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Zedler: Zufriedenheit [3] HIS-Data
5028-63-1115-4-03
Titel: Zufriedenheit [3]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 63 Sp. 1131 (Vorlage: 1031)
Jahr: 1750
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 63 S. 579
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Übersicht
VI. Mittel, die Zufriedenheit zu erlangen. (Forts.)
 
(2) Die eigene Mittel zur Zufriedenheit.
 
(a) Der rechte Gebrauch der Furcht und Hoffnung, als das erste eigene Mittel der Zufriedenheit.

  Text Anmerkungen
  (2) Die eigene Mittel zur Zufriedenheit.  
  Als eigene Mittel zur Zufriedenheit zu gelangen, haben wir folgende drey angegeben:  
  1) Den rechten Gebrauch der Furcht und Hoffnung;  
  2) Die Vergleichung des Guten und Bösen; und  
  3) den Vorschmack der Seligkeit.  
  Wir wollen von jedem Mittel nunmehro besonders handeln.  
     
  (a) Der rechte Gebrauch der Furcht und Hoffnung, als das erste eigene Mittel der Zufriedenheit.  
  Die Furcht und Hoffnung, wenn sie nicht recht gebrauchet werden, sind eine sehr wichtige Ursache der gestöhrten Zufriedenheit derer Menschen, und der rechte Gebrauch derselben beruhet auf so vielen, insgemein nicht bekannten Regeln, dahero wir solche Materie in etwas zu erläutern uns bemühen werden.  
  Denn es ist die betrogene Hoffnung eine Noth darüber die gantze Welt klaget, niemand ist davon ausgenommen, als diejenigen, welche ihr früher Todt den Ausgang gehöneter Hoffnung nicht hat erwarten lassen. Darum giebt es Leute, die würcklich wünschen, lieber jung zu sterben, als alt zu werden: Welche die-  
  {Sp. 1132}[1]
[1] HIS-Data: korrigiert aus: 1032
  jenigen sind, so in dieser Welt gar zu begierig nach der Glückseeligkeit streben. Denn nachdem sie einen und den andern Ausgang vergeblicher Hoffnung erlebet, so fürchten sie sich dergleichen mehr zu erwarten, hefftiger, als vor dem Todte selbst.  
  Hingegen ist die vergebliche Furcht ein Elend anderer, welche entweder aus Mangel der Überlegung, oder aus Verleitung ihrer Gemüths-Art, oder beyden sich immer mit Vorstellung lauter Angst und Noth vergeblich quälen, da sie doch so wohl, als andere Menschen zufrieden seyn könnten.  
  Um nun das Elend der eiteln Furcht und betrogenen Hoffnung zu vermeiden; muß man sich den vernünfftigen Gebrauch aller beyder anbefohlen seyn lassen. Es bestehet aber derselbe vornehmlich in dreyen Puncten:  
  1) Daß, um zu sehen, was man fliehen oder begehren könne und solle, man die Lehre von vernünfftigen Begehren sich wohl bekannt mache.  
  Weil nun, was man fliehen oder begehren soll, nehmlich Sünde und Tugend, uns von GOtt einigermassen in unsere Gewalt gegeben ist, so haben wir disfalls keine Regeln der Klugheit von nöthen: Wenn ferner von denenjenigen, was man fliehen oder begehren kan und darf, nicht so gleich alles vernünfftig ist, zu fliehen oder zu begehren, so bestehet  
  2) der rechte Gebrauch der Furcht und Hoffnung darinnen, daß man wisse, was man fürchten oder hoffen solle.  
  Endlich muß man  
  3) auch wissen, wie man sich im Fürchten und Hoffen zu verhalten habe.  
  Es fragt sich aber allhier gleich Anfangs: Was man denn fürchten und hoffen soll? Da denn mit Versicherung der Wahrheit zu sagen: Nehmlich  
  1) was (in Ansehung des Verstandes) wahrscheinlich ist, und (in Ansehung des Willens) uns an der Zufriedenheit dieses, oder Seeligkeit des ewigen Lebens hindert, dieses allein sollen wir fürchten: Ferner, was wahrscheinlich und ein Mittel der zeitlichen Zufriedenheit, oder ewigen Seeligkeit ist, dieses allein sollen wir hoffen.  
  Wir sollen demnach nur wahrscheinlich Dinge fürchten und hoffen. Es werden also gantz gewisse Dinge ausgeschlossen, weil sie niemahls ein Gegenstand der Furcht und Hoffnung seyn können: Indem beyde auf das Zukünfftige gehen, zukünfftige Dinge aber alle ungewiß sind.  
  Ferner sollen wir auch blos mögliche Dinge weder hoffen noch fürchten; bloß mögliche Dinge aber sind, welche entweder gar keine Umstände vor sich haben, oder doch so viel wider sich, als vor sich. Denn bey den blossen Möglichkeiten kan eins und seyn Gegentheil so leicht als das andere geschehen. Z.E. Es ist möglich, daß es morgen regne, und es ist eben auch so möglich, daß es nicht regne. Weil uns nun alle vernünfftige Furcht und Hoffnung zu Mitteln antreiben soll; hier aber, weil beydes möglich ist, keine vernünfftige können ergriffen werden: So folget, daß bey blosser Möglichkeit keine Furcht und Hoffnung Platz finde.  
  Es können aber deswegen keine Mittel angewendet werden, weil sie auch, wie die Möglichkeit, einander müsten entge-  
  {Sp. 1133|S. 580}  
  gen seyn, folglich hübe eines des andern seine Kräffte auf, und die Anwendung wäre gantz vergeblich. Z.E. wenn ich bey der Möglichkeit des Regens mich wolte zu Mitteln bequemen, so müste ich zugleich pflantzen und nicht pflantzen wollen.  
  Auch kan man deswegen Möglichkeiten weder fürchten noch hoffen, weil sie fast unendlich sind, und uns so viel würden zu thun geben, daß wir die Mittel einer wahrscheinlichen, das ist vernünfftigen Furcht und Hoffnung dabey nicht abwarten könnten. Also zeiget uns nun die Natur blosser Möglichkeit, das gehoffete und gefürchtete Möglichkeiten vergeblich sind.  
