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Zedler: Wissenschafften [4] HIS-Data
5028-57-1399-1-04
Titel: Wissenschafften [4]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 57 Sp. 1424
Jahr: 1748
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 57 S. 725
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Übersicht
Ob ohne die Freyheit zu philosophiren und ohne die mathematische Lehr Art, wie solche applicabel, die Wissenschafften nicht höher steigen können?
Ob die Schulen und gelehrten Gesellschaften zur Beförderung der Wissenschafften etwas beytragen?
Vortrefflichkeit des Besitzes der Wissenschafften.

  Text   Quellenangaben und Anmerkungen
  Ob ohne die Freyheit zu philosophiren und ohne die mathematische Lehr Art, wie solche applicabel, die Wissenschafften nicht höher steigen können?  
  Wir behaupten, 1) daß ohne die Freyheit die man denen Weltweisen verstatten muß, ihre Gedancken ohne zu besorgende Gefahr zu entdecken: unmöglich das Wachsthum der Wissenschafften statt finden könne. Denn wenn diese Freyheit zu philosophiren nicht im Schwange ist, so stehet niemanden frey seine Meynung von Philosophischen Sachen, wenn sie etwan von der angenommenen abgeht, öffentlich zu sagen. Und also wird ein jedweder gezwungen, die von den meisten Hauffen angenommene Meynung als wahr zu vertheidigen, ungeachtet sie ihm auch falsch zu seyn scheinet; folglich hat die Knechtschafft zu philosophiren statt; so lang aber als die besteht, kan man unmöglich nach Philosophischer Lehr-Art seine Sätze vortragen. Wenn aber ohne die Philosophische Lehr-Art die Philosophie gelehrt wird, so werden solche Dinge gelehrt, die weder zulänglich verstanden noch auch unleugbar vor wahr erkannt werden; es wird auch keine gewisse, deutliche und nach den Umständen des menschlichen Lebens eingerichtete Erkänntniß erhalten. Wer wird sich also hiervon einigen Fortgang in den Wissenschafften versprechen können?  
  Man kan eben dieses noch auf eine andere Art erweisen: Man pfleget in der einigen Mathematick  
  {Sp. 1425|S. 726}  
  dasjenige, was man noch nicht weiß, und wohin man noch nicht hat kommen können, offenhertzig zu gestehen: gantz anders befindet sich erst aber in andern Wissenschafften; daselbst will man immer sein Urtheil auch über unbekannte Dinge walten lassen und man stellt sich an, und will es andern glaublich machen, als ob man eine Sache wisse, welche doch von unsrer Erkenntniß weit entfernet ist. Da man also nach Aufhebung der Freyheit zu philosophiren, in eines andern seinem Ausspruche beruhen muß: so kan es geschehen, daß man solche Sachen vertheidigen müsse, welche keine Ähnlichkeit mit der Wahrheit haben.  
  Nun aber entstehen aus einem eintzigen Irrthum eine grosse Menge anderer, wenn wir ihn als einen Grund-Satz brauchen, aus welchem wir Schluß-Sätze herfolgern. Dahero soll derjenige, der einen Irrthum einsieht, so gleich stille stehen, da weder erlaubt ist den Irrthum zu verbessern, noch auch vermittelst der an seine Stelle gesetzten Wahrheit weiter fortzugehen.  
  Wie sehr dem Fortgange der Wissenschafften die Knechtschafft zu philosophiren geschadet habe, bezeuget die Historie von allen Jahrhunderten. Wer weiß nicht, wie wenigen Fortgang man in der Weltweisheit verspüret, so lange als man nicht eines Nagels breit von der Aristotelisch-Scholastis. Philosophie abgehen durffte. Alle Philosophischen Wissenschafften, die einiges Wachsthum gehabt haben, sind dasselbe bloß und alleine Männern schuldig, die nach abgeworffenem Joch, die Freyheit zu philosophiren sich genommen haben, obgleich andere sehr sauer darzu ausgesehen, denen die Philosophische Knechtschafft besser gefallen hat.  
