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Zedler: Thomasius, (Christian) [1] HIS-Data
5028-43-1580-1-01
Titel: Thomasius, (Christian) [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 43 Sp. 1580
Jahr: 1745
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 43 S. 803
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  Text Anmerkungen
  Thomasius, (Christian) ein berühmter Philosoph und Rechtsgelehrter, Königlich- Preußischer Geheimder-Rath der Hochlöblichen Friedrichs-Universität[1] Director, Professor Juris Primarius und Senior, wie auch Erb- Lehen- und Gerichts-Herr auf Alsdorff, war gebohren zu Leipzig den 1 Jenner 1655.
[1] HIS-Data: zu Halle
  Sein Herr Vater war Jacob Thomasius, Professor der Wohlredenheit daselbst, von welchem ein besonderer Artickel folget, die Fr. Mutter aber Maria, Herrn Jeremias Webers der Gottesgelahrheit Licentiatens und Archidiaconi zu St. Nicolai in Leipzig, nachgelassene Tochter.  
  Von diesen seinen Eltern ward er von der zarten Kindheit an zur Gottesfurcht und allen Guten angeführet, und ob er wohl im 8 Jahre seines Alters seine leibliche Mutter verlohr: So führte ihm doch die Göttliche Vorsorge eine andere Mutter zu, die nicht weniger als seine rechte Mutter vor sein Wohlseyn und Erziehung Sorge trug.  
  Weil er von Jugend auf einen sehr muntern Verstand und grosse Fähigkeit zum Studiren bey sich spühren ließ, ward er sowohl durch die Anleitung seines Vaters als auch der berühmten Gottesgelehrten und Schul-Männer, Lic. Fellers, Doctor Friedrich Rappolts und M. Johann Gottfried Herrichs so weit gebracht, daß er auch die Philosophischen Vorlesungen verschiedener berühmten Professorn in seiner Vaterstadt mit Nutzen anhören konnte, indem er  
 
  • Johann Ittigen über die Physic,
  • Valentin Alberti über die Metaphysick,
  • Johann Rhun über die Mathematick,
  • Otto Mencken über die Politick,
  • und Christian Friedrich Franckenstein in der Historie
 
  hörte, und ihre Collegia nicht minder, als seines nachmahligen Herrn Schwagers Adam Rechenbergs Philosophische Vorlesungen unausgesetzt besuchte.  
  Von seinem Vater ward er besonders fleißig zum Disputiren angehalten, und dahin gewiesen, ehe er sich der Rechts-Gelahrheit wiedmete, sich vorher in der Philosophie gründlich umzusehen, welches nachgehends zu einer so heilsamen Frucht vor die Philosophie und deren Verbesserung in Teutschland ausgeschlagen ist.  
  Damals laß sein Vater über  
  {Sp. 1581|S. 804}  
  Grotii Bücher vom Recht des Krieges und Friedens und recommendirte seinen Zuhörern die Commentatores über ihn fleißig zu lesen; welches auch der junge Thomasius wohl zu Hertzen nahm, und daher sowohl Zieglers als Osianders Anmerckungen über den Grotium bedachtsam zu lesen anfieng, durch deren Hülffe er theils Grotii neue, theils der Scholasticorum alte Gedancken von dem Natur- und Völcker-Rechte zu begreiffen, gegen einander zu halten, und weil der Werth und Unwerth abzuwägen gelernet hat: Es kamen auch um diese Zeit Pufendorffs Schrifften in dem Natur-Recht zum Vorschein.  
  Weil nun Pufendorff den Grotium offt erklärte, verbesserte und erläuterte, zugleich auch annehmlich, schön und deutlich schrieb, so bekam er auch an demselbigen einen Geschmack, konnte aber sich doch noch nicht entschliessen, dessen besondern und neuen Lehr-Sätzen beyzutreten, weil er sahe, daß Pufendorff in vielem von denjenigen Lehr-Sätzen abgegangen, die er allezeit als Grund-Wahrheiten angesehen hatte.  
  Ein so seltener Fleiß brachte gar bald seine erwünschten Früchte hervor, und wieß genugsam, daß wie er unter die frühzeitigen Ingenia nicht gerechnet zu werden verlangte, er doch auch keinesweges den langsamen Köpffen beyzufügen sey. Es hielt ihn also die Philosophische Facultät zu Leipzig vor würdig, daß er 1671 in Baccalaureum, und 1672 in Magistrum der Philosophie, ob er gleich erst 17 Jahr alt war, rühmlichst promoviren konnte.  
