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Zedler: Titul [Charakter] [2] HIS-Data
5028-44-473-1-02
Titel: Titul [Charakter] [2]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 44 Sp. 480
Jahr: 1745
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 44 S. 253
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Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

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Übersicht
Annahme der Titel
  Betrug
  Täuschung
  Titelkauf
  Ausnahmen
Titel-Prahler

Stichworte Text  Quellenangaben und Anmerkungen
Annahme der Titel Mit Annehmung der Titulaturen gehet es fast wie mit den Moden, mancher haßt eine Mode in seinem Hertzen, und findet keinen Gefallen an einer Veränderung, die grösten Theils aus der Thorheit oder doch aus der Eitelkeit herfließt; er wird aber von der grossen Menge, eitler und Veränderung liebender Leute mit Gewalt hingerissen, daß er eine neue Weise, die den göttlichen und natürlichen Gesetzen nicht zuwider, mitmachen und nachahmen muß, will er sich nicht bey der Welt verspotten lassen, und manche[1] verläumderische Urtheile wider sich vernehmen. Also liebt mancher die Demuth u. Sittsamkeit, und findet an dem äusserlichen Wortgepränge kein Vergnügen.
[1] HIS-Data: korrigiert aus: mache
  Da aber eine allgemeine und durchgängige Gewohnheit gewisse Titulaturen nach dem Unterscheid des Standes und der Bedienung eingeführet, so muß ein vernünfftiger Mensch auch diejenige Ehre, die er andern ertheilet, annehmen, oder er unterwirfft sich sonst einer allgemeinen Verachtung, und entziehet sich einen grossen Theil seiner äusserlichen Glückseligkeit vor deren Erhaltung er besorgt seyn muß. Die von höhern Stande würden diese grosse Sittsamkeit vor eine Würckung einer Niederträchtigkeit ansehen, welche ebenfalls ein Laster ist, wie aus der Tugend-Lehre bekannt, sie dürfften ihm hernach vielleicht allzu viel Devotion und Gehorsam abfodern. Die mit ihm von gleichem Stande, würden unwillig auf ihn werden, daß er dieses, welches seinen Umständen zukäme, nicht annehmen wolte, sie würden es ihm vor eine Niederträchtigkeit auslegen, ihn deshalben vor einem Sonderling ansehen, und sich seiner Gesellschafft schämen, sie würden ihn gehäßig werden, und glauben, daß ihnen hierdurch selber etwas entzogen werden möchte, der Pöbel würde sich dieser Sittsamkeit und Demuth mißbrauchen. Wolte einer gewisse gewöhnliche Titel nicht annehmen, so würden viele von den Geringern glauben, als ob er selbst an seiner Ehre zweifelhafftig wäre, sie würden ihm desto eher in einem und dem andern, den Gehorsam und die Ehrerbietung, die sie ihm schuldig, entziehen, u.s.w.  
  Es ereignen sich gewisse Fälle, bey denen man noch viel mehr verbunden ist, gewisse Ehren-Benennungen nicht allein von dem andern abzunehmen, sondern sie ihnen auch wohl abzufordern.  
 
1) Wenn es unser Amt und Beruff und der Respect unsrer Herrschafft erfordert, denn alsdenn sehen wir nicht sowohl auf unsre eigene Ehre, als vielmehr auf die Ehre unsrer Herrschaft, die sonst hierbey würde gekräncket werden.
 
 
2) Wenn wir sehen, daß andern, die mit uns im gleichen Stande oder gleichen Umständen sich befinden, ein besonder Präjuditz würde zugezogen werden.
 
 
3) Wenn boßhafftige Leute geflissentlich diese oder jene uns zukommende Titulatur, zu unserer Verkleinerung uns verweigern wollen, oder sie dieselbe uns zwar mittheilen, aber nicht zu unsrer Beehrung, sondern aus einem falschen u. hämischen Gemüthe, uns Fallen zu stellen, und zu versuchen, ob wir dieselbe wohl annehmen würden, weil sie in den Gedancken stehen, als ob sie uns nicht zukommen, son-
 
  {Sp. 481|S. 254}  
 
  dern vor uns zu viel sey. Sie sehen bisweilen eines und das andere wahre Gute an uns mit verkleinerlichen Augen an, und da sie uns dieser oder jener Prärogativ vor unwürdig erklären, so verlangen sie, wir sollen uns dessen auch unwürdig erkennen.
 