  Doch leugnen wir nicht, daß aus der Freyheit zu philosophiren auch vieler Schaden entstanden, den man aus der Knechtschafft kaum zu besorgen gehabt, wohin man mit Recht ziehen kan, die superficielle Abhandlung der Philosophie, wodurch manche Lehrer, die bloß ums Brod philosophiren, junger Leute Trägheit schmeicheln wollen. Jedoch dieser Schaden rühret aus der Freyheit zu philosophiren nicht selbst her, sondern in so ferne eine verkehrte Lehrart damit verbunden wird. Denn, wenn man sich der Philosophis. Lehrart bedienet, so ist dieses keines weges zu besorgen. Wer nach dieser Methode philosophiret, der nimmt keiner andern Leute ihre Sätze an, als in so ferne sie aus seinen Gründen sich erweisen und begreiffen lassen; er vertheidigt auch nicht etwas als wahr, ausser wenn es auf seine Gründe, die er zu reichend befestiget, kan gebauet werden; er macht einen Unterscheid unter dem Wahrscheinlichen u. Wahren; ja er bemüht sich, daß dasjenige, was von andern gesagt worden, sowohl klärer eingesehen als auch zu einem größern Grad der Gewißheit gebracht, und daß ihr Zusammenhang mit den übrigen Wahrheiten möge eingesehen werden. Er ist also von einer so superficiellen Abhandlung so weit entfernt als der Himmel von der Erden ist.  
  Da wir also gewiesen haben, daß die Freyheit der Philosophis. Lehrart zukomme, ja von ihr nicht könne getrennet werden: so ist kein Wunder, daß sie in dem Falle der Wissenschafft ersprießliche Dienste leiste. Wenn man sich aber die Freyheit zu philosophiren anmasset, da man doch der Philosophis. Lehrart nicht ge-  
  {Sp. 1426}  
  wachsen ist; so entstehet daraus eine superficielle Abhandlung, und Ungeheuer von Meynungen. Wo die Freyheit zu philosophiren fehlt, da wird nicht selten die Cultur der Wissenschafften einem als ein Verbrechen angerechnet. Dahero böse Leute unter dem Schein der Vertheidigung der Wahrheit dergleichen gelehrten Männern, die sie aus andern Gründen hassen, vieles Unheil zuwege bringen.  
  Hat man nicht den Socrates den Gifft-Becher zu trincken genöthiget, weil man ihn beschuldigte, er lehrte gottlose Sätze und verführte die Jugend, ungeachtet sein Ankläger Anytus aus einer gantz andern Ursache wider ihn aufgebracht war? Ist nicht der Anaxagoras, des Socratis Lehrmeister, von dem Cleonte der Gottlosigkeit beschuldigt worden, weil er von der Sonne gelehrt hatte, daß sie keine Sinne und Vernunfft hätte? hat man ihn nicht ins Gefängniß geworffen und zum Tode verurtheilet? Ja! hat nicht der Aristoteles selbst, den der oberste Priester Eurymedon oder, wie er bey den andern heißt, Demophilus wegen der Gottlosigkeit angeschuldiget, sich von Athen weg nach Chalcis begeben, weil er nicht wolte, wie er sagte, verstatten, daß die Athenienser, die dem Socrati so sehr feind gewesen waren, sich zweymahl an der Philosophie versündigen möchten?  
  Doch wir kommen wieder zu unserem Haupt-Satze. Wir wollen unleugbar erweisen, daß wenn die Menschen werden anfangen, nachdem ihnen die Philos. Freyheit vergönnet worden, auch nach der Philos. Lehrart ihre Sätze vorzutragen; so werden die Wissenschafften ein merckl. Wachsthum dadurch erlangen. Wir geben hiervon folgenden Beweiß: Wer nach Philos. Lehrart philosophirt, dem sind die Logicalischen Regeln wohl bekannt, und muß auch schon eine Fertigkeit haben, sie in die Ausübung zu setzen. Folglich weiß er, ob er nach der Philos. Methode philosophire oder nicht, oder wenn er auch sich einmahl verirrt hat, so erkennt er sogleich seinen Irrthum und verbessert ihn, wie ein Rechenmeister weiß, daß er ein Exempel recht rechne, wenn er Aufmercksamkeit hierinnen braucht; oder doch allenfalls sich sogleich ändern kan, wenn er seines Fehlers erinnert wird.  