  Nach beendigten Philosophischen Studiis ergriff er, sondern Zweiffel auf Anrathen seines nahen Vetters, des Cantzlers Johann Thomä, die Rechtsgelahrheit, und ließ sich derowegen schon in Leipzig bey obgenannten Valentin Alberti das Natur Recht und ferner bey Friedrich Geislern die Justinianischen Institutiones erklären.  
  Weil er aber Verlangen trug, auch andere Universitäten zu besehen, so begab er sich 1675 nach Franckfurt an der Oder und setzte allda die Rechtsgelahrheit fort, dabey er denn sonderlich des trefflichen Samuel Strycks und des nachmaligen Churfürstl. Brandenburgischen Staats-Ministers, Johann Friedrich von Rhez, gelehrte Unterweisung zu genüssen hatte.  
  Weil er aber auch hier nicht soviel als sein Lehrbegieriges und feuriges Naturell suchte, finden konnte: so gerieth er auf die Gedancken, selbst zu lehren und zu lesen anzufangen, um dadurch mehr zum Nachdencken angeleitet zu werden. Er erwehlte also Samuel Klenckii Quaestiones ad libros Grotii, und laß darüber; und ob er gleich Pufendorffs Schrifften auch gelesen hatte: so wolten ihm doch dessen Neuerungen nicht gefallen, weil er noch an den alten Sätzen der Moralisten hienge; daher er auch froh war, daß Pufendorff auf allen Seiten angegriffen und wiederleget wurde.  
  Nachdem er aber Pufendorffs Verantwortungen zu lesen bekam, giengen ihm die Augen auf, und er fieng an, nicht nur die Fehler und Irrthümer in der Moral einzusehen, sondern auch zu begreiffen, daß man wider Pufendorffen nichts erhebliches würde aufbringen können; und damit bekam er Muth, und faßte den Entschluß, sich von den Vorurtheilen frey zu machen, an keines Menschen Ansehen, Meynung und Ausspruch sich zu binden, al-  
  {Sp. 1582}  
  les nach seinen eigenen Principiis wohl zu untersuchen und zu unterscheiden, und also zu philosophiren.  
  Im Jahr 1679 disputirte er unter des von Rhez Vorsitz de Jure circa frumentum und wurde Doctor der Rechte, that darauf eine Reise nach Holland, und insinuirte sich durch seyn vortreffliches und aufgewecktes Ingenium sonderlich bey dem berühmten Philologo Joh. George Gräven, also, daß derselbe Lust bekam, ihn in Holland zu behalten.  
  Er ließ sich aber nicht aufhalten, sondern kam nach zurück gelegter Reise wiederum nach Hause, und legte sich anfangs auf das Bürgerliche und Deutsche Recht, fieng auch an daselbst Juristische Collegia zu lesen, und zugleich vor Gerichte zu practiciren[2]. Weil er aber wohl sahe, daß seine Gemüths-Neigung sich weit besser zum Lehren als zu der Praxi schickte: so ließ er letztre gantz liegen, und nachdem er einen grossen Zulauf von Zuhörern bekam, so wendete er auf Lesung der angefangenen Philosophischen und Juristischen Collegien allen möglichen Fleiß.
[2] HIS-Data: korrigiert aus: pacticiren
  Im Jahr 1683 gab er sein erstes Buch, nehmlich die Annotationes theoretico-practicas in Joh. Strauchii dissertationes ad universum Jus Justinianeum privatum heraus.  
  Nach dem Tode seines Vaters, welcher in eben dem bemeldeten Jahre erfolgte, fieng Thomasius an, immer mehr und nachdrücklicher hervorzubrechen, und sonderlich das Natur-Recht zu lehren und zu erklären, welches ihm aber viele verdrüßliche Händel auf den Halß zog, und ihm endlich gar aus seinem Vaterlande vertrieb.  
  Es hatte nehmlich Thomasius nicht nur das Pufendorffische Systema angenommen, sondern auch erweitert und mehr erkläret, ferner 1687 die Jurisprudentiam divinam zum Dienst seiner Zuhörer drucken lassen, und die darüber anzustellenden Vorlesungen in einem Teutschen Programma, als welches damahls was gantz ungewöhnliches war, bekannt gemacht, welches beydes den damahligen Leipziger-Philosophen, besonders aber seinem ehemaligen Präceptor, D. Valentin Alberti, sehr empfindlich fiel, und ihn wieder unsern Thomasium aufbrachte.  