  Aber auch die Natur der Furcht und Hoffnung weiset es. Denn gehoffte Möglichkeiten quälen, weil sie immer nicht erfolgen: gefürchtete sind vergeblich, weil alle Furcht vergeblich ist, die keine Mittel würcket. Es können aber keine gewürckt werden, weil nach dem, was wie oben gesaget, die Möglichkeit keine leidet. Ja endlich, wenn man das wolte fürchten, was möglich ist, so könnte kein Mensch in dieser Welt einen frohen Augenblick geniessen.  
  Jedoch muß dieser Satz, daß man keine Möglichkeit weder fürchten noch hoffen solle, ein wenig eingeschräncket werden: indem bey einigen Umständen dennoch auch blosse Möglichkeit zu fürchten und zu hoffen nicht unrecht ist.  
  Dieses wohl zu zeigen, müssen wir zuvor einen Unterschied, welcher so wohl von der Möglichkeit als Wahrscheinlichkeit gielt, angeben. Nehmlich wir befinden, daß sowohl Möglichkeit als Wahrscheinlichkeit in Ansehen derer Mittel, die bisweilen in unserer Gewalt und bisweilen nicht sind, zweyerley ist, davon die eine, deren Mittel in unserer Gewalt sind, die antreibende: die andere aber die ruhende Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit kan genennet werden.  
  Weil wir nun hier nur von der Möglichkeit zu reden haben, so soll man niemahls die ruhende Möglichkeit fürchten, weil die Furcht keinen andern vernünfftigen Nutzen hat, als daß sie uns zu den Mitteln aufmuntert; bey der ruhenden Möglichkeit aber keine Mittel sind. Wenn aber die Möglichkeit antreibend ist, so hat bisweilen eine gantz geringe Furcht statt, wenn nehmlich das gefürchtete Übel sehr groß, das Mittel hingegen den Übel vorzukommen, sehr gering ist. Denn, weil das, was bloß möglich ist, dennoch geschehen kan, und ein dergleichen Mittel fast vor gar nichts zu achten; so ist es vernünfftig, alles Übel, wenn es auch gleich nur möglich ist, durch so geringe Mittel abzuhalten.  
  Die nur gegebene Ursache aber scheinet uns auch zu veranlassen, kleinern Übeln durch eben dergleichen Mittel zu wehren, und nicht allein, wie wir gedacht, denen grossen. Aber weil derer kleinern endlich so viel werden, daß niemand im Stande wäre, auch nur die geringsten Mittel dargegen anzuwenden: und die Vernunfft nichts, ausser was möglich ist, fordert: So ist die Furcht der Möglichkeit nur bey denen grossen Übeln zu gebrauchen.  
  Bey der Hofnung sind mehr Begebenheiten, da Möglichkeit zum Hoffen ist, unverwerflich. Denn  
  1) ist sie vernünfftig, wenn das Glück, so man hof-  
  {Sp. 1134}  
  fet, sehr groß; das Mittel aber sehr geringe ist.  
  Jetztgemeldete Möglichkeit gehöret unter die Art, welche wir antreibend genennet; es kan aber auch eine ruhende Möglichkeit  
  2) eine untadelhaffte Hoffnung machen.  
  Denn die Hoffnung hat zwey Absichten, davon die eine, nach welcher sie ein Mittel wider die Unlust dieses Lebens ist, auch Platz findet, wenn die Möglichkeit ruhend ist, woferne nur jemand so treuhertzig seyn, und dergleichen Möglichkeit hoffen kan. Denn sie kan Niemanden schaden, weil sie nicht antreibend ist: Sie nutzet jedermann, weil sie durch ihre beygefügte Lust die Unlust dieses Lebens versüsset. Sie schadet Niemanden, denn, wenn die gehoffte Möglichkeit nicht geschicht, kan man nicht mehr verlieren, als man zuvor in Gedancken gewonnen; und also verlieret man durch die Hofnung der Möglichkeit dasjenige, was man ohne sie auch nicht gehabt hätte, das ist, gar nichts.  
  Wolte jemand sagen: So ist doch wenigstens die Hofnung der ruhenden Möglichkeit vergeblich gewesen; nichts aber, was vergeblich ist, ist vernünfftig. So antworten wir, daß sie einiger massen doch nicht gantz vergeblich ist, und dannenhero ist sie auch mehr ein Trost vor unwissende, als vor kluge Leute. Aber weil doch auch Möglichkeit bisweilen geschehen, und man also in diesem Fall dasjenige, was man zuvor im Gemüthe gewuchert hat, bisweilen erhalten kan, so ist klar, daß die Hoffnung der blossen Möglichkeit niemahls schaden; bisweilen, obwohl selten, nutzen kan, und also weder vergeblich, noch unvernünfftig ist.  
  Auch ist die Hoffnung einer blossen Möglichkeit  
  3) nicht unrecht, wenn keine wahrscheinliche, sondern nur mögliche Rettung vorhanden. Denn alle Hoffnung, die uns an Vorkehrung gehöriger Mittel nicht hindert, ist vernunfftmäßig; diese aber kan deswegen nicht hindern, weil wir voraus setzen, daß keine bessere zu haben.  
  Weil demnach das, was man fürchten und hoffen soll, weder Gewißheit noch blosse Möglichkeit ist, so bleibet nichts übrig, als Wahrscheinlichkeit, nach welcher man seine Hoffnung und Furcht so genau einrichten muß, daß auch ohngefehr die Grade der Furcht und Hoffnung mit denen Graden der Wahrscheinlichkeit übereintreffen. Man muß aber deswegen nur was wahrscheinlich ist, hoffen und fürchten, weil  
  1) was gantz gewiß ist, gar nicht zu dem fürchten oder hoffen gehöret, und, da so wohl Hoffnung als Furcht uns zu Mitteln antreiben sollen, man  
  2) bey der Wahrscheinlichkeit allein (ausser denen oben von der Möglichkeit beniemmten Fällen) weiß, was man thun soll, sie auch  
  3) nicht so unzählich ist, wie die Möglichkeit, folglich man nur bey derselben wissen kan, was vor Mittel zu gebrauchen.  
