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Zedler: Willens, (Freyheit des) [8] HIS-Data
5028-57-131-6-08
Titel: Willens, (Freyheit des) [8]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 57 Sp. 177
Jahr: 1748
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 57 S. 102
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Hinweise:
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Übersicht
III. Historische Abhandlung (Forts.)
  3. Von den Meinungen der Christen (Forts.)
 
  a) Zu den ältern Zeiten
  b) In mittlern Zeiten

Stichworte Text Quellenangaben
  3. Von den Meynungen der Christen:  
  a) Zu den ältern Zeiten.  
  Was dißfalls in der Christlichen Kirche zu den ältern Zeiten fürgegangen, haben wir so weitlaufftig nicht auszuführen, und ist genug, wenn wir so viel anmercken, daß die heydnischen Irrthümer sich auch bey denen, welche Christen heissen wolten, eingeschlichen haben. Es theilten sich hier die Meynungen in drey Classen.  
  Einige haben die Freyheit des Willens gäntzlich auf, als die Valentinianer, Marcioniten, Hermogenianer, und andere, von denen Voßius de Manichaeis et Stoicis ... zu lesen ist, und dahin insonderheit die Manichäer gehören, welcher Irthum aus dem irrigen Grundsatze, daß das Böse von einem besondern Principio herrühre, flosse.  
  Die Manichäer waren nicht einerley Meynung. Einige statuirten, daß einige Menschen, krafft der Schöpffung selber, oder der Natur zu dem Bösen determiniret würden; Und diesen könne auf keine Weise geholffen werden. Von andern sagten sie, sie hätten in der Schöpffung selbst eine gute heilige Natur empfangen, und die brauchten keine Gnade zu ihrer Bekehrung. Andere aber wären von mittlerer Be-  
  {Sp. 178}  
  schaffenheit, und diese könnten von der Sünde befreyet werden. Das geschehe aber nicht durch die gnadenreiche Würckung GOttes, dadurch ihnen neue Kräffte mitgetheilet würden; Sondern es geschehe dergestalt, daß durch gewisse Speisen, und durch gewisse Übungen des Leibes, die sündliche Substantz von der reinern Substantz abgesondert würde.  
  Es ist aber diese Lehre so absurd; und hat solche abscheuliche Folgen, daß nach der Zeit keiner leicht gewesen ist, der dieselbe behauptet hätte. Die Kirchen-Väter disputirten dahero wider die Manichäer, deren, nehmlich der Väter, verschiedene Stellen, Petavius in Dogmat. theol. ... und Jaquelot, in Examin. theol. Baelii praefat. angeführet haben.
  Andere erhoben die Freyheit des Menschen in dem Geistlichen zu sehr, und meyneten, daß der Mensch auch aus natürlichen Kräfften was Gutes und GOtt wohlgefälliges thun könnte, welches man den Pelagianismus nennet, der seinen Ursprung aus der Stoischen Schule hatte. Doch, wie einige de Spinozismo ante Spinozam, andere de Manichaeismo ante Manichaeos, geschrieben haben; Also könnte man auch ein nützliches Werck, de Pelagianismo ante Pelagium, verfertigen.  
  Es hat der Artickel von dem freyen Willen am allerersten Noth zu leiden angefangen, und zwar, wie die Magdeburgischen Centuriatores, Centuria II ... anmercken, so ist solches daher geschehen weil die meisten unter den Vätern in den philosophischen Schulen aufgezogen waren. Die Philosophie aber pflegt des Menschen Kräffte zu erheben und groß zu machen. Doch haben die Väter ihre unbequemen Redens-Arten, deren sie sich in der Lehre von dem freyen Willen bedienet, an andern Orten bequemer wider erkläret.  
  Origenes soll zuerst mit dieser Lehre dem Pelagius fürgegangen seyn; So nennet ihn Hieronymus, L. III. dial. adversus Pelagian. ...; Pelagianorum amasium, und in Epistol. ad Ctesiphontem; Pelagiani erroris principem, die Lehre aber des Pelagius: Origenis ramusculum; welches auch Huetius, in Origenianis, worin er seine Lehren gar genau untersuchet, nicht in Abrede seyn kan: Wie denn auch über dieses von ihm bekannt ist, daß er sich durch die heydnische Philosophie zu andern Irthümern habe verleiten lassen.  
