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Zedler: Zufriedenheit [1] HIS-Data
5028-63-1115-4-01
Titel: Zufriedenheit [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 63 Sp. 1115
Jahr: 1750
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 63 S. 571
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Übersicht
I. Vorläufiger Erweiß, daß die Menschen zu aller Zeit eine Glückseeligkeit in dieser Welt vergeblich gesuchet.
II. Natur und Art der Zufriedenheit.
III. Ursachen, warum man soll zufrieden seyn.
IV. Daß Zufriedenheit das höchste Gut des Menschen in diesem Leben sey.
V Wie sich Zufriedenheit, Freundschafft, Seeligkeit und Gesundheit, Wahrheit und Tugend gegen einander verhalten.

  Text Quellenangaben
  Zufriedenheit, Lat. Adquiescentia, ist derjenige Zustand des menschlichen Gemüths, da man sich die Ordnung und Regierung GOttes in der Welt gefallen lässet.  
  Die Ordnung GOttes, die man sich hier gefallen lässet, äussert sich darinnen, daß das Gute und Böse mit einander gemischet, welche Mischung man also annimmt, daß man glaubet, man habe über ein jedes Glück, es schiene so groß als es könne, sich nicht auf das höchste zu erfreuen, und über das den Schein nach grössere Unglück sich nicht sonderlich zu betrüben. Walchs Philosophisches Lexicon.
  Diese Materie hat Rüdiger in der Anweisung zu der Zufriedenheit der menschlichen Seele weitläufftig ausgeführet und gezeiget, wie man solche Zufriedenheit als das höchste Gut dieses Zeitlichen Lebens zu achten habe. Und eben diese Schrifft wollen wir hauptsächlich in dem gegenwärtigen Artickel zum Grunde legen:  
     
  I. Vorläufiger Erweiß, daß die Menschen zu aller Zeit eine Glückseeligkeit in dieser Welt vergeblich gesuchet.  
  Ehe wir zu der rechten Abhandlung von der Zufriedenheit, als dem höchsten Gute in dieser Welt, schreiten, müssen wir vorher noch eine andere, nehmlich daß die Menschen zu aller Zeit eine Glückseeligkeit in dieser Welt vergeblich gesuchet, mitnehmen, und uns dabey in etwas aufhalten.  
  Es ist klar und ausgemacht, daß GOtt die Dinge, so die Natur ausmachen, dergestalt zusammengefügt, daß der Mensch in dieser Welt weder rechte Glückseeligkeit noch Unglückseeligkeit haben kan: Was aber nicht zu haben ist, das soll man auch nicht suchen oder fürchten. Gleichwohl hat ein der menschlichen Seele angebohrner Trieb zur Glückseeligkeit die Menschen zu aller Zeit dergestalt verführet, daß von dem Fall an, bis hieher, Gelehrte so wohl als Ungelehrte, immer in allen ihren Thun und Lassen Glückseeligkeit gesuchet: So gar, daß auch die Weltweisen eine eigene Wissenschafft davon gemacht, welche die Ethick heisset, dar-  
  {Sp. 1116}  
  innen sie von der Glückseeligkeit, (peri eudeimonias) wie Aristoteles, welcher sie auch gar nachdencklich, das dem Menschen eigene Gut, (to anthrōpinon agathon) nennet, handeln, oder von der letzten Absicht, (de fine bonorum) wie Cicero, bey dem es auch hier und dar den Nahmen des höchsten, letzten auch äussersten Guts, (boni summi, ultimi, extremi) hat, nehmlich, welches in Ansehen anderer Güter allein der Zweck ist, und dem die andern als Mittel müssen aufgeopffert werden.  