  Und zwar da die Furcht keine andere Absicht hat, als die Ergreiffung der Mittel, und bey der ruhenden Wahrscheinlichkeit keine Mittel in des Fürchtenden Gewalt sind; so folget, daß auch bey der ruhenden Wahrscheinlichkeit die Furcht nicht Platz finden, sondern alleine bey der antreibenden. Hingegen wenn die Wahrscheinlichkeit antreibend ist, so ist so viel Furcht, als wider die schädliche Sicherheit dienet, allezeit nützlich und vernünfftig; ein mehrers aber ist ebenfalls vergeb-  
  {Sp. 1135|S. 581}  
  lich. Leute von grossem Muthe, so lange sie ohne Erfahrung sind, kommen offt deswegen in grosse Noth, weil sie allzuviel Sicherheit, und nicht gnugsame Furcht haben. Auch ist die Unerfahrenheit überhaupt die Ursache einer allzukühnen Sicherheit: wiewohl, wo bisweilen die Gefahr geringer ist, als sie scheinet, die Erfahrung auch die Furcht vermindert, als im Kriege. Dieser Unterschied ist bey der Hoffnung nicht in Acht zu nehmen, sondern man hoffet beyde Wahrscheinlichkeit, nehmlich die antreibende, damit man zu Ergreiffung derer Mittel ermuntert werden; und die ruhende damit man die Lust der Hoffnung geniessen möge.  
  Der unterschiedene Zustand derer Menschen machet, daß bisweilen eine Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit, in Ansehen des einen antreibend ist, in Ansehen des andern ruhend. Dahero kan es leicht geschehen, daß z.E. unser Todt, der Zustand der Unsrigen nach unsern Tode, daß Wohlgerathen unsrer Kinder, unser und ihr Auskommen bis ans Ende, nachdem wir das unsrige gethan, zur ruhenden Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit gehören: also ist denn nicht allein in Ansehen derselben alle Furcht vergeblich, sondern auch alle Sorgfalt zu untersuchen, obgedachte Furcht nur möglich oder auch wahrscheinlich, und wie sehr wahrscheinlich sie sey, nichtig.  
  Auch ist es einen vernünfftigen Menschen nicht unanständig, daß er dergleichen zukünfftige Dinge, nachdem er die Mittel, die in seinen Vermögen waren, vorgekehret, GOtt befehle, und das Beste hoffe. Es muß aber dieses nicht eine faule Hoffnung seyn, daß man GOtt Dinge befehle, wie viele Menschen thun, welche er uns selbst, durch Darreichung derer Mittel zu thun anbefohlen: Als wenn man keinen Fleiß wolte an die Kinder-Zucht wenden, und das Wohlgerathen derselben GOtt befehlen.  
  * * *
  So haben wir demnach des obigen Satzes (Was wahrscheinlich ist, und uns an der Zufriedenheit oder Seeligkeit des ewigen Lebens hindert, dieses allein sollen wir fürchten: Ferner was wahrscheinlich und ein Mittel der zeitlichen Zufriedenheit oder ewigen Seeligkeit ist, dieses alleine sollen wir hoffen) erste Einschränckung von der Wahrscheinlichkeit erwiesen und ausgeführet. Nun müssen wir auch noch die andere Einschränckung kürtzlich erweisen, nehmlich, daß wir nichts fürchten sollen, als was uns an der Zufriedenheit dieses, und Seeligkeit des ewigen Lebens hinderte.  
  Da denn wohl zu erinnern, daß wir durch das Wort Zufriedenheit, so wohl die Zufriedenheit der gantzen menschlichen Gesellschafft, als auch eines jedweden insonderheit, so wohl bey der Furcht, als bey der Hoffnung, verstanden haben wollen. Denn weil kein Mensch sein Glück höher bringen kan, als daß er in diesem Leben Zufriedenheit, in jenem Seeligkeit, erlange, so siehet er billig alle andere Dinge, die er zu begehren, oder zu fliehen hat, als Mittel, oder Hindernisse der Zufriedenheit und Seeligkeit an; jene hoffet er, diese fürchtet er.  
  Nach der andern Einschränckung der Hoffnung sollen wir gleichfalls nechst der Zufriedenheit und Seeligkeit nichts hoffen, als was ein Mittel  
  {Sp. 1136}  
  zu einem oder dem andern ist. Der Beweiß darzu ist mit gehöriger Veränderung einerley mit vorigen. Wir verstehen aber durch Hindernisse und Mittel, nicht allein die unmittelbaren, sondern auch die mittelbaren. Solchergestalt ist offt etwas eine Hinderniß oder Mittel, so es bey der ersten Betrachtung zu seyn im geringsten nicht schiene. Dienet uns nun Geld, Ehre und Lust zu unserer Zufriedenheit oder Seeligkeit, so ist solches zu begehren und zu hoffen, GOtt wohlgefällig: Hindert es uns aber an einem von diesem, so haben wir uns vor jeden von gemeldeten dreyen, als vor einem wahrhafftigen Übel und Unglück zu fürchten, und nicht so, wie insgemein die elende unwissende Schaar pfleget, begierig darnach zu streben, und zu rennen.  
  * * * * *  
  Aus besagten siehet man, was fürchten und zu hoffen vernünfftig sey; Nun aber muß auch erörtert werden, wie solches geschehen solle. Man muß nochmahls den Unterschied zwischen der antreibenden und ruhenden Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit im Sinne behalten: Und sodann wolten wir erst von der Hoffnung sagen.  
  Wenn demnach die gehoffete Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit antreibend ist, so soll man, nachdem man gesehen, daß der Gegenstand der Hoffnung, seine Richtigkeit hat, die Mittel welche in unsrer Gewalt sind, mit aller Begierde und Fleisse ergreiffen: Jedoch sich hüten, die Begierde nicht so anwachsen zu lassen, daß sie den Gebrauch des Verstandes hindere: und nachdem solches geschehen, soll man die Würckung derer Mittel, so ferne solche nicht in unsrer Gewalt ist, mit gäntzlicher Gelassenheit und Kaltsinnigkeit erwarten.  
