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Allgemeine Encyclopädie HIS-Data
5139-1-15-403-5
Erste Section > Fünfzehnter Theil
Werk Bearb. ⇧ 15. Th.
Artikel: CAUSALITÄT
Textvorlage: Göttinger Digitalisierungszentrum S. 409 : 403
Siehe auch: HIS-Data Cau
Hinweise: Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Bearbeitung
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Forts. S. 403 Sp. 1 CAUSALITÄT. Ursachlichkeit könten wir das Wort ins Teutsche übersetzen, wie die Holländer in ihrer Sprache Oorzakelykheid sagen. Mit diesen Wörtern soll der Zusammenhang zwischen Ursachen und Wirkungen bezeichnet werden.♦  
  Über keinen Begriff ist man in den Schulen der Philosophie weniger einverstanden. Ein encyklopädischer Artikel, der keiner Schule ausschließlich huldigen soll, darf also nur die merkwürdigsten Erklärungen anzeigen, die man von diesem Begriffe zu geben versucht hat, und diese Erklärungen mit einigen Anmerkungen begleiten.  
  Wer über den Begriff der Causalität nachzudenken anfängt, dem muß auffallen, daß der natürliche Menschenverstand überall im Besitze dieses Begriffs ist, und daß er uns überall vorschwebt, wo wir auf irgend eine Art etwas, es sei, was es wolle, begreifen und erklären wollen. Selbst indem wir erklären wollen, was in eben diesem Begriffe liegt, setzen wir ihn schon selbst als giltig voraus. Die menschliche Vernunft kann sich von diesem Begriffe gar nicht trennen. In dem Forschen nach Ursachen erkent sie sich selbst als speculative Vernunft. Die Meinung, daß dieser Begriff durch die Selbstthätigkeit der Vernunft, unmittelbar und abgesehen von irgend einer besondern Erfahrung, gebildet werde, hat also wenigstens vieles für sich.  
  Aber wenn wir von irgend etwas die Ursache angeben, oder aufsuchen, ist uns auch immer schon ein gewisser Zusammenhang der Dinge gegenwärtig, den wir entweder äußerlich, oder innerlich, nämlich entweder durch  
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  die äußern Sinne, oder durch die Selbstbeobachtung in unserm eignen Geiste, als Thatsache wahrnehmen. Selbst wenn wir uns durch Denken über die Möglichkeit einer Wahrnehmung erheben, zum Beispiel, wenn wir uns den Ursprung der Welt begreiflich machen wollen, setzen wir einen inneren Zusammenhang zwischen dem, was wir wahrnehmen, aus dem, woraus wir das Wahrgenommene erklären wollen, voraus. In der Anwendung des Causalitätsbegriffes auf die materiellen Erscheinungen in der Natur haben wir durchgängig einen äußerlich wahrnehmbaren Zusammenhang des Einen mit dem Andern vor Augen. Die Meinung, daß der Begriff der Causalität unabhängig von allem wahrnehmbaren Zusammenhange der Dinge aus der reinen Vernunft entspringe, hat also wenigstens vieles gegen sich. Daraus erklärt sich schon vorläufig, wie die empiristische Deduktion des Causalitätsbegriffes immer Anhänger finden konte und noch findet.  
  Da die Vernunft sich vom Begriffe der Causalität nicht trennen kann, und da dieser Begriff sich immer von selbst einstellt, wenn wir etwas begreifen und erklären wollen: so hat man ihn auch in den Schulen der Philosophie lange Zeit auf das mannichfaltigste angewandt, ohne sich nach einer Deduction umzusehen, die uns lehren soll, woher dieser Begriff stamt, was eigentlich in ihm liegt, und ob wir durch ihn das Innere der Natur erforschen, und den Ursprung der Welt begreifen können, oder ob die vernünftige Anwendung dieses Begriffes sich auf Erscheinungen, die wir wahrnehmen, beschränke.♦  
  Weder bei Plato, noch bei Aristoteles, noch bei einem andern griechischen Logiker, Naturphilosophen und Metaphysiker, ist eine eigentliche Deduktion des Causalitätsbegriffes zu finden. Unter den Kategorien des Aristoteles komt aition oder aitia nicht ausdrücklich vor; ist aber enthalten in den Begriffen von Thun und Leiden (to poiein und to paschein), die Aristoteles zu seinen Kategorien oder allgemeinsten Begriffen zählt. In der Naturphilosophie (z. B. Physic. auscult. II. 7.) und in der Metaphysik (z. B. I 4.) bedient sich Aristoteles, dieser Begriffe, wie an andern Orten, ohne sie zu erklären. Auch unterscheidet er veranlassende Ursachen von denen, die etwas mit innerer Nothwendigkeit (ex anankes) bewirken. Bei der Art, wie die Griechen den Begriff von Ursache auffaßten, ist bemerkenswerth, daß sie ihm in ihrer Sprache eigentlich nur die Form eines Adjectivs gaben; aitios, aitia, aition).  