  Diese Wissenschafft, ob sie wohl in ihren Mitteln, da sie von der Tugend und denen Gemüths-Bewegungen handelt, viel Gutes zeiget, so ist sie doch in Ansehen ihres Zwecks, nehmlich Glückseeligkeit in dieser Welt zu erlangen, nicht allein eitel und vergeblich, sondern auch dem menschlichen Geschlechte schädlich. Denn da die Gelehrsamkeit deswegen da ist, daß sie allgemeine und schädliche Irrthümer ausrotten soll, so hat sie hingegen den fast allerschädlichsten unter denen Menschen destomehr gestärcket. Man solte es zwar anfänglich nicht vermeynen, daß eine vergebliche Begierde so grosses Unheil stifften könne, wir wollen aber jetzt erweisen, daß eben diese Begierde der Ursprung alles Übels in dieser Welt sey.  
  Alles Übel, welches uns begegnen kan, kömmet entweder von GOtt, oder der Natur, oder andern Menschen, oder uns selbst her. Das Übel, so von GOtt kömmet, ist unsere wohlverdiente Straffe, und kan nicht anders, als durch Busse und Gebet, vermieden werden, oder es gehöret zu der von GOtt in der Natur gestiffteten Mischung des Guten und des Bösen, und hat seinen anderwerts erwiesenen Nutzen. Das aber, so von der Natur entstehet, ist bißweilen durch der Menschen Klugheit, jedoch nicht allezeit, vermeidlich.  
  Wenn wir nun sagen, daß alles Übel, von der Begierde Glückseligkeit in dieser Welt zu suchen, herrühre, so verstehen wir nicht das Göttliche Übel, auch nicht das natürliche, sondern nur das menschliche, das ist, dasjenige, so von uns, oder andern Menschen, kömmet: von diesen allen kan man sagen, daß es von der übel angebrachten Begierde Glückseeligkeit zu suchen, herrühre, und wird folgendergestalt erwiesen: Alles Übel, so von uns und andern Menschen entstehet, ist ein menschliches Übel: alles menschliche Übel kömmet entweder von der Menschen Thorheit oder Boßheit her. Denn wenn es einen andern Ursprung hätte, so müste derselbe entweder Klugheit oder Tugend, oder natürliche Beschaffenheit des Leibes und der Seelen seyn.  
  Es kan aber weder von Klugheit noch Tugend ein menschlich Übel kommen, weil keine von beyden ihren Neben-Menschen etwas böses zugefügt. Und wenn man meynen solte, daß die Klugheit solches wohl thun könte, so bedencke man, daß die Klugheit eben dadurch nicht Klugheit bliebe, sondern sich in Boßheit verwandelte. Solte es von natürlicher Beschaffenheit des Leibes und der Seelen entstehen, so gehöret dieser Fall, nach den vorhergehenden, nicht hieher.  
  So kömmet demnach alles menschliche Übel entweder von Thorheit oder Boßheit derer Menschen. Wenn wir derowegen erweisen können, daß alle Thorheit und Bosheit der Menschen von der Begierde der Glückseeligkeit in dieser Welt herrühre, so werden wir, was wir  
  {Sp. 1117|S. 572}  
  versprochen, geleistet, nehmlich unsern Leser überzeuget haben, daß die Begierde zeitlicher Glückseeligkeit der Ursprung alles Übels sey.  
  Es ist aber deswegen gedachte Begierde der Ursprung aller Thorheit und Boßheit unter denen Menschen, weil sie eine ehrbare Mutter ist dreyer ungerathener Töchter, der Ehresucht, Geldsucht und Wollust. Denn daß von diesen dreyen alle Thorheit und Boßheit derer Menschen entstehe, ist bekannt.  
  Jetzt wollen wir nur erweisen, daß und wie gedachte Begierde diese drey schlimmen Töchter gebohren. Denn die angebohrne Begierde der Glückseeligkeit hat die Menschen veranlasset, eine in dieser Welt zu suchen, und sie haben nicht gewust, (weil sie so gar auch ihre Weltweisen eine allhier zu suchen verleitet) daß sie in dieser Welt nicht zu finden sey.  
