S. 87 (Forts.) |
CAP. VI. |
⇦ S. 87 (Anfang) |
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Von Bestellung einer Rath-Stuben, oder der Cantzler und Räthe, und der
Cantzeley. |
Scan 107 |
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Innhalt. |
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Was unter den nahmen der regierungs-räthe zu verstehen, pr. |
S. 88 |
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Von denen cantzlar und räthen. §. 1. |
S. 89 |
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Welche von genugsahmer wissenschaft und qualitäten, dabey von honetten
stande, auch anständigen tugenden seyn müssen. §. 2. |
S. 91 |
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deren amt und pflicht erfordert, dem landes-herrn zu rathen, und
dabey 1) auf Gottesfurcht, treue, pacta, privilegia, ord- |
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S. 88 |
Teutschen Fürsten-Staats |
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nungen und rechte, zu sehen 2) die acta fleißig zu erwegen. 3) darüber deutlich zu
votiren. 4) den schluß abzufassen oder zu entwerffen. 5) einige mündlich zu hören. 6)
sich ausserordentlich in verschickungen und sonsten gebrauchen zu lassen. §. 3 |
S. 93 |
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wobey zu mercken: 1) daß der räthe eine hinlängliche anzahl sey. §. 4. |
S. 96 |
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2) daß einer darunter das directorium führe, und worinnen solches bestehe.
§. 5. |
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3) daß unter den übrigen der rang und ordnung, nach dem alter der dienste,
beobachtet werde. §. 6. |
S. 98 |
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4) keiner auch sich in neben bestallungen einlassen müsse, oder sonst partheyisch
seye §. 7. |
S. 99 |
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5) daß ein jeder die raths-täge wohl abwarte. §. 8. |
S. 100 |
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6) daß einige mit staats- andere mit justitz-sachen zu thun haben. §. 9. |
S. 101 |
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7) jedoch die communication mit andern collegiis nicht unterbleiben dürffe.
§. 10. |
S. 102 |
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8) wie zu erleichterung der geschäffte zuweilen commissiones angeordnet werden
§. 11. |
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auch wird eine cantzley bestellet. §. 12. |
S. 103 |
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vom amt der secretarien. §. 13. |
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von den registratoren und actuariis. §. 14. |
S. 104 |
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von denen archivariis. §. 15. |
S. 105 |
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von denen cantzellisten. §. 16. |
S. 106 |
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amt eines bothen-meisters. §. 17. |
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von denen cantzley-dienern. §. 18. |
S. 107 |
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DIe vornehmsten, und zu allen puncten in der landes-regierung bestellte diener,
sind die regierungs-räthe, unter welchen nahmen wir allhier insgemein diejenigen
meynen, welche zu staats-sachen allein, oder so wohl zu staats- als justitz-sachen
verordnet werden, und darunter an den meisten orten der cantzlar der vornehmste
ist. |
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S. 89 |
Anderer Theil. Cap. 6. |
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§. 1 |
§. 1. Der nahme eines cantzlars ist aus welschland, vor etlich hundert jahren in
teutschland aufkommen,* und anfänglich nur von der Könige und des Kaysers obersten
bedienten zu regiments- und justitz-sachen, welche denen andern dazu bestellten
vorgesetzet waren, und über die cantzellen oder gittere, und verwahrung der
gerichts-stellen, und geheimen schreybereyen, die aufsicht hatten, gebrauchet, auch solches amt
mehrentheils geistlichen personen, bischöffen und äbten vertrauet worden; ** und wird
man bey denen teutschen fürstenthümern, ehe man noch die landes-regierung besser
gefasset, und sonderlich die kayserlichen lateinischen rechte in teutschland in vollen
schwange kommen, diesen nahmen nicht, die verrichtung aber, so ferne finden, daß zum
theil zu der zeit solche durch die vornehmste hoff-bediente und räthe aus der
landschafft, zum theil aber durch gelehrte, die sie ihre oberste notarien oder
schreiber genennet, verrichtet worden. |
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* Der nahme und verrichtung eines cantzlars
ist schon lange, und sonderlich bey den Fränckischen Königen und Kaysern in gebrauch
gewesen, und wurden auch capellani, die obersten über diese geordnete cantzler aber
archicapellani, it. Apocrisiarii und endlich Archicancellarii genennet, welcher nahme
noch itzo im brauch ist. Nach der Hand haben auch die teutschen fürsten diese dignität
eingeführet. Sonst meynet du Fresne, daß zwar bey denen francken der cantzlar die
justitz dirigirt, aber bey den Italiänern nur so viel als thürhüter gewesen: daher den
Mallincrot saget: Cancellarii nomen ab initio vile et abjectum, a seculis aliquot per
omnem Europam honoratissimum habetur. |
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S. 90 |
Teutschen Fürsten-Staats |
Scan 110 |
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** Der herr Coccejus giebet in jure publico
die ursach an: weil durch die geistliche Personen am ersten die quæstion de
justitia hätte können erörtert werden, nach arth der alten teutschen und Gallier; Ich
glaube aber es komme von der bereits damahls gestiegenen macht der geistlichkeit her,
und weil man sonst keine gelehrte leute hatte. Heutiges tages aber wird meists eine
gelehrte weltliche Person dazu gebrauchet, doch je zuweilen in dem prædicat variirt. S.
