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Zedler: Vorstellen (sich) HIS-Data
5028-50-1280-1
Titel: Vorstellen (sich)
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 50 Sp. 1280
Jahr: 1746
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 50 S. 655
Vorheriger Artikel: Vorstellen, Vorstellung oder Territion
Folgender Artikel: Vorstellung, siehe Vorstellen
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

  Text Quellenangaben
  Vorstellen (sich), Lat. percipere, repraesentare, heißt so viel als ein Bild von einer Sache in seiner Seele haben oder sich in seinem Gemüthe eine Sache abbilden.  
  Herr M. Bernd in seiner Abhandlung von der menschlichen Seelen gleich in Anfange tadelt die Weltweisen unserer Zeiten, daß sie das Wort repräsentiren oder vorstellen brauchen, wenn sie eine Beschreibung von GOtt machen wollen. Man beschreibt nemlich GOtt als ein Wesen, welches alle möglichen Welten, und also auch diese gegenwärtige sich auf das vollkommenste und deutlichste vorstellet, besiehe Wolffens Metaphysic …
  Es deucht ihm aber, daß das Wort vorstellen sey ein dunckel und zweydeutiges Wort, welches auch nach seinem Vorgeben, vielen bisanher anfänglich frembde vorgekommen, so daß sie nicht gewußt, was sie vor einen Begrief sich davon machen sollen. Einige haben es angenommen als ob nur ein blosses Betrachten und Ansehen GOttes darunter verstanden werde, nach welchen GOtt die Welt stets nur so ansieht, und allen Dingen zusieht, die sich darinnen ereignen und begeben. Gleichwie jener Atheist, dessen Schrifft Herr M. Bernd; wie er daselbst meldet, in Handschrifft besitzet, und von der er nicht weiß, ob sie in Druck herausgekommen, von GOtt auf eine leichtfertige und Gotteslästerliche Weise saget, daß er nichts thue, sondern seinen Braten-Wender der Welt nur so ewig zusehe, und denselben anschaue.  
  Vor diesen brauchte man das Wort repraesentare und vorstellen, wenn man die Einbildungs-Krafft der menschlichen Seele beschreiben wolte. Wenn die Seele gegenwärtige Materialische Dinge siehet, höret, schmecket, fühlet, so sagt man von ihr, daß sie empfinde (sentire); wenn sie aber an diese Materialische Dinge, so sie ehemahls gegenwärtig empfunden, von neuen gedencket, und sich dieselben wiederum einbildet, als wenn sie gegenwärtig wären, so sagt man, daß sie imaginire und sich solche wieder vorstelle. So kan man sich in Gedancken denjenigen Ort wieder vorstellen, an welchem man gestern gewesen; dannenhero mancher sich auch im Lateinischen des Worts repraesentare bedienet, weil man sich da die abwesenden Dinge gleichsam in Gedancken wieder gegenwärtig macht.  
  Nach der Zeit hat man es auch manchmahl in weitläufftigern Verstande genommen, und, da die Einbildungs-Krafft, wo nicht die Helffte, doch einen grossen Theil des menschlichen Gedächtnisses ausmachet, und in so weit mit dem Gedächtniß auf eins hinausläufft, es von allen Dingen überhaupt gebraucht, sie mögen nun materialisch oder immaterialisch seyn, derer man sich wieder erinnert, und an welche man wieder gedencket, und die man sich Krafft des Gedächtnißes, ob sie wohl abwesend, wiederum als gegenwärtig vorstellet.  
  Endlich merckt Herr Bernd aus den Schrifften der heutigen Weltweisen an insonderheit wenn er ließt, wie sie die Lehre von Affecten und von dem Einflusse des Verstandes in den Willen erklären, daß sie das Wort vorstellen brauchen, alle drey Geschäffte und Würckungen des menschlichen Verstandes  
  {Sp. 1281|S. 656}  
  auszudrücken; so daß sie die Urtheile und Schlüsse der Vernunfft sogar darunter begriffen.  
  Nun in so weit schicket sich dieses Wort zwar nicht auf unsern GOtt, als welcher keine solche hintereinander folgende Überlegungen und Urtheile, und vielweniger solche Schlüsse macht, wie wir Menschen, sondern sich selbst, und alle Dinge so gewesen seyn, sind, und seyn werden (uno aeterno videndi, intelligendi et sciendi actu) durch eine einige ewige Handlung auf einmahl siehet, verstehet, und erkennet; so daß also dieses Wort repraesentare, vorstellen, sich nur in so ferne auf GOTT schickte in so ferne man gleichsam die erste Würckung des Verstandes, das blosse einfältige Ansehen, und Wahrnehmen der Dinge (simplicem rerum intuitionem) bey den Menschen darunter verstehet. Denn wenn bey GOtt nicht solche, Urtheile und Schlüsse, wie bey uns Menschen sind, so ist sein vorstellen nur als ein blosses Anschauen der Dinge (intuitus rerum) anzusehen.  
  Aus dem unterschiedenen Gebrauch dieses Wortes ist also, nach der Meynung des Herrn M. Bernds, gekommen, daß die Leute im gemeinen Leben, und auch wohl die, so studiert, öffters einander selbst nicht verstehen, und der eine nicht weiß, was der andere mit dem Worte vorstellen haben will; in dem der eine es in diesem, der andere in einem andern Verstande zunehmen pflegt.  