  Dahero weil die Philos. Lehrart haben will,  
 
  • daß wir keine Wörter, die wir nicht genau erklärt haben, brauchen sollen;
  • ferner keine Grund-Sätze annehmen, die nicht zureichend bewiesen sind, noch viel weniger einen Satz vor wahr halten, wenn er nicht aus zureichend-erwiesenen Gründen auf eine rechtmäßige Art hergeleitet wird;
  • ferner daß man sich genauer Beweise bedienen soll und denen Meynungen (hypothesibus) nur in so ferne Platz geben soll, wenn sie uns den Weg zur Erfindung der Wahrheit bahnen;
  • wahrscheinl.Sätze, die man im gemeinen Leben nicht entbehren kan, wohl unterscheiden von gewissen;
  • daß man endlich Wörter von Sachen genau absondere:
 
  so nimmt ein Aufmercksamer leichte wahr,  
 
  • ob die Erklärungen, deren er sich bedienet, richtig und die Grund-Sätze zureichend bewiesen u. alle andere Sätze aus ihren gewissen Gründen hergeleitet worden sind:
  • ob die Beweise Stich halten:
  • ob einigen Sätzen ein Platz in dem Reiche der Wahrscheinlichkeit müsse eingeräumet werden, und
  • ob die Meynungen (hypothes) so beschaffen sind, daß sie uns zu Erfindung

    {Sp. 1427|S. 727}

    der Wahrheit den Weg bahnen,
 
  und wenn es sich solte zutragen, daß er entweder aus Vergessenheit oder aus Mangel der Aufmercksamkeit in der Anwendung der Logicalischen Regeln fehlen solte: so wird er auf Erinnern, nachdem er zu anderer Zeit ein aufgeräumteres Gemüthe zum wiederhohlten Nachdencken gebracht, seinen Fehler erkennen und dasjenige, was gefehlt ist, entweder verbessern, oder wo die Wahrheit noch nicht in seiner Gewalt ist, den Irrthum fahren lassen.  
  Da der Sinn aller derjenigen, die sich der Philos. Lehrart bedienen, einerley ist, so wird der eine die von einem andern gelehrte Wahrheiten einsehen, und sie zur Entdeckung anderer Dinge anwenden: der andere aber den begangenen Fehler entweder anmercken oder verbessern. So wird auch derjenige, der ihn begangen, denselben einsehen, und wenn er nicht von einem andern verbessert worden, selbst ihn zu verbessern sich Mühe geben. Auf so eine Art wird mit zusammengesetzten Kräfften an Verbesserung der Wissenschafften gearbeitet.  
  Vielleicht werden einige glauben, daß man hier von der Philos. Lehrart mehr vorgegeben habe, als die Erfahrung bestätige. Denn man mag anderer ihre begangene Fehler in noch so grosser Klarheit unter Augen legen: so sind doch verschiedene Ursachen vorhanden, um derenwillen sie dieselben hartnäckigt vertheidigen. Denn wer weiß nicht, wie gemein die Klagen seyn über die hartnäckigte Vertheidigung der begangenen Fehler? Allein es scheinet vieles dem meisten Hauffen und wird von ihm so vorgegeben, was sich doch nicht also befindet. Der Verstand, indem er der Herrschaft des Willens unterworffen, streubt sich nicht so sehr wider eine deutliche Wahrheit, wie man gemeinigl. glaubt. Diejenigen, die noch nie einen Beweis deutlich haben einsehen gelernt, die wahre Logic nicht begriffen und noch viel weniger sich eine Fertigkeit dieselbe anzuwenden erworben, die bejahen gewisse Sätze nicht aus Überzeugung ihres Verstandes, sondern aus fremden Ursachen, welche auf vielerley Art sich verändern: dahero kömmt ihr Beyfall vom Willen her, und gilt es ihnen gleich viel, ob sie eine Sache bejahen oder verneinen. Dahero wird man wahrnehmen, daß sie morgen eine Sache mit eben der Hitze vertheidigen, mit der sie das Gegentheil heute behaupten: und bey andern hefftig tadeln,ja der Höllen-Flammen würdig schätzen, was sie vor kurtzen selbst gelehrt hatten.  