  Dazu gehöreten nun nothwendig solche Mittel, die lauter Annehmlichkeit ohne einige Verdrüßlichkeit würckten: und obwohl in der That und Wahrheit dergleichen eben so wenig, als Glückseligkeit selbst, vorhanden waren, so sahen doch die Menschen leicht einige davor an. Die davor konnten gesehen werden, musten wenigstens sehr viel, und zwar sinnliche Annehmlichkeit haben, und wenig Verdrüßlichkeit entweder haben, oder doch zu haben scheinen: Denn die Menschen werden zu aller Zeit von denen Sinnen, und was nur scheinet, kräfftiger gerühret, als von der Vernunfft und den Gedancken.  
  Dergleichen Mittel waren z.E. die Gesundheit, als deren Annehmligkeiten nicht allein sehr viel, sondern auch sogleich sinnlich sind. Allein weil sie jeder ohne seine Bemühung haben konnte, so wurde sie zu keiner so hefftigen Begierde, wie diejenigen, davon wir gleich jetzt wollen Meldung thun; Zudem sahe man auch aus dem Exempel anderer gesunden Menschen, daß die Gesundheit zur Glückseligkeit nicht hinlänglich sey, weil wir alle Tage viel gesunde, und doch sonst sehr geplagte Menschen sehen.  
  Zu diesen Mitteln sind auch zu zählen Wahrheit und Tugend. Allein vors erste, waren sie schwerer zu erlangen, und ihre Würckungen nicht so gleich sinnlich. Denn ehe die Wahrheiten Annehmlichkeiten bringen und sinnlichen Nutzen, müssen sie wohl zehen und mehrmahl verbunden werden; und wer in einer eintzigen Verbindung fehlet, verlieret seinen Zweck.  
  Ob nun wohl eine eintzige solche, bis zu der Sinnlichkeit gebrachte Wahrheit, hernach vorige Mühe reichlich ersetzet, indem sie in tausend Begebenheiten kan genutzet werden, so konnten doch, und können es auch noch heute zu Tage die wenigsten begreiffen, sondern sie meynen, die Erkenntniß der Wahrheit wäre vergeblich, weil ihr Thierischer Geist auf nichts als Sinnlichkeit fället, und von jeder Wahrheit gleich unmittelbar den Geld-Sack will gefüllet haben; Den sie hernach zu Thierischen Absichten zu gebrauchen gedencken.  
  Was die Tugend anbelanget, so ist sie noch schwerer zu erlangen, als die Wahrheit, und ihre Würckungen sind noch weniger von den äusserlichen, oder cörperlichen Sinnen, (von diesen allein ist hier die Rede) zu empfinden. Denn die Tugend ist zwar in der menschlichen Gesellschafft die Ursache des höchsten Gutes derselben, nehmlich der Freundschafft, sie  
  {Sp. 1118}  
  bringet auch einiger massen dem Menschen insonderheit einen nicht geringen Theil der Zufriedenheit, scheinet auch eintzig und allein zur ewigen Glückseligkeit zu führen; Allein keine von diesen Würckungen rühret die cörperliche Sinne. Denn weder die ewige Glückseligkeit, noch der Theil der Zufriedenheit, den die Jugend würcket, (nehmlich die Ruhe der zuvor sich widerstrebenden Gemüths-Neigungen) mag anders als innerlich, durch die Seele, empfangen werden. Weil nun die Menschen von den äusserlichen Sinnen empfindlicher beweget werden, als von denen innerlichen der Seele, so siehet man, warum der natürliche Trieb der Glückseligkeit nicht auch auf die Tugend gefallen ist.  
