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Zedler: Wort [2] HIS-Data
5028-59-265-11-02
Titel: Wort [2]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 59 Sp. 272
Jahr: 1749
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 59 S. 149
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Übersicht
I. Philosophische Abhandlung. (Forts.)
  (a) Theoretische Betrachtung. (Forts.)
 
  3) Worte sind der Grund der figürlichen Erkenntniß.
  4) Nutzen der Wörter bey dem Urtheilen, und der allgemeinen Erkenntniß.
  5) Wie der Leib die Wörter vorbringt, und wie sie in demselben vorgestellt werden.
  (b) Practische Betrachtung.
 
  1) Der philosophische Gebrauch der Worte.

  Text  
  3) Worte sind der Grund der figürlichen Erkenntniß.  
  Es wird hier nicht unnöthig seyn, zu zeigen, wie die Worte der Grund von einer besondern Art der Erkenntniß seyn. Diese nennet man die figürliche. Denn wir stellen uns die Sache entweder selbst, oder durch andere Zeichen vor. Z.E. wenn ich an einen Menschen gedencke, der abwesend ist, und mir sein Bild gleichsam vor Augen schwebt: so stelle ich mir seine Person selbst vor. Wenn ich mir aber von der Tugend folgende Worte gedencke: Sie sey eine Fertigkeit seine Handlungen nach dem Gesetze der Natur einzurichten: so stelle ich mir die Tugend durch Worte vor. Diese  
  {Sp. 273|S. 150}  
  letztere heist die figürliche Erkenntniß, die erste die anschauende.  
  Es hat aber die figürliche Erkenntniß viele Vortheile vor der anschauenden, wenn diese nicht vollständig ist, das ist, alles deutlich gleichsam vor Augen leget, was ein Ding in sich enthält, und wie es mit andern verknüpfft ist, und gegen sich verhält. Denn da jetzund unsere Empfindungen gröstentheils undeutlich und dunckel sind: so dienen die Wörter und Zeichen zur Deutlichkeit, indem wir durch sie unterscheiden, was wir verschiedenes in den Dingen, und unter ihnen antreffen. Weil nun aber hierdurch die Ähnlichkeit erhellet, die zwischen verschiedenen eintzelnen Dingen anzutreffen: so gelanget man auf diese Weise zu allgemeinen Begriffen. Es wird demnach die allgemeine Erkenntniß durch die Wörter deutlich.  
  Unterdessen kan die figürliche Erkenntniß auch zu einigem Nachtheile gereichen, wenn man nicht genug Acht darauf hat, in dem wir leere Wörter, mit welchem kein Begriff verknüpfft ist, für Erkenntniß halten, und Wörter für Sachen ausgeben. Es pflegt aber zu geschehen, daß wenn wir Wörter mit einander verknüpffen, von deren jedem wir insbesondere einen Begriff haben, wir wohl verstehen, was wir reden, ohngeachtet dasjenige ohnmöglich ist, was durch diese zusammengesetzten Wörter angedeutet wird, und dahero unmöglich einen Begriff haben kan. Denn was unmöglich ist, dasselbe ist nichts: von nichts aber kan man nichts dencken. Z.E. vom Golde haben wir einen Begriff, auch nicht weniger vom Eisen. Hingegen ist unmöglich, daß das Eisen zugleich Gold seyn kan, und dahero können wir auch von eisernen Golde keinen Begriff haben. Dennoch verstehen wir andere, was sie haben wollen, wenn sie eisern Gold nennen.  
  In dem gegebenen Exempel ist es freylich einem jeden bald klar, daß das Wort, eisern Gold, ein leerer Ton sey; allein es giebt tausend Fälle, da man es nicht so leicht sehen kan. Z.E. wenn ich sage: Ein gerade linichtes Zweyecke sey eine Figur, die in zwo gerade Linien eingeschlossen ist: so verstehet man mich sowohl, als wenn ich sage: Ein gerade linichtes Dreyeck sey eine Figur, die in drey gerade Linien eingeschlossen ist. Und es scheinet, als wenn wir von beyden Figuren einen deutlichen Begriff hätten. Unterdessen da man in der Geometrie erweiset, daß zwo gerade Linien keinen Raum einschliessen können: so ist auch unmöglich von einem gerade linichtem Zweyeck einen Begriff zu haben. Also sind die Worte: Ein gerade linichtes Zweyeck ist eine Figur, die in zwo gerade Linien eingeschlossen ist; ein leerer Ton.  