  Sobald aber die Würckung erfolget, muß man nicht in voriger Kaltsinnigkeit verbleiben, sondern seine Begierde von neuen erwecken, gedachter Würckung sich wohl zu bedienen, damit uns nicht etwa dasjenige geschehe, was Cäsar vor Zeiten am Pompejo verlachte, von dem er, als dieser den Sieg wieder jenem erhalten, und solchen nicht verfolget, hönisch sagte, Pompejus wuste den Sieg nicht zu gebrauchen.  
  Wenn hingegen die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit ruhend ist, so muß man sich vor vergeblicher Begierde der Mittel hüten; und also sich gleich, bey Betrachtung des Ausganges, der Gelassenheit bedienen: Wenn aber das gehoffte erfolgen soll, muß man sich wie im vorigen, aus der Gelassenheit wiederum zur Munterkeit wenden, und das erlangete, als ein Mittel der Zufriedenheit und Glückseligkeit zu gebrauchen, nicht versäumen.  
  Als ich wünschte, daß die Irrungen zwischen Rußland und Schweden noch dieses Jahr abgethan, und nicht etwan bis in das künfftige verschoben werden mögten. Ich, als eine Privat-Person kan dabey nichts thun; darum ist die Wahrscheinlichkeit, daß es dieses Jahr werde geschehen, vor mich von der Art der ruhenden: folglich wäre es eine Thorheit, sich deswegen zu quälen, man kan es vielmehr in Gelassenheit hoffen, und doch dabey aufmercksam verbleiben, daß, wenn es erfolgen solte, man es so gleich wisse zu gebrauchen.  
  {Sp. 1137|S. 582}  
  Es mag nun aber beydes antreibend oder ruhend seyn, so muß man sich allezeit hüten, daß man das gehoffte niemahls vor das eintzige Mittel halte, und in Ansehen der Furcht, kein Übel vor eine Unglückseligkeit. Denn es kan zwar wohl einige und die andere Sache, so wir hoffen, ein eintziges Mittel zu einem andern Mittel, oder einer Eitelkeit seyn; aber das kan sich nicht zutragen, daß es ein eintziges Mittel unsrer Zufriedenheit oder Seeligkeit sey: und wenn ja eines dergleichen solte gefunden werden, so ist es gewiß ein solches, das von keiner menschlichen Macht kan gehindert werden, und darüber man sich keinen Kummer machen darff.  
  Was aber hier von eintzigen Mitteln gesaget wird, muß von eintzeln Dingen verstanden werden, und nicht von den Arten, als welche unser Verstand machet, wenn er viel eintzele zusammen nimmt, und sie mit einander, sich als eines vorstellet: als alle Menschen zusammen, als eine Art, (genus) welche von andern Arten, z.E. der unvernünfftigen Thiere unterschieden. Denn wer dieses thäte, und sagte, das eintzige Mittel der Zufriedenheit sey der rechte Gebrauch der Vernunfft, könnte sich zwar einbilden, daß dadurch unser obiger Satz falsch werde; allein ein solcher hätte vielleicht nicht bedacht, daß, wenn man zählet, (als eins, oder eintzig, zwey und mehr), es dem Leser nicht frey stehe, die gedachten Dinge überhaupt zu nehmen, und aus vielen eintzeln, eine Art zu machen: denn sonst möchte die Zahl groß oder kleine seyn, so könnte man sich allezeit auf diese Art verwandeln.  
  Also hat die Zufriedenheit soviel Mittel als Kräffte in der Welt sind: Denn ein jedes davon kan etwas zu derselben beytragen. Die Mittel der Seligkeit hindert nichts als eigener Unglaube; Darum, wenn wir von weltlichen Dingen auch auf eine vernünfftige Art, etwas hoffen, sollen wir das gehoffete niemahls, als das eintzige Mittel der Zufriedenheit und Seligkeit ansehen: Denn es ist niemahls.  
  Dahero entstehet eben viel elender Jammer derer Menschen, die sich einbilden, daß sie müssen das gehoffete haben, z.E. dieses Hauß, diesen Garten, diese Person zur Ehe, und wenn ihnen nun, daß ohnedem den Leuten, die solches meynen, feindselige Glück, dergleichen Besitzung versagt, so kan ihnen freylich hernach nicht anders zu Muthe seyn, als ob sie dadurch wo nicht die Seeligkeit, doch wenigstens alle zeitliche Zufriedenheit verlohren hätten. Denn wer das eintzige Mittel einer Sache nicht erlanget, der erlanget auch die Sache selbst nicht.  
  Eben so muß man auch die Furcht zu regieren wissen: daß man nichts in dieser Welt als ein wahres Übel oder Unglückseligkeit ansehe; Weil dergleichen nur in der Verdammniß, und in dieser Welt gar nicht zu finden ist. Thut man das Gegentheil, so kan es nicht fehlen, wenn uns das gefürchtete überfället, daß wir mit der grössesten Entsetzung geängstigt werden. Denn dasjenige, was uns vorstehet, meynen wir, daß es ein grösser Übel sey, als jemahls eins in der Natur mag gefunden werden. So fürchten viel Menschen vergeblich den Todt, Armuth, Gefängniß, Verachtung.  
  {Sp. 1138}  
  Es ist aber zum rechten Gebrauch vernünfftiger Hoffnung, noch folgendes absonderlich vor mächtige und reiche Leute merckwürdig, daß sie durch ihr Geld und Macht sich nicht der Lust der Hoffnung, über welche nichts in dieser Welt ist (indem die Hoffnung, wenn sie nicht mit gar zuviel Furcht verknüpfft ist, angenehmer, als der Genuß selbst befunden wird) berauben.  