 
4) Wenn wir manches Gute, welches wir sonst zur Beförderung der Ehre GOttes, unsrer eignen und unsers Nächsten wahre Glückseligkeit, unserm Stande, Art und Verrichtungen nach, auszuführen vermögend wären, entweder gantz und gar stöhren, oder doch hindern und aufhalten würden.
 
  Wo sich nun in diesem angeführten und andere gleiche oder ähnliche Fälle zu tragen, muß man die einem gebührende Ehre annehmen, und sie auch retten, soviel als möglich. Ausser dem aber, muß man in Annehmung und Abforderung der Titulaturen nicht allzu scharff noch begierig seyn, insonderheit wenn man wahrnimmt, daß weder unsrer wahren Ehre, noch der Glückseligkeit des Dritten, hier durch einige Abbruch geschiehet, und uns der andere nicht aus Bosheit und zu unserer Verachtung, sondern aus Einfalt und Unwissenheit, oder doch sonst auf eine unschuldige Weise etwas entziehet. Der Herr Benjamin Neukirch schreibet in seiner Anweisung zu teutschen Briefen p. 19. sehr wohl: Wie man es so genau nicht nehmen muß, wenn einem ein anderer zu viel giebt, also muß man auch zufrieden seyn, wenn man in etlichen Dingen zu wenig empfängt. Königen und Potentaten ist es nicht zu verargen, daß sie steif über ihre Titel halten, denn sie behaupten dadurch ihre Vorzüge und Rechte, aber andere haben es nicht nöthig, zumahl wenn es der Schreibende aus keiner bösen Meynung gethan.  
  Bey gewissen Umständen muß ein vernünfftiger Mensch nicht allein seiner Begierde, in Annehmung der Titulaturen, die engsten Schrancken setzen, sondern ihr auch wohl gantz und gar widerstehen. Und es ist bey folgenden Fällen wohl hauptsächlich nöthig die Demuth auszuüben.  
 
I. In dem Beichtstuhl.
 
 
  An diesem Orte erscheinet man vor dem Angesichte GOttes, nicht als ein Cavalier und Hochwohlgebohrner Herr, nicht als eine Excellentz und grosser General, sondern als ein bußfertiger und um Gnade flehender Sünder, der sich vor GOtt zu demüthigen hohe Ursach hat.
 
 
II. In Gegenwart der Höhern, die sonst durch die grosse Titulatur, die wir zu eben der Zeit von den Geringern annehmen, auf gewissem Maasse fast verunehret würden.
 
 
  Es ist hier nicht die Rede von dem Titel des Prädicats und der Bedienung, in der man stehet, die einem der Höhere selbst mittheilet, sondern von einer andern Ehren-Benennung, als Ihro Gnaden, Gnädiger Herr, u.s.w. kommt einem die Titulatur vollends gar nicht zu, so ist es noch thörichter; Es läst also sehr abgeschmackt, wenn sich ein Schul-Monarche im Beyseyn eines grossen Staats-Ministers vor seinen Schülern, Ihro Excellentz nennen läst.
 
 
III. Im Umgange mit denen Höhern, da sie uns nach der Gnade, die sie in den übrigen Fällen vor uns haben, oder der Ungnade, mit der sie uns ansehen, bey der Titulatur besonders distinguiren.
 
 
  Wir verstehen aber hierunter solche
 
  {Sp. 482}  
 
  Höhere, die in Ansehung unserer Umstände, in denen wir uns befinden, bey unserer Glück- oder Unglückseligkeit etwas besonders zu würcken vermögend sind.
 