  Eben dergleichen Beschaffenheit hat es mit der wachsendmachenden Seele in den Pflantzen, welche ein geistisches Wesen seyn soll, dadurch die Pflantzen vermögend gemacht werden, zu wachsen:  
  Denn obgleich alle diese Wörter vor sich verständlich sind; so haben sie doch hier keinen Begriff, der mit ihnen zusammen genommen, könnte verknüpfft werden. Ebenso wenn ich sage, der Zieh-Geist, oder Ziehe-Strick, wie ihn Linus nennet, oder auch die Ziehe-Krafft, wie sie einige Engelländer heissen, ist ein uncörperliches Ding, dadurch die Anziehungen in der Natur geschehen: so ist kein Begriff, den man bey diesen Wörtern haben könnte. Hierher gehören auch die natürliche Liebe, und der natürliche Haß der Pflantzen; Das Band der Rechte in der Er-  
  {Sp. 274}  
  klärung der Verbindlichkeit; Das Wesen, wovon das Böse in der Welt nach der Meynung der Manichäer kommt, u.s.w.  
  Damit wir nun Wörter von Sachen unterscheiden, und uns niemahls selbst betrügen: so müssen wir keinen Begriff zulassen, als dessen Möglichkeit wir richtig erkannt haben. Es ist aber hier ein Unterschied zu machen unter den Begriffe des Tones der Wörter, und dem Begriffe der Sache, die sie bedeuten sollen. Denn freylich müssen wir einen Begriff von den Tone der Wörter haben sonst würden wir sie entweder nicht hören, oder auch nicht bey uns gedencken, z.E. man hat einen Begriff von dem Worte Ziehe-Geist, denn sonst könnte man nicht unterscheiden, ob man dieses oder ein anderes Wort hörete: allein man hat keinen Begriff von der Sache, die durch dieses Wort soll angedeutet werden; Hieraus ist nun deutlich zu ersehen, daß man miteinander reden, und einander verstehen, und doch keiner einen Begriff von dem haben kan, was er redet, oder hört, indem von lauter nichts geredet wird.  
  Dergleichen Discourse sind unter Gelehrten nicht selten, absonderlich trifft man viele in der Natur-Lehre der Schul-Weisen an. Gleich wie es aber Wörter giebt, die keinen Begriff haben: eben so kan es Wörter geben, durch welche etwas würckliches angedeutet wird, davon wir keinen klaren und deutlichen Begriff haben, ob sie uns gleich nicht unbekannt sind, z.E. das Wort Luchs bedeutet ein Thier, welches den Jägern nicht unbekannt, auch wegen seines scharffen Gesichts beschrien ist. Viele wissen das Wort, haben aber keinen klaren, geschweige denn einen deutlichen Begriff davon. Derowegen folgt nicht, daß Wörter, mit welchen wir keinen klaren Begriff verknüpffen, nichts bedeuten: wie die Feinde des Evangelii das Wort: Dreyeinigkeit und andere Geheimnisse bedeutende Wörter für einen leeren Ton ausgeben. Vielweniger folgt, wenn wir mit einem Worte keinen klaren und deutlichen Begriff verknüpffen können, solches auch kein anderer zu thun vermögend sey: worinne diejenigen verstossen, welche in Wissenschafften alle Wörter verwerffen, bey welchen sie sich keinen klaren und deutlichen Begriff machen können.  
     
  4) Nutzen der Wörter bey dem Urtheilen, und der allgemeinen Erkenntniß.  