  Denn auch was die Beschreibung von dem Ursprung der Affecten anbetrifft, bey welcher sich gleichfalls viele dieses Wortes vorstellen bedienen, wenn sie sagen, daß die Affecten bey einem Menschen entstünden aus der unterschiedenen Vorstellung unsers Guten und unsers Bösen (ex repraesentatione boni et mali ad nos pertinentis); so ist es wie angeführter Auctor davor hält, ein unbequehmes Wort, wodurch selten ein jeder gleich sich einen rechten Begriff von Affecten und derselben Ursprung machen kan. Weil viele das Vorstellen vor ein bloß Betrachten und Ansehen der Dinge annehmen, so hat wohl eher einer und der andere sich verlauten lassen:  
  Ich sehe nicht, wie die Affecten und Gemüths-Neigungen aus der Vorstellung des Guten und Bösen herkommen können: Ich stelle mir offtermahls bald dieß bald jenes Übel und Gute, Reichthum, Gesundheit, Leben, Todt, und andere Dinge mehr vor; ich fühle nicht, daß deßhalber bey mir Freude, Begierde, Furcht, Traurigkeit oder andere Affecten dadurch entstünden.  
  Diese Sache also deutlicher zu machen, thun, nach offt belobten Verfassers Gutdüncken, diejenigen Sitten-Lehrer viel besser, welche von den Affecten sagen, daß sie entstehen aus den unterschiedenen Urtheilen und Schlüssen, nach welchen wir mit unsern menschlichen Verstande ein gewisses Gut und Übel entweder als groß oder als klein, gegenwärtig oder als zukünfftig, vermuthlich oder als unfehlbar zukünfftig halten, urtheilen, schliessen.  
  Zum Exempel führet er den Achan an, dieser sahe unter dem Raube der Kinder Israel einen Babylonischen Mantel und eine güldene Zunge. Das blosse Ansehen, Betrachten und Vorstellen wird noch keine Affecten bey ihm rege machen: ein an-  
  {Sp. 1282}  
  derer Jüde hat es vielleicht so gut als er gesehen, betrachtet, und sich vorgestellet. Daß er aber hernach Liebe, Lust, und Begierde bekommt, diesen Mantel zustehlen, und solchen hernach gestohlen, daß machen seine Urtheile und Schlüsse, die er fället, durch welche er diesen Mantel, als ein grosses Gut, wenn es sein eigen wäre, und als ein sehr nützliches Gut, wenn es sein eigen würde, ansahe.  
  Eben so verhält sich die Sache bey dem Ertz-Vater Jacob, da er den Rock seines Sohnes sahe, und glaubte, daß ihn ein wildes Thier zerrissen. Herr Bernd hat sich auch vorgestellt ein blutiges Kleid, ein wild Thier, einen Menschen oder auch den Joseph selbst, der von demselben zerrissen wird: er hat deswegen doch nicht gefühlt, was der Ertz-Vater Jacob in seinem Willen und in seiner Seele empfunden. Das macht, er urtheilte, daß was seinem Sohn begegnet, ein grosses Übel wäre; und daß dieß grosse Übel und Unglück sein eigen wäre: und daß er eines grossen Gutes und seines Trostes im Alter dadurch wäre beraubt worden.  
  Diese Sitten-Lehrer, welche das Wort vorstellen bey solcher Gelegenheit brauchen, mercken auch wohl, daß es nicht so deutlich und verständlich, als es seyn solte: darum suchen sie ihrer Beschreibung zu Hülffe zu kommen, und sagen, daß wenn Affecten entstehen sollen, der Mensch, das Gut oder das Übel sich als sein eigenes vorstelle müsse.  
  Bey dem allen bleibet es doch ein unbequehmes Wort, so daß wie gedacht die Menschen einander selbst nicht verstehen. Herr M. Bernd hatte einst eine krancke Weibs-Person zu besuchen, die er in grosser Betrübniß und Angst nebst ihrer leiblichen Kranckheit antraf. Da er nach der Ursache der Angst fragte, sagte sie, sie wäre mit so vielen Vorstellungen geplagt und gequälet: Ach wenn ich nur der ängstlichen Vorstellungen könnte loß werden, sprach sie. Er hat nicht gewußt, was sie damit meynte, oder was sie damit haben wolte. Hätte sie gesagt, ich schliesse aus meiner Kranckheit, daß ich leicht meines Verstandes könnte beraubet werden: ich halte dieses vor ein grosses Übel; ich vermuthe, daß ich sterben werde: ich sehe vorher das Unglück meiner Kinder, die noch nicht erzogen sind, ich fürchte, daß sie werden bey der jetzigen bösen Welt verführet und von GOtt abgezogen werden etc. so würde er sie, wie er spricht, wohl verstanden haben.  
  Denn dieses waren eben die Dinge, die sie in Furcht, Kummer, und Betrübniß setzten. Gleichwie er nun bey keinen Fällen den Gebrauch des Worts repraesentare, vorstellen, vor dienlich hält, ohne wo man solches nach der ehemaligen Weise von der Einbildungs-Krafft, das ist von dem Vermögen sich anwesender materialischer Dinge wieder zu erinnern, brauchet: so befindet er es auch nicht vor gut, daß man es GOtt beyleget, und das, wenn man seinen unordentlichen Verstand ausdrücken will, Krafft dessen er die vollkommenste und deutlichste Idee von der Welt und allen Dingen, ja von sich selbst hat, solches ein vorstellen nennen will. Wir überlassen unserm Leser das Urtheil, in wie weit Herr Bernd recht oder unrecht habe.  
     

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Stand: 4. April 2013 © Hans-Walter Pries