  Noch mehr aber gab zu diesem Feuer Anlaß daß Thomasius, nachdem er einige Jahre an den Actis Eruditorum gearbeitet, selbige aber wiederum verlassen hatte, 1688 anfieng ein neues Journal in Deutscher Sprache unter dem Titel: Freymüthige, lustige und ernsthaffte, jedoch Vernunfft- und Gesetzmäßige Gedancken, oder Monath-Gespräche über allerhand, vornemlich aber neue Bücher, heraus zu geben, in welchem er nicht nur die Bücher recensirte, sondern auch mit einer Satyrischen Schreib-Art die Fehler und Mißtritte der Gelehrten gar offenhertzig und eindringlich abmahlte.  
  Da er nun ohnedem bey den Leipziger Philosophen schon im schwartzen Register war, weil er ihre Philosophie als unnütze Grillen und falsche Lehr-Sätze guten Theiles verworffen hatte; man auch glaubte, als wenn er durch gedachtes sein Journal den Actis Eruditorum Tort thun wolte, und über das, die dem Monat Jenner vorgesetzte Vorrede und übriger Inhalt einem und dem andern gar beissend und anzüglich vorkam, so wurde von dem Ober-Consistorio zu Dreßden ein  
  {Sp. 1583|S. 805}  
  Befehl ausgebracht, über diese ohne Nahmen ausgefertigte Monat-Schrifft einer Untersuchung anzustellen. Und ob er gleich mit dem Monat Mertz den Tittel änderte, und ernsthafter zu schreiben versprach, so denuncirten sie dennoch die Sache nochmahls bey dem Ober- Consistorio, und gaben seine Monats-Schrifft vor ein Pasquill aus. Weil aber Thomasius die Vorsichtigkeit gebraucht und sich bey Hofe fest zu setzen gesuchet hatte: so brachte er das Jahr völlig zu Ende.  
  Nichts destoweniger aber würckte nachgehends D. Alberti mit dem Anfange des Jahrs 1689 einen harten Befehl wider Thomasium bey dem Ober Consistorio aus, in welchem ihm seine Satyrische Schreib-Art und übriges gedachte mißfällige Bezeigen und genommene Freyheit bey Straffe 100 Ducaten verbothen, und der Universität befohlen worden, ihn über die angebrachte Klagen der Philosophischen Facultät und des D. Alberti zu vernehmen.  
  Derselbige aber beklagte sich über dis Verfahren bey dem Churfürsten selbst, und noch ausführlicher bey dem Ober-Consistorio zu Dreßden, eröffnete die geheime Ursachen des Hasses wider ihn, und bath, gehöret zu werden, und die Denuncianten zum Beweis anzuhalten; erboth sich aber doch in einem Hand-Schreiben an 2 vornehme Minister zu einem Vergleich, welcher auch durch derselbigen Bemühung eines Professors der Medicin, der beyder Freund war, zu Stande gebracht, und also die erste Verdrüßlichkeit in Güte beygeleget worden ist.  
  Es war aber dieselbige noch nicht recht vorbey, so entstund eine andere noch weit größre, indem unvermuthet ein gantzes Ehrwürdiges Ministerium zu Leipzig den Herrn Thomasium wegen seiner Monats-Schrifften als einen Pasquillanten und Diffamanten seiner Präceptoren und des Ministers bey dem Ober-Consistorio anklagte, und ihn als einen der ärgsten Calumnianten und Bösewichter denuncirte. Worauf die Universität abermahls Befehl erhielt, ihn darüber zu vernehmen, welche auch ihn in Person zu erscheinen citirte, so er auch that, und um Abschrifft der Anklage und um genugsame Frist, seine Verantwortung thun zu können, anhielt.  
  Es kam aber die gantze Anklage von D. August Pfeiffern her, als welcher nebst D. Joh. Benedict Carpzoven den Thomasius mit grossem Ernste zu Leibe gieng, ihn der Atheisterey und einer profanen Lehre und Leben beschuldigte, und ihn bey dem Ober-Consistorio sehr schwartz machte; worzu bald darauf auch eine neue Denunciation von der Theologischen Facultät kam.  