  Die Wörter und Zeichen dienen zur Deutlichkeit im Urtheilen. Denn da es hauptsächlich darauf ankommt, wenn man urtheilet, daß man die Eigenschafft oder Veränderung, oder Würckung, oder das Verhalten gegen andere, so einem Dinge zugeeignet oder abgesprochen wird, von ihm unterscheidet, und dieser beyden unterschiedenen Dinge Verknüpffung erweget, und daher zur Deutlichkeit des Urtheils in der anschauenden Erkenntniß nicht allein erfodert wird, daß man sich den Unterscheid der Begriffe, die entweder getrennet oder verknüpffet werden, sondern auch die Würckung der Seele, dadurch sie dieses erweget, ordentlich vorstellet; Die Wörter aber die Verknüpffung und Trennung der Begriffe an sich zeigen: so zeigt sich in der figürlichen Erkenntniß der Unterscheid der Urtheile und blosser Begriffe klärer, als in der an-  
  {Sp. 275|S. 151}  
  schauenden und ist demnach die Deutlichkeit grösser. Daher geschiehet es auch, daß so bald wir uns entweder einen allgemeinen Begriff von einer Art Dinge, davon wir eines sehen, oder sonst empfinden, formiren, oder auch nur etwas deutliches mercken, oder von einem Dinge ein Urtheil für uns fällen wollen, wir von der anschauenden Erkenntniß zu der figürlichen schreiten, und zu uns selbst reden, oder wenigstens die dazu nöthigen Worte gedencken.  
  Denn wir pflegen den Dingen, in so weit sie einander ähnlich sind, und also entweder von einer Art seyn, oder zu einem Geschlechte gehören, einerley Nahmen zu geben. Und durch Hülffe dieses Nahmens sondern wir gleichsam ab, was sie mit einander gemein haben. Demnach sind die Wörter, oder auch andere Zeichen, das Mittel, wodurch wir allgemeine Erkenntniß erlangen.  
     
  5) Wie der Leib die Wörter vorbringt, und wie sie in demselben vorgestellt werden.  
  Da die Wörter Töne sind, die sich durch das Gehör unterscheiden lassen: so können sie auch im Leibe durch Bewegungen im Ohre und dem Gehirne vorgestellet werden. Da nun die allgemeine Erkenntniß aus Wörtern bestehet: so kan auf solche Weise auch die allgemeine Erkenntniß im Leibe vorgestellet werden, d.i. es können im Leibe Bewegungen hervorgebracht werden, mit welchen die allgemeine Erkenntniß der Seele übereinstimmet. Denn bey der allgemeinen Erkenntniß dencke ich Wörter, die Gedancken der Wörter sind Vorstellungen gewisser Tone, die in den Ohren und dem Gehirne besondere Arten der Bewegung erregen, und also ist ein besonderer Zustand des Leibes, welcher mit dem Zustande der Seele übereinstimmet, indem sie allgemeine Erkenntniß hat.  
  Diejenigen, welche die Wörter zuerst erfinden, sind durch das Anschauen der Dinge bewegt worden, durch die zur Sprache erforderten Gliedmassen gewisse Tone formiren, dadurch sie die Dinge als durch Zeichen angedeutet haben. Es ist demnach aus der Bewegung, die in den Gliedmassen der Sinnen, und ferner im Gehirn erregt worden, diejenige Bewegung entstanden, die zur Formirung der Tone in den Gliedmassen der Sinne erfordert wird. Den Ton haben sie gehöret; wodurch von neuen eine Bewegung im Ohre und ferner in Gehirne erreget worden, die sich mit den andern, so durch die andern Sinne kommen, daselbst vergesellschafftet.  
  Derowegen, da das Gehirne dergestalt beschaffen, daß wir in zweyerley Bewegungen mit einander daselbst zugleich entstanden, nach diesem wiederum aus der einen die durch die Sinne erreget worden, die andere erfolget: so siehet man hieraus, wie es möglich ist, daß unser Leib als eine blosse Maschine diejenigen Worte hervorbringt, die sich jederzeit zur Sache schicken, und die allgemeine Erkenntniß der Seele andeuten. Was einige hierwider einwenden wollen, zeiget an, daß sie das, was hier gesagt worden, nicht genau erwogen haben. Die Exempel, welche sie darwider vorbringen, bestätigen eben das, was wir hier behaupten.  
  {Sp. 276}  
  Diese Meynung, daß der blosse Leib die für die allgemeine Erkenntniß der Seele sich schickenden Wörter in gehörigen Fällen hervorbringen könne, und die Seele bey Formirung der Wörter nichts beytrage, hat Andreas Murray im XI §. einer Schrifft geleugnet, welche den Titel führet: Demonstratio Dei ex voce animalium, publico antea Examini in Academia Kiloniensi subjecta, nunc vero plenius exposita, Hamburg in 8.  