  Aber dergleichen Leute Exempel stoßen unsere Regel gar nicht um. Denn wir setzen voraus, daß derjenige, der eines Irrthums erinnert wird, die Philosophische Lehrart verstehe, und sie in die Ausübung setzen könne, und das auch nicht weniger der andere eben die Geschicklichkeit habe, der da gewust, daß hier ein Fehler vorgefallen sey; damit er nicht aus Unwissenheit tadele, was er sehr loben würde, wenn er diese Geschicklichkeit hätte.  
  Und man darf auch nicht besorgen, daß ein der Philosophischen Lehrart kundiger den Fehler, den er davor hält, hartnäckigt vertheidigen solte, ob er gleich der Deutlichkeit des Beweises nicht widerstehen kan, daß er einen Fehler begangen. Denn wer mit Wissen und Willen einen Irrthum vertheidigt, daß es nicht das Ansehen haben möge, als ob er geirret, der muß sich es vor eine Schande halten, daß er  
  {Sp. 1428}  
  geirret habe. Nun aber, wenn er der Philosophis. Lehrart kundig ist, so kan er unmöglich glauben, daß andere, die sie auch verstehen, den Irrthum nicht erkennen, noch vielweniger mercken solten, daß er ihn mit Wissen und Vorbedacht vertheidigt. Dahero, weil er sich es vor eine Schande rechnet, geirret zu haben, so wird er sich es vor eine noch grössere Schande halten, daß er auf Erinnern den Irrthum nicht erkannt habe. Es ist also unmöglich, daß er den Irrthum, ungeachtet er ihn eingesehen, hartnäckigt vertheidigen solte, weil er nicht will das Ansehen haben, als ob er geirret.  
  Die also zu thun pflegen, bey denen hat keine Uberzeugung statt, und da sie andere nach ihrer Elle abmessen, so glauben sie, sie würden ihren Beweiß-Gründen, die meistentheils die Natur der Sache nicht berühren, sondern von äußerlichen Umständen hergenommen sind, weichen. Ein der Philosophischen Lehrart erfahrner weiß, daß die von ihm begangene Irrthümer entweder dem schwachen Gedächtnisse oder den Mangel der Aufmercksamkeit, weil das Gemüth mit andern Sorgen beladen gewesen, zuzuschreiben seyn. Dahero hält er es vor eine viel grössere Schande wegen der Fehler des Willens einen erkannten Irrthum zu vertheidigen, als einen begangenen Irrthum zu erkennen und zu verbessern. Wolffs Philosophia naturalis sive Logica in Discurs. Praelimin. §. 169. p. 100. u.ff.
     
  Ob die Schulen und gelehrten Gesellschaften zur Beförderung der Wissenschafften etwas beytragen?  
  So ein geschicktes Mittel die mündliche und schrifftliche Unterweisung in Schulen ist, schon erfundene Wahrheiten der Jugend beyzubringen, so grosse Hindernisse ereignen sich in diesen Gesellschafften auf die Erfindung neuer Wahrheiten eifrigst zu dencken, und den Wachsthum der Wissenschafften und Künste zu befördern. Gemeiniglich haben Lehrer auf Schulen mit ihren angewiesenen Vorlesungen und andern ordentlichen Geschäfften so viel zu thun, daß sie auf nichts anders zu dencken Zeit haben. Nicht selten ist ihnen auch einmahl erlaubt, von den Fußtapffen und Schrifften der Alten im mindesten abzuweichen.  