 
IV. In der mündlichen und schrifftlichen Conversation, die wir nicht Amts- und Beruffs wegen, sondern als Freunde und Privat-Personen, mit unsern wahren, und vertrauten Freunden pflegen, sie mögen nun entweder dem Stande, oder Character, oder auch beyden zugleich nach, etwas geringer sein, als wir.
 
 
  Einen wahren Freund, dessen Treue und Liebe wir durch alle Proben viele Jahre versichert gewesen, und dessen er sich durch lasterhafft Bezeugen nicht unwürdig gemacht, müssen wir beständig davor erkennen, ob er uns schon, der äusserlichen Glückseligkeit nach, nicht gleich gekommen. Dieses stehet nicht allezeit in unserer Gewalt, sondern in einer  höhern Hand. Mit einem wahren guten Freund muß es heissen: Einmal gut Freund, allezeit gut Freund; Bey diesem müssen wir die Titulaturen und Ceremonien bey Seite setzen. Er wird zwar freygebig seyn, uns alle äusserliche Ehren-Bezeugungen mitzutheilen, wir müssen aber sehr sparsam seyn, selbige von ihm anzunehmen.
 
 
V. Bey denen, die uns bey unsern unglückseligen Zustand, darin wir gerathen, Hülffe und Beystand leisten, sie mögen nun höher, oder unsers gleichen, oder wohl gar geringere seyn.
 
 
  Ist es mit uns soweit gekommen, so müssen wir nur dencken, daß hier die Leidens-Zeit sey. Da müssen wir unsere Titulaturen und andere äusserliche Ehren-Bezeigungen, die sonst unsern Stand und Bedienung gemäß, anderer Leute Gunst und Discretion überlassen, so lange bis uns GOtt wieder in bessere Umstände gesetzt. Hochmuth ist zwar überhaupt ein schändlicher Gefehrde der Armuth, sie ist aber noch unerträglicher, wenn man sie gegen diejenigen ausüben will, deren Gnade, Gunst oder Freundschafft wir doch benöthiget, und nicht entbehren können.
 
 
VI. Auf dem Sterbe-Bette, wenn wir an der Pforte der Ewigkeit stehen, die allen Unterschied der auf dem Erd-Creysse eingeführten Titulaturen den letzten Grentz-Stein setzt, solten wir billig auch diesen Tand der Eitelkeit unter unsere Füsse treten, und viel mehr auf den, in der heiligen Tauffe erlangten und im Himmel angeschriebenen Christen Nahmen, unsere höchst erfreuliche Blicke werffen.
 
