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Zedler: Ukraine HIS-Data
5028-49-484-1
Titel: Ukraine
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 49 Sp. 484
Jahr: 1746
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 49 S. 257
Vorheriger Artikel: Uko-Wallisten
Folgender Artikel: Ukrainische Cosacken
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

  Text Quellenangaben
  Ukraine, Ucraine, Uckraine, Lat. Ucraina, Ucrainia, Ucrania, ein Theil von Roth-Reußen, welcher Nieder-Volhynien, die Woywodschafften Kiow und Braclaw samt Nieder-Podolien begreiffet; und an den Grentzen von Moscau und der kleinen Tartarey lieget.  
  Es ist ein grosser Strich Landes, so sich von Osten gegen Westen zu ohngefehr auf 300 Englische Meilen erstrecket, von Norden aber gegen Süden zu über hundert breit ist.  
  Es war ehedem 50 Jahr lang in Pohlnischen Händen gewesen, anjetzo aber gehöret es theils den Pohlen, theils den Moscowitern.  
  Der allgemeine Nahme Ukraine bedeutet in der Sclavonischen Sprache so viel als eine Gräntze, weil nehmlich dieses Land dem Königreich Pohlen zur Gräntze dienet, zwischen denen Türcken und Tatarn.  
  Dieses grosse und fruchtbare Land wird in zwey Haupt Provintzien getheilet, welche sind Volhynien und Podolien, zu welchen einige noch das schwartze Reußen und die Woywodschafften, Kiow und Braclaw, rechnen.  
  In Volhynien ist die Haupt-Stadt Kiow, am Fluße Borysthene oder Dnieper, welche vor Zeiten, wie man vorgiebt, eine von denen grösten Städten in Europa soll gewesen seyn. Dieser Ort gehörete vor Zeiten denen Hertzogen von Reussen; anjetzo aber ist er von denen Türcken und Tatern gantz ruiniret worden.  
  Die Haupt-Stadt in Podolien ist Caminiec, welche auf einem Felsen stehet, und wohl befestiget ist.  
  Die Ukraine wird meistens von den Cosacken bewohnet, welches Wort (Cosacken) in der Sclavonischen Sprache so viel heisset als Räuber. Anfänglich waren sie Bauern, welche aus Reußen und andern benachbarten Ländern kamen, sich auf denen Inseln des Flusses Borysthenis niederliessen, hernach aber sich über die gantze Ukraine ausbreiteten und vom Raub lebeten.  
  Sie pflegten offt in die Tartarey und Türckey einzufallen, plünderten Trebisonde und Sinope, ja sie kamen öffters bis vor Constantinopel. Desgleichen trieben sie auch See-Räuberey auf dem schwartzen Meere; sie haben denen Pohlen immerfort gute Dienste gethan, wenn selbige in einen Krieg wieder die Türcken verwickelt gewesen sind; und kan man sie mit niemanden besser vergleichen, als mit denen Miquelets in Spanien, oder mit denen Hochländern in Schottland.  
  König Stephanus brachte dieses Volck, um sie der Cron Pohlen noch nutzbarer zu machen, im Jahr 1576 unter eine gute Zucht, und setzte gewisse Officirer und einen General über sie. Desgleichen gab er ihnen auch die Stadt Techtimerow am Fluß Borysthenes oder Dnieper, welche sie zu einem Magazin machten, wie auch zur Residentz ihres Gouverneurs, damit sie eine Schutz-Mauer wieder die Einfälle der Tatarn seye, als welche sie offt beunruhigten. Ferner gab er ihnen auch viele Privilegien, wofür sie ihm nachgehends gute Dienste leisteten.  
  Es stund aber diese vortreffliche Vormauer der Christenheit gegen die Türcken nur 50 Jahr, damit geriethen die Pohlen und Cosacken einander selber in die Haare, und nachdem sie sich etliche Jahre mit einander herum gesäbelt hatten, so begaben sich  
  {Sp. 485|S. 258}  
  die Cosacken in den Schutz der Türcken und Moscowiter, und dieses musten die Pohlen geschehen lassen.  