  Aber hierbey fraget man nicht unbillig, ob es denn auch gewiß sey, daß der Mensch von den äusserlichen Sinnen des Leibes empfindlicher beweget werde, als von denen innerlichen der Seele? Wir bejahen diese Frage, und erweisen sie also:  
  Erstlich bescheiden wir uns, daß, da wir die Verderbniß, das ist, die Zeugung derer drey Haupt-Neigungen, erst beweisen wollen, wir sie, zur Zeit, zum Grunde unsers Beweises noch nicht annehmen dürffen, und dannenhero den Menschen noch, als ob er ohne Verderbniß wäre, betrachten müssen: Zum andern setzen wir voraus, daß einige natürliche, von GOtt gegebene Begierden sind, an und bey deren Erfüllung sich der Mensch natürlich und unschuldig belustiget.  
  Nehmlich zur Erhaltung des Leibes hat GOtt gegeben die Lust zu essen, zu trincken, und zu schlaffen, die Begierde alles verdrüßliche, und dem Leibe schädliche loß zu werden: Zur Erhaltung des menschlichen Geschlechts, die Begierde und Lust Kinder zu zeugen, dieselben zu lieben, und von ihnen geliebet zu werden. Diese Arten der Annehmlichkeiten gehen allein auf den Leib. Hingegen bey der Seelen finden sich nicht mehr als drey Arten der Lust, nehmlich in Ansehen des Verstandes die Lust der Wahrheit, und in Ansehen des Willens, die Lust der Seligkeit, und die Lust der Menschen Liebe, jene gehet auf die Vereinigung mit GOtt, diese auf die Vereinigung mit Menschen.  
  Da nun also nur drey Arten der Seelen-Lust, und folglich der innerlichen Empfindung sind, hingegen sechs bis sieben der äusserlichen oder Cörperlichen, so ist kein Zweiffel mehr, daß die Seele, auch vor den Zustand der Verderbniß, hefftiger von denen Empfindungen des Leibes, als der Seelen gerühret worden sey. Denn der Mensch ist in diesem Leben mehr leiblich, (als wenn man also reden darf) seelisch: Aber in jenen Leben, da alle gedachte Leibes-Lust aufhören wird, haben wir Ursache zu glauben, daß er mehr wird seelisch seyn: und dieses ists vielleicht, was die Heilige Schrifft einen verklärten Leib nennet. Nehmlich das ist die Meynung, daß die Thätlichkeiten des Leibes in diesem Leben über die Thätlichkeiten der Seelen herrschen, aber in jenem Leben werden die Thätlichkeiten der Seelen die Thätlichkeiten des Leibes überwinden.  
  Bisher genenneten Mitteln fehlet es an der Vielheit der Lust nicht, sondern an der äusserlichen Sinnlichkeit, wie erwiesen.  
  {Sp. 1119|S. 573}  
  Darum ist die Begierde der Glückseligkeit auf andere Mittel gefallen, bey welchen nicht allein die Vielheit der Lust, sondern auch die äusserliche Sinnlichkeit sich befunde: dergleichen waren vornehmlich dreye, Ehre, Geld und Wollüst. In diesen suchte die Seele deswegen Glückseligkeit, weil sie sehr viel, und zwar äusserlich empfindbare Annehmlichkeiten hatten. Denn die Wollust ist vor sich angenehm, Ehre und Geld geben uns Macht nach unsern Willen zu handeln; und also sind auch diese nicht allein höchst angenehm, sondern ihrer Annehmlichkeit kan auch sogleich durch die äusserlichen Sinne empfunden werden.  
  Da nun die Begierde zur Glückseligkeit mit ihrem gantzen Triebe auf diese Dinge, als wahre und eintzige Mittel ihres Zwecks fiele, und alle Augenblicke die Glückseligkeit aus ihnen heraus zu suchen bemühet war, so würckte diese stetige Begierde dasjenige, was alle offt wiederhohlte Übung würcket, nehmlich eine Fertigkeit, nach gedachten Dingen zu streben, woraus Ehrgeitz, Geldgeitz und Wollust entstanden.  