die addit. §. 33. |
⇧ Anfang |
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Der nahme und amt aber eines raths, oder wie sie die alten genennet, Rathgebers und
Heimlichen, ist in teutschland lange zeit gebräuchlichen gewesen, und haben deroselben
die regenten bey weitläufftiger und schwerer verrichtung ihres amts nicht entbehren
können, sonderlich nachdem die kriegerische zeiten, und eigenthätliches verfahren, in
teutschland durch die reichs-gesetze und verordnung des land-friedens aufgehoben, und
also denen fürsten und herren ruhe und zeit gegeben worden, die regierung ihrer länder
besser zu bestellen. |
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Wir reden aber allhier von solchen räthen, die man sonst würckliche Regierungs-
Hof- und Justitien-Räthe nennet, und zu der regierung des landes, in der rathstuben und
cantzeley gebrauchet werden, unter welchen der oberste der cantzlar ist. Dann ausser
und neben diesen pflegen die fürsten auch etlichen vornehmen, oder vertrauten personen
vom adel und gelehrten, ehren wegen, und zu bezeugung ihrer gnädigen affection, den
titul eines raths zu geben, etliche auch nicht zu steter verrichtung, sondern nur von
hauß aus, daß sie |
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S. 91 |
Anderer Theil. Cap. 6. |
Scan 111 |
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auf erfordern in diesem oder jenem geschäffte dienen müssen, anzunehmen. |
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Weil denn nun cantzlar und räthe solche personen und diener des landes-fürsten
sind, welche er in verführung seines regiments zu rathe fraget, und die vornehmsten
geschäffte, sonderlich aber oberste aufsicht in regiments-sachen durchs gantze land,
und die ertheilung der höchsten justitz und gerichtbarkeit durch sie verrichten läst,
so ist leichtlich zu ermessen, daß dieselben von guten eigenschafften, verstand und
tugend seyn müssen, sollen sie anders ihrem herren und dem lande mit nutzen rathen,
dienen und vorstehen können. |
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§. 2 |
§. 2. Darum pflegt auch der landes-herr in bestellung und annehmung derselben
grosse behutsamkeit zu gebrauchen, * und nicht allein auf die im vorigen capitel
gemeldete gemeine stücke, sondern über dieses auch dahin zu sehen, daß sie gnugsam
Gelehrte, und nechst erforderter wissenschafft in der Christlichen Religion, der
Politischen Weltweißheit, und der stücke, die zu einem wohlbestellten regiment gehören,
so dann des gemeinen Kayserlichen und der Landüblichen Rechten, der Satzungen und
beschaffenheit des Römischen Reichs, und dessen höchster gerichte, wohl unterwiesen und
erfahren, auch des landes und dessen Ordnungen und Gewohnheiten, und der Angelegenheit
ihres Herrn entweder bereits wissend, oder doch ihrer geschicklichkeit nach, leichtlich
zu informiren seyn. |
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S. 92 |
Teutschen Fürsten-Staats |
Scan 112 |
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* Wo aber diese hindangesetzet,
und alles ohne unterschied, was gelauffen kömmet, oder sonst durch unreiffe
recommendationes sich einschleichet, angenommen wird, da ist gewiß nichts als schaden
vor den Fürsten zu gewarten. Denn einmahl erreichet er seinen gehabten endzweck nicht
mit solchen dienern, darnach so werden dieselbe Ihme auch zur last. Wie aber capable
leute herbey zu schaffen, wird in
addit. §. 34. etwas gehandelt. |
⇧ Anfang |
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(2.) Ihrem stande und herkommen nach, werden entweder gebohrne edelleute, oder
solche personen, die ihrer geschicklichkeit und wissenschafft halben auf den hohen
schulen mit einem ehren-titul und gradu, wie mans nennet, eines Doctorn oder
Licentiaten gewürdiget werden, oder doch denenselben gleich zu schätzen, zu räthen
bestellet. * |
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* Welche arth unter diesen beyden aber der
andern vorzuziehen, ist bereits im
vorgehenden
cap.
