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Zedler: Wissenschafften [6] HIS-Data
5028-57-1399-1-06
Titel: Wissenschafften [6]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 57 Sp. 1443
Jahr: 1748
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 57 S. 735
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Übersicht
Bey den Wissenschafften hat man auf deren Nützlichkeit zu sehen.
Nutzen der Wissenschafften zum Aufnehmen eines Staats.
Welche Wissenschafften, einem Regenten fürnehmlich nöthig und diensam seyn?

  Text   Quellenangaben
  Bey den Wissenschafften hat man auf deren Nützlichkeit zu sehen.  
  Alle Wissenschafft, auf die ein Gelehrter seinen Fleiß zu wenden Ursache haben soll, muß einen wahrhafften Nutzen haben; dieweil der Zweck aller Erkenntniß des Verstandes die Beförderung wahrer Weisheit unter den Menschen ist; diese aber auf die Erlangung wahrer Glückseligkeit eintzig abzielet. Ob nun eine erkannte Theoretische Wahrheit einen Nutzen habe, und was vor einen; kan, wenn dieser nicht unmittelbar in die Sinne fällt, nicht anders als aus den Theoretis. Wahrheiten durch practische Schlüsse erkennet werden. Dahero verdient sonder Zweifel die Lehre von den practischen Schlüssen eine besondere Aufmercksamkeit, um in allen gelehrten Abhandlungen den Nutzen derer vorgetragenen Wahrheiten in den Geschäfften dieses Lebens erfinden und darthun zu können.  
  Es ist dahero nicht zu billigen, wenn Aristoteles diejenige Wissenschafft, die seiner Meynung nach nicht etwan wegen einiges Nutzens, sondern bloß wegen ihrer selbst, und damit man sie nur wissen möge, gelernet werde, (worunter er die Metaphysick verstehet) allen andern vorzieht. Er spricht: [drei Zeilen griechischer Text].  
  Unter den Wissenschafften sey diejenige, die ihrer selbst wegen, und sie nur bloß zu wissen schätzbar sey, eine größere Weisheit als welche wegen gewisser Zufälligkeiten erlernet wird.  
  Ingleichen [drei Zeilen griechischer Text].  
  Wenn man die Unwissenheit zu vermeiden am ersten der Weltweißheit obzuliegen angefangen hat; so ist klar, daß man des Wissens selbst wegen nach der Wissenschafft gestrebet hat, nicht aber einiges Nutzens wegen. Metaphys. L. I. C. II.
  Wenn ja eine Wissenschafft seyn soll eines Guten, daß nicht wegen eines andern, sondern wegen seiner selbst zu suchen ist, so ist solche Wissenschafft keinesweges die Metaphysic, sondern die Ethick, als welche von dem höchsten Gute, das ist, von dem letzten Zwecke aller Menschen handelt. Jedoch ist auch solchenfalls nicht die Wissenschafft dieses Guten, sondern die Erlangung und der Genuß desselben dasjenige, was nur seiner selbst wegen zu suchen ist, weil alle Wissenschafft nur ein Mittel ist. Also ist keine Wissenschafft, die nur ihrer selbst und kei-  
  {Sp. 1444}  
  nes andern Nutzens wegen solte zu suchen seyn.  
  Jedoch man hat sich billig zu hüten, daß man sich in Beurtheilung der Nützlichkeit oder Unnützlichkeit der Wahrheit nicht übereile. Einige Wahrheiten haben einen unmittelbaren Nutzen, nehmlich die Practischen, den also ein jeder allsofort zu erkennen fähig ist. Andere hergegen haben einen mittelbaren Nutzen, der allererst durch einige Folgerungen sich äußert, in welche Classe die meisten theoretischen Wahrheiten und insonderheit ihre erste Gründe gehören; deren Wissenschafft die Unwissenheit immer vor unnützlich anzusehen pfleget. Gracian Max. 67. die 1. Anmerckung.
