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Zedler: Wissenschafften [8] HIS-Data
5028-57-1399-1-08
Titel: Wissenschafften [8]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 57 Sp. 1461
Jahr: 1748
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 57 S. 744
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Hinweise:
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  Text   Quellenangaben
  Feinde der Wissenschafften.  
  Unter die Feinde der Wissenschafften sind, vornehmlich zu unsern Zeiten, die so genannten Pietisten gezehlet worden. Die Beschuldigung, man hielte nichts von menschlichen Wissenschafften, besonders in der Philosophie, brachte man gleich beym Anfange der neuesten Pietistischen Streitigkeiten vor. Denn in dem Leipziger Bedencken der Theologischen Facultät war p. 13 dieses der erste Punct, den man wider die so genannten Pietisten denunciren wolte, es werde unvermerckt eine solche Barbarey eingeführet, daß in kurtzer Zeit niemand seyn dörffte, der einigen Widersachern und Feinden der Evangelischen Wahrheit könne gewachsen seyn. Denn die freyen Künste und Wissenschafften auf Schulen und Academien würden  
  {Sp.1462}  
  niedergeschlagen, daher das gründliche Studiren in allen Theilen verachtet, alle Academische Ubungen und insonderheit das Disputiren, verkleinert, und bloß daß einige Bibel-Lesen, und das zwar nur zum heiligen Leben sich zu erbauen, recommendiret.  
  Herr D. Carpzov brachte das auch noch in seinem Pfingst-Programmate 1691 an, man lehre, daß alle Philosophische Wissenschafften nur um deswegen gelehret und gelernet würden, daß man sie wieder vergesse, und die Academischen Disputationen brächten der Ubung in der Gottseligkeit großen Schaden, und wären dahero zu vermeiden.  
  Die bekannte Beschreibung des Unfugs satzte p. 29 das auch mit unter die so genannten Pietistischen Lehren, daß man die Philosophie abschaffen, das Academische Disputiren einstellen, und davor die mystische Theologie einführen müßte.  
  So ist man nachgehends in allen andern Schrifften, die man wider Spenern und andere, so man vor Pietisten gehalten, herausgegeben, fortgefahren, daß man die Verachtung der menschlichen Wissenschafften, besonders der Philosophie, als was Eigenthümliches dieser Leute, und als einen Character derselbigen angesehen, wie aus Schelwigs Synopsi p. 346 u.ff. aus Löschers vollständigen Timotheo Verino, P. I. cap. 10, §. 36, und andern dergleichen Büchern mehr erhellet.
  Daß hierinnen einige der Sache zu viel gethan, und von den menschlichen Wissenschafften, absonderlich von der Philosophie, verächtlich gesprochen, auch selbige wohl gar vor schädlich ausgegeben, nachdem sie wohl erkannt, was sich deßfalls vor ein schändlicher Misbrauch zum großen Nachtheil des wahren Christenthums eingeschlichen; selbigen aber von dem wahren Gebrauch nicht zu unterscheiden gewußt, und also die Sache an sich selbst verworffen, kan nicht geläugnet werden.  
  Es ist aber auch wahr, daß man in den deßfalls angestellten Beschuldigungen der Sache bisweilen zu viel gethan, wenn man schlechthin vorgegeben, man hielte nichts von der Philosophie; es thäten dieses alle ohne Unterscheid, die man unter dem Nahmen der Pietisten zusammen fasset. Denn was den seligen Spener betrifft, auf den doch in allen diesen Dingen das Vornehmste ankommen soll, so kan man mit Grund der Wahrheit nicht sagen, daß er die Philosophie schlechterdings verworffen, davon seine hierüber gethane Erklärungen ein gantz anders ausweisen, deren Stellen man insgemein mit Fleiß übergehet und verschweiget. Denn in der gründlichen Beantwortung des Unfugs, p. 98, schreibt er:  
  Ich halte die Philosophie und alle deroselben Disciplinen vor eine gute Gabe GOttes, zu Ehren und Dienste des Schöpffers zu behalten und anzuwenden sey; daher auch dieselbigen in rechter Ordnung der Theologie einige nützliche Dienste leisten können, und deswegen, welche mehr Zeit auf ihre Studia zu wenden, Zeit und Mittel haben, billig auch an dieselbe etwas wenden.  
  In der Vorrede über Dannhauers Tabulas Hodosophicas macht er ausdrücklich einen Unterscheid unter der Sectirerischen u. Eclectis. Philosophie, rühmt die letztere,  
  {Sp. 1463|S. 745}  
  als eine gute Gabe GOttes, die man in der Theologie mit gutem Nutzen brauchen könnte, und daher nicht solte verachtet werden; gleichwohl war man in der Beschreibung des Unfugs so unverschämt gewesen, und hatte sich zum Beweis, daß Spener nichts von der Philosophie halte, auf diese Vorrede beruffen. So machts auch Schelwig in Supplemento p. 194, welcher um seine Beschuldigung, daß er die Philosophie verachtet habe, zu rechtfertigen, sich auf folgende Stelle beruffet:  
  Ich achte das Studium philosophicum in der Theologie sehr vorträglich, wo wir die rechte Philosophie, wie sie seyn solte, hätten. Ob aber diejenige Philosophie, welche heut zu Tag fast meistens auf unsern Schulen getrieben wird, und großentheils vielmehr Aristotelis Meynung; als die rechte Vernunffts-Wahrheit in sich fasset, zu solchen Zweck zuträglich sey, möchten etwa nach fleißiger Erwegung, noch ziemliche Ursachen zu zweifeln seyn.  
