirchenlehrer vertheidigen will, und unter deren Schatten sicher zu seyn vermeynet, so kan man die allerungereimtesten Lehren entschuldigen und behaupten.  
 
  • Man frage einen irrenden Menschen, warum er denen menschlichen Kräfften so viel, der Göttlichen Gnade aber so wenig zuschreibe? und er wird antworten: Ich folge denen Lehrern, welche für des Augustinus Zeiten gelebet, und eben so hart geschrieben haben.
  • Man frage: warum er von Christi Göttlicher Hoheit mit so wenig Ehrerbietung rede? und er wird sprechen: Ich halte es mit dem Eusebius, nebst andern grossen Theologen derselben Zeiten.
  • Man frage: warum er sich mit spitzfündigen und unnützen Fragen aufhalte? und er wird sich mit des Augustinus, Lombards und Thomä Exempel entschuldigen.
  • Man frage: warum er seine Widersacher mit Sophistischen Schlüssen, und so grosser Hefftigkeit angreiffe? und er wird sich auf des Hieronymus gleichmässiges Verfahren beruffen können.
  • Man frage: warum er die Heil. Schrifft andern durch lächerliche Erklärung eckelhafft mache? und er wird fürwenden, daß Origenes, Hippolitus, Clemens eben also verfahren.
 
  Da nun dem also ist, so gehet man wohl am sichersten, wenn man sich Christum allein zum Exempel vorstellt.  
  Es hat Mosheim eine Rede gehalten, von der Schuldigkeit eines Gottesgelehrten, Christo einig nachzuahmen; welche in dessen Primitiis Juliis (Wolffenbüttel 1723. in 4.) die andere Stelle einnimmt.  
  Sonst können von den Gottesgelehrten oder Theologen nachfolgende Schrifften aufgeschlagen werden:
  • J. H. von Seelen Progr. de genuinis Theologis, testum nomine in N.T. insignitis, Lübeck 1742. in Folio.
  • Bonavent. Riesch, in Disp. de sacerdotio cum regimine conjuncto sive de theologis imperantibus, Jena 1715. siehe einen Auszug daraus in der Gelehrten Fama XLIV. Th. ....
  • Ebendesselben andere Dissertation de sacerdotio cum regimine civili conjuncto, sive de theologis inauguralibus, Jena 1415. in welcher untersuchet wird, was von einem solchen Theologischen Regimente zu halten sey;
  • Zeibichs Schediasma de theologis ad tempus commodatis, Leipzig 1709. in 4.
  • Christ. Friedrich Schindlers Dissertatio epistolica de theo-
  {Sp. 1049|S. 538}  
   
  logis eruditis per ignem, Schneeberg 1727. in 4.
   
  • Polycarp. Leyßers Dissertation de limitibus, qui Jure-Consultis a Theologis proponuntur, Helmstädt 1724. siehe die Recension derselben in den Unschuldigen Nachrichten des Jahres 1724.
  • Gustav. Lißei Defensio pro Theologis Evangelicis seculi Reformationis, 1724. in 4 siehe die Unsch. Nachrichten 1725 ...
  • Joh. Lorenz. Moshemii Dissertationes de theologo non contentioso, Helmst. 1726.
  • Ebendesselben Progr. de theologo, literarum humaniorum studiis exculto, Helmst. 1728
  • J.C.H.R.G. (das ist Johann Christophs Harenbergs, Rectors zu Gandersheim) Idea juris divini de eo, qvod Theologorum est ... 1729. in 8.
  • Joh. Leonhard Froereisens Oratio de charlataneria Theologorum, Straßburg 1735. in 4. siehe die Unschuld. Nachr. 1735. ...
     

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Stand: 1. März 2013 © Hans-Walter Pries