  Dieses aber geschicht gar offt, durch allzufrühen Genuß aller Annehmlichkeiten; dadurch sie machen, daß, wenn sie das männliche Alter erlanget, offt keine Lust mehr übrig ist, die sie nicht schon genossen, und durch deren Hoffnung sie ihr Gemüth ermuntern könnten: darauf dann ein betrübtes und verdrüßliches Leben folget. Denn man muß mit dem Zucker der Hoffnung sparsam umgehen, damit er in unserm gantzen Leben, die Bitterkeit desselben zu versüssen, zureichen möge.  
  Andere denen es an Geld und Macht fehlet, können sich nicht so leicht, in allzufrühzeitigen und geschäfftigen Genuß der Lüste und Verschwendung der Annehmlichkeit der Hoffnung, übereilen.  
  Diejenigen welche Glückseligkeit in dieser Welt suchen, irren am meisten darinne. Denn die Begierde derselben veranlasset sie darzu, daß sie nicht so lange, als der Genuß Annehmlichkeit giebt, bey demselben verharren; sondern so bald sie mercken, daß sie nicht Glückseligkeit gefunden, forteilen, und dieselben in einem andern Genusse suchen.  
  Nun weiß man wohl, daß man in einer Stunde mehr kosten, als man in einem gantzen Jahre essen oder trincken kan: darum werden unsre Koster der Glückseligkeit so bald fertig; daß sie offt bey noch jungen Jahren wenig Hoffnung mehr haben. Also wird ihnen das Leben verdrüßlich, und wünschen sich den Tod. Denn die vorigen Lüste zu wiederholen ist ihr Werck nicht, weil sie Glückseligkeit suchen, und sich wohl erinnern, daß sie bey dem ehemahligen Kosten solche nicht gefunden.  
  Jedoch, weil das Leben offt ziemlich lange dauret, können auch wohl andere, die nicht eben Glückseligkeit suchen, sich übereilen, wenn sie die Annehmlichkeiten nicht so lange geniessen, bis sie gäntzlich aufhören, sondern da sie noch lieblich waren, schon zu andern eilen. Als, man kauffte sich einen Garten, nach einem Jahre ist man dessen Lust schon ziemlich überdrüßig: so kauft man sich dann ein Gut, man vergnügt sich mit dem Fisch- und Vogelfang, Jagd und dergleichen, in einem oder mehr Jahren nimmt die Lust auch schon ziemlich ab: man kaufft ein ander Gut, dabey man sich noch mehr Lust verspricht: in diesen allen erfordert der vernünfftige Gebrauch der Hoffnung, daß man so lange an sich halte, das Gut zu kauffen, als uns die Garten- oder andre Lust noch einiger massen angenehm ist: denn der wichtigen Arten der Lust, welche eine Privat-Person erlangen kan, sind offt weniger, als der Jahre des Lebens.  
  Zu der Frage, wie man hoffen und fürchten solle, gehöret wohl ohne Zweiffel auch noch der rechte Gebrauch der Mittel, welche man, das gefürchtete zu vermeiden und das gehoffete zu erlangen, abzuwenden hat. Darum müssen wir diese so wohl zur Hoffnung als Furcht gehörige  
  {Sp. 1139|S. 583}  
  Lehre mit beybringen. Es müssen aber zu diesem Zweck unterschiedene Mittel nicht mit einander vermischet werden. Denn es giebt Mittel, die im blossen Enthalten bestehen, als wenn ich hoffe in ein gewiß Collegium zu kommen, und mich deswegen enthalte, wider dasselbe etwas, welches ich sonst zu thun nicht unbefugt wäre, zu versuchen; oder wenn ich fürchte, es möchte in einer Zusammenkunfft Ungelegenheit setzen, und mich enthalte, in dieselbe zu kommen: Diese Mittel wollen wir deswegen Enthaltungs-Mittel nennen. Die diesen entgegen gesetzte können thätige Mittel genennet werden, als welche nicht im Enthalten, sondern im Thun bestehen.  
  Derer thätigen Mittel kan man 3-4 Arten beniehmen. Etliche bestehen in einer unwerthen Bewegung des Leibes: als daß man ein Wort redet, eine Hand beweget, einen Fuß fortsetzet, welches deswegen Bewegungs-Mittel genennet werden. Denn weil dergleichen Bewegungen in denen meisten Begebenheiten, uns an keinen Mittel der Zufriedenheit oder Seeligkeit hindern, so sind sie billig vor unwerth zu halten; solten sie uns aber daran hindern, so sind sie zugedachten Bewegungs-Mitteln nicht zu rechnen.  
  Etliche bestehen in einem Werth, das ist, sie sind entweder selbst Geld, oder Geldes werth; sie werden deswegen billig Werth-Mittel genennet, und sind unterschieden: Einige verzehren sich und vergehen im Gebrauch gar, als Geld, Bier, Brod u.d.g. Einige zum Theil, als ein Messer, ein Haus, ein Kleid: Einige gar nicht, als ein Glaß, daraus man trincket, ein Gewicht an einer Uhr, und dergleichen. Etliche sind Noth-Mittel, da man dasjenige anwendet, was allen Werth übertrifft, als Leben, Gesundheit, Ehre.  
  Bey denen Werth-Mitteln ist noch zu gedencken, daß einige nicht allein nach ihrem eigenen Werth, sondern auch nach dem Werth der Sache, welche man, wenn sie nicht angewendet worden wären, durch sie erlangen können, müssen geschätzet werden; als ein Geld, das man anwenden muß, zum Proceß wider einen andern, und dadurch man verhindert wird, seine Nahrung fortzutreiben, wird billig nicht nur nach seinen Werth, sondern auch nach dem, was uns an der Nahrung abgehet, geschätzet: Diese Mittel könnte man, wenn man eines Kunst-Worts benöthiget wäre, Raube-Mittel nennen.  