und bey dem 32. §. addit. |
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(3.) Ob wohl allen menschen alle gaben nicht verliehen sind, so befleißiget sich
doch ein landes-herr dahin, daß neben solchen nothwendigen stücken, alle, oder etliche
seiner räthe, auch sonst gute qualitäten, als wissenschafft der sprachen, beredsamkeit,
höffllche sitten, erfahrung und kundschafft anderer länder, und dergleichen haben
mögen, damit man sich deroselben in- und ausserhalb des landes desto füglicher
gebrauchen könne. |
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S. 93 |
Anderer Theil. Cap. 6. |
Scan 113 |
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(4.) So auch einem jeden menschen, sonderlich der einem andern und höherm zum
gemeinen wohlstand dienen will, die tugend der gottesfurcht, demuth, und erbarkeit,
höfflichkeit, aufrichtigkeit, redlichkeit, vermeidung des geitzes, warhafftigkeit,
verschwiegenheit und gnügsamkeit, nöthig und anständig sind, so vielmehr und
kräfftiglicher werden sie an denen personen der cantzlar und rälte, wegen des hohen
amts, darein sie der landes-fürst setzet, darinnen sie auch Gottes ehre und des landes
wohlfarth fördern, das recht männiglich unpartheyisch ertheilen, und das übel im lande
abschaffen sollen, unumgänglich erheischet und erfordert, wie sie denn auch
gemeiniglich in ihren bestallungen dahin angewiesen und verpflichtet werden. |
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§. 3 |
§. 3. Ihre verrichtung an sich selbst ist gleicher gestalt in ihrer bestallung,
auch wohl in gewissen cantzley-ordnungen zu finden, und läufft in summa da hinaus, daß
sie dem landes-herrn in allen sachen, die landes-regierung betreffende, entweder und
zwar ordentlich auf seinen befehl und erforderung, oder auch vor sich, wenn sie ihre
pflicht und gewissen darzu antreibet, * so dann auch in allen rechts-sachen, die vor
dem landes-herrn kommen, ihren treuen rath, wie in einem und andern stück zu verfahren,
was zu thun oder zu lassen, wie diese und jene sache zu entscheiden sey, frey und
gewissenhafft eröffnen, und darzu mit fleiß und verstand bedient seyn sollen. |
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S. 94 |
Teutschen Fürsten-Staats |
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* Es fragt sich hiebey, ob ein
rath auch unerfordert seinen anrath bey einer vorlauffenden affaire zu geben schuldig
sey, zumahl wenn er siehet, daß solche einen üblen ausgang dem fürsten zum schaden
gewinnen möchte? wobey meines erachtens der unterschied zu machen, ob diese affaire zu
eines raths bestellung gehöre oder nicht: Und wie im erstern fall kein zweiffel, daß er
mit bescheidenheit reden müsse: also ist er letzteren falls einem andern vorzugreiffen
nicht befugt, da zumahl das vorhabende werck etwa vor ihm cachiret werden
solte. |
⇧ Anfang |
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Darzu denn erfordert wird, Erstlich, daß sie ihrem besten verstande nach, insgemein
zwar die furcht Gottes, erbarkeit und treue vor augen haben, so dann nach gelegenheit
jedweder sachen darauf sehen, und ihre gemüths-meynung und rathschläge darauf fundiren,
was verträge, testamenten, begnadigungen, privilegien, constitutionen und ordnungen des
landes-herrn, und dessen vorfahren, löbliche hergebrachte gewohnheiten, oder in mangel
deroselben, die land-übliche, und endlich die gemeine reichs-rechte und satzungen mit
sich bringen, und wie in solchen sachen, den ersten punct der landes-regierung
betreffende, der gemeine nutz und wohlfart der lande und leute vielmehr, als der
privat-vortheil und eigener wille, und in justitz-sachen, was rechtmäßig ist, ohne
gunst oder freundschafft, gegen die partheyen, beobachtet werde. |
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Vors andere, bringen auch ihre dienste mit sich, daß sie in solchen
regierungs-sachen die nachrichten und schrifften, oder acten, wie die in den fürstl. archiven und
brief-gewölben verwahret oder tägl. bey der |
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Anderer Theil. Cap. 6. |
Scan 115 |
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cantzley einkommen, und gesammlet werden, fleissig lesen, erwegen, daraus
verständlich und treulich referiren und vorbringen, was darinnen enthalten sey, und
wovon die frage vorfalle. |
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Drittens, daß sie darüber ihre meynung und vota deutlich, kürtzlich und eigentlich,