  Dahingegen Thomasius nicht nur alle mögliche Rechts-Mittel zu seiner Vertheidigung ergriff, sondern auch seine Widersacher in einem Collegio gratuito de differentiis justi et honesti, daß er wider Pfeiffers Collegium Anti-Atheisticum, der ihn darinnen zum Atheisten machen wolte, gehalten, empfindlich abmahlte, und als ihm solches verboten wurde, ein anders von den Vorurtheilen anfieng, wo er ebenfalls Gelegenheit fand, sich wider die Beschuldigungen seiner Widersacher gegen die in grosser Anzahl anwesende Studenten zu vertheidigen, ohne daß er in diesem letztern weiter be-  
  {Sp. 1584}  
  kränckt werden können. Er versuchte zwar auch einen gütlichen Vergleich, und schob deswegen immer auf, sich in den Streit rechtlich einzulassen: als sich aber derselbe fruchtloß zerschlug, gab er endlich auf die Denunciation des Ministerii eine Antwort, vertheidigte seine Sache, widersprach der gemachten Klage, und bat um Recht.  
  Ob man nun gleich meynen solte, es würde darauf der Proceß weiter geführet worden seyn, so blieb doch hiermit alles liegen, und weder die Theologische Facultät, noch das Ministerium regten die Sache weiter, indem schon ein anders eben so schweres Wetter sich wider den Herrn Thomasium aufzog.  
  Es hatte nehmlich Thomasius in seinen Monaten des Königlich-Dänischen Ober Hof Predigers, D. Hectoris Gottfried Masii, Interesse principum circa religionem Evangelicam recensiret, und seinen wiedrigen Sinn, zumahl über die damahls überall eingeführte Lehre, daß die Obrigkeiten unmittelbar von GOtt ihre Macht bekamen, wiewohl verdeckt, und ohne piquanten Schertz bezeuget; welches, da es durch die Feinde des Thomasii endlich vor D. Masium gebracht worden, der durch noch eine andre Widerlegung einer wider Thomasium edirten anzüglichen Schrifft, um welche er gewust haben soll, in den Monat- Gesprächen noch mehr erhitzet worden war, es bey seinem Könige dahin brachte, daß derselbe sich 1689 in einem Schreiben an den Churfürsten zu Sachsen über Thomasium, als einen, der das gemeine Interesse der Könige und Fürsten vermessentlicher Weise verletzet, und von der Majestät aller Potentaten gantz verkleinerlich geschrieben, ungnädig beschwehret; worauf demselbigen von dem Ober-Consistorio seine Verantwortung zu thun befohlen worden, welches er auch in einer an dasselbige angegebnen specie facti that, auch sich vor der Universität, an die er gewiesen worden, mündlich vertheidigte.  
  Worauf ihn aber befohlen worden, daß er weder in Leipzig noch anderer Orten etwas ohne vorhergehende Censur drucken lassen solte, welche dieser in Leipzig zu erhalten keine Hoffnung hatte. Worauf die Sache liegen geblieben, bis, da sich Thomasius, wie wir[3] bald erzehlen werden, nach Halle gewendet, der Handel mit noch viel grösserer Weitläufftigkeit wieder angegangen.
[3] HIS-Data: korrigiert aus: wird
  Denn da indessen die Pietistischen Streitigkeiten angiengen, so wurde Thomasius ersucht, dem seligen Herrn August Hermann Francken ein Responsum Juris zu ertheilen, so er auch that; und 1690 eine Schrifft von der Ehe Fürstlich-Lutherischer und Reformirter Personen edirte, als Hertzog Moritz Wilhelm zu Sachsen sich mit einer Prinzeßin von Brandenburg vermählte, und D. Philipp Müller darwider eine Schrifft unter dem Tittel: Fang des edlen Lebens durch ungleiche Glaubens-Ehe, geschrieben, welche ihn in Churfürstlichen Arrest gebracht, und welche Thomasius in gedachter Schrifft widerlegte, dem man deßwegen Schuld gab, daß er gedachten Theologum ins Gefängniß gebracht, welches er aber beständig geläugnet, und selbst nach der Hand in seiner Befreyung geholffen.  
  Diese beyde Schrifften nun, in welcher letztern auch der berühmte Wittenbergische Theologus, D. Caspar Löscher, angestochen worden, erregten dem Herrn  
  {Sp. 1585|S. 806}  
  Thomasio neuen Verdruß, und zogen ihm die Feindschafft der Wittenbergischen Theologen auf den Hals, und seine Widersacher zu Leipzig, welche er durch Beschreibung der Heuchler in obgedachtem Collegio de praejudiciis aufs neue wider sich gereitzet hatte, verklagten ihn nebst jenen aufs neue bey dem Ober-Consistorio, als einen sehr gefährlichen und nachtheiligen Mann, der, wie an der Evangelischen Kirche, also auch an dem Chur-Hause Sachsen gefrevelt hätte.  