  Zudem wird der gute Nutzen vieler Wahrheiten allererst mit der Zeit entdecket, welches nicht geschehen kan, wenn man sie nicht vorher, ehe noch ihr eigentlicher Nutzen bekannt ist, weiß, oder wenn man sie alsofort, wenn sich nicht sogleich bey der ersten Betrachtung ein Nutzen zeiget, als unnütze Grillen verwirfft. Dahero dann nicht derjenige vor einen Grillenfänger zu achten, der, wenn er Muße dazu hat, hier und da eine Wahrheit untersucht, von welcher zur Zeit auch noch kein würcklicher Nutzen bekannt ist: sondern vielmehr derjenige, der wie Aristoteles mit der Metaphysic that, auch in offenbarlich nützlichen Wissenschafften außer dem Wissen keinen weitern Nutzen suchet, sondern diesen, wenn er sich ja wider Vermuthen findet, vor ein Nebenwerck hält, auf welches er gar nicht als auf einen Zweck des Wissens zu sehen Ursache habe.  
  Man soll also nicht leicht eine Wahrheit an sich selbst und schlechterdings vor unnütz schelten, da man nicht leicht bey einer ein mehrers wird erweisen können, als daß man zur Zeit noch keinen Nutzen derselben wisse, oder daß sie diesem und jenem Menschen, ingleichen zu denjenigen Zwecken der Menschen, von denen man etwan Wissenschafft hat, nicht dienlich sey. Niemand aber kan von allen Zwecken aller Menschen Wissenschafft zu haben sich rühmen: Also kan auch niemand sagen, daß ie eine Wahrheit an sich selbst und gäntzlich unnütze sey. Müllers Philosophische Wissenschafften Th. I. C. XVII. p. 528.
     
  Nutzen der Wissenschafften zum Aufnehmen eines Staats.  
  Daß sich die Begierde etwas zu wissen, bey denen meisten Menschen finde, ist wohl eine unläugbare Wahrheit. Ob es aber eine Liebe zu wahren Wissenschafften sey, hieran lassen uns die Exempel gantzer Nationen, die in der tieffsten Barbarey gestecket, und davon zum Theil zur Zeit noch nicht befreyet, zweifeln. Wenig würden sich denen Studien ergeben, wenn gute Auferziehung nicht das Beste beytrüge, und sie darzu anhielte. Ja, wer auch eine Wissenschafft treibet, solches insgemein seinen verdorbenen Neigungen zu gefallen, um dadurch Reichthum, Ehre, Zeitvertreib zu erlangen. Nichts destoweniger ist deren Nutzen so groß, daß man ihrer nicht entbehren kan, und die tägliche Erfahrung mag nur die Frage, ob einem Staate nützlich, daß die Wissenschafften darinnen  
  {Sp. 1445|S. 736}  
  wohl angesehen sind? selbst mit Ja beantworten.  
  Jedem Menschen ist nöthig, seinen Verstand aufgeräumt zu haben, und einen bündigen Schluß machen zu können fähig zu seyn. Wo solches fehlet, entstehen daraus soviel falsche Einbildungen, Vorurtheile, Aberglauben und dergleichen, die durch eine rechte Vernunfft-Lehre weggeräumet werden. Die Morale weiset denen Unterthanen ihre Pflichten gegen ihren Schöpffer, ihren Regenten, ihre Mit-Bürger und gegen sich selbst zu lernen an, und wenn dieser gefolget würde, brauchte eine Republick wenig Gesetze, ohnerachtet der Menschen Unart Leute erfordert, so die bürgerlichen Gesetze in iedem Staat verstehen, und auf fürkommende Fälle deuten können.  