so viel Gott verstand und gnade verliehen, vorbringen und eröffnen. |
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Vierdtens, daß sie auch dasjenige, was beschlossen ist, entweder, nach dem es
wichtig, selbst schrifftlich, in reiner teutscher sprache, zierlich, und nach
gewohnheit oder stylo der cantzeley abfassen, oder den inhalt, wie es von den
secretarien aufgesetzet werden soll, in eine sonderliche registratur dictiren und
aufzeichnen lassen.** |
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** Welcher modus billig vor den besten und
ordentlichsten zu halten, und deme, da nur auf einem blat papier die resolutiones
angegeben werden, in vielen stücken vorzuziehen Doch ist diese letztere arth ebenfalß
im gebrauch, und zu schleuniger expedition der sachen gantz dienlich, hat hingegen auch
viele inconvenientien bey sich, als: Die gefahr der unordnung, einseitiger übereilung,
partheylichkeit, u d. m. |
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Fünfftens, so streitige partheyen, oder andere, mit denen der landes-herr reden,
oder sie auf ihr begehren hören lassen will, für die rathstuben beschieden werden,
gebühret einem rath, die anzeige und eröffnung mündlich, mit glimpff und verstande zu
thun, worauf sich der vorbeschiedene heraus lassen soll, oder worinn man ihn hören
wolle, nichts weniger das fürbringen in die raths-bücher oder protocoll zu schreiben
und einzuzeichnen, auch auf |
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Teutschen Fürsten-Staats |
Scan 116 |
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gemachten schluß den bescheid oder antwort mündlich zu eröffnen, oder daß es in
schrifften geschehen soll anzudeuten. |
⇧ Anfang |
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Sechstens, fielen aber sachen vor, darinn der landes-herr durch einen rath, auch
ausserhalb der rathstuben entweder im lande mit seinen unterthanen und ständen, oder
mit seinen dienern, oder fremden ankommenden gesandten, etwas wolte reden, handeln und
vornehmen lassen, oder er wollte ihn auch anders wohin, an andere fürsten, herren, oder
personen, mit denen man zu thun hat, als einen gesandten oder abgeordneten schicken, so
ist der rath schuldig , sich darzu in ehrlichen, unverkleinerlichen werbungen und
handlungen gebrauchen zu lassen, und dasjenige münd- oder schrifftlich vorzubringen,
was ihme entweder mündlich, oder in schrifftlichen instructionen anbefohlen ist, auch
was er verrichtet, treulich und fleißig seinem herrn zu referiren. |
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Damit aber diese ihre amts-verrichtung desto schleuniger, auch ordentlicher und
bequemlicher von statten gehe, ist dabey ferner aus löblicher gewohnheit wohlbestalter
policey zu mercken: |
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§. 4 |
§. 4. (1.) Daß der regierungs- oder hoff-räthe, zu besserer verrichtung und
austheilung der sachen, auch mehr gute rathschläge und gedancken zuhaben, eine gnugsame
anzahl, nach gelegenheit des landes und fürfallender verrichtung, seyn müssen. |
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§. 5 |
§. 5. (2.) Daß darunter einer zu einem Präsidenten und Directorn mehrentheils unter
dem nahmen und titul eines Cantzlars verordnet ist, welcher |
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Anderer Theil. Cap. 6. |
Scan 117 |
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für den andern den vorzug und respect hat, eine sache in abwesen und an statt des
Landes-Fürsten, oder diejenige, welche der Herr selbst nicht zu proponiren pflegt, zur
berathschlagung in die umbfrage zu bringen, der räthe meynung darüber zu begehren, den
schluß nach denen mehrern stimmen zu machen, und denenselben zu seiner Abfassung, in
die cantzley anzubefehlen. |
⇧ Anfang |
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Also auch bey verhören und vorbeschieden den vortrag zu thun, und antwort zu geben,
dem landes-fürsten einen schluß der sämtlichen räthe zu referiren, alles, was in der
cantzeley aufgesetzet wird zuförderst zu durchsehen, zu verbessern, auch wenn es ins
reine geschrieben, was nicht gar wichtige sachen sind, und von dem landes-fürsten
selbst unterschrieben werden, * im namen desselben, oder der regierung und cantzeley,
zu unterschreiben, auch daß es mir dem fürstlichen wapen und secret bedrückt werde,
anzuordnen, massen er denn über solch siegel die inspection und verwahrung hat.