  Der rechte Gebrauch dieser Mittel bestehet darinne: Enthaltungs-Mittel wendet man allezeit an, nicht allein bey wahrscheinlicher Furcht oder Hoffnung, sondern auch bey möglicher; woferne nur das Gegentheil der Enthaltung nicht etwa mehr austrägt, als das, was wir durch die Enthaltung gedencken zu erlangen. Also bleibt man aus einer Gesellschafft oder Versammlung billig weg, wenn man besorget, daß ein verdrüßlicher Mensch, der sich in selbiger befindet, uns möchte Ungelegenheit machen: Wenn aber auch zugleich einer, der ein Beförderer unsers Glücks seyn könnte, daselbst zugegen wäre, von dem mehr gutes zu hoffen, als von dem andern böses zu fürchten wäre, so müsse man in dergleichen Begebenheit, wenn andre Umstände gleich wären, auch sich nicht des Ent-  
  {Sp. 1140}  
  haltungs-Mittels so gar bedienen; sondern bey der Versammlung sich mit einfinden.  
  Von denen Bewegungs-Mitteln, wenn sie in obiger Einschränckung genommen werden, ist ein gleiches, wegen ihres Unwerths zu bejahen, nehmlich, daß man sie auch besagter massen allezeit anwende, woferne nicht etwa die Enthaltung ein mehrers austrägt, oder schadet, als die Bewegung. Z.E. es ist ein schlechtes, ein Wort zu dem Vortheil seines Freundes zu reden; wenn man aber durch selbiges einen Mächtigen beleidigen, und sich dadurch mehr schaden, als seinem Freunde nutzen solte, so ist das Enthaltungs-Mittel besser, als das Bewegungs-Mittel.  
  Von den Noth-Mitteln können wir den vernünfftigen Gebrauch nicht eher zeigen, bis wir (weil sie diejenigen sind, so allen Werth übertreffen) worinne die Natur des Werths bestehe, dargethan. Wenn wir nun nur nach der Nahmen-Beschreibung den Werth erklären wolten, so käme es etwa aufs Geld an, als in welchen der Werth aller Dinge steckt (pretium eminens) allein wir müssen zu unsern Vorhaben nicht allein den Nahmen, sondern auch die Sache selbst, verstehen.  
  Der Werth eines Dinges ist demnach nichts anders, als das Vermögen, so es hat, uns einen Theil der Zufriedenheit, Freundschafft oder Seligkeit, zu verschaffen. Darum sind Zufriedenheit, Freundschafft und Seligkeit, weil sie der Zweck, und kein Mittel, der Werth hingegen eine Eigenschafft derer Mittel ist, schlechterdings unschätzbar.  
  Da man aber nach der Eitelkeit der Menschen, allen Werth nach dem Gelde rechnet, so werden auch diejenigen Mittel der Zufriedenheit, Freundschafft und Seligkeit, die sonst nach ihrer Krafft gedachte Absichten zu befördern, vor sich allerdings ihren Werth haben, und aber durch Geld nicht können erhalten werden, als Tugend, Wahrheit, Leben, Gesundheit, Ehre, vor unschätzbar gehalten: die übrigen welche man um Geld haben kan, wohin auch einige Thaten derer Menschen zu zählen, heissen deswegen schätzbare Mittel, weil sie nach den Gebrauch derer Menschen, um ein gewisses Geld zu erlangen sind.  
  Gedachte Mittel werden Noth-Mittel genennet, weil sie nicht, wie andre, ohne Noth gebrauchet werden; und haben zwar in Ansehen des Geldes, keinen Werth, sondern sind unschätzbar, doch können sie als Mittel der Zufriedenheit und übrigen Absichten allerdings geschätzet werden. Also weil Wahrheit und Tugend zu der Zufriedenheit scheinen ein gleiches beyzutragen, indem sie mit gleicher Krafft nicht allein zu der Zufriedenheit eines jeden insonderheit, sondern auch der gesammten menschlichen Gesellschafft, dienen, so wird ihr Werth billig vor gleich gehalten. Weil aber die Ehre nur ein Mittel ist, andern Menschen zu dienen, indem man sich selbst allen Dienst der Zufriedenheit und Seligkeit, auch ohne Ehre, erweisen kan, so ist ihr Werth ohne Zweiffel geringer als der Wahrheit und Tugend.  
  Und dieses ist der eine Grund diese sonst unschätzbaren Dinge zu vergleichen: sie können aber auch, ausser dem, nach der Wahrscheinlichkeit geschätzet werden. Dannenhero wenn zwey unschätzbare Güter gleichen Werth haben, als Wahrheit und Tugend, oder  
  {Sp. 1141|S. 584}  
  eines sein eigen Mittel wird, als wenn man, mit Gefahr des Lebens, sein Leben erhalten soll, so wird dasjenige des andern Mittel, welches weniger Wahrscheinlichkeit vor sich hat: als, wenn ich in Feuers-Gefahr bin, darinnen ich höchst wahrscheinlich mein Leben werde einbüssen müssen, und kan mich durch einen Sprung retten, darbey nur etwas weniger wahrscheinliche Gefahr des Lebens ist, so kan ich ohne von jemand mit Vernunfft getadelt zu werden, die Rettung meines Lebens durch den Sprung versuchen.  
  Die gröste Schwierigkeit vom rechten Gebrauch der Furcht und Hoffnung, befindet man bey den Werth-Mitteln. Denn jedermann siehet wohl, daß ihr Werth nach dem Werth desjenigen, was man fürchtet oder hoffet, muß geschätzet werden. Und diese Schätzung ists, welche die Schwierigkeit machet. Es möchte sich noch leichte thun lassen, wenn nur allein der Werth des gefürchteten und gehoffeten mit dem Werth derer Mittel zu vergleichen wäre; aber der Werth der Furcht und Hoffnung muß nicht allein vor sich, sondern auch nach der Wahrscheinlichkeit geschätzet werden.  
  Denn das grösseste Übel hat keinen Werth in Ansehen der Furcht, wenn es gar nicht wahrscheinlich; gleichwie auch ein grosses Gut keinen hat, in Ansehen der Hoffnung. Also würde derjenige billig nicht vor klug gehalten werden, der hier in Leipzig nicht wolte auf der Erden wohnen, wegen einer befürchteten Wasserfluth, ob diese schon zwar ein sehr grosses Übel ist: oder ein andrer wolte im Walde herumgehen, und suchen, ob nicht etwa vor Zeiten jemand eine Brau-Pfanne voll Geld dahin verstecket hätte, welches Geld, wenn es wohl angewendet wird, man allerdings vor ein grosses Gut halten müste.  