  Franc. Baco de Verulamio, schreibet von sich selbst in seinem Cogitatis et visis de interpretatione naturae, sive de inventione rerum et operum, also: Cogitavit et illud in moribus & institutis Academiarum, Collegiorum & similium conventuum, quae ad doctorum hominum sedes & operas mutuas destinata sunt. omnia progressui scientiarum in ulterius inveniri. Frequentiam enim multo maximam professoriam primo, ac subinde meritoriam esse. Lectiones autem & exercitia ita disposita, ut aliud a consuetis ne facile cuiquam in mentem veniet cogitare. Sin autem alicui inquisitionis et judicii libertate uti contigerit, is se in magna sollicitudine versari statim sentiet. Sin & ho toleraverit, tamen in capessenda fortuna industriam hanc & magnanimitatem sibi non levi impedimento fore experietur. Studia cnim hominum in ejusmodi locis in quorundam auctorum scripta veluti relegata esse; a quibus si quis dissentiat, aut con-  
  {Sp. 1429|S. 728}  
  troversiam moveat, continuo ut homo turbidus & rerum novarum cupidus corripitur. - - - In artibus autem & scientiis, tanquam in metallifodinis, omnia novis operibus & ulterioribus progressonibus strepere debere. Atque recta ratione rem se ita habere. In vita autem visum est ei, doctrinarum politiam & administrationem, quae in usu est, scientiarum augmenta & propaginem durissime premere & cohibere. Oper. p. 582. ed. Franckf. 1665.
  Und mancher muß wegen seines Amtes und des davon abhangenden Unterhalts seines Lebens solche Künste und Wissenschafften lehren, dazu er von Natur weder Lust und Liebe, noch besondere Geschicklichkeit besitzet; dargegen er andere Wissenschafften, in welchen er es bey einem darzu verspührten natürlichen Triebe weit höher bringen und vielmehr nutzen könnte, muß liegen lassen, oder nicht eifrig treiben kan.  
  Ehrenfr. Walther von Tschirnhaus in der Medicina mentis et corporis L. I. P. 3. schreibet davon also: Qui suas inclinationes secuti sunt, - - magni certe viri sunt habiti, mundoque exhibuere singularia. - - - - Cum contra tot Academiae, tot annorum absumto tempore, & tot collegia virorum, studio quam enixissime incumbentium , paucissima tantum nobis, aliorum plerurnque inventa, alio ordine aut Commentariis illustrata , ad discentium usum disposita tradiderint ; nihil autem, quo cum inventis illustrissimorum virorum comparetur, nc dicam aequipolleat, multo minus palmam praeripiat. Certc hujus rei ratio non est alia, quam quod plerique proprias inclinationes ob necessariam vitae sustentationem vix potuerunt fequi, utut optarint maxime, vel, quod una cum studiis certo adstricti fuerunt vitae generi, quod unice propter temporis penuriam coacti fuerunt attendere , aut quod ad studia attinet, ea tantum tractare coacti sunt, quae ipsorum genio directe adversabantur.  
  Man will allhier mehrerer Hindernisse, welche Lehrer in hohen und niedrigen Schulen hinderlich seyn, die Gelehrsamkeit gemeinschafftlich zu befördern, nicht gedencken; sondern nur hierbey soviel erinnern, daß es sehr schwer halte, die zu diesem Zwecke nöthige Einigkeit der Gemüther in solchen öffentlichen Gesellschafften zu erhalten, da der Eigennutz, die Misgunst, die Herrschsucht oder Nacheiferung auch eines einigen Mitgliedes die Vereinigung vieler bey mannigfaltiger Gelegenheit, zu verhindern oder zu zertrennen, vermögend ist. Der selige Nic. Hier. Gundling soll öffentlich gesagt haben:  
  Zwar sind auf allen Universitäten Professores der Physick und Mathesis, aber diese müssen sich ad captum auditorum suorum richten; allermaßen, wenn sie was ediren, sie es gemeiniglich vor ihre Zuhörer schreiben. Denn sie haben keine Zeit, sich sonst hervorzuthun. Wer hergegen in einer Societät stehet, der hat nicht Ursache sich ad captum auditorum suorum zu richten. Denn da wird von seinem Leser schon alles nöthige präsupponiret.[1]
Discours über Heum. Consp. R. L. 3. Th. p. 3193.