Ingleichen hat er vor andern auf die bedienten der cantzeley gute aufsicht zu haben,
vorgehende mängel ihnen anzuzeigen, und abzuschaffen.** |
|
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* Diejenigen sachen, welche von dem fürsten
selbst unterschrieben werden müssen, sind nicht aller orten einerley: An etlichen wird
denen räthen vieles, an andern orten weniger zu unterschreiben gestattet. Insgemein
rechnet man dahin, ausser denen sachen, die ein fürst an andere fürsten und Regenten
ergeben lässet, die sonderbah- |
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S. 98 |
Teutschen Fürsten-Staats |
Scan 118 |
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re begnadigungen, lehn-brieffe, confirmationes, privilegia, straffen,
und deren transmutationes, aggratiationes,
wichtige verordnungen in Justitz, Policey, Cammer und Consistorial-sachen u. d. g. m.
welche aus der erfahrung zu erlernen. |
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** Und in diesen angezeigten stücken bestehet
eigentlich das amt eines Directoris, in so fern er mit Justitz- und Regierungs-sachen
beschäfftiget ist: worüber noch ferner die
addit. §. 35 zu sehen sind. Weil aber auch
dergleichen ministri meistens unter die mitglieder des geheimden raths gehören, und
wohl gar das directorium darinnen führen, so ist leicht zu erachten, daß sie wegen der
häuffigen publiquen affairen gar wenige zeit auf abwartung und revidirung der
justiz-sachen wenden können oder wollen, da doch sonst die einrichtung der geschäffte leicht
also zu machen, daß eins mit dem andern gefördert würde. Doch hievon
§. 36. addit. ein
mehrers. |
|
§. 6 |
§. 6. (3.) Unter den andern räthen, wird um verhütung streits und confusion, die
ordnung gehalten, daß ein jedweder den stand und ehren-stelle nimmt, nach der Zeit, wie
er zu einem rath angenommen worden, es wolte denn der landes-fürst aus bewegenden
ursachen ein anders verordnen, und nach solcher ordnung legen sie auch ihre vota und
relationen ab, dirigirt auch in abwesen des cantzlars, und vertritt dessen stelle der
älteste oder erste nach ihm in der raths-ordnung, doch wenn der räthe einer etwas
ordentlich für sich vorbringet, und referiret, wird er mit seiner meynung zu erst
gehöret, und wider dergleichen gute ordnung pflegt nicht gehandelt, noch von einem dem
andern zur un- |
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Anderer Theil. Cap. 6. |
Scan 119 |
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gebühr ins wort gefallen und vorgegriffen, vlelweniger er wegen seiner meynung
verdrießlich aufgezogen oder verachtet zu werden, sondern wird zu des herrn, oder der
mehrern stimmen * ausschlag, gestellet, welche meynung zu ergreiffen sey. Bey
ansehnlichen grossen landes-fürstl. regierungen, wird zwar diese ordnung auch, aber
darbey dieses in übung gehalten, daß zwo bäncke oder reyhen der räthe sind, auf deren
ersten die adels- oder höhern standes-personen, auf der andern die gelehrten und
graduirten sitzen. |
⇧ Anfang |
|
* Und wird denn nach diesem die expedition
verrichtet, ob gleich sonst ein oder der andere in seiner meynung nicht wenig gegründet
seyn möchte. So sind auch die, welche ein wiedriges votum geführet, nicht weniger das,
was per plurima beschlossen worden, allen falß mit zu defendiren schuldig, und
geziehmet sich nicht, bey ein und andern, dem die sache angehet, sich heimlich zu
entschuldigen, wie davon in etlichen Cantzley-Ordnungen versehung geschehen. Am
wenigsten aber will sich gebühren, daß einer oder ander ex collegio etwas ohne wissen
der andern anwesenden angebe und expediren lasse, daher einiger orten geordnet, daß in
der Cantzley nichts, welches nicht wenigst von 2. oder mehr räthen angegeben und
signiret worden, expediret werden müsse. |
|
§. 7 |
§. 7. (4.) Damit ein jedweder rath in seinen votis desto freyer und gewissenhaffter
seye, auch die andern nicht hieran hindere, so pfleget man nicht gerne zu leiden, daß
einer in eines andern herrn neben-bestallung sich einlasse, vielweniger einer |
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Teutschen Fürsten-Staats |
Scan 120 |
|
oder andern parthey sonderbaren vorspruch und sollicitatur auf sich nehme, gebühret
