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Forts. S. 320 Sp. 1 |
ACHT, in den Rechten, bedeutet 1) ein Gutachten,
Urtheil; daher: Achtsleute. S. Schiedsrichter, Kunstverständige; 2)
einen Rechtsspruch gegen einen Verbrecher, wodurch er für
straffällig, ehrlos, ja vogelfrei erklärt wird (Achtserklärung,
Bann, bannum, proscriptio). |
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In dieser letzten Hinsicht unterscheidet man in
Rücksicht auf ihren Umfang die Reichsacht und die Landacht, und in
Rücksicht auf ihre Wirkungen die Oberacht und die Unteracht. Die
erstere erlaubte jedem, den Geächteten umzubringen; nicht aber die
letztere, welche nur verbot, ihn aufzunehmen und zu
beherbergen. |
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1) Die Reichsacht geschah von dem Kaiser und den
Reichsständen 1), nachher nur mit Einwilligung der Kurfürsten 2),
und zuletzt von der Reichsstaatsgewalt 3). Vorzüglich war sie wider
Reichsstände und Landesherren, auf das Verbrechen des Land- und
Religionsfriedensbruchs 4) gesetzt, und beraubte den Geächteten
seiner Länder, Güter, Hoheit und übrigen Rechte, jedoch unbeschadet
der Rechte der unschuldigen Agnaten. Die bei Auflösung des teutschen
Reichs bestehende Proceßform war diese: In dem Falle der Acht mußte
eines der höchsten Reichsgerichte die Acten instruiren, und sodann
an den Reichstag schicken, worauf eine eigene Reichsdeputation
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- 1) Otto. Frisingens. L. I. c. 63.
- 2) Goldne
Bulle. Cap. 1. Wahlcapitul. Ferdinands III. Art. 30.
- 3) Instr. Pac. Osnabr. art. VIII. §. 3. Wahlcapit. Franz. Art. 20. §. 1.
- 4)
Landfriede von 1548. tit. 3 Concept der Cammer-Ger. O. Th. II. tit.
X. §. 1. Reichs-Abschied 1555. §. 15. 16. Wahlcapitul. Art. 20. §.
8.
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ACHT |
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niedergesetzt wurde, um ein Gutachten
abzustatten. Über dieses Gutachten wurde von den Reichsständen, nach
der auf dem Reichstag üblichen Weise, abgestimmt und ein Conclusum
gefaßt. Dieses Conclusum wurde dem Kaiser zur Genehmigung vorgelegt,
und, falls diese ertheilt wurde, die Reichsacht vom Kaiser und Reich
beschlossen. Hierauf wurde sie in dem Namen des Kaisers bekannt
gemacht, und nach Vorschrift der Reichsexecutionsordnung
vollzogen. |
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2) Die Landacht geschah von den kaiserlichen und
der Reichsstände Landgerichten, und erstreckte sich nicht über den
Gerichtszwang derselben 5). Sie fand nur gegen einen abwesenden oder
flüchtigen Verbrecher Statt, und setzte voraus, daß über die
Existenz der That kein Zweifel obwalte, und daß der Verbrecher
gehörig angeklagt und vorgeladen war. Traten diese Umstände
zusammen, und war der flüchtige Verbrecher auf die Ladung nicht
erschienen, so wurde er geächtet. Man benachrichtigte davon die
angränzenden Gerichte, und niemand durfte den Geächteten bei Geld-
oder Leibesstrafe beherbergen. Eine solche Acht konnte jedoch nur
bei solchen Verbrechen ausgesprochen werden, welche die Todesstrafe
nach sich zogen. ♦ |
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War jemand in die Acht erklärt, so konnte er von
jedermann festgehalten und dem Richter ausgeliefert werden; nur
durfte man ihm das Leben nicht nehmen, ausgenommen, wenn er in die
Oberacht erklärt war, oder, wenn er sich gegen die Gefangennehmung
mit Mordgewehr zu vertheidigen suchte. Außerdem hatte die Acht noch
mehrere übele Folgen für den Missethäter. Wer sechs Wochen, oder,
falls er wegen Straßenraubes in die Acht gefallen war, vierzehn Tage
in der Acht verblieb, fiel in den Kirchenbann. Suchte der
Straßenräuber binnen sechs Wochen, oder ein anderer Verbrecher
binnen Jahr und Tag, sich der Acht nicht zu entledigen, so wurde er
unehrlich, und seine Güter und Vermögen wurden eingezogen. Diese
Entledigung geschah dadurch, daß er Bürgen stellte, sich vor dem
Richter einfand, seine Unschuld darthat, und eine Geldsumme
bezahlte, welche der Achtsschatz 6) genannt wurde. |
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Spuren dieser Ächtung findet man schon in den
ältesten germanischen Rechtsbüchern 7); die Geächteten wurden damals vargi, oder wargi genannt; und das Ächten selbst forbannire
(verbannen); viele Bestimmungen über die Acht findet man in dem
Sachsenspiegel 8) und dem Schwabenspiegel 9), und in mehrern alten
Statuten der Städte. Diese ältern Verfügungen sind noch heut zu Tage
hier und dort nicht gänzlich außer Anwendung gekommen, wiewol
bedeutend gemildert. Es existirt vielmehr noch der Achtsproceß in
Sachsen, und an den Örtern, wo Sachsenrecht gilt; auch ist es
namentlich im
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- 5) Ausgenommen, wenn kaiserliche Privilegien die
Wirkungen der Acht erweiterten, z. B. in Hinsicht der in der Stadt
Achen Geächteten.
