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CAUSALITÄT. Ursachlichkeit könten
wir das Wort ins Teutsche übersetzen, wie die Holländer in
ihrer Sprache Oorzakelykheid sagen. Mit diesen Wörtern soll
der Zusammenhang zwischen Ursachen und Wirkungen
bezeichnet werden.♦ |
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Über keinen Begriff ist man in den Schulen
der Philosophie weniger einverstanden. Ein encyklopädischer
Artikel, der keiner Schule ausschließlich huldigen soll, darf
also nur die merkwürdigsten Erklärungen anzeigen, die man
von diesem Begriffe zu geben versucht hat, und diese
Erklärungen mit einigen Anmerkungen begleiten. |
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Wer über den Begriff der Causalität
nachzudenken anfängt, dem muß auffallen, daß der natürliche
Menschenverstand überall im Besitze dieses Begriffs ist, und
daß er uns überall vorschwebt, wo wir auf irgend eine Art
etwas, es sei, was es wolle, begreifen und erklären wollen.
Selbst indem wir erklären wollen, was in eben diesem Begriffe
liegt, setzen wir ihn schon selbst als giltig voraus. Die
menschliche Vernunft kann sich von diesem Begriffe gar nicht
trennen. In dem Forschen nach Ursachen erkent sie sich selbst
als speculative Vernunft. Die Meinung, daß dieser Begriff
durch die Selbstthätigkeit der Vernunft, unmittelbar und
abgesehen von irgend einer besondern Erfahrung, gebildet
werde, hat also wenigstens vieles für sich. |
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Aber wenn wir von irgend etwas die
Ursache angeben, oder aufsuchen, ist uns auch immer schon
ein gewisser Zusammenhang der Dinge gegenwärtig, den wir
entweder äußerlich, oder innerlich, nämlich entweder
durch |
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CAUSALITÄT |
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die äußern Sinne, oder durch die
Selbstbeobachtung in unserm eignen Geiste, als Thatsache
wahrnehmen. Selbst wenn wir uns durch Denken über die
Möglichkeit einer Wahrnehmung erheben, zum Beispiel, wenn
wir uns den Ursprung der Welt begreiflich machen wollen,
setzen wir einen inneren Zusammenhang zwischen dem, was
wir wahrnehmen, aus dem, woraus wir das Wahrgenommene
erklären wollen, voraus. In der Anwendung des
Causalitätsbegriffes auf die materiellen Erscheinungen in der
Natur haben wir durchgängig einen äußerlich wahrnehmbaren
Zusammenhang des Einen mit dem Andern vor Augen. Die
Meinung, daß der Begriff der Causalität unabhängig von allem
wahrnehmbaren Zusammenhange der Dinge aus der reinen
Vernunft entspringe, hat also wenigstens vieles gegen sich.
Daraus erklärt sich schon vorläufig, wie die empiristische
Deduktion des Causalitätsbegriffes immer Anhänger finden
konte und noch findet. |
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Da die Vernunft sich vom Begriffe der
Causalität nicht trennen kann, und da dieser Begriff sich
immer von selbst einstellt, wenn wir etwas begreifen und
erklären wollen: so hat man ihn auch in den Schulen der
Philosophie lange Zeit auf das mannichfaltigste angewandt,
ohne sich nach einer Deduction umzusehen, die uns lehren
soll, woher dieser Begriff stamt, was eigentlich in ihm liegt,
und ob wir durch ihn das Innere der Natur erforschen, und den
Ursprung der Welt begreifen können, oder ob die vernünftige
Anwendung dieses Begriffes sich auf Erscheinungen, die wir
wahrnehmen, beschränke.♦ |
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Weder bei Plato, noch bei Aristoteles, noch
bei einem andern griechischen Logiker, Naturphilosophen und
Metaphysiker, ist eine eigentliche Deduktion des
Causalitätsbegriffes zu finden. Unter den Kategorien des
Aristoteles komt aition oder aitia nicht ausdrücklich vor; ist
aber enthalten in den Begriffen von Thun und Leiden (to
poiein und to paschein), die Aristoteles zu seinen Kategorien
oder allgemeinsten Begriffen zählt. In der Naturphilosophie (z.