  Die Gelegenheit zu diesem grossen Aufstande war diese, daß ihnen die Pohlen nicht nur die Festung Techtimerow genommen, sondern auch die Festung Kudack ihnen vor die Nase geleget hatten. Sie thaten aber solches darum, weil die Cosacken nicht in ihrem angewiesenen Bezirck von 20 Meilen blieben, sondern auf Pohlnischen Grund und Boden nach ihren Gefallen plünderten und raubten, welches sonderlich die Pohlnischen Magnaten nicht vertragen konnten, die ihre Land-Güter in der Ukraine hatten.  
  Albertus Vimina sagt in seinen einheimischen Kriegen des Königreichs Pohlen … es sey gewiß, daß der Cosacken Nahme von dem Sclavonischen Worte Coza herkomme, welches soviel heist, als eine Ziege; und zwar dieses entweder aus der Ursache, weil sie Ziegenhärene Kleider zu tragen pflegen, oder aber, weil sie, wie eine Heerde Ziegen, in Hütten beysammen gelebet; oder, weil sie, wie die Ziegen, allenthalben herum gesprungen, und kein Land von einem so schweren Zugang gefunden, in welches sie nicht kommen können.  
  Das Land, welches sie erst besassen, erstreckte sich nicht über 18 Meilen auf jeglicher Seite des Dniepers, und lag nicht weit von dem Orte, wohin Ovidius ins Elend verwiesen worden, allwo auch noch bis dato ein Schloß seyn soll, Ovidow genannt, wo der Poet Ovidius vielleicht begraben seyn mag. Dies hält gedachter Vimina nicht vor unglaublich, weil der Zustand dieser Gegend ziemlich übereinkomme mit einer gewissen, in Ovidii Elegiis, die er an Rufinum geschriebenen, befindlichen Beschreibung, wenn er unter andern also spricht:  
  [4 Zeilen lateinische Verse]  
  Das ist: Man findet allhier weder Obst noch Wein, noch anmuthige und nützliche Bäume. Und wie das Land ist, so ist auch das Meer, nehmlich allezeit stürmisch und mit Nebel bedecket.  
  Die von Ovidio an einem andern Ort beschriebene Tapfferkeit des Volcks bekräfftiget ermeldten Autor noch ferner in seiner Meynung, da es nehmlich heist:  
  [2 Zeilen lateinische Verse]  
  Das ist: Die meisten allda befindlichen Menschen fragen nichts nach der schönen Stadt Rom, und fürchten sich nicht vor denen Italienischen Soldaten.  
  Jedoch es stehet nicht zu glauben, daß die heutigen Cosacken ein so altes Volck seyen; denn es ist gewiß, daß sie anfänglich nur eine Rotte von herumschweiffenden Flüchtlingen gewesen, welche der Straffe entflohen, und in dieses Land gekommen, allwo sie sich nur von Jagen und Fischen, und letztlich, (gleichwie auch noch jetzund geschicht) von See- und Land-Räuberey ernehreten.  
  Heut zu Tage aber ist dieses Land viel grösser, denn vor diesen; denn es trägt in der Länge 100 und in der Breite über 40 Meilen aus.  
  Das Gras soll allhier insgemein so hoch wachsen, daß ein Reuter sich leicht darunter verbergen kan. Dieses Land ist so reich an allerhand Getrayde, daß die Ein-  
  {Sp. 486}  
  wohner nicht wissen, was sie damit anfangen sollen, zumahl da ihre Flüsse nicht tief, und also nicht bequem sind, es darauf an andere Örter zu führen.  
  Sie haben auch allerley Thiere, Fische und Vögel, nebst denen meisten andern nothwendigen Lebens-Mitteln, ausgenommen Wein und Saltz. Den Wein bekommen sie aus Ungarn, Siebenbürgen, Wallachey und Moldau; das Saltz aber aus Pohlen.  
  Die Häuser dieses Landes sind insgemein von blossem Holtz, und fast eben so gebauet, wie in Moscau und in Pohlen, selten über ein Geschoß hoch. Ihre Stadt-Mauern sind mehrentheils von blosser Erde gemacht, welche mit Pfählen und Bretern zusammen gehalten wird, weil dergleichen Mauern am besten die Canon-Schüsse aushalten können.  
