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Zedler: Wahn HIS-Data
5028-52-856-18
Titel: Wahn
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 52 Sp. 856
Jahr: 1747
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 52 S. 441
Vorheriger Artikel: Wahn, ist ein Vorsetze-Wörtgen
Folgender Artikel: Wahn, Wähnen
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

  Text Quellenangaben
  Wahn, ist eine ungegründete Meynung von der Gewißheit unserer Erkänntniß, oder eine leere Einbildung, die keinen Grund hat.  
  Man bildet sich von einer Sache etwas ein, und weiß offt selber nicht warum; oder, wenn man eine Ursache zu haben vermeynet, so ist sie doch entweder falsch, oder nicht hinlänglich, welches letztere unter andern bey den Muthmassungen geschiehet, da man aus Umständen die nur eine Möglichkeit erwecken gleich eine Wahrscheinlichkeit, oder Gewißheit, ma-  
  {Sp. 857|S. 442}  
  chen will. Wenn also einer z.E. gewiß zu seyn meynet, daß eine Artzney ein sicheres Mittel wieder eine gewisse Kranckheit sey, weil er es von einem Mann gehöret, der in dieser Kunst in Ansehen gekommen, so hat er keinen zureichenden Grund der Gewißheit, sondern es ist seine Meynung von der Gewißheit, die er zu haben vermeynet, nur ein Wahn.  
  Bey einem Wahne kan die Einbildung so starck seyn, als immermehr die wahre Gewißheit bey einem andern ist; Allein es ist doch zwischen beyden ein grosser Unterschied, nicht allein darinnen, wie beyde entstehen, sondern auch, daß die Gewißheit an sich fest und unbeweglich, ein Wahn hingegen veränderlich ist, ob er sich gleich nicht Würcklich allezeit ändert.  
  Zuweilen erkennen auch wohl einige, daß sie keine Gewißheit haben, sie wollen aber nur davor angesehen seyn, und geben es mit dem Munde anders vor, als sie es bey sich befinden. Und dieses sind die Hartnäckigten mit denen kein Auskommen ist. Es sind aber gemeiniglich Leute, die dumm und aufgeblassen sind: Derowegen wollen sie mit Gewalt Recht haben, und bilden sich dabey ein, alle Leute solten blind seyn, und ihnen auf ihr blosses Sagen trauen. Weil sie Kinder an dem Verstande sind, so machen sie es auch wie die Kinder. Sie schreyen so lange, biß man thut, was sie haben wollen; Darnach geben sie sich zufrieden. Von dieser Art aber sind die ungezogenen Kinder; Die wohlgearteten führen sich manierlicher auf.  
  Einige nehmen das Wort Wahn auch in dem Verstande, daß es eine Opinion und Meynung, oder eine Würckung des Verstandes sey, da man, aus scheinbahren Gründen eine Sache vor wahr annimmt, doch also, daß er derselben nicht gewiß versichert ist; Wie auch die Aristotelicker das Wort Opinio brauchen. Auf diese Weise wäre es das Mittel zwischen den Wissen und dem Zweiffel; Massen jenes eine völlige Gewißheit bey sich führet, dieses aber zwischen zweyen gleich wahrscheinlichen Meynungen ungewiß bleibet, und keiner beyfällt.  
  Ob es nun wohl in solchem Sinne bißweilen vorkommt, so ist doch die Bedeutung, die wir demselben beygeleget haben, gewöhnlicher. Denn wer eine Meynung hat, der erkennet es, daß ihm noch zu völliger Gewißheit etwas fehlet: Wer aber einen Wahn hat, erkennet es nicht. Und also ist wohl wahr: Ein jeder Wahn ist eine Meynung; Aber es ist nicht wahr: Eine jede Meynung ist ein Wahn. Gewiss ist es, etwas anders erkennen, daß uns zu völliger Gewißheit etwas fehlet, als sich einbilden, daß uns nichts dazu fehlet, obgleich in der That öffters noch gar viel fehlet. Derowegen können wir verschiedene Sachen nicht mit einem Nahmen nennen. Und da der ersten unstreitig der Nahme einer Meynung gebühret; So bleibet für die andere der Nahme Wahn übrig.  
  Indessen erkennen wir die Schwachheit des menschlichen Verstandes vornehmlich aus der Mannigfaltigkeit der Meynungen, die unter Gelehrten und Ungelehrten herrschen. Und da die meisten an einem vorgefaßten Wahne hangen bleiben, so ist das Sprüchwort daher  
  {Sp. 858}  
  entstanden; Mundus regitur opinionibus; d.i. Die Welt läßt den Wahn den Meister spielen.  
  Die neue Philosophie wendet viel Mühe an, die Menschen von diesem Fehler ab- und zu dem Fleisse der Erforschung der Wahrheit zu bringen.  
  Von der Gewalt des Wahns hat der berühmte Schuppius, als er noch Professor zu Giessen war, eine gelehrte Rede gehalten.
  • Jablonsky Lex. …
  • Walchs Philos. Lex. …
  • Meisners Philos. Lex. …
  • Wolffs Gedanck. von GOtt, Welt und Seele, Th. I. …
  Siehe auch Uiberredung, im XLVIII Bande, p. 715. u.f.  
     

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Stand: 4. April 2013 © Hans-Walter Pries