  Wer sieht aber nicht, daß Spener in der That einen bessern Begriff und Geschmack von der Philosophie gehabt, als Schelwig? Er ziehet die Eclectische Philosophie der Sectirerischen vor, woraus Schelwig den Schluß macht, er verachte die Philosophie, folglich muß Schelwig die Sectirerische Philosophie vor die eigentliche und wahre halten, worinnen ihm wenigstens heut zu Tage kein Mensch beystimmen wird. Wie Spener eine große Penetration und Einsicht hatte; also erkannte er auch das Verderben der Academien in den Philosophischen Studien, da man noch mit dem Aristotele philosophirte, Collegia Pansophica hielte, Metaphysische Grillen vortruge.  
  Wir wollen noch eine Stelle von demselbigen dieser Sache wegen beysetzen. Im Jahr 1678, da man noch nicht an die Eclectische Art zu philosophiren gedacht, schrieb er an Brecklingen unter andern folgendes:  
  Von den jetzigen studiis philosophicis kan ich zwar, wie sie würcklich, sonderlich aus dem Aristotele getrieben werden, nicht so gar großen Nutzen versprechen; aber wo sie besser eingerichtet würden, solten sie auch eine herrliche Beförderung des Guten geben, da wir in den Fußtapffen GOttes, den Creaturen erkennen, wer der Herr sey, der solche eingedruckt. Und diesen Brief hat man in die fortgesetzte Sammlung von Alten und Neuen Theologischen Sachen 1728. p. 364 eingeruckt; es ist aber dabey zu mercken, daß man ihn daselbst ex autographo abdrucken lassen, da er doch schon völlig in des seligen Speners Theologischen Bedencken P. I. cap. 2. p. 582 u.ff. stehet.
  Außer Spenern haben auch andere eben so von den Philosophischen Wissenschafften geurtheilet, da sie zwar die unnützen Aristotelischen und Scholastischen Grillen in derselbigen; aber nicht die Philosophie an sich selbst verworffen: sich über den Misbrauch derselbigen beschweret, aber damit ihren wahren Gebrauch nicht aufgehoben; eine nöthige Klugheit in Erlernung derselbigen, wie viel Zeit und Mühe nach eines jeden studirenden Umständen darauf zu wenden angerathen; aber nicht verlangt, daß man sich darum gar nicht bekümmern soll. Also muß man nicht gleich den Schluß  
  {Sp. 1464}  
  machen, daß, wenn man etwas an einer Sache tadele, man damit die Sache an sich selbst verwerfflich mache.  
  Vorher ist angeführet worden, wie Herr D. Carpzov in dem Pfingst-Programmate ebenfalls denjenigen, die man schon damahls mit dem Nahmen Pietisten beleget, Schuld gegeben, sie wolten die Philosophie abgeschafft wissen; worauf aber der Professor Francke in der abgenöthigten Fürstellung p. 13 erinnert, er habe ja selbst öffentlich genung de methodo philosophandi gelesen, und wider seine damahligen Discourse von dem heut zu Tage überhand nehmenden großen Misbrauch der Philosophie hätte nichts können aufgebracht werden.  
  D. Lange hat nicht weniger durch seine Schrifften erwiesen, daß er kein Feind der Philosophie an sich selbst sey, wobey noch zu lesen, was er in der Erläuterung der neuesten Historie p. 456 wider D. Löschern angemercket hat.
  Wie sie die Philosophie überhaupt verwerffen sollen; also giebt man ihnen insonderheit Schuld, sie wolten die Philosophischen Terminos in der Theologie nicht leiden; mit welchem Punct sichs aber eben so, wie mit dem vorigen, verhält. Man unterscheide die Sache selbst von der Art und Weise, wie man damit umgeht, und bey der letztern sehe man, welches der wahre, und welches der falsche Gebrauch derselbigen sey. Es hat wohl niemand von unsern Theologen daran gedacht, daß man aus der Theologie alle Philosophische Terminos schlechterdings verbannen solte, und bey denen, die man darüber beschuldiget; oder in Verdacht ziehen will, zeigen ihre eigene Schrifften das Gegentheil.  
  Wenn aber welche davor gehalten, es wären solche Termini aus der Philosophie in der Theologie nicht nöthig, wenn sie sich beklaget, daß man beym Gebrauch derselbigen bisher der Sache zu viel gethan, und damit sowohl in Schrifften; als bey dem mündlichen Vortrage in den Collegien die Theologie nicht nur schwer und dunckel gemacht; sondern auch Gelegenheit zu manchen unnützen Dispüten gegeben, so haben sie wohl nach eines ieden vernünfftigen Menschen Urtheil nichts Unrechtes gethan. Denn die Sache liegt mehr als zu klar an dem Tage, wie man in den vorigen Zeiten vornehmlich durch den Misbrauch der Metaphysischen Terminorum die Theologie mager, trocken, schwer und weitläufftig gemacht, und die Schrifften, die fast nichts als lauter solche Metaphysische Wörter und Distinctionen in sich fassen, bezeugen es, daß, wenn man die vorige Lehrart gegen die heutige hält, nachdem viele Theologen angefangen, die unnützen und überflüßigen Terminos und Abtheilungen wegzulassen, und die Sachen reeller und practischer vorzutragen, dadurch in der That die Theologie viel leichter und nützlicher gemacht worden. Walchs Religions-Streitigkeit. in der Evangel. Lutherischen Kirche II Theil p. 537 u.ff.
     

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Stand: 12. Februar 2013 © Hans-Walter Pries