  Die Einwohner in der Ukraine sind mehrentheils starck, großmüthig, grosse Verächter des Geitzes, und ungemeine Liebhaber der Freyheit, so, daß sie auch die allergelindeste Dienstbarkeit nicht erdulden können. Desgleichen sind sie auch kühn, unverdrossen, anbey aber der Trunckenheit aufs höchste ergeben, treulose Freunde, und meineydige Feinde.  
  Ihre gemeinste Geschäffte sind jagen und fischen. Darnebst sind sie auch einigermassen in allen nothwendigen Friedens- und Kriegs-Künsten erfahren. Das allerbeste aber, was sie thun können, ist die Zubereitung des Salpeters, womit sie unterschiedliche Theile von Europa versehen. Desgleichen können sie auch herrlich Büchsen-Pulver machen.  
  Die Bauern beydes in diesem und denen benachbarten Ländern sind lauter Sclaven. Sie müssen alle Wochen vier Tage lang ihren Herren umsonst arbeiten und ihnen noch überdis unterschiedliche andere schwere Pflichten abstatten. Ihre Herren haben nicht allein ihre Güter, sondern auch ihr Leben in ihren Händen. Daher hat man sich nicht zu verwundern, wenn man höret, daß diese arme Tropffen offt rebelliret, und ihre Freyheit mit grosser Hefftigkeit vertheidiget haben.  
  Sie sind insgemein der Griechischen Religion zugethan, welche sie im Jahr Christi 942 unter Ulodomir, des Fürsten von Reussen, Regierung angenommen haben. Jedoch bekennet sich der gröste Theil des Adels entweder zur Römisch-Catholischen oder zur Reformirten Religion.  
  Die Cosackischen Priester werden Popen genennet, welches Wort in ihrer Sprache soviel heist, als Anführer. Sie haben viel, und zwar sehr strenge Fast-Tage; gestalt sie an denenselbigen sich nicht allein von allem Fleisch, sondern auch von Butter, Milch, Käse und Eyern enthalten, und nichts als Kräuter, Hülsen-Früchte, Wurtzeln und dergleichen essen. Einige unter ihnen sind so andächtig, daß sie niemahls weder Brod essen noch Wasser trincken, als nur des Sonnabends und Sonntags.  
  In diesem Lande ist die Gewohnheit, daß die Weiber die Männer freyen, welches so gemein ist, daß man es vor gar nichts unanständiges hält. Wenn dahero die Weibes-Personen Männer haben wollen, so reden sie deshalb nur mit dererselbigen Anverwandten.  
  Dieses Land ist so sehr mit Fliegen geplaget, daß sich die Einwohner zur Sommers-Zeit auf unterschiedliche Weise dargegen wehren müssen. Jedoch hat es noch viel mehr Heuschrecken, als welche bey trockner Zeit als grosse Wolcken,  
  {Sp. 487|S. 259}  
  von 5 bis 6 Meilen lang, und vier Meilen breit, gezogen kommen, und bey hellen Mittag die Sonne verfinstern. Wohin sie sich setzen, dieselbige Gegend meyen sie in weniger denn zwey Stunden reine ab. Sie leben nur sechs Monat. Wo sie im Herbste sitzen, da legen sie Eyer. Jede Heuschrecke hat deren ohngefehr dreyhundert. Diese brüten sie im Frühling aus, von welchen sehr wenige taub sind. Sie können durch nichts anders, als durch einen starcken Nord-Ost-Wind, oder durch grosse Regen vertrieben werden.  
  Ehe die Jungen starck genung sind zum fliegen, kriegen sie in die Häuser, springen auf die Betten, Tische, Speisen und andere dergleichen Dinge, so, daß man kaum einen Bissen essen kan, womit man nicht zwey oder drey dergleichen Heuschrecken mit hinunter schlinget. In der Nacht liegen sie auf den Strassen und Feldern, welche gemeiniglich über einen Fuß dicke damit bedeckt sind. Wenn eine Kutsche oder Wagen darüber gehet, wird ein unleidlicher Gestank erreget.  
  Vermöge des Friedens-Instruments, so zwischen der Ottomanischen Pforte und Sr. Czaarischen Majestät dem 3/15 April 1712 vollzogen worden, ist auch folgendes Art. III. wegen der Ukraine mit ausgemachet und verglichen worden:  
  "Nachdem Ihro Czaarische Majestät in Posseßion der Stadt Kiow, und des darzu gehörigen, und disseits des Flusses Niper gelegenen Territorii und fester Orten, wie nicht weniger des Cosacken Landes mit seinen alten Grentzen, welches die Ukraine genannt wird, und jenseits sothanen Flusses lieget, sich befinden; so werden dieselben auch darinnen gelassen.  