  Weil nun unser Thomasius Wind bekam, daß ihm nicht nur das Lesen werde niedergeleget werden, sondern man sich auch seiner Person versichern, und so dann eine Inquisition wider ihn anstellen wollte, so nahm er seine Zuflucht zu dem Churfürsten zu Brandenburg, und ersuchte höchst Denselbigen um gnädigste Erlaubniß, sich in Halle niederzulassen, und daselbst seine Vorlesungen halten zu dürffen.  
  Er nahm auch eine kleine Reise vorher vor, nahm von seinen Freunden Abschied, fuhr von Leipzig aus mit der Post nach Berlin, von wannen er sich erklärte dem Befehle zu gehorchen, und zu Leipzig keine Collegia mehr zu lesen, da indessen seine Mobilien daselbst auf Befehl arrestiret worden. Zu Berlin erlangte er bald Churfürstliche Bestallung zu einem neuen Professor zu Halle; worauf er 1690 am Sonntage Quasimodogeniti in einem Programmate seine neue öffentliche und Privat Vorlesungen intimiret hatte.  
  Nachdem er sich hier fest gesetzet, wendete er sich mit einer Bittschrifft an das Geheimer Raths-Collegium zu Dreßden, und bath unter Vorstellung seiner Unschuld, und daß man dem Proceß wider ihn von der Execution angefangen, ihm mit Erlassung des Arrests seiner Mobilien, die Anklagen zu Beobachtungen seiner Nothdurfft zu communiciren; welches er auch durch Interceßion des Churfürsten, seines Herrn, gesuchet, aber nicht förmlich erlangt. Dennoch aber ist die Sache in so weit gemäßiget worden, daß er endlich seine Familie in Leipzig ungehindert abhohlen, und seine Mobilien öffentlich ohne Hinderniß nach Halle transportiren lassen dürffen; worauf die Sache in Ruhe gelassen wurde.  
  Die anfangs kleine Anzahl seiner Zuhörer in Halle, mehrte sich in kurtzer Zeit dermassen, daß er noch, ehe die Universität aufgerichtet wurde, nie unter 20 und öffters über 50 Zuhörer hatte, worunter auch Grafen, Barone und viele von Adel waren. Hierdurch wurde der Churfürst bewogen, das schon längst vor habende Universität-Werck endlich 1691 ins Werck zu richten, und wurden von der Zeit an auch andere Professores nach Halle nach und nach beruffen, bis endlich 1694 die Academie feyerlich eingeweyhet, und er zum ordentlichen Professor der Rechte, zum Churfürstlichen Rathe und Senior der Juristen-Facultät gemacht worden, welche nach dem Tode D. Strycks die Stelle des Ordinarii in der Juristen-Facultät, Königlichen Geheimden Raths und Directoris der Friedrichs-Universität, folgte, nachdem er vorher die Zurückberuffung zum Ordinarius der Juristen-Facultät nach Leipzig, ingleichen die angetragene würckliche Geheime Raths-Stelle bey dem Hertzoge Moritz Wilhelm von Sachsen Zeitz ausgeschlossen hatte.  
  Ob nun also gleich die vorigen Ungewitter zu des Thomasii und  
  {Sp. 1586}  
  der Wissenschafften Flor gedienet hatten: So fehlte es ihm doch auch in Halle nicht an Streitigkeiten und Widerwärtigkeiten, in dem Carpzov seine Disputation de Jure circa Adiaphora nicht nur angriff, sondern auch Anstalt gemacht wurde, daß sowohl dieselbige, als auch seine 1695 edirte Anmerckungen über den Monzambano zu Leipzig confisciret worden; Masius aber es dahin gebracht hatte, daß der Monat May der Monat-Gespräche zu Coppenhagen durch den Scharfrichter öffentlich verbrannt worden; worüber pro & contra verschiedne Schrifften gewechselt worden, auch sich der Churfürst zu Brandenburg selbst Thomasii angenommen. So wurde er auch mit vielen Theologen in Streitigkeit verwickelt, weil er hin und wieder in seinen Schrifften, verschiedenes in dem Kirchen-Rechte, und an den Kirchen-Dienern, zu tadeln und zu bestreiten gefunden hatte.  