  Die Deduktion des Causalitätsbegriffes wird besonders noch erschwert durch das Zusammentreffen des Realbegriffs von einer Ursache, die keine bloße Vorstellung ist, mit dem logischen Formalbegriffe von einem Grunde. Denn einen Grund in der logischen Bedeutung nennen wir gewöhnlich ein allgemeines Urtheil, aus welchem ein untergeordnetes Urtheil gefolgert wird. Diese bildliche Bedeutung des Wortes Grund, als ob die Wahrheit des gefolgerten Urtheils auf der Wahrheit des allgemeinen ruhte, würde nicht leicht Mißverständnisse veranlassen, wenn nicht die Vernunft in dem Streben, ein Urtheil durch ein anderes zu begründen, auf eine ähnliche Art sich selbst erkente, wie in dem Forschen nach Ursachen. Daher nent sich auch in andern Sprachen dassel-  
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  be, was wir im Teutschen den Grund eines Urtheils nennen, mit eben dem Worte, das die Vernunft überhaupt bezeichnet, z. B. logos, ratio, raison. Aber wenn man mit Leibnitz den Satz der Causalität als einen Satz des zureichenden Grundes (principium rationis sufficientis) in die Philosophie einführt, läuft man sogleich Gefahr, die Begriffe zu verwirren; denn eine Ursache kann als etwas zur Natur der Dinge Gehörendes gedacht werden, ohne nothwendige Voraussetzung einer Vernunft, die in der Natur Alles so geordnet hat, daß in ihr Eins aus dem Andern entsteht, wie in unsern Gedanken eins aus dem Andern folgt. Das Entstehen des Einen aus dem Andern ist es aber, was wir durch die Begriffe von Ursache u. Wirkung eigentlich denken; und dieses Entstehen des Einen aus dem Andern denken wir uns als nothwendig, sobald irgend etwas als eine Ursache in Beziehung auf etwas Anderes, das die Wirkung dieser Ursache seyn soll, gedacht wird.♦  
  Nun hat von diesem Entstehen des Einen aus dem Andern die ganze Natur ihren Namen (von nasci, wie physis, von phyein); und auch in unserm Geiste entsteht mit psychologischer Nothwendigkeit eine Vorstellung aus der andern. Das Gesetz der Causalität ist also überhaupt ein Gesetz der nothwendigen Entstehung des Einen aus dem Andern. Es fragt sich also weiter, ob wir denn wirklich ein solches Gesetz erkennen, oder ob wir es vielleicht in denjenigen Zusammenhang des Dinges, den wir wirklich wahrnehmen, nur hineindichten.  
  Bis auf Hume, den geistvollen Skeptiker, scheint niemand besonders darüber nachgedacht zu haben, ob wir nicht vielleicht uns selbst täuschen, wenn wir uns vorstellen, daß auf eine ähnliche Art, wie in unsern Gedanken, wenn wir richtige Schlüsse machen, ein Urtheil aus dem andern mit logischer Nothwendigkeit hervorgeht, so auch im All der Dinge ein Daseyn aus dem andern, oder wenigstens ein Ereigniß aus dem andern, mit physischer, oder metaphysischer Nothwendigkeit hervorgehe. Es ist schwer zu begreifen, wie jemand, der Hume's Zweifelslehre verstanden hat, noch der Meinung anhängen kann, daß das Gesetz der Causalität sich empirisch deduciren lasse aus der Wahrnehmung einer Reihe von Ereignissen, unter denen jedes Mal das Eine auf das Andre unter denselben Bedingungen folgt. Denn wenn sich auch nicht bezweifeln läßt, daß wir in solchen Fällen urtheilen, wo, so viel man bisher beobachtet hat, regelmäßig und unausbleiblich Eins auf das Andre in Zeitverhältnissen, folgt, da müsse Jenes aus diesem mit innerer Nothwendigkeit folgen, oder, was dasselbe sagt, durch dieses bewirkt werden: so liegt doch in der bloßen Zeitfolge, sei sie auch noch so constant, nicht der Stoff zum Begriff, weder von innerer Nothwendigkeit, noch zum Begriff der Hervorbringung oder der Entstehung des Einen aus dem Andern. Mehr aber, als das Constante in der Zeitfolge, können wir in dieser Verbindung nicht wahrnehmen, wo wir das Eine die Wirkung, und das Andre die Ursache nennen. Was diese Wörter, Ursache und Wirkung eigentlich aussagen, ist also immer etwas nicht Wahrgenommenes, und zu dem Wahrgenommenen, Hinzugedachtes.  