  Hingegen evacuiren besagte Ihro Czaarische Majestät nicht nur alle denen Cosacken disseits des Nipers zuständige, und nicht zum Kiowischen Territorio gehörigen Schlösser, feste Orte, auf eben selbige Art, als diese es mit ihren alten Grentzen besitzen, sondern auch die Insel Saccia, die an dieser Seiten nur erwehnten Flusses anstösset, dergestalt, daß Ihro Czaarische Majestät künfftighin gedachte Cosacken, und besonders der Stadt Crimäa, und andern Unterthanen der Ottomanischen Pforte, weder heimlich noch öffentlich beunruhigen oder beschweren wollen.  
  Und falls denenselbigen wieder gegenwärtigen Friedens- und Freundschaffts-Tractat einiger Tort zugefüget werden solte, so wollen Ihro Czaarische Majestät diejenigen, so solchen verursacht haben, ernstlich bestraffen, auch nachdrückliche Verfügung thun, daß dergleichen vors künfftige unterbleibe.  
  Die Ottomanische Pforte verspricht ihres Orts, daß weder die Tatarn noch Cosacken, so ihr unterwürffig sind, etwas wider diesen Frieden zum Nachtheil derer Moscowiter, oder derer von Ihro Czaarischen Majestät dependirenden Cosacken unternehmen, und dieselben, so dawieder handeln, von der Ottomanischen Pforte zur Straffe gezogen werden sollen.„  
  Auch wurde im Jahr 1733 die von Ihro Czaarischen Majestät unter Commando und Aufsicht des Feld-Marschalls Grafens von Weisbach, in der Ukraine angelegten Linien nebst den darbey angelegten Forts in vollkommenen Defensions-Stand gesetzet, und durchgehends mit Pallisaten wohl verwahret. Es ist dieses ausser-  
  {Sp. 488}  
  ordentliche und bewundernswürdige Befestigungs-Werck, so sich ohne Abschnitt in die 100 Werste längs denen Grentzen erstrecket, hauptsächlich denen Einfällen der schwärmenden Tatarn entgegen gesetzet, und ohnstreitig von mehrerer Wichtigkeit und Nutzen, als die ehemahls in China wieder eben dieses räuberische Volck mit unsäglichen Kosten aufgeführte grosse Mauer.  
  Zu Besatzung dieser Linien und Schantzen werden 50 bis 60000 Mann, auch an die 400 Canonen erfordert, welche Mannschafft und Kriegs-Provision in completen Stand zu setzen, von Zeit zu Zeit Transporte veranstaltet, und an die Regimenter dorthin zu marschiren Ordren ertheilet werden. Alles ist hierbey so wohl eingerichtet, daß in einer Zeit von wenig Tagen aus dieser Besatzung eine Armee von 30 bis 40000 Mann zusammen, und mit allem wohl versehen in das Feld gestellet werden kan.  
  Als im Jahr 1561 der Cardinal Commendon, durch die Ukraine nach Rußland reisete, fand er darinnen eine grosse Menge Juden, welche nicht so verachtet, als an andern Orten, lebeten, auch nicht den schändlichen Wucher, sondern eine billige und ehrliche Handlung trieben, das Land baueten, die Medicin und Astrologie studirten, pachteten, Degen trugen, und auch zu Bedienungen gelangeten, wie andere Leute.
  • Connors Beschreib. des Königreichs Pohlen …
  • Bizardiere Hist. des Dietes
  • Heidenstein Rerum Polon. …
  • Chevalier Hist. de Cosaques
  • Alb. Vimina Guerre Civil. di Polon. …
  • Le Vasseur de Beauplan Descript. de l'Ukraine.
  • Starovolsc. Polon.
  • Andr. Cellar. Polonia.
  • Christ. Hartkn. de rep. Polon.
  • Hübners Geogr. II Th. …
  • Zinckens Europ. Friedens-Schlüsse III Abtheil. …
  • Europäische Fama XXIX Band
     

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Stand: 14. April 2014 © Hans-Walter Pries