Betrug Man findet hin und wieder thörichte Leute in der Welt, die sich vor dasjenige ausgeben, so sie doch nicht sind, sie legen sich diejenigen Gradus, Prädicata und andere Titulaturen bey, die sie doch nimmermehr erhalten, und auch öffters nicht erhalten werden, sie geben sich an fremden Orten und bey unbekannten Leuten vor Doctores, Licentiaten, Edelleute, Baronen, Grafen, Hof- und Kriegs-Officianten, und vor alles aus, was sie wollen. Sie vergnügen sich eine Zeit lang, so lange als sie Geld und Geschicklichkeit haben, ihre falsche Person zu spielen, oder ihre Erdichtung unbekannt bleibet, mit dem Winde ihrer Einbildung. Wird aber ihre wahre Gestalt vor der Welt öffentlich kund und aufgedeckt, so ist auch nachgehends ihre Schande um desto grösser, als erstlich ihre vermeynte Ehre war. Sie empfinden nicht allein, mitten unter dem süßen Genuß ih-  
  {Sp. 483|S. 255}  
  rer Ehre eine stetswährende Furcht und Unruhe, daß einige Bekannte ihnen, über Vermuthen, die falsche Masque, die sie um sich genommen, ihnen abreissen möchten, sondern haben auch noch, ohne die Schande, nicht selten eine harte und empfindliche Straffe zu erwarten, welche nach dem Unterscheid des Verbrechens, und der Titulaturen, die sie sich zugeeignet, unterschieden zu seyn pflegt.  
  Kayser Leopold schrieb im Jahr 1674 an Dero Fiscal am Kayserlichen Cammer-Gericht zu Speyer: Er wäre in Erfahrung kommen, wie sich viele von den Ritter-Gliedern, Vasallen und Landsassen im Heiligen Römischen Reiche, eine Zeitlang her unterstanden, einander gantz neue, ihnen nicht zustehende höhere Titel und Prädicate zuzulegen, ohne daß sie oder ihre Vor-Eltern, die vorwendente Standes-Erhöhung von ihnen, oder seinen Vorfahren am Heiligen Römischen Reiche, durch ordentliche Conzeßion erlangt; Andere aber, welche zwar mit Dero Bewilligung zu solcher Standes-Erhöhung, und andern dergleichen Privilegien, auf ihr unterthänigstes Anhalten, von ihm begnadiget worden, nachgehends aber selbst solcher Würde Importantz gleichsam nicht geachtet, auch sie nicht ausfertigen, und gebührlich erheben lassen, und sie dennoch der Ehren-Titul und Prärogation sich gantz strafbarlich angemaßt; Als ward befohlen, das man obhabenden Amts wegen, nicht allein auf einen und den andern, die sich einer und andern Titulatur und Prädicats, ohne solche erlangt zu haben, anmaßten, fleißig inquiriren, und gegen dieselben verfahren solte, sondern auch jedem ausschreibenden Creyß-Fürsten die Erinnerung thun, daß sie nicht weniger ihres Orts in dem Creysse gemessene Verordnung vorkehren sollen, damit hinführo niemand, wer der auch sey, auf dessen oder eines andern Anbringen, ein Titul oder Prädicat von neuen nicht, er könne es denn mit denen hier zu erforderten Original-Urkunden und Documenten in probandi forma belegen, attribuiret und zugeschrieben werden, und die hierüber betreten würden, solten mit gebührender Straffe angesehen werden. S. Lünigs III Theil der Deutschen Reichs-Cantzley p. 140.
Täuschung Andere machen es zwar nicht zu grob, wie die ersten, daß sie sich selbst gewisse Titulaturen, Gradus und Prädicate zueigneten, oder vorher etwas anders ausgeben, sie lassen sich aber doch die äusserlichen Ehren-Bezeugungen, die ihnen andere entweder aus Einfalt und Unwissenheit, oder aus Schmeicheley und Eigennutz, oder auch wohl aus Tücke und Falschheit beylegen, gefallen; Weil diese Titulaturen, die ihnen selten vorkommen, ihre Ohren kützeln, so widersprechen sie denjenigen nicht, die sie also beehren.  
  Doch diese guten Leute, die dergleichen ihnen nicht zukommende Ehre eine Zeitlang annehmen, stehen sich ebenfalls gar schlecht vor, und gewinnen dabey sehr wenig. Sind den andern, die sie auf die Art beehrt, ihre wahren Umstände recht bekannt, so spotten sie ihnen in ihren Hertzen, daß sie so thöricht sind, und dasjenige, was ihnen nicht zukommet, annehmen. Es dencket mancher von solcher von solchen losen Vögeln, der ei-  