  Es ist nöthig, daß ein Volck seine Nachbarn kenne, deren Meynungen, Gewohnheiten, Kräffte und Schwäche untersuche, daraus einer andern Republick Fehler zu meiden, und von ihrem wohleingerichteten Staat Vortheil zu ziehen, und weder alles anzunehmen, noch zu verwerffen lerne, was Fremde erfunden. Die Erkenntniß der Alterthümer, dienet Philosophen, Juristen, Historien-Schreibern, Rednern und Poeten, pfleget auch zur Ergötzung des Gemüths nicht wenig beyzutragen. Die Kenntniß der alten Sprachen, so dabey erfordert werden, machet solches zwar etwas schwer, doch ist dieses wiederum nicht ohne Nutzen, weil ohne die Griechische und Hebräische die Erklärung der heiligen Schrifft nicht bestehen kan, und aus andern alten Scribenten nicht wenig zu lernen, auch die Lateinische für die Mutter-Sprache der Gelehrten angesehen wird.  
  So helffen auch solche zur Erlernung der Medicin und Mathesis, aus deren Kunst-Wörtern selbst zu ersehen, daß wir solche denen Römern und Griechen meistens zu dancken haben. Wie viel aber diese letztere Wissenschafften so wohl als die heilsame Physick zu dem Besten des gemeinen Wesens beytrage, und in dem Acker-Bau, Schiffahrten, bey Müntz-Wesen etc. gebrauchet werde, ist nicht nöthig, weitläufftig auszuführen. Solte gleich die genauere Kenntniß der natürlichen Cörper zu nichts weiter dienen, so wäre doch dieses genung, daß man dasjenige nicht als übernatürliche Zeichen und Wunder ansehe, so nach dem natürlichen Lauf geschiehet.  
  Von denen Heyden wurde alles Unglück, das dem Römischen Reiche zustieß, denen unschuldigen Christen beygemessen. Gewiss, auch unter Christen hat es allezeit Leute gegeben, die sich nicht viel anders aufgeführet, da ihre Religion aus der Verfolgung entrissen worden, deren Nachkommen ietzund in den meisten Städten und Ländern anzutreffen sind. Wer weiß nicht, daß die von denen Heyden so gerühmte Oracel der Teuffel Hülffe verlohren haben, nachdem van Dale und andere so deutlich gewiesen, daß es nur der Priester Betrügerey gewesen. Was für Gespenster und Hexen-Geschmeiß sind nicht bey unserer Vorfahrer Zeiten erdichtet worden, so nun meistentheils anietzo verschwunden. Selbst die Cometen zeigen nichts böses mehr an, nachdem auch die Natur-Wissenschafft in besserm Stande sich befindet. So  
  {Sp. 1446}  
  schädlich und närrisch die Astrologia judiciaria, so nützlich ist die Astronomie, die zur Erläuterung der Geographie und Chronologie nicht wenig beyträgt, und die neuentdeckten Satellites Jovis sollen nach Fontanelle Meynung zur Verfertigung accurater See-Charten mehr helffen, als der Mond selbst, und dadurch vielen das Leben erhalten. Was die Mechanick dem gemeinen Wesen für Nutzen bringe, erweisen die vortrefflichen Instrumente, die mit großer Beqvemlichkeit und Erspahrung unzehliger Unkosten gebrauchet werden. Und also wird nicht leicht eine Disciplin gefunden werden, deren Nutzen nicht ohne Mühe für Augen zu stellen, und mit lebhafften Farben abzumahlen wäre.  
  Je mehr Leute in einem Staat gefunden werden, die die Wissenschafften sich lassen angelegen seyn, ie mehrern Nutzen pfleget derselbige daraus zu erhalten. Alle, die öffentliche Geistliche, Civil- und Militair-Ämter besitzen, sollen nothwendig ein Stück der Gelehrsamkeit erlernet haben, welches selten ohne das andere kan verstanden werden. Studien dienen die Freyheit eines Staats und Volckes beyzubehalten, weil zwischen diesen beyden so eine grosse Verbindung, daß eine ohne die anderen nicht bestehen kan. Unwissenheit macht dumme Gemüther, verstopffet alle Ehr-Begierde und Großmüthigkeit, die sonst bey wohlerzogenen Menschen anzutreffen, und verursachet, daß ein Volck sein Joch willig über sich nimmt. Tyrannen können nicht besser thun, als ihre Unterthanen von Verbesserung ihres Verstandes abhalten.  