Ludolf Collect. Statutor. p. 456.
- 6) Achtbrief
nannte man das Schreiben, worin die Acht bekannt gemacht wurde;
Achtbuch oder Blutbuch, das Register, worein der Name des Geächteten
eingetragen wurde.
- 7) Lex. Ripuar. tit. 87. Carol, M. Capitul. I.
ann. 809. cap. 2. Capitular. L. III. tit. 49. 50.
- 8) B. I. Art. 67
fgg. Art. 4. 38. B. III. Art. 17. 34. Sächs. Weichbild. Art. 111 u. a.
- 9) Cap. 92. 151. 162. 178 u. a.
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S. 321 Sp. 1 |
ACHT |
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Lübischen 10) und Culmschen 11) Recht enthalten.
Ist nämlich das Verbrechen von der Art, daß es eine Lebensstrafe
nach sich zieht, und ist der Thatbestand desselben gehörig im
Klaren, hat jedoch der Verbrecher selbst die Flucht ergriffen, so
wird ein hochnotpeinliches Halsgericht über ihn gehegt, er in dreier
Herren Landen öffentlich vorgeladen, ihm sodann der Proceß gemacht,
und er geächtet. Wenn er sich nun binnen Jahr und Tag nicht stellt,
so wird er nochmals auf den Antrag des peinlichen Anklägers, und bei
Strafe der Oberacht, in dreier Herren Landen, auf einen bestimmten
Tag zu erscheinen, vorgeladen; bleibt er dennoch aus, so wird er in
die Oberacht erklärt. Wiewol jedoch die Formel der Oberacht dahin
lautet, daß derselbe für vogelfrei erklärt werde; so bekommt dennoch
dadurch niemand ein Recht, den flüchtigen Verbrecher ums Leben zu
bringen 12). Vielmehr soll durch die Oberacht nichts weiter bewirkt
werden, als daß der Verbrecher von jedermann aufgefangen, zur Haft
gebracht und den Gerichten zu fernerem rechtmäßigen Verfahren
überliefert werde; bisweilen auch, daß dessen Vermögen confiscirt
werden könne. Sollte sich der Verbrecher nachher noch stellen, so
kann er doch nicht sofort zur Strafe gezogen werden, sondern man muß
ihn erst noch vernehmen, vertheidigen und verurtheilen lassen.♦ |
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(Über
den Achtsproceß s. Carpzov Inquisitions- und Achtsproceß. Tit XV.
Keyser Praxis criminal. Pars II.) |
(Spangenberg.) |
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Wirkungen der Achtserklärung sind: 1) die
Unteracht hat die Folge, daß der Geächtete für überführt gehalten
wird, und daß er in dem Sprengel des ächtenden Richters von Jedem
ergriffen und dem Gericht überliefert werden darf, welches aber nun
erst im ordentlichen Criminalprocesse gegen denselben zu verfahren
hat. 2) Die Oberacht verbreitet nicht nur jene Wirkung über das
ganze Staatsgebiet, sondern hat auch die weitere Folge, daß der
Geächtete ehrlos wird und daß sein Vermögen, mit Ausnahme des den
Kindern gebührenden Pflichtteils, der Staatscasse anheim fällt.
Denselben zu verletzen oder zu tödten ist aber keineswegs gestattet.
Zur Abkürzung des Verfahrens werden an manchen Orten beide Arten des
Achtsprocesses verbunden. Wenn der Geächtete kein Vermögen besitzt,
so ist der Achtsproceß von geringem Nutzen. Aus diesem Grunde und
wegen des damit verknüpften Zeit- und Kosten-Aufwandes kommt er
immer mehr außer Gebrauch. Vergl. G. Keyser prax. criminal. P. II.
Heil iudex et defensor. cap. VII. Leyser Sp. 629. m. 11. 17.
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(Bauer.) |
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- 10) Statut. Lubecens. L. IV. tit. 17.
- 11) Jus Culmense L. V. P. I. tit. 18. cap. 1.
- 12) Chursächsische Decision 77.
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