B. Physic. auscult. II. 7.) und in der Metaphysik (z. B. I
4.) bedient sich Aristoteles, dieser Begriffe, wie an andern
Orten, ohne sie zu erklären. Auch unterscheidet er
veranlassende Ursachen von denen, die etwas mit innerer
Nothwendigkeit (ex anankes) bewirken. Bei der Art, wie die
Griechen den Begriff von Ursache auffaßten, ist
bemerkenswerth, daß sie ihm in ihrer Sprache eigentlich nur
die Form eines Adjectivs gaben; aitios, aitia, aition). |
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Die Deduktion des Causalitätsbegriffes
wird besonders noch erschwert durch das Zusammentreffen
des Realbegriffs von einer Ursache, die keine bloße
Vorstellung ist, mit dem logischen Formalbegriffe von einem
Grunde. Denn einen Grund in der logischen Bedeutung
nennen wir gewöhnlich ein allgemeines Urtheil, aus welchem
ein untergeordnetes Urtheil gefolgert wird. Diese bildliche
Bedeutung des Wortes Grund, als ob die Wahrheit des
gefolgerten Urtheils auf der Wahrheit des allgemeinen ruhte,
würde nicht leicht Mißverständnisse veranlassen, wenn nicht
die Vernunft in dem Streben, ein Urtheil durch ein anderes zu
begründen, auf eine ähnliche Art sich selbst erkente, wie in
dem Forschen nach Ursachen. Daher nent sich auch in andern
Sprachen dassel- |
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CAUSALITÄT |
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be, was wir im Teutschen den Grund eines
Urtheils nennen, mit eben dem Worte, das die Vernunft
überhaupt bezeichnet, z. B. logos, ratio, raison. Aber
wenn man mit Leibnitz den Satz der Causalität als einen
Satz des zureichenden Grundes (principium rationis
sufficientis) in die Philosophie einführt, läuft man sogleich
Gefahr, die Begriffe zu verwirren; denn eine Ursache kann als
etwas zur Natur der Dinge Gehörendes gedacht werden, ohne
nothwendige Voraussetzung einer Vernunft, die in der Natur
Alles so geordnet hat, daß in ihr Eins aus dem Andern
entsteht, wie in unsern Gedanken eins aus dem Andern folgt.
Das Entstehen des Einen aus dem Andern ist es aber, was wir
durch die Begriffe von Ursache u. Wirkung eigentlich denken;
und dieses Entstehen des Einen aus dem Andern denken wir
uns als nothwendig, sobald irgend etwas als eine Ursache in
Beziehung auf etwas Anderes, das die Wirkung dieser Ursache
seyn soll, gedacht wird.♦ |
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Nun hat von diesem Entstehen des Einen
aus dem Andern die ganze Natur ihren Namen (von nasci, wie
physis, von phyein); und auch in unserm Geiste entsteht mit
psychologischer Nothwendigkeit eine Vorstellung aus der
andern. Das Gesetz der Causalität ist also überhaupt ein
Gesetz der nothwendigen Entstehung des Einen aus dem
Andern. Es fragt sich also weiter, ob wir denn wirklich ein
solches Gesetz erkennen, oder ob wir es vielleicht in
denjenigen Zusammenhang des Dinges, den wir wirklich
wahrnehmen, nur hineindichten. |
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Bis auf Hume, den geistvollen Skeptiker,
scheint niemand besonders darüber nachgedacht zu haben, ob
wir nicht vielleicht uns selbst täuschen, wenn wir uns
vorstellen, daß auf eine ähnliche Art, wie in unsern Gedanken,
wenn wir richtige Schlüsse machen, ein Urtheil aus dem
andern mit logischer Nothwendigkeit hervorgeht, so auch im
All der Dinge ein Daseyn aus dem andern, oder wenigstens
ein Ereigniß aus dem andern, mit physischer, oder
metaphysischer Nothwendigkeit hervorgehe. Es ist schwer zu
begreifen, wie jemand, der Hume's Zweifelslehre verstanden
hat, noch der Meinung anhängen kann, daß das Gesetz der
Causalität sich empirisch deduciren lasse aus der
Wahrnehmung einer Reihe von Ereignissen, unter denen jedes
Mal das Eine auf das Andre unter denselben Bedingungen
folgt. Denn wenn sich auch nicht bezweifeln läßt, daß wir in
solchen Fällen urtheilen, wo, so viel man bisher beobachtet
hat, regelmäßig und unausbleiblich Eins auf das Andre in
Zeitverhältnissen, folgt, da müsse Jenes aus diesem mit
innerer Nothwendigkeit folgen, oder, was dasselbe sagt, durch
dieses bewirkt werden: so liegt doch in der bloßen Zeitfolge,
sei sie auch noch so constant, nicht der Stoff zum Begriff,