  Nicht weniger wird der Aberglaube aufgehoben, welcher öffters verursachet, daß sich Geistliche, die doch nicht herrschen solten, über andere viel herausnehmen. Was die Einwürffe betrifft, so hauptsächlich in Fürwerffung der Gebrechen, so bey den Gelehrten öffters anzutreffen, und in denen Fehlern, unnöthigen Gezäncken, Streitigkeiten etc. die bey ihnen nicht gar selten zu seyn pflegen, bestehen, so kan man hierauf gar leichte antworten, und denen, die es mit denen Wissenschafften nicht halten, hier gar leichte ihre Schwürigkeiten benehmen. Es hat von dieser Materie der Herr Joh. Barbeyrac den 2 Mai 1714 eine Rede gehalten, welche zu Amsterdam 1715 unter dem Titel: Discours sur l'utilité des lettres, im Druck herausgekommen, und in den Deutschen Actis Erud. Th. 37 p. 43 u.ff. recensiret, auch allhier das meiste daraus genommen worden ist.
     
  Welche Wissenschafften, einem Regenten fürnehmlich nöthig und diensam seyn?  
  Ob es gleich dem Grunde und der Wahrheit nach gantz sicher ist, daß viele und gute Wissenschafft keinen Menschen anständiger sey, als denen Regenten, immaßen die Früchte davon allen ihren Unterthanen zu statten kommen; so kan man doch keinesweges sagen, daß solches von einer unbedingten Nothwendigkeit sey, sintemahl man in denen Historien sowohl Exempel von gelehrten Fürsten, so nicht zum Besten  
  {Sp. 1447|S. 737}  
  regieret haben, als auch von solchen, welche bey wenig, oder keiner Gelehrsamkeit, dennoch gar löbliche Regenten gewesen, entdecken kan. Indessen treffen es diejenigen am wenigsten, welche alle gelehrte Wissenschafften bey hohen Häuptern für lauter Schaden halten. Zwar ist eine gesunde und richtige Vernunffts-Einsicht, wie bey iedermann, also zumahl bey großen Herren eine solche Gabe, welche an sich für aller Gelehrsamkeit einen mercklichen Vorzug, mithin jener Staats-Mann in so ferne gantz recht hat, wenn er schreibet: Es könne GOtt einem Lande keine größere Plage zuschicken, als einen unvernünfftigen Fürsten. Comines Mem. Liv. 2. Ch. 6.
  Man darf aber solches nicht also deuten, als wenn ein guter Verstand durch nützliche Wissenschafften nicht unendlich gezieret, und zu mehrerer Gewißheit und Ausbreitung befördert werden könne. Denn, wie eines theils niemand abredig seyn kan, daß Verstand, ohne Erfahrung, nur ein halbes Werck sey: also ist nicht weniger ausgemacht, daß man öffters, in einem Tage, aus anderer geprüfften Lehren und Schrifften, größere Weisheit und Nutzen schöpffen kan, als wenn man über dergleichen Materien, zehen Jahr lang, seinen eigenen Begriffen und Einfällen nachgehänget hätte.  
  Hierbey bringet aber die Sache selbst mit sich, daß nicht alle Wissenschafften die Aufmercksamkeit eines zum Landes-Regimente gewidmeten, oder an dessen Ruder bereits sitzenden Printzen erheischen. Viele, ja die meisten können demselben, außer einem Historischen, oder sonst kurtzen Begriffe zur Nachricht und äußerlichen Wohlstande, ohne Schaden unbekannt bleiben. Andere Wissenschafften hingegen sind in Absicht auf eine gedeyhliche Regierung, entweder schwerlich oder gar nicht entbehrlich; und von solcher beyderley Gattung wollen wir allhier das nöthigste berühren.  