sich auch, daß er in sachen, die ihn, oder seine nahe freunde betreffen, abtrete, und
sich votirens und anordnens enthalte, * insgemein auch in keiner sache, die vor der
regierung anhängig, oder dahin gehörig ist, denen interessenten seinen rath
ertheile. |
⇧ Anfang |
|
* wovon bereits anzeige
geschehen. |
|
§. 8 |
§. 8. Der zeit halben ist es wegen vieler regiments-geschäffte gebräuchlich,
nöthig, und also geordnet, daß die cantzlar und räthe öffters und mehrentheils täglich
in der rathstuben zusammen kommen, und ihre verrichtung abwarten, auch ohne erlaubniß
des landes-herrn und anzeige ins collegium, nicht verreisen, noch aussen bleiben, doch
sind Sonn- und Fest-tage, wie auch zu ihren privat-geschäfften, und in etwas zu ruhen,
etlicher orten die nachmittags-stunden alle tage, anderswo wöchentlich zwey oder drey
nachmittage ausgesetzt. |
|
|
Ingleichen, damit die sachen der landes-regierung, absonderlich, und die
gerichtbarkeit betreffende, einander nicht hemmen und aufhalten, sind an den meisten
orten gewisse tage gesetzet, auf welche vorbeschiede und gerichts-händel anzuordnen,
oder die sachen, welche die wochen über sich gehäuffet, und inzwischen von denen räthen
absonderlich gelesen oder vorgenommen worden, in beyseyn aller räthe vorzutragen und zu
schliessen. |
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S. 101 |
Anderer Theil. Cap. 6. |
Scan 121 |
§. 9 |
§. 9. Zum sechsten, nachdem die geschäffte in einer landes-regierung sehr
mancherley sind, und etliche den Staat oder die erhaltung der fürstl. Hoheit an sich
selbst, etliche die unterthanen des landes und ihre angelegenheiten betreffen, so
pflegen in grossen fürstenthümern die sachen gesondert, und zu denenjenigen, welche
ihrer wichtigkeit nach in den ersten, andern und dritten punct der
regierungs-geschäffte lauffen, besondere räthe, welche man Geheime nennet, * bestellet zu werden,
darinne wiederum ein gewisser Director, Statthalter, Präsident oder Cantzlar verordnet,
welcher mit den gemeinen land-und justitz-sachen nichts zu thun, sondern allein in
jetzt-gedachten vornehmsten regierungs-puncten, die wir hiernechst erklären werden,
ihre rathschläge zu fassen haben. In mittelmäßigen fürstenthümern und landen aber,
pfleget man zwar die räthe alle in einer würde, und zu beyderley, als nemlich, so wohl
zu staats- als justitz-sachen, zu bestellen, doch damit keine verwirrung der händel
vorgehe, und eines das andere nicht hemme, so werden entweder aus dem mittel der räthe
etliche absonderlich zu solchen sachen, als zugleich Geheime- oder Staats-Räthe
bestellet, oder es pflegt der landes-herr nach seinem gefallen zu gewisser zeit solche
dinge fürzunehmen, und etliche der räthe nach beliebung, und die er zu derselben sache
am tauglichsten achtet, oder bey der hand hat, zu brauchen, und die übrige bey den
justitz-sachen zu lassen. |
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S. 102 |
Teutschen Fürsten-Staats |
Scan 122 |
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* Von diesen geheimen räthen und
deren uhrsprung wird noch etwas in dem 36. §. addit. gehandelt
werden. |
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§. 10 |
§. 10. (7.) Weil viel sachen vorlauffen, die zum theil die weltliche regierung,
theils aber das geistliche kirchen-und schul-wesen, theils auch des landes-herrn
einkünffte, und also genannte Cammer-sachen betreffen, so ist solchen falls gewöhnlich,
daß die regierungs-räthe, entweder die bedienten in den andern beyden stücken, welche
hierunter auch beschrieben werden sollen, zu sich ziehen, und ihr gutdüncken auch
vernehmen, oder einen ihres mittels zu denselben ordnen, damit desto gründlicher, und
mit gnugsamen bericht alles gehandelt werde. |
⇧ Anfang |
§. 11 |
§. 11. (8.) Endlich, weil sich bißweilen, bey der regierung die geschäffte
überhäuffen, oder doch solche sachen fürfallen, die durch augenschein, mündliche
unterredung, und gütliche vorschläge, leichter zu verrichten scheinen, oder so gering
sind, daß man damit eine gantze sammlung der räthe nicht zu bemühen hat, so werden in
solchen regiments- auch sonderlich in gerichts-sachen entweder vom landes-herrn, oder