weder von innerer Nothwendigkeit, noch zum Begriff der
Hervorbringung oder der Entstehung des Einen aus dem
Andern. Mehr aber, als das Constante in der Zeitfolge, können
wir in dieser Verbindung nicht wahrnehmen, wo wir das Eine
die Wirkung, und das Andre die Ursache nennen. Was diese
Wörter, Ursache und Wirkung eigentlich aussagen, ist also
immer etwas nicht Wahrgenommenes, und zu dem
Wahrgenommenen, Hinzugedachtes. |
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CAUSALITÄT |
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Eben so wenig leuchtet ein, wie der Stoff
der allgemeinen Begriffe von Ursache u. Wirkung, aus der
innern Erfahrung geschöpft werden könne, deren wir uns
bewußt sind, wenn wir durch unser Wollen, oder durch eine
andre Art von Geistesthätigkeit, eine Veränderung in uns,
oder außer uns, bewirken. Denn wenn auch diese Veränderung
unter denselben Bedingungen sich immer wieder einstellt, so
erkennen wir auch dadurch keine innere Nothwendigkeit, daß
sich dieses immer so unter denselben Bedingungen ereignen
müsse. Doch muß wol zugestanden werden, daß, wenn nicht
das Bewußtseyn, das wir von unserm Wollen und unserer
Geistesthätigkeit überhaupt haben, für eine Selbsttäuschung
erklärt werden soll, die Veränderung, die dadurch bewirkt
wird, allerdings aus uns selbst hervorgeht, und daß also hier
von keiner bloßen Zeitfolge die Rede ist. |
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Aber der geistvolle Hume scheint bei
seinem Angriffe gegen die in den Schulen des Empirismus
gewöhnliche Deduction des Causalitätsbegriffs diesen Begriff
selbst aus dem Gesicht verloren zu haben, als er den Knoten
dadurch zu lösen glaubte, daß er aus der blinden Macht der
Gewohnheit psychologisch zu erklären suchte, wenn wir uns
vorstellen, wenn Eins unter denselben Bedingungen immer auf
das Andre folgt, es könne nicht anders seyn. Denn wir wollen
ja wissen, woher das Merkmal der innern Nothwendigkeit in
den Begriffen von Ursach und Wirkung stamt. Dieses
Merkmal kann uns durch die Macht der Gewohnheit nicht
gegeben werden. Eben so wenig vermag die Gewohnheit allein
die Vorstellung von einer Entstehung des Einen aus dem
Andern in uns hervorzulocken. Sei die Macht der Gewohnheit
noch so groß; sie beschränkt sich doch ihrer Natur nach auf
das Gewöhnliche; und das Gewöhnliche, bloß als solches, hat
weder mit innerer Nothwendigkeit, noch mit der Entstehung
des Einen aus dem Andern, etwas gemein. |
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Wollen wir nun auf die Seite der
transscendentalen Rationalisten treten, die das Gesetz der
Causalität aus der reinen Vernunft deduciren, so führt uns der
Weg zu den Metaphysikern, die durch den Causalitätsbegriff
in den innern Zusammenhang der Dinge einzudringen
behaupten, zuerst in das Gebiet der Kantischen
Vernunftkritik, nach welcher der Begriff der Causalität zwar
ein Begriff a priori seyn soll, den die reine Vernunft aus sich
selbst schöpft, aber nur ein reiner Verstandesbegriff oder eine
von Kant so genante Kategorie, das heißt, ein Begriff, der aus
der Spontaneität des Verstandes und aus bloß logischer
Nothwendigkeit entspringen soll, die in den logischen
Urtheilsformen liegt. Diese Stufenlehre ganz zu verstehen,
muß man aber den der Kantischen Philosophie
eigenthümlichen Begriff von reiner Vernunft überhaupt und
von einer in der Vernunft liegenden reinen Form des
Erkennens gefaßt haben. Da nun hier nicht der Ort ist, die
Grundlehren des Kantianismus mit der Ausführlichkeit zu
erörtern, ohne die sie sich nicht verständlich machen lassen, so
dürfen wir nur fragen, was sich aus dieser Lehre ergibt, wenn
sie wahr befunden werden sollte. Causalität ist nach dieser
Lehre nur ein reines Gedankenverhältniß eines Dinges, das
wir hypothetisch als ein |
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CAUSALITÄT |
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Wirkliches setzen, zu einem andern Dinge
in unsern Gedanken. Wie in der hypothetischen Urtheilsform
das Bedingte mit dem Bedingenden durch logische
Nothwendigkeit verbunden ist, so denken wir uns, nach der
Kantischen Lehre, ein Ereigniß, das regelmäßig auf ein