  Was aber seine Bemühungen um die Verbesserung der Philosophie und Einführung des gesunden Gebrauchs der Vernunfft in den Wissenschafften selbst betrifft, weswegen er besonders zu mercken ist, so war ausser den Institutionibus Jurisprudentiae divinae, von deren Inhalte unter dem Artickel: Thomasianische Philosophie, ein mehrers gedacht worden, seine erste Bemühung, etwas zur Verbesserung derselbigen beyzutragen, die Introductio in Philosophiam aulicam seu primae lineae libri de prudentia cogitandi et ratiocinandi, die zu Leipzig 1688 zum ersten mahle heraus gekommen, und worinnen er zuförderst eine kurtze, aber bündiggefaßte Philosophische Historie vorstellig macht, sodenn aber von allen Secten gar freymüthig und gründlich urtheilet, deren Schwäche und Fehler zeiget, und sonderlich die Unvollkommenheit und Irrthümer der Peripatetischen und Cartesianischen Vernunfft-Lehre in den meisten Haupt-Stücken darthut, und darauf den Grund zu einer bessern und eclectischen Logick leget.  
  Da er nun von dem bisher betretenen Wege so sehr abgegangen, so ist nicht zu verwundern, daß nicht nur seine Widersacher, welche meistens an der Peripatetischen Philosophie hiengen, und in welcher sie aufferzogen waren, damit übel zufrieden waren, sondern auch diejenigen, welche der Cartesianischen Philosophie beypflichteten, ihren Mißfallen darüber bezeugeten, wovon die darwider geschriebnen Schrifften des Realis de Vienna und Rhegenii zeugen, welche er aber nicht gäntzlich unbeantworttet gelassen, sondern ihre Schwäche gezeiget hat.  
  Hierauf folgte 1691 seiner Einleitung zur Vernunfft-Lehre, worinnen seine Absicht war, ohne die Syllogisticam durch eine leichte und allen Menschen verständliche Art zu lehren, das wahre, wahrscheinliche und falsche von einander zu unterscheiden, und neue Wahrheiten zu erfinden, worinnen er bloß eine eclectische Vernunfft-Lehre darstellet.  
  In dem zweyten Theile aber unter dem Tittel: Ausübung der Vernunfft Lehre, zeiget er die Handgriffe an, wie man seinen Kopff aufräumen und sich zur Erforschung der Wahrheit geschickt machen, die erkannte Wahrheit andern beybringen, andre verstehen und auslegen, von andern ihren Meynungen urtheilen, und die Irrthümer geschickt widerlegen solle. Und muß man dem Herrn Thomasio das unpartheyische  
  {Sp. 1587|S. 807}  
  Zeugniß geben, daß er in dieser Vernunfft-Lehre nicht nur das beste, was er in andern neuern Logicken gefunden, ausgelesen, und mit seinen Grund-Sätzen verknüpfft, sondern auch viele schöne und neue Wahrheiten, und zwar zum ersten in Deutscher Sprache vorgetragen habe.  
  Das Jahr darauf gerieth dieser Philosophische Reformator, dem an der Aristotelischen Sitten-Lehre überaus eckelte, auch über die Moral, indem er die Einleitung zur Sitten-Lehre 1692 in 8 herausgab. Er fügte derselben bald hernach die Ausübung der Sitten-Lehre bey.  
  Im Jahr 1699 machte er sich über die Geister-Lehre, und weil er damahls noch ein Verehrer der Mysticorum war, und glaubte, die Verbeßrung der Seele müsse allein vom Willen angefangen werden, zu welchem Ende er auch Peter Poirets Buch de eruditione triplici zu Halle 1694 wiederum hatte auflegen lassen, und es in einer Vorrede gar nachdrücklich recommendiret: so schrieb er auch einen Versuch vom Wesen des Geistes, oder Grund-Lehren sowohl zur natürlichen Wissenschafft, als der Sitten-Lehre, worinnen er die Mechanicos zumahl die Cartesianer, widerlegt, dabey aber gar besondere Principia in der Natur- und Geister-Lehre vorträgt, worüber freylich allerley Widerspruch, theils mit Bescheidenheit und Manier, theils mit Hefftigkeit ergangen.  
  Nachdem aber unser Thomasius Ursache fand, sein Systema des Natur-Rechts zu verändern, und von Pufendorff abzugehen, auch die von ihm behauptete leges divinas positivas universales wiederum fahren zu lassen, so edirte er 1705 Fundamenta Juris naturae et gentium, ex sensu communi deducta etc. in welchen er das Natur-Recht in eine gantz andere Form brachte, auch auf diese Principia seine Schlüsse und Sätze von hieher gehörigen Special-Materien nicht nur in diesem Buch, sondern auch in verschiednen Academischen Disputatione bauete, darüber er aber nicht wenig Widerspruch, jedoch auch Anhänger genug bekam.  