  {Sp. 484}  
  nen andern auf eine ungewöhnliche Weise tituliret, wie jener Mahler zu Torgau. Dieser war lange in Italien gewesen, wo man mit Illustrissime und Ihro Gnaden auch gegen gemeine Leute gar freygebig ist. Er nennte jedermann Ihro Gnaden, wer zu Leipzig in Rothhaupts Hofe in seyn Gewölbe kam. Als ihm nun deswegen Erinnerung geschehen, so sagte er, ich will den wohl Ihro Durchlauchtigkeit nennen, der es verantworten will.  
Titelkauf Die grossen Titulaturen müssen bisweilen gar theuer bezahlet werden, und wenn entweder derjenige, der einen vorhero so beehret, nach eingezogener gewissern Nachricht, den grossen Titel mit einem kleinern wieder verwechselt, oder ein andrer Bekannte darzu kommt, so lieget denn die eingebildete Ehre wieder in den Brunnen.  
Ausnahmen Ob nun wohl die Regel in Richtigkeit bleibet, daß man sich, mit seinem Glück, als auch mit seinem Stande, mit seinem Titel und mit allen seinen Umständen begnügen soll, so ereignen sich doch bisweilen in der That einige Fälle, da ein vernünfftiger Mensch eine Zeitlang von einigen Leuten mit gutem Grunde die Benennung eines gewissen Gradus oder Prädicats annehmen kan, ob er ihn gleich nicht überkommen, oder die Ausfertigung dieser oder jenen Titulatur zur völligen Richtigkeit und Consistentz gediehen. Die Fälle, bey denen sich die Ausnahme von dieser Regel zuträgt, können mancherley seyn, theils, da man seinem Amte oder seinem Beruff nicht so wohl vorstehen würde, wenn man sich nicht hierinne nach dem irrigen Wahn der Leute richten wolte, theils, da einer einem gewissen Amte oder Bedienung viele Jahre mit Ehren vorgestanden, warum man entweder die Titulatur annehmen wollen, oder warum die Ausfertigung des Prädicats einem schwer gemacht worden, theils auch wenn es mit Vorbewust und Conniventz der Oberen und Vorgesetzten geschiehet, und die Zeit sehr nahe ist, da man einer gewissen Charge oder doch eines gewissen Prädicats theilhafftig werden soll.  
  Also kan man es einem Practico in der Artzney-Kunst nicht verdencken, wenn er von den Bauern oder dem gemeinen Volck das Ehren-Wort Doctor annimmt, ob er schon diese Würde nicht erlanget. Wolte er sich ihnen wiedersetzen, und anführen, daß er es nicht wäre, so würde seine gantze Wissenschafft, und wenn sie noch so fundamental wäre, bey ihnen verdächtig werden, sie würden kein Vertrauen in ihn setzen, und glauben, daß er nicht verstünde, weil er sich nicht als Doctor aufführen könnte und wolte. Wolte auch gleich mancher, um den Leuten diesen irrigen Wahn zu benehmen, noch so viel Mühe anwenden, so würde er doch bey den wenigsten etwas ausrichten, und die Einkünffte wollen es doch nicht bey einem jeden erlauben, daß er diese Würde nach seinem Cermoniel habhaft werden kan.  
  Ferner kan ein Obrist-Leutnant, der einige Jahre nach einander ein gantzes Regiment, in Abwesenheit oder bey Kranckheit eines Obristen mit Ruhm commandiret, von seinen Subalternen, oder  
  {Sp. 485|S. 256}  
  auch von andern, die ihm seiner Meriten wegen freywillig also benennen, den Obristen-Titel annehmen, ob er ihm schon noch nicht in forma beygeleget worden.  
  Da ihrer viele in der Welt, sowohl auf Universitäten, als an Höfen, bey den Armeen und auf den Rath-Häusern dasjenige genennet werden, welches sie ihrer Ungeschicklichkeit und Unerfahrenheit wegen doch nicht seyn können, so dürffen auch einige bey manchen Umständen den Nahmen annehmen, von demjenigen, was sie in der That würcklich sind, ob sie schon des Titels entbehren müssen.  
Titel-Prahler Ein vernünfftiger Mensch wird alle Torheiten, in welche sich die Titel-Prahler zu stürzen pflegen, auf das sorgfältigste vermeiden. Er wird zwar seyn Amt und seine Bedienung demjenigen, der sich danach erkundiget, mit Bescheidenheit entdecken, es niemahls aber auf eine so affectirte Weise bewerckstelligen, daß der Fremde doch ja alsbald, ehe er noch darum fragt, oder es verlangt, den grösten Titel erfahren möge. Zur Erläuterung dieses Satzes, will man aus M. Heegens Dissertation von der Titelsucht der Gelehrten, folgendes Histörgen an führen:  