  Nach dem Origenes, rechnet man den Theodor von Antiochien hieher; Und die Haupt-Person selbst war Pelagius, der sich unterstund, irrige Grundsätze von den Kräfften des freyen Willens öffentlich zu behaupten. Es war derselbe ein Mönch aus Britannien, der um das Jahr 405 bekannt zu werden anfieng. Dieser widersetzte sich mit grossem Eyfer den Manichäern, welche alle Freyheit in moralischen Dingen aufgehoben. Da nun Pelagius insonderheit den falschen Satz der Manichäer, daß selbst die Substantz einiger Menschen verderbet sey, oder, daß einige Menschen Krafft ihrer Schöpffung, zu dem Bösen determiniret wären, wiederlegen wolte, verfiel er auf den andern Abweg, leugnete eine innerliche (inhaerentem) Verderbniß der Natur, und schrieb dem Menschen so viel Kräffte zu, daß er, ohne Beyhülffe einer besondern Gnade, sich bekehren, und das Gesetz GOttes erfüllen könne, ob wohl die  
  {Sp. 179|S. 103}  
  Gnade den menschlichen Kräfften zu Hülffe komme, daß sie die Sünde leichter vermeiden, und die guten Wercke hurtiger ausüben könnten. Und mit dieser Meynung hielt es Cölestius und Julianus, ob wohl Augustinus und Prosper Aquitanicus sich diesem Irthum aus allen Kräfften widersetzten. Vergl.
  • Gerhard Johann Voßii und Heinrich Norisii Historiam Pelagianam,
  • Johann Latii Commentar. de Pelagianis et Semi-Pelagianis,
  • Garnerii Dissertationes, ad Pelagianismum pertinentes,
  • und andere Schrifften.
  Ob nun gleich der Irthum des Pelagius von dem Augustinus, Hieronymus, und andern, widerleget worden, so that er sich doch von neuem durch die Semi-Pelagianer hervor, deren vornehmstes Haupt Johann Caßianus war, der in seinen 12 Büchern de institutis coenobiorum, und in seinem Buche de collationibus patrum, lehrete, daß der Mensch zwar aus eigenen Kräfften etwas gutes anfangen, aber nicht vollenden könne. Und also schrieb er den Anfang des Glaubens und der Bekehrung den Kräfften des freyen Willens zu, zu der Fortsetzung aber erforderte er den Beystand GOttes.  
  Wiewohl nun Augustinus, Prosper, und Hilarius diese Meynung widerleget, so hatte sie sich doch schon, sonderlich mit den Schrifften des Caßianus, in die Klöster eingeschlichen, insonderheit, da Benedictus, von welchem die Benedictiner herkommen, die von ihm aufgerichteten Kloster-Orden zu fleißiger Lesung der Schrifften des Caßianus anwieß. Des Caßianus Opera omnia, cum commentariis D. Alardi Zaei, sind zu Leipzig 1733 in Fol. sehr schön wieder aufgeleget worden, welches ohne Zweiffel die beste Edition derselben seyn wird.
  Noch andere blieben hier in der Mittel-Strasse, und diese befanden sich auf dem rechten Wege, indem sie dem menschlichen Willen nicht alle Freyheit gäntzlich absprachen, aber doch behaupteten, daß man in dem Geistlichen keinen freyen Willen habe.  
     
  b) In mittlern Zeiten.  
  In denen mittlern Zeiten hatten die Scholasticker das philosophische Regiment unter denen die wahre Lehre von dieser Freyheit angefochten wurde. Denn ob gleich in dem Anfange des 8 Jahrhunderts Venerabilis Beda dem Pelagianismus sich opponiret, dergleichen auch Ansselmus in dem 12 Jahrhunderte, und Bernhardus, welche beyde von der Gnade und dem freyen Willen geschrieben, gethan haben; So frassen doch diese Irthümer in den Klöstern wie ein Krebs um sich, sonderlich, da in dem 13 Jahrhunderte Franciscus und Dominicus neue Mönchs-Orden stiffteten, und gleich Falls solchen ihren neuen Orden des Caßianus Bücher institutis coenobiorum mit grossem Fleiß recommendirten. Weil nun nachgehends die Mönche aus diesen Orten nehmlich die Franziscaner und Dominicaner, zu den öffentlichen Lehrstühlen admittiret wurden, so wurden auch die Schulen mit diesen Irthümern angestecket.  