  Eben so verhält es sich mit denjenigen, welche die Sprache von andern lernen. Wir empfinden die Sache und hören das Wort, wodurch sie angedeutet wird zugleich, und fangen es an auszusprechen. Also haben wir abermahls im Gehirne zweyerley Bewegungen, die aus zwo oder auch aus mehrern verschiedenen Bewegungen, welche in den Gliedmassen der Sinne erreget worden, entsprungen, und aus diesem entstehet die Bewegung in den Gliedmassen der Sprache. Derowegen wenn nach diesem die eine Bewegung von beyden erreget worden, durch die Veränderung in einem Gliedmasse der Sinnen: so entstehet auch daraus die andere, und endlich auch die Bewegung in den Gliedmassen der Sprache.  
  Ehe wir diese Abhandlung von den Wörtern, in sofern sie in der Philosophie gebraucht werden, beschliessen: so wollen wir noch einige Schrifften beyfügen, welche insbesondere davon handeln. Hierher gehöret Johann Wilhelm Gollings Dissertation: De cautione philosophica circa voces, welche er zu Wittenberg 1727 im August gehalten hat. Ferner ist hieher zu rechnen des jetzigen Rectors zu Görlitz Friedrich Christian Baumeisters Dissertation: De eruditis, qui sensa animi exprimere nequeunt, Wittenberg 1034. Ingleichen erläutert das Capitel in der Logick von den Wörtern, zum Theil Michael Gottlieb Hanschens Idea boni disputatoris. Accedit ejusdem dissertatio philosophica: de eo quod observandum est, ut nos perfecte intelligamus, Leipzig 1713 in 8. Die übrigen Schrifften, die nur zum Theil hiervon handeln, sollen beym Beschlusse dieses gantzen Artickels angeführet werden.  
     
  (b) Practische Betrachtung.  
  Die practische Betrachtung der Wörter muß den rechten Gebrauch derselbigen anweisen. Man kan solchen in einen gemeinen, und in einen gelehrten, und den letzten wieder in einen philosophischen und oratorischen eintheilen.  
     
  1) Der philosophische Gebrauch der Worte.  
  Wir werden zuerst von dem philosophischen Gebrauche der Worte reden, da wir denn darauf zu sehen haben, wie sich ein Philosophe bey dem Gebrauche der Wörter zu verhalten. Er muß überhaupt auf die Deutlichkeit und Accuratesse derselbigen sehen.  
  Deutlich heist ein Wort, wenn es nebst seiner Bedeutung denen, unter denen es ein Zeichen der Gedancken seyn soll, sattsam bekannt ist, so daß ein jeder, sobald er das Wort höret, oder lieset, alsofort die Idee, zu deren Bedeutung es bestimmet ist, in sich erwecket findet. Diese Deutlichkeit beruht  
  {Sp. 277|S. 152}  
  entweder auf einen bereits eingeführten Gebrauch, durch welchen ein Wort nebst seiner Bedeutung der nur der Sprache kundig, alsofort wenn er es höret, bekannt ist; oder auf eine willkührliche Wort-Erklärung, durch welche man die Bedeutung eines Worts dem Leser oder Zuhörer, zu erkennen giebt, und es hierdurch deutlich macht.  
  Wenn nun der andere, mich verstehen soll: so muß ich kein Wort brauchen, als davon ich versichert bin, daß er nicht allein den Begriff haben kan, den ich damit verbinde, sondern auch daß das Wort, sobald er es höret, und ihm nachdenckt, selbigen Begriff in ihm erreget. Denn es geschiehet gar offt, daß der andere gantz einen andern Begriff, als wir, mit einem Worte verknüpffen, ohngeachtet jener eben so wohl unsern damit verbinden könnte. Z.E. Simplicius, der von Kindheit an stets lustige Bücher gelesen und vielen Possenspielen beygewohnt, stellet sich das Vermögen scharffsinnig zu urtheilen unter der Fertigkeit alles durchzuziehen und lächerlich zu machen vor. Lynceus aber, welcher durch gründliche Wissenschafften seinen Verstand ungemein geübt, nimmet vor das Vermögen scharffsinnig zu urtheilen, die Fertigkeit in dem Beweise dessen, was man behauptet, seine Schlüsse ordentlich nach einander so lange fortzuführen, bis man auf ungezweiffelte Gründe kömmt. Wenn nun Simplicius zu dem Lynceus saget: Thraso könne von einer Sache scharffsinnig urtheilen: so wird ihn Lynceus nicht verstehen, ohngeachtet er vom Durchziehen, und eine Sache lächerlich zu machen, einen vollständigern Begriff als Simplicius hat.  