  Hieraus nun ist offenbahr, daß die unzeitige Begierde der Glückseligkeit, die wahre Ursache alles Übels unter denen Menschen sey, mithin, daß man sie ferner allhier zu suchen, abstehen solle. Denn warum ist Pamphilus seinen Eltern ungehorsam, seinen Freunden untreue, warum setzet er diese so nöthige Sorge seiner zeitlichen Erhaltung hindan? Weil er die Glückseligkeit bey dieser suchet. Warum wird einer bestohlen, ein anderer gehenckt? Weil dieser Glückseligkeit im Müßiggange gesucht, und nicht mit einer arbeitsamen Armuth zufrieden gewesen. Warum entstehen blutige Kriege, dadurch Land und Leute verderbet werden? Weil ein Fürst Glückseligkeit in Besitzung fremder Länder gesuchet, und mit den Seinigen sich nicht begnüget. Kurtz, woher kömmet alles Unglück in der Welt? Von Ehrgeitz, Geldgeitz und Wollust; diese aber von der Begierde der Glückseligkeit.  
  Es ist, wie bekannt, eine jede von diesen Neigungen bis in die Unendlichkeit geschäfftig: darum will ein jeder Geldsüchtiger allein mehr Geld haben, als deren in der Natur zu finden, und derer Ehr- und Geldsüchtigen sind so viel in der Welt, daß man sie nicht mit tausenden, sondern mit Millionen zählen muß. Wie will nun das seltsame Geld, und die noch seltsamere Ehre, so viel nach der Unendlichkeit graßirende Gemüther vergnügen? Es kan nicht anders seyn, bey so gestalten Sachen, müssen sie einander selbst das erhaltene wiederum zu entreissen sich bemühen: und von sothaner Bemühung entstehet fast alles Elend in der Welt.  
     
  II. Natur und Art der Zufriedenheit.  
  Weil demnach keine Glückseligkeit allhier zu erhalten, indem immer in allen Dingen Lust mit Unlust gemischet ist, so ist die Zufriedenheit und Gelassenheit das eintzige Mittel zu einen vergnügten Leben. Es fragt sich aber vor allen Dingen, was denn Zufriedenheit sey? Und hierauf dienet, wie bereits zu Anfange des Artickels angezeiget worden, zur Antwort, wenn man sich die Ordnung GOttes gefallen lässet, und die Mischung  
  {Sp. 1120}  
  von Glück und Unglück also annimmt, daß man glaube, man habe über jedes Glück, es scheine so groß als es könne, nicht im höchsten Grad sich zu erfreuen, und über das nach dem Scheine gröste Unglück, sich nicht sonderlich zu betrüben, welches vor Zeiten Ariston mit einem Griechischen Worte artig adiaphorian nennete.  
     
  III. Ursachen, warum man soll zufrieden seyn.  
  Und wer wolte mit gedachter Mischung der Lust und Unlust nicht zufrieden seyn? Die Lust ist ohnedem angenehm: Die Unlust soll uns, wenn wirs recht bedencken, viel angenehmer seyn; denn sie treibet uns an, unsere Gedancken von dieser Welt zur ewigen wahren Seelen-Lust zu erhöhen.  
  Wenn in dieser Welt lauter Lust wäre, so müste der Mensch auch unsterblich seyn, oder er wäre viel elender dran, als er bey dieser Mischung von Lust und Unlust ist. Denn der gröste Helden-Muth vermöchte nicht an den Todt, als welcher ihm die Glückseligkeit raubete, ohne Erzittern zu gedencken. Wer wolte ferner mit gedachter Mischung nicht zufrieden seyn, wenn man bedencket, daß die Unlust der Lust von GOtt so wesentlich einverleibet sey, daß keine Menschen-Macht dieselbe scheiden, ja nicht einmahl vermindern kan, ausser Klugheit und Tugend: Diese beyde Mittel aber kan ein jeder Mensch haben, er mag hach oder niedrig, reich oder arm seyn. Gedachte Zufriedenheit ist ein Zustand des Gemüthes, aus welchem eine Art zu leben folget, die man Gelassenheit nennet.  