[1] HIS-Data: Anführungszeichen vor die Quellenangabe versetzt
  Es haben dahero diejenigen, welche vor den Flor und das Wachsthum  
  {Sp. 1430}  
  der Wissenschafften besorget gewesen, sich genöthiget gesehen, neben diesen öffentlichen Gesellschafften der Gelehrten in hohen und niedrigen Schulen, noch besondere Gesellschafften unter sich zu errichten, welche lediglich den Anwachs und die Verbesserung der Wissenschafften zum Endzweck haben. Und in dergleichen Gesellschafften, sie mögen nun öffentlich oder besonders unterhalten werden, ist noch ehe eine nähere Vereinigung der Gemüther zu hoffen gewesen, weil eigentlich keine öffentliche und ordentliche Ämter, folglich auch keine gewissen Einkünffte, viel weniger ungleiche Rang-Ordnungen dabey statt finden, und also, wo nicht gar keine, doch seltene Gelegenheit zu Zwistigkeiten sich ereignen kan.  
  Vielmehr ist hier der vornehmste Antrieb, der einen bewegen kan, ein Mitglied einer solchen Gesellschafft zu werden, nicht der Eigennutz, sondern der gemeine Nutz. Wozu noch kommt die natürliche Neigung, in der Zahl und Gesellschafft angesehener Gelehrten zu seyn, welche sich um die Gelehrsamkeit, und durch diese um ihre Neben-Menschen wohl verdient zu machen geflissen sind. Von wohleingerichteten Gesellschafften rechtschaffener Gelehrten mögen folgende Worte Ciceronis L. I. de Offic. gelten, wenn er spricht. Ut apum examina non fingendorum favorum causa congragantur, sed, cum congregabilia natura sint, fingunt favos: sic homines, ac multo etiam magis natura congregati, adhibent agendi cogitandique solertiam.  
  Es kan auch der Wert und Nutzen solcher gelehrten Gesellschafften bey wohlgetroffener Einrichtung nicht geringe seyn. Vereinbaren viele geschickte Männer ihren Fleiß, so kan man sich um so vielmehr Gutes versprechen, ie stärcker ihre Anzahl und ie grösser ihre Geschicklichkeit. Die Erfahrung bestätiget dieses, und die Zeugnisse verständiger Männer stimmen mit bey. Wie hoch Verulamius die gelehrte Gesellschafft, dazu er einen Vorschlag gethan, gehalten, ist aus seinen zu Frankfurt am Main 1665. in fol. herausgekommenen Wercken p. 968. u.ff. zu ersehen.  
  Der berühmte Rol. Maresius lobt die Gesellschafften der Italiänischen Gelehrten sonderlich deswegen, weil sie das beste Mittel sind, die Schrifften, ehe sie ausgegeben werden, zu verbessern: Incomparabile commodum in eo est, quod illuc scripta sua in medium afferunt, ea omnium examini subjiciunt, quae quisque libere reprehendendi jus habet. Haec vero emendatio est optima, todt eruditorum virorum judicio facta. Epist. 43. L. II. Und bald darnach: Quid prohibet ejusmodi coetus etiam ab eruditis viris, qui latine tantum scribunt, institui? Imo, si instituantur, utilissimum fore arbitror saltem ad operum emendationem, quae aliquando praecipitata editione, tanquam nullum amicum doctum habeant, cujus consilio utantur, inemendata emittunt.  