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  Eben so wenig leuchtet ein, wie der Stoff der allgemeinen Begriffe von Ursache u. Wirkung, aus der innern Erfahrung geschöpft werden könne, deren wir uns bewußt sind, wenn wir durch unser Wollen, oder durch eine andre Art von Geistesthätigkeit, eine Veränderung in uns, oder außer uns, bewirken. Denn wenn auch diese Veränderung unter denselben Bedingungen sich immer wieder einstellt, so erkennen wir auch dadurch keine innere Nothwendigkeit, daß sich dieses immer so unter denselben Bedingungen ereignen müsse. Doch muß wol zugestanden werden, daß, wenn nicht das Bewußtseyn, das wir von unserm Wollen und unserer Geistesthätigkeit überhaupt haben, für eine Selbsttäuschung erklärt werden soll, die Veränderung, die dadurch bewirkt wird, allerdings aus uns selbst hervorgeht, und daß also hier von keiner bloßen Zeitfolge die Rede ist.  
  Aber der geistvolle Hume scheint bei seinem Angriffe gegen die in den Schulen des Empirismus gewöhnliche Deduction des Causalitätsbegriffs diesen Begriff selbst aus dem Gesicht verloren zu haben, als er den Knoten dadurch zu lösen glaubte, daß er aus der blinden Macht der Gewohnheit psychologisch zu erklären suchte, wenn wir uns vorstellen, wenn Eins unter denselben Bedingungen immer auf das Andre folgt, es könne nicht anders seyn. Denn wir wollen ja wissen, woher das Merkmal der innern Nothwendigkeit in den Begriffen von Ursach und Wirkung stamt. Dieses Merkmal kann uns durch die Macht der Gewohnheit nicht gegeben werden. Eben so wenig vermag die Gewohnheit allein die Vorstellung von einer Entstehung des Einen aus dem Andern in uns hervorzulocken. Sei die Macht der Gewohnheit noch so groß; sie beschränkt sich doch ihrer Natur nach auf das Gewöhnliche; und das Gewöhnliche, bloß als solches, hat weder mit innerer Nothwendigkeit, noch mit der Entstehung des Einen aus dem Andern, etwas gemein.  
  Wollen wir nun auf die Seite der transscendentalen Rationalisten treten, die das Gesetz der Causalität aus der reinen Vernunft deduciren, so führt uns der Weg zu den Metaphysikern, die durch den Causalitätsbegriff in den innern Zusammenhang der Dinge einzudringen behaupten, zuerst in das Gebiet der Kantischen Vernunftkritik, nach welcher der Begriff der Causalität zwar ein Begriff a priori seyn soll, den die reine Vernunft aus sich selbst schöpft, aber nur ein reiner Verstandesbegriff oder eine von Kant so genante Kategorie, das heißt, ein Begriff, der aus der Spontaneität des Verstandes und aus bloß logischer Nothwendigkeit entspringen soll, die in den logischen Urtheilsformen liegt. Diese Stufenlehre ganz zu verstehen, muß man aber den der Kantischen Philosophie eigenthümlichen Begriff von reiner Vernunft überhaupt und von einer in der Vernunft liegenden reinen Form des Erkennens gefaßt haben. Da nun hier nicht der Ort ist, die Grundlehren des Kantianismus mit der Ausführlichkeit zu erörtern, ohne die sie sich nicht verständlich machen lassen, so dürfen wir nur fragen, was sich aus dieser Lehre ergibt, wenn sie wahr befunden werden sollte. Causalität ist nach dieser Lehre nur ein reines Gedankenverhältniß eines Dinges, das wir hypothetisch als ein  
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  Wirkliches setzen, zu einem andern Dinge in unsern Gedanken. Wie in der hypothetischen Urtheilsform das Bedingte mit dem Bedingenden durch logische Nothwendigkeit verbunden ist, so denken wir uns, nach der Kantischen Lehre, ein Ereigniß, das regelmäßig auf ein anderes folgt, als die Wirkung von diesem, indem wir ein reines Verstandesgesetz in die Wahrnehmung der Erscheinungen übertragen, wozu wir durch das Denken selbst genöthigt werden, wenn wir den Zusammenhang der Erscheinungen beurtheilen wollen. Auf diese Art wäre also die Nothwendigkeit, die in der gedachten Causalverbindung liegt, logisch deducirt.♦  