  Es giebt aber auch noch andere Ursachen gedachter Zufriedenheit: Durch GOttes allweise Einrichtung geschiehet es, daß, wenn wir das Böse nicht durch unsere Gemüths-Neigungen häuffen, oder thörichter Weise in der Mischung dieser zeitlichen Dinge allein betrachten, und durch närrische Vorstellung vergrössern, das beygefügte Gute aber nicht ansehen, ein jedes Übel seine Heilung und Mittel gleich bey sich hat; gleichwie auch, damit sich niemand in die Welt vergaffe, jede Freude ihr Übel bey sich führet.  
  Wäre Glückseligkeit in dieser Welt zu erlangen, so könnten Weise und Fürsten vor andern glückselig seyn, jene durch Vernunfft, und diese durch Macht: ein weiser Fürst durch beyde; Aber es ist doch in dieser Welt niemahls kein Weiser oder Fürst glückselig gewesen. Salomon selbst, bey welchem Fürstlichkeit und Weisheit vereiniget war, indem er in der Liebe des Frauenzimmers die Glückseligkeit suchte, muste zuletzt die Verschertzung seiner Ruhe gestehen.  
     
  IV. Daß Zufriedenheit das höchste Gut des Menschen in diesem Leben sey.  
  Gedachte Zufriedenheit ist das eintzige und wahrhafftige höchste Gut des Menschen in diesem Leben: Des Menschen nehmlich, denn die gantze menschliche Gesellschafft hat ein anderes höchstes Gut, nehmlich die Freundschafft. In diesem Leben ist nehmlich die Zufriedenheit das höchste Gut: Denn das höchste Gut jenes Lebens, oder die Seligkeit, ist das höchste Gut unter allen.  
  So sind demnach drey höchste Güter:  
  1) die  
  {Sp. 1121|S. 574}  
  Zufriedenheit, das höchste Gut des Menschen in diesem Leben:  
  2) Die Freundschafft, das höchste Gut der menschlichen Gesellschafft:  
  3) Die Seeligkeit, das vor allen andern höchste Gut des Menschen und der menschlichen Gesellschafft.  
  Der Beweis nur gemeldeter drey höchsten Güter erhellet daraus: Das höchste Gut des Menschen ist der beste Zustand desselben, den er erlangen kan: Denn wenn er ihn nicht erlangen kan, so kan er ihn nicht empfinden, und ein Gut, daß man nicht empfinden kan, ist kein Gut. Wenn nun in diesem Leben keine Glückseeligkeit zu finden, indem Lust und Unlust unzertrennlich sind, so würde der Mensch sich muthwillig elend machen, wenn er dasjenige suchen wolte, was er gewiß weiß, daß es nicht zu finden, und also auch nicht zu empfinden sey. So muß er demnach das, nach der Glückseeligkeit nächste Gut suchen, dieweil sonst keines zu finden ist: Das aber kan nichts anders seyn, als die Zufriedenheit: Denn wo keine Glückseeligkeit ist, da ist nichts bessers, als daß man mit dem Mangel der Glückseeligkeit zufrieden sey, und daß man durch Unzufriedenheit sich nicht mehr Noth mache, als GOtt und die Natur uns zugedacht.  
  Das höchste Gut der gesammten menschlichen Gesellschafft ist von gedachter Zufriedenheit in so weit unterschieden, daß die Tugend nur unter den Mitteln der Zufriedenheit ist: Hingegen ist sie das eintzige und zulängliche Mittel der Freundschafft, welche gedachter massen das höchste Gut der menschlichen Gesellschafft ist. Das aber die Freundschafft dieses sey, ist daraus klar,  
  1) weil kein besserer Zustand der menschlichen Gesellschafft seyn kan, als wenn alle Menschen in Freundschafft mit einander leben,  
  2) daß dergleichen Zustand zu erlangen sey, können wir zwar mit keinem Exempel des gantzen menschlichen Geschlechtes erweisen, jedoch aber, welches auch zu unsern Vorhaben gnung ist, mit dem Exempel kleinerer Gesellschafften als der ersten Christen; ingleichen Damons und Pythias, auch anderer.  