dessen regierung, commißionen und befehle, an einen oder den andern rath, beamten, und
andern diener oder stand im lande ertheilet, auch gewisse puncten und instructionen
fürgeschrieben, daß solche commissarien entweder dasjenige, was sonst die
regierungs-räthe selbst thun sollen, völlig ausrichten und verordnen, oder doch darüber
nothdürfftige erkundigung und vorbereitung |
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S. 103 |
Anderer Theil. Cap. 6. |
Scan 123 |
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anstellen, und den verlauff dem landes-herrn zur fernern verordnung berichten
sollen. |
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§. 12 |
§. 12. Denen cantzlar und räthen sind nun nachgeordnet die bedienten der
cantzeley,* nehmlich, die Secretarien, Registratoren und Cantzelisten. |
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* Es wird aber im gegenwärtigen verstande die
cantzley eigentlich derjenige ort genennet, worinnen die acta und brieffschafften
verwahret werden, mit welcher benennung es eben die bewandniß hat, so oben von dem
cantzlar erwehnet worden. Und zwar sind die cantzleyen den nahmen nach gleichermassen
vor alters nicht so gemein gewesen, als itzo, da fast jede mäßige stadt und closter
ihre schreibereyen, mit solchen nahmen gerne wollen beehret wissen. |
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§. 13 |
§. 13. Der Secretarien amt ist, daß sie dasjenige, was in der rathstuben
geschlossen, und ihnen daselbst anbefohlen, oder in der schrifftlichen registratur der
rathschlüsse ihnen übergeben wird, in gebührlicher form und gewöhnlichen stylo, oder
rede- und schreib-art der cantzeley und des hofs, zu papier bringen, und concipiren, *
es seyen nun befehle, ausschreiben, resolutionen auf einkommende supplicationen,
bescheide, abschiede, instructionen, memorialen, oder schreiben, und
brief-wechselungen: Ingleichen haben sie in der rath-stuben das protocoll, oder
niederschreibung dessen, was die partheyen, und andere, vorbringen, zu führen, und
sonsten mündliche andeutungen und vorträge auf sich zu nehmen, die ihnen in der
rath-stuben aufgetragen werden. An etlichen orten pflegen sie |
⇧ Anfang |
S. 104 |
Teutschen Fürsten-Staats |
Scan 124 |
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auch die schlüsse der räthe, dem landes-herrn allein zu referiren, welches aber
anderswo nicht geschicht, sondern vielmehr für einen mißbrauch gehalten wird. Nachdem
aber die geschäffte mancherley sind, so werden auch bey denen cantzeleyen die
verrichtungen unter den secretarien unterschiedlich befunden, denn wo besondere geheime
räthe sind, da werden auch geheime secretarien und cantzelisten gehalten, sind aber
solche sachen gleich in einer rath-stuben zusammen geschlagen, so ist ein gewisser
cammer- oder geheimer secretarius zu den Staats- oder Reichs- oder Kriegs-sachen, ein
anderer zu den Lehen- oder Adels-sachen, ein anderer zu den gerichts-sachen, und nach
gelegenheit des landes, einer zu den sachen dieses oder ienes Craises und Bezircks im
lande, der andere zu andern bestellet. |
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* Wenn nun das concept von denen secretariis
also gefertiget worden, so wird dasselbe ferner in die rathstuben dem cantzlar und
räthen zur revision und signatur übergeben, und alsdenn erst zur völligen expedition
oder mundirung wieder in die cantzley gelieffert. |
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§. 14 |
§. 14. Die registratoren und actuarii werden zu dem ende gehalten, daß sie in der
cantzeley die acten und schrifften, wie sie die secretarien sammlen und ordnen,
zusammen bringen, an gehörige orte legen, zeichnen, einhefften, und foliiren lassen,
auch nach gelegenheit den innhalt derselben summarisch darauf schreiben, in der
rath-stuben aber die summa der einkommenden supplicationen und schriff- |
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Anderer Theil. Cap. 6. |
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ten, wie die räthe dictiren, oder es ihnen selbst heraus zu ziehen, anbefehlen, so
wohl auch das decret oder den schluß darauf in gewisse verzeichniß und registratur