  Hingegen fürchtet man billig auch ein klein Übel, und kehret Mittel vor, wenn es wahrscheinlich ist, und eben auf diese Art hoffet man auch ein kleines Gut. Also hebt man eine Schüssel vom Kohl-Feuer weg, wenn es wahrscheinlich ist, daß sie schmeltzen möchte, obwohl wenn es geschehen solte, es eben vor kein Unglück zu achten wäre.  
  Diese Vergleichung, nach der Rechnungs gäntzlicher Richtigkeit, auszumachen, wird kein Verständiger verlangen: indem bekannt, daß in Sachen der Sitten-Lehre, solche Zahlen-Richtigkeit nicht zu haben sey. Es bleibet noch Schwierigkeit genug, wenn gedachte Vergleichung nur ohngefehr, jedoch richtig, und nach der Wahrheit, soll gehoben werden.  
  Wir wollen versuchen, ob wir folgender massen uns können auf die Spuhr der Wahrheit finden: Es ist wohl unstreitig, daß alle Werth-Mittel, die im Gebrauch gäntzlich, oder zum Theil, verzehret werden, müssen wenigstens etwas geringern Werth haben, als das gefürchtete oder gehoffete, wieder welches, oder zu welchen, sie angewendet werden.  
  Es ist aber nicht eben das gantze, was man mit Händen und Füssen, oder andern Gliedern des Leibes braucht, das nechste Mittel, sondern offt nur etwas davon: als z.E. nicht das gantze Messer, sondern nur dessen Spitze, oder Schärffe, und weil auch dieses etwas seine Grade hat, so werden zu mancher Absicht desselben nur einer oder zwey, zu andern mehr,  
  {Sp. 1142}  
  erfordert. Allermassen es ein plumper Irrthum wäre, zu glauben, daß man mit einem Messer, ohne daß es einen Grad seiner Schärffe verlöhre, ein eintziges Stücke Brodt abschneiden könne.  
  Von denen übrigen Mitteln, welche im Gebrauch gar nicht abgenutzet werden, ist hier die Rede nicht, weil deren Werth in Gebrauch nicht betrachtet wird, und ohne Bedencken, gebrauchet werden.  
  Die Lehre von der moralischen Schätzung desto bequemer vorzutragen, wollen wir das gefürchtete und gehoffte zusammen, die Hoffnung nennen: Denn wenn wir das gefürchtete nicht wollen uns zum Leibe lassen, so hoffen wir es abzuhalten. Und weil bey denen Werth-Mitteln allezeit eine Furcht ist, daß die Mittel möchten vergeblich angewendet, und der Werth verlohren werden, so wollen wir diesen Kummer die Furcht nennen, so können wir nun sagen, die gantze moralische Schätzung kömmt auf eine vernünfftige Vergleichung besagter Furcht und Hoffnung an.  
  Wobey vor allen Dingen zu mercken, daß umb in dieser Vergleichung sich nicht zu irren, man den Werth des Mittels vor allen Dingen müsse von dem Werth des gehofften, oder gefürchteten, abziehen: Als das Mittel wäre, 5, das gehoffte 12, so heist 5 die Furcht, aber 12 nicht die Hoffnung, sondern nur 7, als welche nach Abzug der 5 übrig bleibet. Denn weil das Mittel 5 aufgewendet wird, so kan man, wenn alles gut gehet, nicht mehr als 7 gewinnen.  
  Besagte Furcht und Hoffnung müssen allezeit auf zweyerley Art verglichen werden  
  (1) nach dem Werth  
  (2) nach der Wahrscheinlichkeit.  
  Als die Furcht die beym Mittel ist, ist 5: Die Hoffnung 10: nach Abzug, gedachter massen bleibt 5: Also ist hier der Werth der Furcht und Hoffnung einander gleich. Wäre nun die Hoffnung mittelmäßig wahrscheinlich, so wäre auch in Ansehen der Wahrscheinlichkeit, Furcht und Hoffnung einander gleich; wäre aber die Hoffnung höchst wahrscheinlich, so wäre die Furcht gantz unwahrscheinlich, und sie also beyde einander dennoch ungleich.  
  Zwar kan man die Grade der Wahrscheinlichkeit nicht so genau wissen, wie die Grade des Werths, welche allenfalls nach dem Gelde können geschätzet werden. Denn den Anfang der Wahrscheinlichkeit können wir gar richtig ausmachen, nehmlich es sind allemahl zwey eintreffende Umstände, welchen keine andere entgegen sind: aber den höchsten Grad derselben können wir mit keiner Zahl benennen, jedoch sagen, daß wo alle Umstände eintreffen, die höchste Wahrscheinlichkeit vorhanden sey.  
  Weil aber diese alle, so wohl 100 und mehr, als 3 und weniger, nach Beschaffenheit der Sache, seyn können, so ist gewiß, daß das Gemüth etwas sicherer wagt, wo die höchste Wahrscheinlichkeit auf hundert beruhet, als wo sie nur auf dreye gegründet ist. Darum solte nun jemand sagen, welche höchste Wahrscheinlichkeit das Gemüth vernünfftig in Bewegung setzen könnte: nehmlich ob zehen oder zwantzig, oder mehr Umstände erfodert würden.  
  Wenn das Gemüth von denen Umständen der Wahrscheinlichkeit in Bewegung gesetzet wird, so nennet man dieselbe sodann, moralische Gewiß-  
  {Sp. 1143|S. 585}  
  heit (certidutinem moralem) und von dieser ist eben die Frage. Allein die Gemüths-Neigung derer Menschen machen offt moralische Gewißheit, wo keine ist, und vertreiben sie, wo sie vor sich Platz finden würde. Darum ist die Frage von der vernünfftigen moralischen Gewißheit. So viel möchte endlich davon können ausgemachet werden, daß wo die gröste Wahrscheinlichkeit auf nicht mehr als drey bis vier Umständen bestehe, keine moralische Gewißheit sey: Weil diese kleine Zahl ein Zeichen, daß man nicht gnugsame Erfahrung von der Sache habe.  