  Das dritte höchste Gut, sowohl des Menschen insonderheit, als des gesammten menschlichen Geschlechts, nehmlich die Seeligkeit, daß sie das höchste Gut unter allen andern höchsten Gütern sey, erhellet daraus, weil Zufriedenheit und Freundschafft noch viel Unlust bey sich haben, die Seeligkeit aber eine lautere Lust ohne einige Unlust ist.  
  Dieses sind die drey rechten wahren Güter des Menschen, welche schlechterdings den Nahmen der Güter verdienen. Unter diesem Nahmen der schlechterdings zu benennenden Güter wollen einige Weltweise auch die Gesundheit, wie Aristoteles Lib. I. Eth. …; andere die Wahrheit, wie Socrates (siehe Diogen. Laert. in dessen Leben); und wiederum andere die Tugend, wie Seneca und die Stoicker, davor halten, und eines unter diesen vor das eintzige wahrhafftige Gut ausgeben.  
  Allein ob zwar besagte drey Güter, wahrhafftige Güter sind, auch ausser den oben abgehandelten drey wahren Gütern, vor allen andern, einen gantz besondern Vorzug haben, deren auch in dieser Art nicht mehr und nicht weniger als dreye sind; dennoch aber sind sie vor Haupt-Güter, und die schlechterdings also zu nennen, fernerhin, da wir nun, daß drey andre höchste Güter des Menschen sind, erwie-  
  {Sp. 1122}  
  sen, nicht mehr zu halten. Denn wenn etwas den Nahmen eines Gutes führet, so geschiehet es nur in zweyerley Verstande: entweder es heisset also, weil es ein Mittel ist eines guten menschlichen Zwecks, oder weil es ein Zweck selbst ist, welcher mit einem göttlichen Zweck übereinkömmet. Alles was in der Welt ist, es mögen selbstständige Wesen oder Kräffte seyn, das sind, oder sollen seyn, Mittel menschlicher und göttlicher Absichten: Darum sagt die H. Schrifft, GOtt habe angesehen alles, was er gemacht, und befunden, daß alles sehr gut sey.  
  In diesem Verstande sind die menschlichen Absichten selbst Mittel derer göttlichen: Ja auch viele von den göttlichen Absichten können also betrachtet werden, daß eine der andern Mittel ist: Als wenn GOtt will, daß die Menschen in Gesellschafft bey einander leben, und will auch, daß ein Mensch des andern Nutzen befördern, so kan der erste Wille als ein Mittel des andern angesehen werden.  
  Ob aber gleich alle Dinge in dieser Welt eigentlich nur Mittel sind, so werden sie doch von den Menschen eine Zeitlang zu Absichten gemacht; das ist, so lange man ein Mittel, welches man zu gebrauchen gedencket, noch nicht hat, werden andere Mittel angewendet, dieses zu erlangen, und so lange ist das Mittel zur Absicht worden: Z.E. 10 Thaler sind ein Mittel eine Schuld zu bezahlen, wenn ich dieses Geld schon habe; habe ich es noch nicht, so muß ich Mittel brauchen solches zu erlangen, und binnen dieser Zeit ist gedachtes Geld eine Absicht.  
  Es sind sowohl die Absichten als Mittel zweyerley, beständige und veränderliche. Eine beständige Absicht nennen wir, die niemahls zum Mittel wird, gleichwie ein beständiges Mittel, das niemahls zur Absicht wird: so ist demnach ein veränderliches Mittel, das bisweilen ein Mittel, bisweilen eine Absicht ist. Eine veränderliche Absicht, die bisweilen eine Absicht, bisweilen ein Mittel ist. Eine gantz beständige Absicht ist allein in GOtt; weil alle menschlichen Absichten Mittel sind zu den göttlichen: Ein gantz beständiges Mittel ist nur, was vor das gantze menschliche Geschlecht überflüßige Kräffte hat, (welche die Gelehrten res inexhaustae utilitatis nennen) als Lufft, Wasser und dergleichen.  