  Der nicht weniger berühmte George Wolfg. Wedel erhebt den Nutzen gelehrter Gesellschafften in dem Praeloquio zu Vockerodts Introd. in notit. soc. litter. so vor der ersten Ausgabe zu Jena 1687. in 4. zu finden, mit diesen Worten: Duo potissimum nostro  
  {Sp. 1431|S. 729}  
  seculo incrementum artium & scientiarum promovere videntur: studium experimentale & socium. - - Unitis animis, initis Collegiis, socio labore, mirum quantum profecere artes quaelibet. Adeo inter Europaeos eruditos haec ratio studiorum inclaruit, ut aetate hac non solum longa messe colli­gere liceat inventa, & stabiliore firmius asserta in humanos usus ; sed etiam ipsarum focietatum condi mereatur historia. Una isthaec ratio est, & via ad pristini aevi sapientiam adspirandi, modo litteras velut rerum omnium & arcanorum vehicula iis jungamus, notitiam linguarum, & novis erutis acquifitum haereditate liberali thesaurum adaugeamus ipsi.  
  Und eben in dieser ietztgedachten Vockerodtischen Schrifft findet man ein gantz Capitel de necessitate et usu scientiarum litter. so in der neuen Ausgabe im 2 Theile das erste ist, und p. 52. u.f. stehet. Man lese sonderlich 3, 6 und 22 Satz p. 54, 57, 75. Sodann weiset dieser im Leben wohlverdiente Lehrer, was die gelehrten Gesellschafften fast in allen Arten der Wissenschafften vor Nutzen nach sich gezogen. Man verweiset übrigens diejenigen, so sich die Mühe geben wollen, noch einige Zeugnisse der neuesten Schrifftsteller von dem Werth und Nutzen gelehrter Gesellschafften zu lesen, auf der Prüfend. Gesellsch. in Halle 1 Probe p. 5. u.f. Der Deutschen Act. Erudit. 235 Th. p. 458 und auf die Hamb. Beyträge vom Jahr 1743. p. 29. und 145.
  Uberhaupt davon zu sagen: So würde manche Kunst und Wissenschafft, z.E. die Mahlerey- und die Bildhauer-Kunst, die Musick, die Natur-Lehre und Mathematick, nicht so hoch gestiegen seyn, wenn nicht gantze Gesellschafften daran gearbeitet hätten. Und wie viel mühsamer Untersuchungen kan man sich durch eine kurtze Unterredung mit wahrhafftig gelehrten Personen entschlagen. Ein vertrauter Umgang mit solchen, dergleichen in gelehrten Gesellschafften gefunden wird, ersparet einem bisweilen so viel Zeit, als die mündliche Unterweisung der Jugend, welche in deren Ermangelung in den Schrifften herum irren, und sich wohl nie zu rechte finden würde. Auf diese Weise ist keine Ermüdung noch einiger Überdruß im Studiren zu besorgen. Und wo schon ein Eckel an den Wissenschafften vorhanden, kan er nicht besser gehoben werden, als durch fleißige Besuchung gelehrter Zusammenkünffte, zumal wenn sich Männer von munterem und aufgewecktem Geiste darinnen befinden.  
  In solchen Verbindungen können die grösten Schwierigkeiten, die in der Gelehrsamkeit, in der Art zu studiren, in Untersuchung einer dunckeln Materie, in Ausfertigung einer Schrifft, die viele Belesenheit, Witz und Aufwand erfordert, u.s.w. vorkommen, überwunden werden. Endlich sind auch Erfindungen, welche sich auf eine vorhergegangenen gründliche Überlegung und Prüfung vieler angesehenen Gelehrten gründen, denen offt übereilten Urtheilen anderer nicht so sehr unterworffen, als das Beginnen eintzelner, noch so gelehrter Personen. Haymanns kurtzgefaßte Geschichte der vornehmsten Gesellschafften der Gelehrten p. 15. u.ff.
  {Sp. 1432}  
     
  Vortrefflichkeit des Besitzes der Wissenschafften.  
  Es ist einem Menschen nichts schöners, als Wissenschafften besitzen, und der darinnen unerfahren ist, lebt gar nicht. Als dahero der Cardinal Julianus sich eines Tages in den Büchern erlustigte, und deswegen von einem andern, (der sich desto weniger mit Lesung guter Bücher gemein machte) gefragt wurde: Was liesest du in denen so längst verstorbenen? So gab er ihm die schöne Antwort: Hi fama vivunt, tu vero neque nomine neque re vivis, das ist: Diese leben, weil sie ruhmwürdig sind, du aber lebst weder dem Namen nach, noch in der That selbst.  