  Die mittlere Wahrscheinlichkeit kömmt darauf an, daß einige Umstände denen andern zuwider sind. Denn wenn z.E. die Sache in allen 30 Umstände zeiget, davon 15 mit der Wahrscheinlichkeit übereintreffen 15 nicht, so ist es nur eine mittelmäßige Wahrscheinlichkeit von 15 Grad.  
  Hätte nun ein Gedancke gar keine Umstände vor sich, keine wider sich, so wäre es eine blosse Möglichkeit, jedoch würde auch, eine, die eben so viel Umstände vor sich, als wider sich hätte, weil sie einander aufheben, dahin zu rechnen seyn.  
  Wie nun Furcht und Hoffnung auf beyde Art, so wohl in Ansehen des Werths, als der Wahrscheinlichkeit, gleich, so solte ein solches Mittel nicht angewendet werden. Als die Furcht wäre 5, die Hoffnung 10, und nach Abzug 5, beyderseits ein gleicher Werth: die Wahrscheinlichkeit mittelmäßig, das ist, die Furcht wäre so groß, als die Hoffnung. Denn weil jedweder deßwegen Mittel anwendet, daß er sich verbessern will, so ist 5 mit Verlust 5 gewonnen, keine Verbesserung folglich eine vergebliche That. Nach dem Zustand der Wahrscheinlichkeit muß man hier glauben, daß er so offt verlieren, als gewinnen werde. Hat er nun das erste Mahl gewonnen, das andere verlohren, so bleibet ihm gerade nichts übrig.  
  Wenn sich aber nur eine Ungleichheit entweder des Werths, oder der Wahrscheinlichkeit findet, so ist es vernünfftig, das Mittel anzuwenden. Als die Furcht wäre 5, die Hoffnung 10, die Wahrscheinlichkeit der Hoffnung moralische Gewißheit, so würde das Mittel 5 ohne Bedencken angewendet; weil, wenn auch die Hoffnung dieses mahl fehl schlagen solte, so muß sie doch ein anderesmahl offt eintreffen: Dadurch denn vielfältig der ehemahls erlittene Schaden ersetzet wird.  
  Gedachte Ungleichheit ist allein von der Hoffnung zu verstehen, wenn auf diese nehmlich das meiste von dem Werthe fällt. Denn wenn im Gegentheil die Hoffnung solte 5 seyn, die Furcht 10, so wohl in Ansehung der Wahrscheinlichkeit, als des Werths, oder eines von beyden, so wäre gar nichts zu thun, sondern man müste das widrige mit Gedult erwarten, und des gehoffeten sich entschlagen. Denn also wäre die Hoffnung kleiner, oder unwahrscheinlicher, als die Furcht, das Mittel zu verlieren: jedermann muß aber nach dem handeln was mehr wahrscheinlich ist, und Nutzen bringet.  
  Solte nun beyde Ungleichheit der Hoffnung, so wohl des grössern Werths, als der grössern Wahrscheinlichkeit, zusammen kommen, so wäre das Mittel desto eher zu ergreiffen.  
  Von der mittelmäßigen Wahrscheinlichkeit, ist noch folgendes zu bedencken. Weil ihre  
  {Sp. 1144}  
  Furcht und Hoffnung einander gleich ist, so hat man zu vermuthen, daß, wann sich Glück und Unglück nicht beymischet, man einmahl um das andere seinen Zweck erhalten werde. Man hat demnach beym ersten mahle nicht mehr Ursache zu glauben, daß man gewinnen, als daß man verlieren werde; jedoch vermuthet man nicht unrecht, daß das andere mahl das Gegentheil sich zeigen werde: darum wer hier wagt, wagt nicht, wie im vorigen, nur auf einmahl, sondern so gleich wenigstens auf zweymahl, und also muß auch Furcht und Hoffnung, sobald im Anfange auf zweymahligen Versuch, verglichen werden.  
  Dannenhero muß die Hoffnung ohngefehr dreymahl so seyn, als die Furcht: nehmlich wenn die Furcht fünf ist, so muß die Hoffnung funfzehen seyn. Denn fünfe wird, wenn ich auch gleich das andre mahl meinen Zweck erhalte, zweymahl verlohren: also ist die Furcht gleich beym Einlassen, zehen. Nun muß aber Furcht und Hoffnung wenigstens gleich seyn: indem es nicht vernunfftmäßig wäre, bey gleicher Wahrscheinlichkeit, ein mehrers zu wagen, als man zu hoffen hat. Darum muß hier die Hoffnung mehr als 10, z.E. 15, bis 20 seyn: wer auf weniger eingehet, wagt freventlich, und wenn das Glücke seinen Frevel nicht hinaus führet, so büsset er gewiß ein.  
  Wie sehr man im gantzen menschlichen Leben, im Spielen, und Verfolgung anderer Eitelkeiten, wider bisher gezeigte Regeln anstosse, wird ein jeder leicht sehen, der solche recht zu verstehen, sich bemühet: Er wird zugleich auch bemercken, wie fast alle Menschen, durch den tollen Gebrauch der Furcht und Hoffnung sich vergebliche Noth machen, und ihre eigene Zufriedenheit hindern. Denn der Mensch kan fast nicht eine Stunde in der Welt leben, das ihm nicht etwas zu fürchten oder zu hoffen vorfalle, dabey er seine Ruhe und Zufriedenheit so wohl erhalten, als seine Unruhe befördern kan. Wir werden daher in dem folgenden Abschnitte auch von der Vergleichung der Furcht und Hoffnung, nehmlich der Furcht des Bösen, das uns zu Leibe will, davon wir bishero nicht geredet, handeln.  
     

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Stand: 31. März 2013 © Hans-Walter Pries