  Er meldet, das einstens ein Bürgermeister eines kleinen Städtgens, der sich soviel als Marcus Tullius Cicero eingebildet, auf der Reise, um seinen Durst zu stillen, in einer Schencke eingesprochen; so bald ihm die Bauern in der Schencke erblickt, hätten sie ihm nun, der Gewohnheit nach, eine Ehre anzuthun, zugeruffen: Monsieur wollen sie sich nicht einmahl schencken lassen. Es wäre dem Herrn Bürgermeister sehr empfindlich gewesen, daß sie ihm nicht nach seinem Character genennet, und er hätte sehr gesorgt, um eine Tour zu finden, wie er ihnen dieses hinterbringen möchte. Er hätte endlich angefangen, ob sie das Bier hier braueten? Die Bauern hätten gesagt, ja. Darauf denn der Bürgermeister repliciret, sie brauten zwar ihr noch ziemlich gut Bier, das hiesige Bier aber käme doch demjenigen noch lange nicht bey, welches sie vor vierzehen Tagen bey dem Convivio solenni gehabt, als er in dem Städtgen N.N. zum Bürgermeister creiret, constituiret und inauguriret worden. Darauf denn die Bauern gewust, daß dieser Herr ein Bürgermeister gewesen. Unser Kleinstädtischer Bürgermeister hat in diesem Stück wahrhafftig noch viele seines gleichen, so wohl unter den Edelleuten, als unter den Bürgerlichen Stande.  
  Unter die Titel-Prahlereyen gehöret, wenn einige ohne Ursache ihren Titel allenthalben hinklecken, als wie jener Substitute, der auf seinen reparirten Sau-Koben setzen lassen; daß ihn N.N. Compastor hujus loci anno N.N. zierlich wieder aufgerichtet, und ihm gegenwärtige Gestalt gegeben; ingleichen, wenn sie an fremden Orten auf die Anfrage der Thor-Schreiber ihren gantzen Titel hersagen, in solchen in die Thor-Zettel mit Gewalt einschreiben lassen, da doch der Wohlstand und die Gewohnheit nicht mehr erfordert, als daß sie unter den vielen Titulaturen nur den vornehmsten aussuchen.  
  Noch toller aber ists, wenn sie gar von unsern Herre GOTT grosse Titulaturen verlangen. Wer allerhand Schulfüchsereyen und Tändeleyen, die unter den Gelehrten in Ansehung der Titulaturen vorgehen, lesen will, der wird einige in dem Artickel: Ti-  
  {Sp. 486}  
  tul-Sucht, und in den daselbst angeführten Schrifften finden.  
  Gehen nun unter den Gelehrten, die andere an der Gelehrsamkeit und Weltweisheit übertreffen wollen und sollen, hierinnen so grosse Torheiten vor, so kan man leicht glauben, daß die Thorheit unter denen so genannten Ungelehrten noch weit stärcker seyn müsse. Abgeschmackt ists, wenn einige auf fremde Leute unwillig werden, daß sie ihnen ihr gehöriges Prädicat nicht alsobald beylegen, da doch diesen Fremden keine Notification davon zugefüget worden. Sie verlangen auf eine thörichte Weise eine gewisse Art einer Allwissenheit von ihnen, die ihnen nicht möglich.  
  Es ist auch wieder den Wohlstand, wenn einige die unterschiedene Prädicate und Characteres zugleich führen, an fremden Örtern sich bald nach diesen bald wiederum nach jenen Titel nennen und anmelden lassen. Es scheinet dieses aus einer Unbedachtsamkeit, Ehrgeitz und etwann Leichtsinnigkeit herzufliessen, und giebet Gelegenheit zu manchen Critiquen, deren einer sonst könnte überhoben seyn, doch gestehet man auch dieses gantz gerne, daß bisweilen Umstände vorhanden seyn können, da einer nach besondern Staats-Ursachen, nachdem er unterschiedenen Bedienungen zugleich vorstehet, und nach deren Unterscheid etwas zu handeln hat, oder nachdem bey dieser oder jener Fürstlichen Person, bey diesem oder jenem Minister, dieses oder jenes Prädicat in Ansehung gewisser Umstände oder Historien, angenehmer oder verhaßter ist, u.s.w. auf eine vernünfftige Weise bald diesen bald wiederum einen andern Titel erwehlen kan.  
     

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Stand: 3. April 2013 © Hans-Walter Pries