  Wir zehlen zuerst dahin eine zulängliche Wissenschafft von derer Europäischen Staaten Beschaffenheit und Kräfften, und zumahl deren politischen Regimente. Denn, obgleich mancher dafür halten möchte, daß zum Exempel ein Deutscher Reichs-Fürst, wenn derselbe denen Pflichten, wozu ihn die Grund-Gesetze, und übrige Verfassung bey solchem Reiche anweisen, sich gemäß bezeuge, an den Schutz und an das Schicksal dieses großen Staats-Cörpers sich geruhiglich halten, mithin wegen derer auswärtigen Staaten, in so ferne gantz unbekümmert seyn dürffe; so wird man doch bald andere Gedancken fassen, wenn man erwegen will, daß die wichtigsten Religions- Erbschafts- Kriegs- und andere Angelegenheiten derer Deutschen Häuser fast iederzeit in die grossen Welt-Händel derer andern Europäischen Staaten mit eingeflochten, daher von diesem, wonach man die Sachen entweder klüglich oder unbedachtsam betreiben lassen, bald unterstützet, bald behindert worden. Wenn nun der Einfluß derer auswärtigen Staaten in die Deutschen Geschäfte so unumgänglich ist, wie solte es geschehen, daß ein Deutscher Fürst sich dessen klüglich  
  {Sp. 1448}  
  zu Nutze machen könnte, woferne derselbe nicht einen hinlänglichen Begriff von jener ihrer Macht und Neigung unter sich gefasset hätte?  
  Ferner zehlen wir unter die nöthigen Regenten-Wissenschafften, eine diensame Nachricht von denen guten und bösen Regenten alter und neuer Zeiten. Denn weiln große Herren nicht gerne lebendige Lehrer, noch weniger aber lebendige Tadler leiden mögen, so dienen jene Exempel umso kräfftiger, als sie ohne Besorgnis einiger Beschämung sich daher unterrichten, und was sie bey ihrer Regierung sowohl nachahmen als fliehen müssen, gleichsam in einem Spiegel erblicken können. Es hat solchemnach jener kluge Geschicht-Schreiber völligen Grund, wenn er also urtheilet:  
  Es sey ein wichtiger Vortheil, wenn ein Fürst, in seiner Jugend, in denen Zeit-Geschichten sich fleißig umgesehen habe, indem dieses, (wie er kurtz hernach hinzufüget) eines derer trefflichsten Mittel, und einen Menschen klug zu machen, abgebe, als welcher daraus, und zumahlen aus denen löblichen Exempeln seiner Vorfahren, die Vorschrifften zu einem klüglichen und tapffern Betragen ablernen könne. Comines Mem. L. II. Ch. 6.
  Noch mehr ist einem Fürsten nöthig, eine umständliche Nachricht von dem Ursprunge, Anwachse und begründeten Ansprüchen seines Hauses. Es ist wahr, man fänget aller jungen Printzen Erziehungen, bey verständigen Jahren, mit dergleichen Geschichten an; aber, wenn man es recht beleuchtet, gemeiniglich in unrechter Absicht, mithin entweder mit Schaden, oder ohne Frucht. Anstatt, daß man einem jungen Fürsten in denen Vorbildern seiner Ahnen die fast durchgehends kleine Anfänge zu seiner Demüthigung; die Frömmigkeit, Tugend-Liebe, Helden-Muth und Arbeitsamkeit zur Nachahmung; die Üppigkeit, und die beyläuffige Verschwendung in allerley Fällen, die Ungerechtigkeit nebst ihrer Folge, die Trägheit in Regiments-Geschäfften, und viel andere, in denen Geschichten häuffig am Tage liegende Fehler, zur Vermeidung und Abscheu vorbilden und einprägen solte; So pflegt man dieselben mit den gemahlten Hülsen einer hohen Ankunfft, mit der Dunst eines alten Stammes, mit blutigen Gefechte und bösen Kriegen, mit herrlichen Aufzügen und prächtigen Ritter-Spielen, und was mehr dergleichen, weder zur wahren Größe eines Regenten, noch zur Glückseligkeit seiner Unterthanen behuffiger Erzehlungen sind, gleichsam einzuschläffern und truncken zu machen.  