  Endlich weil noch zur Verbesserung der Philosophie die Politic mangelte: So wolte sich unser unermüdeter und tiefsinniger Philosoph auch darinnen nicht saumseelig finden lassen, etwas gründlichers an die Hand zu geben; wie er denn 1705 Primas lineas de ICtorum prudentia consultatoria etc. edirte.  
  Er ließ auch 1708 Poirets berührtes Buch noch einmahl auflegen, und weil er nun die Fehler der Mysticorum besser einsehen gelernet, so setzte er eine neue Vorrede davor, in welcher er die Irrthümer derselbigen, und die schädliche Verwerffung der Vernunfft zeigte, und von der wahren und falschen Gelehrsamkeit gründliche Gedancken vortrug.  
  Endlich weil er auch zur richtigen Anführung der Jugend nöthig erachtete, eine gründliche tractationem propaedeumaticam an die Hand zu geben, um dadurch dieselbige zur Erlernung, gleichwie aller, also auch der Philosophischen Wissenschafften tüchtig zu machen: So edirte er 1710 Cautelas circa praecognita Jurisprudentiae, und ließ sich angelegen seyn, sie vor den Vorurtheilen und Hindernissen, welche bey Erlernung der Wissenschafften, zumahl der Philosophie, im Wege stehen, zu warnen, und dieselbige zu entdecken.  
  Es bemühete sich aber dieser unermüdete Mann nicht  
  {Sp. 1588}  
  nur in grossen Büchern, sondern auch in kleinen Schrifften, z.E. in Programmatibus und dergleichen kurtzen Abhandlungen, den Mängeln der Philosophie und andern Wissenschafften abzuhelffen. Gleichwie er auch eben dieses in verschiednen Dissertationen tht, welche guten theils das Natur-Recht erläutert, aber auch hin und wieder ihrem Auctori vielen Widerspruch erreget haben, unter welchen sonderlich die Dissert. de crimine Magiae zu mercken, als welche zu vielerley Schrifften pro & contra Anlaß gegeben, und verursachet, daß die Materie von Gespenstern, Hexen, Hexen-Processen und dergleichen sorgfältig untersuchet, auch verschiedne hieher gehörige Schrifften der Ausländer ins Deutsche übersetzet worden.  
  Endlich so ist auch billig an diesem gelehrten Manne zu loben, daß er die von seinem Vater wieder vorgebrachte Philosophische Historie zu befördern gesucht, zu welchem Ende er nicht nur seines seligen Vaters gründliche Schrifften, besonders dessen kurtze Observationes und Dissertationes, welche die Philosophische Historie ungemein erläutern, ans Licht gegeben, und dadurch sich um diese Wissenschafft ungemein verdient gemacht, sondern auch dieselbige bey seinen Philosophischen Schrifften sowohl selbst zu Rathe gezogen, als auch in eignen Abhandlungen zu befördern gesucht, wohin sonderlich das Leben Socratis, und die paulo plenior historia Juris Naturae gehören.  
  Von seinen Leibes und Gemüths-Gaben verdienet hier dasjenige Urtheil, welches die Verfasser der Actorum Eruditorum von ihm gefället haben, angeführet zu werden:  
  „Wie treulich er seinem Amte vorgestanden, heiset es daselbst, wie er die natürliche, alte und neue Rechtsgelahrheit mit Schrifften erläutert, die Weltweisheit von Fehlern zu reinigen gesucht, und seine Gegner abgeführet ist jedermann bekannt. Er führte ein unsträffliches Leben, und hatte weder Geitz noch Hochmuth, und auch in seinem Vaterlande legte sich der Haß so sehr, daß er mit vortheilhaften Bedingungen zurück verlanget wurde, die er aber ausschlug.  
  Von Kranckheiten ist er in der Jugend, und im Alter frey geblieben, und nur einige Tage vor seinem Tode hat ihn ein Durchfall so entkräfftet, daß er nach Christlicher Vorbereitung seinen Geist aufgeben müssen.  
  Er hatte eine glückliche und langwierige Ehe, wohlgezogene Kinder, beständige Freunde und danckbare Schüler gehabt, wie seine Billigkeit, Aufrichtigkeit, gute Sitten, angenehmer Umgang und Scharfsinnigkeit verdiente. Ausserdem besaß er eine grosse Wissenschafft, Fleiß, Munterkeit, Klugheit und Liebe zur Tugend und Wahrheit.  