  Derowegen muß einer, sonderlich in Wissenschafften seiner Wörter erklären, und die in diesen Erklärungen gebrauchten Wörter von neuen so lange erklären, bis er auf solche Wörter kommt, deren Begriff einer von den gegenwärtigen Dingen ohnfehlbar haben kan, oder von denen er versichert ist, daß der Leser ihre rechte Bedeutung wisse. Wenn man aber die rechte Bedeutung der Wörter finden will; so muß man sich einige Fälle vorstellen, in welchen das Wort gebraucht wird, und dabey auf alles genau Acht geben, was uns selbiges zu brauchen veranlasset. Denn so bekommen wir die Merckmahle, dadurch die Sache so diesen Nahmen führet, von andern unterschieden wird. Z.E. man verlangt die eigentliche Bedeutung des Wortes Licht zu wissen. Man stellet sich demnach vor was man empfindet, wenn man das Licht nennen höret, und wodurch man bewogen zu sagen, es sey lichte. Alsdenn findet man, daß man sage, es sey lichte, wenn die umstehenden Cörper können gesehen werden, und es sey sehr lichte, wenn wir sie deutlich können erkennen. Hieraus siehet man, daß man durch das Licht dasjenige verstehe, so die Sachen um uns sichtbar macht.  
  Auf solche Weise ist die Bedeutung der Wörter Raum, Ordnung, Stetigkeit, Wahrheit, Traum, Vernunfft und andere mehr gefunden worden. Und in allen Theilen der Weltweißheit kommt es auf gegenwärtige Regel an, wenn man die Bedeutung eines Wortes zu erklären sich vorgenommen. Es ist daher unumgänglich nöthig,  
  {Sp. 278}  
  daß ein Philosoph in seinen Lehrbüchern von dem Gebrauche der Wörter handele, welches nirgends besser als in der Logick geschehen kan, wie dieses der Freyherr von Wolf gethan hat. Denn da wir uns bemühen, deutliche Begriffe von den Dingen, die uns vorkommen zu erlangen, damit wir allgemeine Erklärungen, und Grund-Urtheile daraus formiren können, als worinnen der Grund aller gründlichen Erkenntniß zu den Wissenschafften gelegt wird: so hat man auch nöthig, alles dasjenige, was man in seinen Begriffen unterscheidet, und durch dieselben sich vorstellet, mit besondern Nahmen zu belegen. Denn die allgemeine Erkenntniß ist gantz figürlich, wofern sie deutlich werden soll. Und aus dieser Absicht muß in der Logick von dem Gebrauche der Wörter gehandelt werden, wobey absonderlich gezeiget werden muß, wie man sich verständlich erklären soll; wie man sich in Acht zu nehmen hat, daß man nicht leere Wörter mit Sachen vermengt; und auf was für Art und Weise die gewöhnliche Bedeutung eines Wortes herausgebracht wird, und s.w. Dieses war die erste Eigenschafft der Wörter, nemlich die Deutlichkeit.  
  Nebst dieser Eigenschafft muß man auch um die Accuratesse derselben besorget seyn. Diese bestehet darinne, daß die Bedeutung genau, mit der dadurch angezeigten Idee übereinstimme, und dergestalt abgemessen werde, daß sie weder mehr noch weniger anzeige, als sie anzeigen soll, welche Gewißheit oder Accuratesse der Wörter auch zweyerley ist.  