  Hiernächst vergisset man zwar eben so wenig, großen Herren von ihrer Häuser alten Gerechtsamen, Ansprüchen und Forderungen ein langes und breites vorzusingen; daß aber, und warum von solchen das meiste abfällig und vergebens sey, solches wird denenselben eben so selten vorgestellet, und aus dem Sinne geredet, als man, wie zu denen übrigen, entweder auf bessern Grunde bestehen, oder wenigstens besser auszuführenden Rechten zu gelangen sey, ohnverdächtige und nachhaltige Mittel an Hand giebet. Darum  
  {Sp. 1449|S. 738}  
  muß ein Fürst sich zeitlich in Stand zu setzen bemühet seyn, um seine Räthe in dergleichen Fällen, wo nicht zu übersehen, doch wenigstens ihre Gedancken und Rathschläge nach der Sachen inneren Beschaffenheit prüfen zu können, damit man ihn nicht durch diese oder jene scheinbare Vorstellung, von seines Staates wahren Vortheilen ableiten möge. Wer die Geschichte der ältern und jüngst verwichenen Zeiten mit unverblendeten Augen betrachtet, wird gestehen müssen, daß die jetzige Größe, oder Abnahme, dieses und jenen hohen Hauses sich gemeiniglich von einem oder zweyen Regenten herschreiben, welche ihre Gerechtsame und Vortheile wohl oder übel eingesehen, und nach solchen Einsichten ihre Verfassungen gerichtet haben.  
  Unter den nöthigen oder vielmehr unter die ohnentbehrlichen Wissenschafften eines Regenten zehlen wir ferner; daß derselbe ihme eine so viel möglich, vollständige Känntniß seiner eigenen Lande, sowohl in Ansehung deren natürlichen Beschaffenheit, über und unter der Erde, als auch in Betrachtung derer sämtlichen Einwohner, nach dererselben ohngefehren Anzahl, Neigung, Gewerbe, Vermögen, und was dem anhängig, zu Wege zu bringen sich bemühe. Dieser Punct, obgleich einer derer wichtigsten, darauf ein weises Regiment sich gründen solte, ist nichts destoweniger an vielen Orten schlecht betrieben. Man führet junge Printzen offt, mehr als nöthig ist, mit grossen Zeit- und Kosten-Aufwande, in denen benachbahrten Reichen mit solcher Sorgfalt umher, daß denenselben nicht leicht ein schönes Gemählde, oder künstlich ausgeführte Turm-Spitze unbekannt bleiben darff; Hingegen lässet man dieselben in ihren eigenen Landen nicht selten wahrhaffte Fremdlinge verbleiben. Der Schade, so hieraus erfolget, ist kaum ermeßlich.  
  Denn, da ein kluger Regent seinen Aufwand nicht nur, sondern alle seine Kriegs- und Friedens-Anschläge, fürnehmlich nach den inneren Kräfften seines Staats abzumessen hat, so setzet dieses ohnstreitig eine genaue Kundschafft, worinnen solche Kräffte allenthalben bestehen, auch welchergestalt solche theils zu erhalten, theils zu vermehren sind, zum Grunde. Es ist kein Land so schlecht, und kein Volck an Kunst, Muthe und Witze so arm, welches, wenn der Fürst will, und guten Raths fähig ist, sich nicht auf unzehlige Weise verbessern liesse. J.B.S. v. E. Grund-Riß der Fürsten-Kunst p. 56. u.ff. Man lese auch Haßens wahre Staats-Klugheit in gewissen Staats-Grund-Sätzen, p. 29. u.ff.
     

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Stand: 7. April 2013 © Hans-Walter Pries