  Aber erstens wird dadurch noch nicht erklärt, warum denn die Anwendung des Causalitätsbegriffs nur da eintritt, wo wir eine constante Wiederkehr in der Zeitfolge der Erscheinungen wahrnehmen. Zweitens wird durch diese Erklärung dem Causalitätsbegriffe alle Beziehung auf den innern Zusammenhang der Dinge entzogen. Wir erkennen nach dieser Lehre keine wirklichen Ursachen in der Natur der Dinge, und überhaupt kein wirkliches Entstehen des Einen aus dem Andern; wir werden nur durch die in der Natur unsers Verstandes liegende Art zu denken logisch genöthigt, uns vorzustellen, es entstehe nothwendig Eins aus dem Andern, wo wir im Grunde nichts weiter erkennen, als wie in Zeitverhältnissen Eins auf das Andre, nicht aus dem Andern, folgt.♦  
  Wir dürfen also wol mit dem scharfsinnigen Platner die Frage wiederholen: Was haben wir denn nun durch Kant gegen Hume in der Hauptsache gewonnen? Denn das Einzige, was wir gewonnen haben, ist jene Nothwendigkeit, die sich allerdings aus der Macht der Gewohnheit nicht erklären läßt, aber eine bloß logische Nothwendigkeit, die das Wesen, als Natur und den innern Zusammenhang der wirklichen Dinge, nichts angeht. Wir buchstabiren dann, wie Kant selbst es einmal ausdrückt, nur Erscheinungen zusammen, um sie als Begriffe lesen zu können; und der innere Zusammenhang der Dinge bleibt uns verborgen, wie zuvor. Auch alles, was wir von Naturkräften und Selenkräften zu erkennen glauben, wird dann zu einer bloß logisch nothwendigen Vorstellungsart, durch die wir keine Kraft als etwas außerhalb der bloß logischen Vorstellung Wirkliches erkennen. Unser Verstand treibt dann überhaupt nur ein logisches Spiel mit sich selbst, wenn wir irgend etwas in der Natur und in uns selbst zu erklären suchen.  
  Unterdessen läßt die menschliche Vernunft den Causalitätsbegriff in Beziehung auf einen innern Zusammenhang der Dinge nicht fahren, wie man auch in den Schulen darüber streite. Von der Vernunft geht das Streben unsers Geistes aus, wirkliche, nicht bloß von uns gedachte Ursachen und Wirkungen zu erkennen. Rerum cognoscere causas, war von jeher das Ziel und der Stolz der forschenden Vernunft, und gewiß nicht in dem Sinne, als wenn der denkende Geist sich nur an einem logischen Blendwerke ergötzen, oder gar nur inne werden sollte, was die Gewohnheit über ihn vermag.♦  
  Nehmen wir an, daß der Begriff von einem inneren ungewissen Zusammenhange der wirklichen Dinge entweder nur ein Hirngespinst, oder doch nur ein logisch nothwendiges Erzeugniß unsers Verstandes sei, so ist die Vernunft nicht  
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  dasjenige, wofür sie immer sich selbst gehalten hat. Auch alle Schlüsse, durch die wir uns, von Ursachen zu Ursachen fortschreitend, bis zum Begriffe von einem göttlichen Urwesen erheben, das wir uns als die erste Ursache alles endlichen Daseyns denken, erscheinen dann als logische Truggebilde.  
  Wie der Verfasser dieses Artikels den Begriff der Causalität als einen in der Vernunft gegründeten, nicht bloß logischen, Erkentnißbegriff deducirt, hat er in seinem Lehrbuch der philosophischen Wissenschaften (Zweite Auflage, Teil I. S. 111) angezeigt. Die neuen Absolutisten, die alles Erkennen aus der Idee des Absoluten ableiten, haben sich über die Bildung des Causalitätsbegriffes noch nicht so deutlich erklärt, daß es hier schon angezeigt werden könte.
   
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Stand: 20. Februar 2018 © Hans-Walter Pries