  Denn entweder bedeuten sie schon an sich selbst ihre durch den Gebrauch bereits sattsame determinirte Ideen; oder sie erlangen die Determination der Ideen, die sie bedeuten sollen, allererst durch willkührliche Wort-Beschreibungen. Indem aber die in einer Sprache eingeführte Wörter nach dem Gebrauch grossen theils von so unrichtigen und ungewissen Bedeutungen sind, so hat ein Philosophe und überhaupt ein Gelehrter Ursach, von dem gemeinen Gebrauche abzugehen, welches vornemlich in zwey Stücken geschehen muß.  
  Denn man hat zweyerley abstracte Ideen, welche man ausdrucken und vorstellen soll. Einige sind scharffsinnige und gelehrte, die von gemeinen Leuten nicht mögen begriffen und erkannt werden, folglich weil vor dieselbige in dem gemeinen Gebrauch der Sprache keine Wörter vorhanden gewesen, so hat man zur Bezeichnung solcher Ideen neue Wörter machen müssen, die nur unter den Gelehrten als ihre eigene Benennung üblich sind. Andere Ideen betreffen gemeine Dinge, die unter Ungelehrten in den gemeinsten Verrichtungen des Lebens vorkommen, haben auch ihre gewöhnliche Benennungen; weil aber selbige meistens unrichtig bestimmet, so behalten zwar solche die Gelehrten, nehmen sich aber die Vernunfftsmäßige Freyheit, die unrichtigen Bedeutungen derselbigen durch ihren besondern Gebrauch zu verändern, und entweder die allzuweit ausschweiffenden Bedeutungen einzuschräncken; oder die zur Ungebühr eingeschränckten weiter auszudehnen.  
  Dieses macht den gelehrten Gebrauch der Sprache aus, durch  
  {Sp. 279|S. 153}  
  welchen man gewisse und besondere Kunst-Wörter eingeführet, und von den gemeinen Gebrauche der Sprache abzugehen Ursach gehabt. Doch kan sich auch zutragen, daß ein Gelehrter von dem gelehrten Gebrauche selbst abzugehen sich genöthiget siehet. Denn einmahl kan er zuweilen neue Begriffe, die nöthig und nützlich sind, und andern Gelehrten bisher unbekannt gewesen, erfinden, zu deren Benennung er neue Wörter, die unter den Gelehrten bisher nicht üblich gewesen, erfindet.  
  Hernach da die Gelehrten als Menschen irren können, kan es sich offt begeben, daß ein rechtschaffener Gelehrter in den sonst gewöhnlichen Begriffen anderer Gelehrten ein und andere Änderung zu machen, genungsame Ursache findet, welches ihm denn Anlaß giebet, das Wort, das man bisher gebraucht, an sich zwar zu behalten, aber auch die Bedeutungen desselbigen zu verändern.  
  Auf solche Weise können alle Kunstwörter der Gelehrten in zweyerley Arten eingetheilet werden: in gemeine und in besondere.  
  Die gemeinen sind diejenigen, die durch den Gebrauch aller oder der meisten Gelehrten in den Disciplinen der Gelehrsamkeit eingeführet sind, worinnen die Gelehrten von den gemeinen Gebrauche der Sprachen abgewichen, welches wieder auf zweyerley Art geschiehet: nemlich da die Gelehrten entweder gantz neue Wörter gemacht; oder die durch den gemeinen Gebrauch eingeführten Wörter behalten, und ihnen nur neue Bedeutungen beygeleget.  
  Die besondern Kunst-Wörter hingegen sind diejenigen, die nur einen und dem andern Gelehrten eigen sind, in welchen ein Gelehrter auch von dem gelehrten Gebrauch selbst abweichet, und dieses ebenfalls auf obgedachte zweyerley Art.  
  Ob nun wohl der Gebrauch schlechter Dinges die Richtschnur ist, nach welcher die Wörter, wenn sie gut und richtig seyn sollen, sich richten müssen, so erhellet doch aus dem, was jetzo angeführet worden, daß man weder an dem gemeinen noch am gelehrten Gebrauch so streng gebunden sey. Dieses ist eben der Grund der bekannten richtigen Regel der Philosophen: philosopho licet onomatopoiein. Solche Freyheit in dem Gebrauche der Sprachen was zu ändern, stehet eigentlich nur den Erfindern neuer Wahrheiten zu, die sich derselbigen mit Vernunfft und Bescheidenheit bedienen müssen, wenn sie entweder neue Kunst-Wörter erfinden, oder die Bedeutungen der bereits eingeführten anders bestimmen wollen, welches Müller in der Logick c. 9. weiter ausgeführet, dessen Gedancken wir hier aus Walchs philosophischem Lexico vornemlich mitgetheilet haben.  
