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Zedler: Vollkommenheit HIS-Data
5028-50-491-5
Titel: Vollkommenheit
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 50 Sp. 491
Jahr: 1746
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 50 S. 261
Vorheriger Artikel: Vollkommene Zungenzeltlein wider die Pest, Augspurger
Folgender Artikel: Vollkommenheit, (absolute)
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

  Text Quellenangaben
  Vollkommenheit, Lat. Perfectio, ist diejenige Eigenschafft einer Sache, da sie alles dasjenige an sich hat, was sie ihrem Wesen und ihrer Absicht nach, warum sie ist, an sich haben soll.  
  In den gemeinen Metaphysicen werden von derselben allerhand Eintheilungen fürgebracht, indem man solche in eine besondere (PERFECTIONEM PARTICULAREM) und in eine gäntzliche (TOTALEM) eintheilet, und durch die erstere alle Eigenschafften verstehet, die einer Sache würcklich zukommen, sie seyn nun wesentliche, oder ausserwesentliche, als z.E. bey GOtt die Independentz, Unsterblichkeit, Allwissenheit; bey dem Menschen das Leben, die Sinnen, der Verstand, die Schönheit, die Tugend.  
  Diese wird wieder eingetheilet  
 
  • in die Vollkommenheit an und vor sich selbst (PERFECTIONEM ABSOLUTAM) die in ihrem eigentlichen und formalen Begriffe nichts unvollkommenes anzeige,
  • und in die Vollkommenheit auf gewisse Masse (in PERFECTIONEM SECUNDUM QUID), die in ihren eigentlichen und formalen Concepte einige Unvollkommenheit bey sich habe;
 
  wiewohl andere diese beyde Arten des Vollkommenen so erklären, daß sie durch das erstere das allervollkommenste Wesen, nehmlich GOtt; durch das andere dasjenige verstehen, dem an denjenigen Stücken, die es nach seiner Art haben soll, nichts fehlet.  
  Ferner sey diese Vollkommenheit  
 
  • entweder eine wesentliche, welche zum Wesen selbst einer Sache gehöre, und von demselben nicht könne abgesondert werden;
  • oder zufällige und ausserwesentliche, wenn einige ausserwesentliche Eigenschafften da wären, die zum Zierrath und grösserer Brauchbarkeit einer Sache was beytrügen
 
  welche letztere  
 
  • in eine ergäntzende (PERFECTIONEM INTEGRALEM), die zur Ergäntzung einer Sache was beytrage, z.E. die Glieder bey dem Menschen;
  • in eine natürliche, welche einer Sache natürlicher Weise zukomme, z.E. bey dem Feuer das Licht, die Farbe, die brennende Krafft;
  • in eine künstliche, die man sich durch seinen eigenen Fleiß erworben, wie bey dem Menschen jede Wissenschafft und Er-
 
  {Sp. 492}  
 
  kenntniß;
 
