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Zedler: Verstand der Rede HIS-Data
5028-47-2024-1
Titel: Verstand der Rede
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 47 Sp. 2024
Jahr: 1746
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 47 S. 1025
Vorheriger Artikel: Verstand des Menschen
Folgender Artikel: Verstand verneinend (nach dem)
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel

  Text Quellenangaben
  Verstand der Rede, Lat. Sensus Orationis, ist eine Anzeigung der Gedancken eines andern, die er in Reden und Schrifften an den Tag gegeben.  
  Gleichwie nur eine Wahrheit, also ist auch nur ein wahrer Verstand der Worte, der unmittelbar von dem Verfasser intendiret wird. Doch weil zuweilen durch die Sachen, so im Texte enthalten sind, nach der Meynung des Verfassers wiederum andere Sachen bedeutet werden; so entstehet daher ein zweyfacher Verstand, nämlich der Buchstäbliche (SENSUS LITTERALIS) und der geheime oder mystische (SENSUS MYSTICUS) welche beyde von dem Verfasser intendiret werden, doch der eine unmittelbar; der andere mittelbarer Weise durch den ersten.  
  Der Buchstäbliche Verstand ist die Meynung die unmittelbar die Worte und deren Zusammenhang anzeigen, es mögen nun die Worte ihre eigentliche und natürliche Bedeutung; oder einen metaphorischen und verblümten Sinn haben, z.E. wenn der Heyland sagt, ich bin das Brod des Lebens, ich bin ein Weinstock.  
  Der mystische Verstand ist, welchen nicht die unmittelbaren Worte; sondern die durch dieselben angezeigte Sachen, als die etwas anders bedeuten anzeigen, der wieder sowohl in Ansehung der Heiligen Schrifft; als der Profan-Scribenten auf unterschiedene Art eingetheilet wird.  
  In der Schrifft finden wir dreyerley Arten:  
 
  • Den Typischen Verstand (SENSUM TYPICUM) wenn durch gewisse Sachen als Vorbilder etwas künfftiges angezeiget wird, wie die Historie des Jonas mystisch von Christo zu erklären:
  • Den Allegorischen Verstand (SENSUM ALLEGORICUM) wenn ein gewisser Spruch in der Schrifft Gleichnißweise noch auf etwas anders appliciret wird, z.E. wenn es im 5 B. Mos. XXV, 4. heist: Du sollt dem Ochsen, der da drischet, nicht das Maul verbinden, so erkläret Paulus 1 Cor. IX, 9. diese Worte allegorisch von der Verspottung der Diener Göttliches Worts:
  • Und den Parabolischen Verstand (SENSUM PARABOLICUM) wenn unter einer Erzehlung von bekannten Sachen eine höhere Lehre Gleichnißweise verborgen steckt, z.E. die Parabel vom Sämann, grossen Abendmahl, siehe hiervon ein mehrers in dem Artickel: Verstand der Heiligen Schrifft.
 
  In den Profan-Scribenten findet man gleichfals dreyerley Arten:  
 
  • Den Satyrischen Verstand (SENSUM SATYRICUM) wenn man die Laster auf

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    eine stachlichte und spitzige Art lobet, oder in einer General-Bestraffung derselben, auf eine gewisse Person in specie zielet; oder in der Erzehlung einer Historie von einer Person auf eine andere Person sein Absehen hat:
  • Den mythischen Verstand (SENSUM MYTHICUM) wenn man unter Fabeln gewisse Lehren oder Historien verstecket,
  • und den hieroglyphischen Verstand (SENSUM HIEROGLYPHICUM) und den symbolischen Verstand (SENSUM SYMBOLICUM,) wenn man unter gewissen Bildern oder dunckeln Sprüchen die Lehre vorstellet.
 
  Der wahre Verstand (SENSUS VERUS) ist derjenige, welchen der Autor, der da redet; oder schreibet, intendiret. Schreibet oder redet jemand nicht symbolisch, daß er seine Gedancken nicht unter gewisse Bilder verstecket, so hält man denjenigen Verstand für den eigentlichen (SENSUM PROPRIUM) welchen die Worte in ihrer Bedeutung und Zusammenhang mit sich bringen; trägt er aber seine Gedancken unter gewissen Bildern vor, so hält man denjenigen für den eigentlichen, der unter den Bildern verborgen lieget, nachdem man solche vorhero nach dem Wort Verstande begriffen hat.  
  Doch äußert sich hier mehr Schwürigkeit, wie man an den Symbolischen Sprüchen des Pythagoras und deren Erklärung sehen kan. Er sagte unter andern: Man müsse keinen engen Ring tragen, welchen Spruch einige so auslegen: Man müsse vor seines Lebens Unterhalt zwar sorgen, aber nicht allzusparsam seyn, und Hieronymus erkläret ihn: Man solle sich in keine Sache mengen, daraus man sich nicht, wenn man will, wieder wickeln kan, und Plutarchus hat es von einem ungezwungenen Leben verstanden. Doch ist immer ein Symbolischer Spruch leichter, als der andere, und wenn unter andern Pythagoras auch gesagt, eine in dein Haus gekommene Schlange must du nicht umbringen; so siehet man gar leichte, daß er damit habe anzeigen wollen, man müsse mit einem Gaste, ob er einen schon schade, doch freundlich umgehen, da hingegen der Verstand des Symbolischen Spruchs: man soll sich der Bohnen enthalten, nicht so leicht heraus zu bringen.  
  Wer den eigentlichen Wort-Verstand einer Rede erforschen will, der muß vorher wissen eines Theils: Ob der Text eines Auctoris nicht verderbet sey; oder andern Theils: Ob einer der wahrhaffte Auctor von einer Schrifft und Rede sey, oder ob ihm selbige untergeschoben worden? Dazu die Critick Anleitung giebet. Hierauf betrachtet er die Umstände erstlich der Rede selbst so wohl in Ansehung der Worte und deren Redens-Arten nach ihrer Bedeutung, welche ein vernünfftiger Mann billig in acht nimmt, und nach ihrer Construction; als auch in Ansehung der Sätze der aus denselben gemachten Periodorum in ihrem Zusammenhange; hernach der Person, welche redet und schreibet, was nicht nur deren innerlichen Zustand in Ansehung des Verstandes und Willens; sondern auch den äusserlichen in Absicht des Standes und der Profeßion betrifft, wie mit mehrerm in dem Artickel: Hermeneutic, im XII Bande p. 1729. u.ff. gewiesen worden.  
  Zur Erforschung des Mystischen Verstandes hilfft viel, wenn man eine genaue Be-  
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  kanntschafft mit dem Autor hat, nicht allein in Satyrischen Schrifften, daß man die Historien wisse, die etwa an dem Orte, da er sich aufgehalten, paßiret sind; sondern auch in Fabeln, damit man aus seiner Inclination zu dieser oder jener urtheilen möge, ob die Fabel moralisch; oder physisch oder chymisch zu erklären. Doch darf man sich nicht bemühen, aus einer Fabel unterschiedene Auslegungen hervorzubringen, wie es viele bey Erklärung der alten poetischen Fabeln gethan. Man lese
  • den Buddeus in Philosoph. Instrument. … und dessen Observationes in Elementa Philosophiae Instrumental.
  • Walchs Philosophisches Lexicon.
     

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Stand: 27. Februar 2013 © Hans-Walter Pries