  Ob aber diese Freyheit neue Wörter zu machen sich auch auf die Dichter und Comödien-Schreiber erstrecke, dieses wollen viele Gelehrten läugnen. Was die erstern betrifft: so wollen besonders die neuern Kunst-Richter ihnen diese Freyheit nicht zugestehen. Es ist auch wohl richtig, daß viele Poeten damit einen grossen Mißbrauch getrieben haben. Einige haben geglaubt, sie könnten nicht anders sinnreich seyn, als wenn sie neue Mißgeburten in Worten und  
  {Sp. 280}  
  Redens-Arten ausheckten, und alles für platt und niedrig hielten, was nicht von grammatikalischen Schnitzern, Verdrehung der Wortfügung, und Verkehrungen der Gedancken wimmelt.  
  Was den Weltweisen, und Lehrern der Wissenschafften, in Verfertigung gantzer Lehrbücher frey stehet, das stehet darum einem Dichter nicht frey, der von seinen Wörtern keine Erklärungen geben kan, wie jene; sondern eine Sprache reden muß, die auch der Ungelehrte verstehet. Man hat es von der fruchtbringenden Gesellschafft und an dem Harsdörferischen und Zesischen Blumen und Schwanen-Orden zur Gnüge gesehen, wie wenig ihre neu gebackenen Wörter bey den Nachkommen Beyfall gefunden haben. Gleichwohl hat man nach der Zeit solche Ungeheuer als Machtwörter und Zierrathen der Schreibart anpreisen wollen, ohne welche ein Gedichte nicht schön seyn könne. Das lutescere und noctescere des Römischen Furius waren doch noch analogisch, das ist, nach der Ähnlichkeit anderer Wörter gemacht. Unsere Deutschen Furier aber fehlen auch darwider, und verstossen wider die deutlichsten Regeln der Sprach-Lehre; indem sie Frantzösische und Englische Barbarismos ins Deutsche mengen. Was aber hier von Deutschen Dichtern gesagt wird, das gehet auch die übrigen an, welche in andern Sprachen Verse machen. Denn sie müssen sich alle nach gewissen allgemeinen Regeln richten, worunter auch diese mit begriffen ist, daß sie in Verfertigung neuer Wörter entweder sehr behutsam und sparsam seyn, oder, wo möglich, sich derselben gar enthalten sollen.  
  Den Comödienschreibern will man so wenig als den Dichtern diese Freyheit einräumen. Die Ursache, warum man es den Poeten verbietet, gilt auch bey diesen. Es haben daher unterschiedene Kunst-Richter den grossen Moliere getadelt, daß er sich eine allzu grosse Freyheit heraus genommen, neue Worte und Ausdrückungen zu erfinden. Doch haben sich einige gefunden, ihm Recht wiederfahren lassen, und nur die Übermasse der Freyheit an ihm ausgesetzet, im Grunde aber nicht geläugnet haben, daß er sich derselben nicht sehr offt auf eine sehr glückliche, und für die Frantzösische Sprache vortheilhaffte Art bedient hätte. Er hat auch in der That etliche Wörter in Ansehen gebracht, welche viel Anmuth haben; und wenn irgend ein Sprachlehrer auf eine gantz widrige Art davon urtheilte: so würde er das Schicksal desjenigen verdienen, welcher den Poeten Furius getadelt hat, daß er gewisse Lateinische Worte erfunden hatte, welche die Rede abkürtzten, und für zarte Ohren nichts hartes hatten. Man lese diese Worte des Aulus Gellius XVIII B. II Cap. 494. u.f. S.  