bringen. Etlicher orten gebühret ihnen auch den tax der cantzeley-gebühren anzusetzen,
oder es ist darzu in grossen cantzeleyen ein eigener Taxator verordnet. * |
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* Oder auch wird dieses dem bothenmeister
aufgetragen, welcher sich zu solcher collection fast am besten schicket, sintemahl er
der letzte, welcher die expedirte sachen in seine hände bekömmt, und da er vor deren
bestellung sorge tragen muß, auch so denn zugleich vor die einbringung solcher gebühren
sorgen kan. |
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§. 15 |
§. 15. Darneben bestellet man auch einen archivarium, oder vorsteher des
Brief-gewölbes, darinnen die original urkunde, allerhand sachen zur landes-regierung gehörig,
wie auch der partheyen geschlossene und abgeurtheilete sachen in schrifften verwahret,
und in richtiger ordnung gehalten werden müssen, damit man dieselbe auf bedürffenden
fall bald finden, und sich sattsamen berichts daraus erholen könne. Hierbey liegt dem
archivario ob, eine richtige registratur darüber zu halten, was man bedarff, auf befehl
heraus zu geben, wieder abzufordern, und an gehörigen ort zu legen, die schrifften
selbst, daß sie nicht schadhafft werden, in acht zu nehmen, wo nöthig dieselbe copiren
lassen, auswendig auf die acten den titul oder rubric zu bringen, und darnechst die
stücke, so darinn befindlich, summarisch zu verzeichnen. |
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Teutschen Fürsten-Staats |
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§. 16 |
§. 16. Cantzellisten sind bestellet, die schrifftliche aufsätze der räthe und
secretarien ins reine zierlich und umzuschreiben, gebührliche titul, eingang und
schluß, darzu sie eine sonderliche nachricht und titular-buch bey der cantzeley haben,
darzu zu bringen, die concepta wieder an ihren ort zu übergeben, * in rechthängigen
sachen der partheyen, und ihrer advocaten anbringen, wie sie es etlicher orten mündlich
in die feder dictiren, nachzuschreiben, und was sonst mehr ihnen mit schreiben,
copiren, und dergleichen oblieget, zu verrichten. |
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* Hiermit wird es, so viel ich hin und wieder
angemercket, also gehalten, daß die concepta in das expedirte mundum geleget, hierauf
dieses letztere dem cantzlar, oder wer sonst von räthen vorhanden zur unterschrifft
gebracht, und wenn diese geschehen, ferner dem bothenmeister gelieffert werden,
welcher die acta und concepta letztlich dem registratori, um solche wieder beyzulegen,
überlieffert. |
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§. 17 |
§. 17. Der erste unter denenselben hat gemeiniglich, über diß, das amt eines
Bothenmeisters, in dem er alle briefe, schreiben und befehle der herrschafft, aus der
cantzeley ins reich und ins land, entweder durch eigene und verpflichtete
cantzeley-Bothen, die deßwegen wartgeld und gewissen lohn haben, oder sonst durch andere gewisse
gelegenheit, und mit denen ordentlichen posten bestellen, wie, wohin, und wann sie
geschickt worden, aufzeichnen, ingleichen von denen, die bey der cantzeley ankommen,
die briefe aufnehmen, die zeit der präsentation darauf schreiben, und in die rath- |
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Anderer Theil. Cap. 6. |
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stuben, oder dem landes-herrn selbst, wenn sie von vornehmen orten kommen, oder zu
seinen eigenen händen halten, übergeben muß. * |
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* Allenthalben aber ist hiebey der ordnung
gemäß, daß die eingelauffene schreiben nicht in der cantzley erbrochen, sondern
vielmehr in die rathstuben gelieffert werden. |
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§. 18 |
§. 18. Endlich wird auch ein oder mehr cantzeley-diener, denen räthen und
cantzeley-verwandten, bey der rathstuben und cantzeley, mit einer und andern
aufwartung, anschaffung und verrichtung ihres befehls, an die hand zu gehen, die
gemächer zu heitzen, saubern, auf und zu schliessen zu lassen bestellet, über welchem
allen man sich in denen cantzeley-ordnungen weitläuffig ersehen kan. |
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