  Zwar sind einige, als Petrus Lombardus, in diesem Stücke der Wahrheit näher getreten. So bestätigte auch Bonaventura, ein Lehrer des 13 Jahrhunderts, die Knechtschafft des Willens wenn er in Breviloquio ... schreibet:  
  {Sp. 180}  
  „Der freye Wille kan zwar vor sich in Sünden fallen, aber keinesweges ohne Beystand der göttlichen Gnade wieder aufstehen. Er kan die Gnade weder verlangen, noch erkennen, wofern ihm nicht von oben herab geholffen wird.„  
  Diesen tritt Albertus M. bey, wenn er in Matth. c. XVIII kurtz schreibet: „Der Mensch kan von sich selbst, ohne die Gnade, nichts haben.„  
  Wie der Haupt-Lehrer selbiger Zeit, Thomas Aquinas, so wohl dem Verstande als dem Willen, alle Krafft in göttlichen Dingen mit klaren Worten abspricht, kan man in des Dotschäus Thoma Aquinate ... nachsehen.  
  In dem 14 Jahrhunderte findet man ebenfalls Zeugnisse wider den freyen Willen. Z.E. Bey dem George von Rimini, einem Doctor der Theologie zu Paris, und General-Prior der Augustiner-Eremiten, um das Jahr 1357, und bey andern. (Siehe Catal. Test. Verit. ...)
  Desgleichen bey dem Thomas Bradwardinus, in den Büchern, so er gegen den Pelagius heraus gegeben hat, worin er zwar sonsten gar sehr auf den Prädestinatianismus verfällt. Es spricht derselbe unter andern:  
  „Ach lieber GOtt! Wie viel streiten heutiges Tages mit Pelagio vor den freyen Willen wider die Gnade, so aus Gnaden gegeben wird, welchen doch Paulus, als der Vorfechter der geistlichen Gnade, widerstehet. Man hat einen Abscheu vor der aus Gnaden geschenckten Gnade, und giebt vor, es könne der freye Wille zur Seligkeit verhelffen, und sage damit zu Gott: Weiche von uns, u.s.w.„  
  Allein Joh. Scotus, der sich dem Thomas de Aquino in allen Stücken widersetzte, hat die mehresten Pelagianischen Irthümer fortgepflanzet; Und weil er einen sehr grossen Anhang bekam, so ward die gantze Scholastische Theologie von diesem Sauerteige immer mehr durchdrungen. Denn man fieng da öffentlich zu lehren an, der Mensch könne sich aus den Kräfften des freyen Willens zu der Gnade und zu seiner Bekehrung vorbereiten, er könne die Gebote GOttes, nach der Substantz der Handlung, halten, er könne auch, ohne Gnade des Heiligen Geistes, alle Todt-Sünde meiden; Ja, einige statuirten gar, der Mensch könne aus pur natürlichen Kräfften GOtt über alles lieben. Und so ward die Scholastische Theologie mit dem Sauerteige dieser irrigen Lehre durchsäuert.  
  Von denen Philosophen des Scholastischen Zeit-Begriffes, welche die Freyheit überhaupt, und zwar directe, leugneten, führet Bellarminus de libero arbitrio ... den Joh. Buridanus ... u. den Andreas de Castre ... an. Daß dem Buridanus nicht unrecht geschehen, könnte man aus seinem bekannten Sophisma von dem Esel schliessen; Nur weiß man nicht, was er eigentlich damit habe andeuten wollen. Es erinnert dahero Bayle, in dem Dictionar. ... weil man nichts gewisses davon bey glaubwürdigen Scribenten anträffe, so habe man noch daran zu zweiffeln.  
  IndIrecte thaten solches hernach diejenigen, so das so genannte Systema causarum occasionalium annahmen, daß GOtt alles unmittelbar würcke und bewege, die Creaturen aber ihm nur Gelegenheit darzu gäben, und sich leidend verhielten.  
     

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Stand: 6. Februar 2013 © Hans-Walter Pries