anderes folgt, als die Wirkung von diesem, indem wir ein
reines Verstandesgesetz in die Wahrnehmung der
Erscheinungen übertragen, wozu wir durch das Denken selbst
genöthigt werden, wenn wir den Zusammenhang der
Erscheinungen beurtheilen wollen. Auf diese Art wäre also die
Nothwendigkeit, die in der gedachten Causalverbindung liegt,
logisch deducirt.♦ |
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Aber erstens wird dadurch noch nicht
erklärt, warum denn die Anwendung des Causalitätsbegriffs
nur da eintritt, wo wir eine constante Wiederkehr in der
Zeitfolge der Erscheinungen wahrnehmen. Zweitens wird
durch diese Erklärung dem Causalitätsbegriffe alle Beziehung
auf den innern Zusammenhang der Dinge entzogen. Wir
erkennen nach dieser Lehre keine wirklichen Ursachen in der
Natur der Dinge, und überhaupt kein wirkliches Entstehen des
Einen aus dem Andern; wir werden nur durch die in der Natur
unsers Verstandes liegende Art zu denken logisch genöthigt,
uns vorzustellen, es entstehe nothwendig Eins aus dem
Andern, wo wir im Grunde nichts weiter erkennen, als wie in
Zeitverhältnissen Eins auf das Andre, nicht aus dem Andern,
folgt.♦ |
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Wir dürfen also wol mit dem
scharfsinnigen Platner die Frage wiederholen: Was haben wir
denn nun durch Kant gegen Hume in der Hauptsache
gewonnen? Denn das Einzige, was wir gewonnen haben, ist
jene Nothwendigkeit, die sich allerdings aus der Macht der
Gewohnheit nicht erklären läßt, aber eine bloß logische
Nothwendigkeit, die das Wesen, als Natur und den innern
Zusammenhang der wirklichen Dinge, nichts angeht. Wir
buchstabiren dann, wie Kant selbst es einmal ausdrückt, nur
Erscheinungen zusammen, um sie als Begriffe lesen zu
können; und der innere Zusammenhang der Dinge bleibt uns
verborgen, wie zuvor. Auch alles, was wir von Naturkräften
und Selenkräften zu erkennen glauben, wird dann zu einer
bloß logisch nothwendigen Vorstellungsart, durch die wir
keine Kraft als etwas außerhalb der bloß logischen Vorstellung
Wirkliches erkennen. Unser Verstand treibt dann überhaupt
nur ein logisches Spiel mit sich selbst, wenn wir irgend etwas
in der Natur und in uns selbst zu erklären suchen. |
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Unterdessen läßt die menschliche Vernunft
den Causalitätsbegriff in Beziehung auf einen innern
Zusammenhang der Dinge nicht fahren, wie man auch in den
Schulen darüber streite. Von der Vernunft geht das Streben
unsers Geistes aus, wirkliche, nicht bloß von uns gedachte
Ursachen und Wirkungen zu erkennen. Rerum cognoscere
causas, war von jeher das Ziel und der Stolz der forschenden
Vernunft, und gewiß nicht in dem Sinne, als wenn der
denkende Geist sich nur an einem logischen Blendwerke
ergötzen, oder gar nur inne werden sollte, was die Gewohnheit
über ihn vermag.♦ |
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Nehmen wir an, daß der Begriff von einem
inneren ungewissen Zusammenhange der wirklichen Dinge
entweder nur ein Hirngespinst, oder doch nur ein logisch
nothwendiges Erzeugniß unsers Verstandes sei, so ist die
Vernunft nicht |
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CAUSALITÄT |
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dasjenige, wofür sie immer sich selbst
gehalten hat. Auch alle Schlüsse, durch die wir uns, von
Ursachen zu Ursachen fortschreitend, bis zum Begriffe von
einem göttlichen Urwesen erheben, das wir uns als die erste
Ursache alles endlichen Daseyns denken, erscheinen dann als
logische Truggebilde. |
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Wie der Verfasser dieses Artikels den
Begriff der Causalität als einen in der Vernunft gegründeten,
nicht bloß logischen, Erkentnißbegriff deducirt, hat er in
seinem Lehrbuch der philosophischen Wissenschaften (Zweite
Auflage, Teil I. S. 111) angezeigt. Die neuen Absolutisten,
die alles Erkennen aus der Idee des Absoluten ableiten, haben
sich über die Bildung des Causalitätsbegriffes noch nicht so
deutlich erklärt, daß es hier schon angezeigt werden könte. |
(Bouterweck.) |
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