   
  eingetheilet wird.  
  Die gäntzliche Vollkommenheit, oder die perfectio totalis sey, vermöge welcher eine Sache ihr völliges Wesen habe, und heist auch die Metaphysische, die Transcendentalische Vollkommenheit, die entweder eine uneingeschränckte, so GOtt zukomme, oder eine eingeschränckte, als der Creaturen sey, welche wieder ihre gewisse Grade habe, siehe
  • Donati Metaphysic. usual. …
  • Clauberg in ontosoph. …
  • Clericus in der Ontologie …
  Andere theilen die Vollkommenheit in eine Physische, Moralische und Metaphysische.  
  Rüdiger institut. erudit. … sagt: Perfectionem dico omne id, quod ens secundum rectam rationem sibi conveniens deprehendit; und p. 412. zeiget er, wie sich die Vollkommenheiten des Schöpffers verhalten.  
  Wolff in seinen Gedancken, von GOtt, der Welt und der Seele des Menschen … meynet, daß die Zusammenstimmung des mannigfaltigen die Vollkommenheit der Dinge ausmachte, wie man z.E. die Vollkommenheit einer Uhr daraus beurtheile, daß sie die Stunden und ihre Theile richtig zeige. Sie sey aber aus vielerley Theilen zusammen gesetzet, und sowohl diese insgesammt, als ihre Zusammensetzung giengen dahin aus, daß der Zeiger die Stunden, und ihre Theile richtig zeigte. Solchergestalt finde man in einer Uhr mannigfaltige Dinge, die alle mit einander zusammen stimmten. Wenn hingegen einige Theile in der Uhr anzutreffen wären, welche hinderten, daß sie die Zeit nicht richtig zeigen könnte, so sey die Uhr unvollkommen.  
  Dieser Begriff gehet vornehmlich auf ein Mathematisches Ens, oder Gantze, so aus verschiedenen Theilen bestehet. Bey der Vollkommenheit gehet das Haupt-Absehen auf den Endzweck, dahin eine Sache zielet, daß wenn sie zu demselbigen ihrem Wesen nach hinlänglich, die für vollkommen zu achten, es mögen eigentlich Theile da seyn oder nicht.  
  Im Moralischem Verstande ist der höchste Grad der Geschicklichkeit, den ein jeder Mensch nach Proportion der ihm verliehenen zeitlichen Gaben und der Kürtze seines Lebens zur Beförderung seiner wahren zeitlichen Glückseligkeit erlangen kan, eine wahrhaffte Vollkommenheit zu nennen. Walchs Philosoph. Lexic.
  Diese letztere Vollkommenheit wird also vornehmlich zu erlangen seyn, wenn man, durch die Würckungen des Verstandes und Willens, sein Gemüth ausbessert, durch die leiblichen Bewegungen aber, den Leib geschickter macht. Nach dieser Moralischen Vollkommenheit haben auch Heydnische, und in andern Stücken sehr barbarische Völcker, zu allen Zeiten getrachtet.  
  Wir wollen uns, an statt aller, anjetzo nur auf die gelehrten Sineser beruffen, deren Lehre kürtzlich darinnen bestehet, daß sie nach dem höchsten Gute, oder, nach der Vollkommenheit, streben, wodurch sie nichts anders, als die Verbesserung des Verstandes und Willens verstehen, worzu sie, durch die Anweisung des Lichtes der Vernunfft, zu kommen sich bemühen. Sie folgen hierinnen den Unterweisungen ihres alten Weltweisen Confutius, unter dessen moralischen Lehr-Sätzen wir uns nur  
  {Sp. 493|S. 262}  
  auf folgenden beruffen wollen:  
  "Es sind vier Regeln, nach welchen sich ein vollkommner Mensch richten soll: Erstlich muß er das, was er von seinem Sohne fordert, selbst in Ansehen seines Vaters ins Werck stellen. Zum andern, muß er seinem Fürsten eben so treu dienen, als er will, daß ihm diejenigen dienen sollen, die ihm unterworffen sind. Drittens, soll er sich gegen seinen ältern Bruder so aufführen, wie er will, daß sich sein jüngerer Bruder gegen ihn aufführen möge. Viertens, soll er sich so gegen seine Freunde verhalten, wie er will, daß sich seine Freunde gegen ihn verhalten sollen.  
  Ein Vollkommner nimmt diese Pflichten unaufhörlich in Acht, so gemein als sie auch aussehen. Wird er gewahr, daß er etwas versehe, so kan er nicht eher ruhen, bis er solches Versehen wieder gut gemacht. Erkennt er, daß er eine Schuldigkeit, die wichtig ist, unterlassen, so ist keine Gewalt so groß, die er sich nicht anthut, solchen Mangel vollkommen zu ersetzen. Er ist in seinen Reden bescheiden, er hält an sich, und redet nie was ohne Vorbedacht: Wenn ihm gleich noch so viele Worte einfallen, so unterfängt er sich doch nicht damit heraus zu brechen, und er hält also damit zurück. Mit einem Worte: Er ist so ein strenger Richter über sich selbst, daß er sich nicht eher zu Frieden giebt, bis seine Worte mit seinen Wercken, und seine Wercke mit seinen Worten, übereinstimmen.„  
  Von dem Plutarchus haben wir ebenfalls noch einige Moralische Sätze, unter welchen wir nur des folgenden, der in dem dritten Capitel seines Buches von der Kinder-Zucht gelesen wird, Meldung thun wollen:  
  "Zur Vollkommenheit werden drey Dinge erfordert, deren eines dem andern die Hand bieten muß: Nehmlich die Natur, Vernunfft und Angewöhnung. Durch die Vernunfft verstehe ich die Unterweisung; durch die Angewöhnung die Übung. Den Anfang hat man hierinnen der Natur, den Fortgang der Unterweisung, den Fleiß der Übung, die Vollkommenheit aber allen zu dancken. Denn wo eines von diesen Stücken fehlet, so muß die Tugend in soweit unvollkommen werden: Sintemahl die Natur, ohne Unterweisung, blind; die Untersuchung, ohne natürliche Geschicklichkeit, mangelhafft; die Übung aber, ohne diese beyde, unvollkommen ist. Gleichwie nun zum Acker-Bau erstlich ein guter Boden, hernach ein verständiger Ackers Mann, und dann guter Saamen erfordert wird; also ist allhier die Natur gleichsam der Boden, der Lehr-Meister der Ackers-Mann, die Regeln und Lehren aber der Saamen.„
  • Wolffs Gedancken von GOtt, Welt und Seele ...
  • Desselben Nachricht von seinen eigenen Schrifften ...
  • Zimmermanns Abriß der Vernunfft-Lehre ...
  • Desselben natürl. Erkänntniß Gottes, der Welt und des Menschen ...
  • Deutsche Acta Eruditor. XI B. ....
  • Zuverläßige Nachr. I B. ...
  • Baumeister Philos. definit. …
  • Gottscheds Gründe der Weltweißh. I Th. ...
  {Sp. 494}  
 
  ...
 
  • Spinozä Sitten-Lehre …
  • Bruckers Philos. Hist. III Th. …
  • Rübels Recht der Natur …
  • Baylens Crit. Wörter-Buch, I Th. …
  • Reuschii System. Logic.
  • Desselb. System. Metaph. …
  • Kämmerichs Academie der Wissensch. III Eröffn. …
  • Heinsii Kirchen-Hist. V Th. …
  • Stollens Historie der Heydn. Moral …
     

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Stand: 9. Januar 2013 © Hans-Walter Pries