  Non hercle idem sentio cum Caesellio Vindice Grammatico, ut mea opinio est, haud quaquam inerudito. Verum hoc tamen petulanter insciteque; quod Furium veterem poetam dedecorasse linguam Latinam scripsit, hujuscemodi vocum fictionibus, quae mihi quidem neque abhorrere a poetica facultate visae sunt, neque dictu profatuque ipso taetrae aut insuaves esse; sicuti  
  {Sp. 281|S. 154}  
  sunt quaedam alia ab illustribus poetis ficta dure et raucide. Quae reprehendit autem Caesellius Furiana, haec sunt: quod terram in lutum versam lutescere dixerit, et tenebras in noctis modum factas noctescere, etc.  
  Übrigens scheinet keine bessere Schmiede zu neuen Wörtern als die Comödie zu seyn. Denn wenn sie einige Neuerung der Sprache hervorbringt, die wohl aufgenommen wird: so bemächtigen sich derselben unzählige Leute zugleich, und breiten sie durch vielfältige Wiederholungen gar bald weit und breit aus. Man muß also überhaupt zu reden zugestehen, daß Moliere das Recht gehabt, die Theatralischen Materien mit neuen Worten und Redens-Arten zu bereichern, worinne er sich einen so grossen Nahmen erworben hatte: allein man kan wohl sagen, daß er sich seines Rechts gemißbrauchet habe. Denn man muß sich erinnern, daß bey solchen Materien diejenigen, die sie abhandlen, die Armuth der Sprache nicht so sehr empfinden, als die Scribenten der Dogmatischen Materien sie empfinden.  
  Man muß bekennen, saget Arnaud, in der Vorrede zur 5 Denunciat. der Philosophischen Sünde,  
  daß man den Mangel, den unsere Sprache an gewissen Wörtern hat, vielmehr empfindet, wenn man Materien von einer Wissenschafft abhandelt, als wenn man von gemeinen Sachen des bürgerlichen Lebens redet oder schreibet.  
  Es ist also gewiß, daß ein Comischer Poet nicht so sehr zu entschuldigen ist, als die Philosophen, welche Wörter schmieden. Diese zwingt eine unumgängliche Nothwendigkeit dazu. Man lese diese Klage des Lucretius I B. 137 v.  
  Nec me animi fallit, Grajorum obscura reperta
Difficile inlustrare Latinis versibus esse,
(Multa novis verbis praesertim cum sit agendum)
Propter egestatem linguae, et rerum novitatem.
 
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  Nunc et Anaxagorae scrutemur Homoeomeriam,
Quam Graeci memorant, nec nostra dicere lingua
Concedit nobis patrii sermonis egestas.
 
  Es hat sich Lucrez nicht bloß wegen der Gesetze des Sylben-Maaßes in dieser Dürftigkeit befunden, denn diejenigen, welche sich der Prosa beym Philosophiren bedienet, haben sich eben so, wie er beklagt, daß es ihnen an Worten gebreche. Seneca schreibet Epistola LVIII:  
  Quanta verborum nobis paupertas imo egestas sit, nunquam magis quam hodierno die intellexi. Mille res inciderunt, cum forte de Platone loqueremur, quae nomina desiderarent, nec haberent: quaedam vero cum habuissent, fastidio nostro perdidissent. Quis autem ferat in egestate fastidium.  
  Man bemercke hier die doppelte Quelle, welche uns Seneca von der Armuth der Sprachen anzeiget: Die eine ist, daß man gewisse Worte nicht gefunden hat: die andere, daß man viele Worte hat abkommen lassen. Allein man mercke auch, daß die Römer schon damahls, da sie nur kurtze Sinngedichte gemachet, sich beklaget haben, daß sie die Wörter nicht finden können, die sie gebraucht haben, siehe Plinius den Jüngern im XVIII Br. des IV B.  
  Doch ist auch dieses wahr, daß es mit Machung neuer Wörter, wie mit den Hervorbringungen der Natur zugehe: generatio unius est corruptio alterius. Die Geburt eines Worts ist gemeinig-  
  {Sp. 282}  
  lich der Tod eines andern. Dieses trifft vornehmlich in Franckreich ein, daher man hoffen kan, daß die Frantzösische Sprache niemahls aufhören werde dürfftig zu seyn.  
     

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Stand: 8. April 2013 © Hans-Walter Pries