  Er war geschickt, die Fehler bald zu entdecken, bewunderte selten andre Erfindungen, verachtete aber das Alter zu sehr. Er wuste andre einzunehmen aber ohne eintzige Beredsamkeit; schrieb vieles scharfsinnig, aber nicht nett, accurat und rein, wie seine Schrifften ausweisen, welche, so lange sie auch beliebt seyn möchten, doch nicht so lange als sein Nachruhm und guter Nahme dauren dürfften."  
  So vortheilhafft aber dieses lautet, so ist doch auch hier nicht zu verschweigen, daß auch vieles an ihm ausgesetzet worden, z.E.  
 
1) Die Gewohnheit alles durchzuziehen, und darüber zu
 
  {Sp. 1589|S. 808}  
 
  spotten, welche so tief bey ihm eingewurtzelt gewesen, daß wenn er sie auch dann und wann verstecken wollen, sie dennoch niemahls gantz aussen geblieben wäre.
2) Daß er überall Scrupel gesucht, dieselben geliebt und mit Fleiß vergrössert hätte.
3) Daß er die Untersuchung der Wahrheit aus dem Grunde unterlassen hätte, indem man nirgends etwas in seinen Schrifften aus den Original-Worten der H. Schrifft, aus genau gesetzten Principien der Vernunfft, oder aus den avthentischen Monumenten der alten Historie ausgeführt fände, sondern vielmehr Topische, und daraus fliessende übereilte Beurtheilungen.
4) Daß seine Schrifften dem Naturalismo und der Hintansetzung aller geoffenbarten Religion und Göttlicher Wahrheit Thür und Thor eröffneten;
5) fast alles darinnen aus dem Frantzösischen und Holländischen Atheisten, Scepticorum, Naturalisten und Socinianer Schrifften gezogen sey, ohne vorher gegangene Zusammenhaltung des Göttlichen Worts.
6) Daß in selbigem um des Mißbrauchs willen fast alle alte Ordnungen gar verworffen, nicht aber gebessert würden;
7) Daß nichts darinnen gebauet, sondern nur umgerissen würde;
8) Daß das Christenthum auf ein Moralisches Raisonniren reduciret, und das Werck GOttes zur Raison gemacht würde. So hat auch
9) andern die offtmahlige Veränderung seiner Meynungen nicht gefallen wollen, weil sie geglaubt, er habe sich im Nachsinnen zu sehr übereilet, und wäre dadurch erst hernach angeleitet worden, das, was er übersehen zu verbessern, oder habe wohl gar eine Ehre und Vortheil darhinter gesucht.
 
  Welches alles, ob, und wie weit es Grund habe oder nicht, mit einem uneingenommenen Gemüthe, aus Gegeneinanderhaltung der wider ihn edirten Schrifften, zumahl einiger Gewissens-Rügen, und seiner wider seine Gegner in seinen letzten Jahren, in den Juristischen Händeln gethanen weitläufftigen Verantwortungen, auch aus unpartheyischer Einsicht und Untersuchung seiner Schrifften selbst, muß überlegt und erwogen werden.  
  Hierinnen aber werden wir nicht irren, wenn wir behaupten, daß obgleich an diesem grossen Manne einige Fehler und Irrthümer zu finden gewesen; er doch billig unter diejenigen Philosophischen Reformatores zu rechnen sey, welche zu Verbeßrung der Philosophischen Wissenschafften ein grosses beygetragen haben, und daß man ihm billig Danck schuldig sey, daß er nicht ohne viele Verdrüßlichkeiten und weit aussehende Gefahr, mit erstaunenden Muthe sich vor andere gewaget, das Sectirische Joch in der Philosophie von dem Halsse der Deutschen abzuwerffen, und die Freyheit zu philosophiren zu befestigen.  
  Der Tod und Familie dieses grossen Philosophen anlangend, so ist derselbe den 23 Septembr. 1728 aus dieser Zeitlichkeit abgefordert worden, nachdem er sein Alter auf 73 Jahre 8 Monate und 3 Wochen gebracht hatte. Er hatte sich 1680 im Februario mit Jungfer August Christinen, D. Polycarp Heylands, Tochter verehliget, und mit derselben 6 Kinder, nehmlich 3 Söhne und 3 Töchter erzeuget, wovon aber nur 2 Söhne, Christian Polycarp, und Christian August, und eine Tochter Sophia Elisabeth ihren Vater  
  {Sp. 1590}  
  überlebet haben. Von seinem ältesten Sohne, Christian Polycarp Thomasio hat ihn auch GOtt 5 Enckel und 2 Enckelinnen erleben lassen.  
     

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Stand: 12. Juli 2013 © Hans-Walter Pries