  Wenn wir nun von den eintzelen Dingen anfangen, so ist immer eins des andern sein Mittel: Und wenn wir durch die Veränderung sothaner Mittel und Absichten von der Menschlichkeit uns bis in die Göttlichkeit erhöhen, so finden wir daselbst eine letzte reine und beständige Absicht, welcher wegen alles in der Natur geschicht: Und weil niemand diese Absicht begreiffen kan, so wird sie, nach der Art, wie wir Menschen sonst von dem göttlichen Wesen zu lallen pflegen, die Ehre GOttes, zu welcher alle Kräffte des Menschen und der Natur müssen angewendet werden, genennet. Und weil nichts in GOtt ist, das nicht GOtt selbst sey, so ist sie auch das göttliche Wesen selbst.  
  Dannenhero weiset Aristoteles seine Atheistischen Klauen, wenn er wider seinen redlich gesinnten Lehrmeister den Plato behaupten will, daß kein autoagathon, oder solches Gut vorhanden sey, welches vor sich, ohne daß es als ein Mittel eines andern Guten zu betrachten sey, vor gut zu achten; indem nicht allein GOtt selbst, sondern auch die letzte göttliche Absicht allerdings ein solches autoagathon oder Selbst-Gut ist.  
  {Sp. 1123|S. 575}  
  V. Wie sich Zufriedenheit, Freundschafft, Seeligkeit und Gesundheit, Wahrheit und Tugend gegen einander verhalten.  
  Darum, wenn wir sagen solten, was schlechterdings das höchste Gut ist, so können wir nichts anders als dieses autoagathon oder diese letzte göttliche Absicht, oder auch das göttliche Wesen selbst davor halten, nach dem allgemeinen Sprüchwort, daß GOtt das höchste Gut sey. Wenn wir aber von dem höchsten Gut des Menschen gefraget werden, so kan er oder seine Seele in dreyerley Zustande betrachtet werden:  
  1) Als ein eintzeles Wesen, so ist dessen höchstes Gut, gedachter und erwiesener massen, die Zufriedenheit,  
  2) als ein Theil der menschlichen Gesellschafft, so ist dessen höchstes Gut, das höchste Gut der Gesellschafft, nemlich die Freundschafft;  
  3) als ein Mitglied der Heiligen im Himmel, so ist denn sein höchstes Gut die Seeligkeit.  
  Es ist demnach GOtt und die göttliche Ehre das allerhöchste Gut; Zufriedenheit, Freundschafft und Seeligkeit sind die höchsten Güter des Menschen, so ferne er in dem Zustande der zeitlichen Einsamkeit, oder der zeitlichen Gesellschafft, oder der Ewigkeit lebet.  
  Diese höchsten Güter mögen auch schlechterdings Güter, oder Haupt-Güter genennet werden. Hingegen die ehemahls, durch Verführung andrer Gelehrten, davor gehaltene Gesundheit, Wahrheit und Tugend, sind nur Mittel, davon ein jedes sowohl zu der Zufriedenheit, als Freundschafft dienet, Wahrheit und Tugend auch zur Seeligkeit.  
  Es haben doch aber gedachte drey Mittel vor allen andern diesen Vorzug, daß sie dem Menschen wesentlich sind: Denn der Mensch ist wesentlich, wo nicht ein gesundes, doch lebendes Geschöpffe; und welches sich der Wahrheit und Tugend befleißigen soll. Darum ist es nur eine rohe Gedancke, wenn Seneca und andre davor gehalten, daß die Tugend nur alleine gut sey.  
     

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Stand: 29. März 2013 © Hans-Walter Pries