  Der grosse und gelehrte König Alexander danckte seinem Vater nicht so viel für das natürliche Leben, als seinem Präceptor, dem Aristoteles, von dem er den Unterricht zur weisen Lebens-Art gelernet. Eine gar löbliche Rede führet auch der vornehme Römische Rechtsgelehrte Pomponius, wenn er sich L. 20. de fideicommiss. libert. also vernehmen läst:  
  In großer Begierde zu lernen, als die ich allein für die beste Art zu leben schätze, bin ich ins 78 Jahr meines Alters gelanget, sintemal ich mich dessen stetig erinnere, was jener Grieche saget: Wann ich schon den einen Fuß im Grabe hätte, so wolte ich gleichwohl noch immer etwas mehr wissen.  
  Eine solche löbliche Begierde zu denen Wissenschafften solte billig bey allen verständigen Menschen, und zuvörderst bey uns Christen zu finden seyn; darum lassen solche gar elende Merck-Zeichen ihres natürlichen Verstandes von sich sehen, welche so unvernünfftig sind, und vermeinen, einer thue schon genug in der Welt, wenn er sich nur darum bekümmert, wie er für sich und die Seinigen genugsamen Unterhalt erwerben mag, alles andere sey unnöthig. Solche Art Menschen giebt es sehr viele, man weiß aber nicht, was zwischen ihnen und dem unverständigen Viehe für ein Unterscheid zu machen sey, indem jene Art Leute nur einig und allein die Füllung ihres Bauches gleichermaßen bekümmert sind, im übrigen aber von der Nahrung und Erbauung ihres Verstandes, als der rechten Belustigung ihrer Seelen, bloß wenige oder gar keine Empfindlichkeit haben. Wir erinnern uns hierbey derjenigen Worte, welche ein gewisser Fürst gesprochen: Ehe ich durch Lesung guter Bücher Wissenschafften zu erlangen begunte, war ich einem unvernünfftigen Thiere gleich zu achten, nachdem aber bin ich erst ein rechter Mensch geworden etc. Ein solch frey Geständnis leget jener Printz von sich selber ab, und es ist gewiß, daß ein Mensch ohne einige Wissenschafften in der Welt lebendig todt.  
  Gleichwie hiernächst überhaupt alle Arbeit den Menschen vom Sündlichen und Bösen abziehen kan, also haben insonderheit die Studien oder Wissenschafften diese Eigenschafften an sich, daß sie die Gemüther derjenigen, so Lust daran haben,  
  {Sp. 1433|S. 730}  
  und ihnen rechtschaffen obliegen, einigermassen verändern. Denn indem das Gemüthe mit solchen Dingen zu thun hat, die von den äusserlichen Sinnen entfernet, so wird es unvermerckt von der Wollust und andern, denen äusserlichen Sinnen schmeichlenden Sachen abgezogen. Daher siehet man, daß ein Studirender bey seinen Büchern und Betrachtungen grössere Freude empfindet, als ein anderer, der sonst die grösten Ergötzlichkeiten von der Welt hat. Und ferner, wenn der Verstand ausgebessert, daß er den Werth aller Sachen, die Nichtigkeit derer weltlichen Wollüste, und die Schändlichkeit derer Laster recht erkennet, so hat auch solches einen gewaltigen Einfluß in den Willen, daß er hernach anders gelencket und getrieben wird. Jedoch trifft solches nicht bey allen ein, indem man in den alten und neuen Zeiten genung Exempel hat, daß die gelehrten Leute öfters die lasterhafftesten und verkehrtesten gewesen. von Rohr Kunst der Menschen Gemüther zu erforschen, p. 107. u.f.
     

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Stand: 7. April 2013 © Hans-Walter Pries