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§. 19. Nechst diesem ist die Gerechtigkeit auch eine
solche haupt-tugend, welche im weiten verstande alle die andere in sich
begreiffet. * Indem sie erfordert, erbar und gerecht für sich selbst zu
leben, einem jeden die gebühr wiederfahren zu lassen, und niemanden zu
beleidigen. Wie weit nun, die gerechtigkeit gegen andere zu üben, einem
regenten zukömmet, das ist deutlich zu vernehmen aus demjenigen, was wir
bereits oben von unterschiedlichen stücken, die er gegen höhere, gegen
seines gleichen, und gegen seine unterthanen, bey der art des regiments in
acht zu nehmen hat, angeführet, und hiernechst im 9. cap. von
Administration der Justitz ausführlich berichten werden. Allhier bleiben
wir in der betrachtung der gerechtigkeit, als ferne sie eine tugend des
gemüths ist, welche ein landes-herr bey sich erhalten, und daß es desto
besser geschehe, seine räthe auch dahin arbeiten sollen: Nemlich, daß er
von hertzen der gerechtigkeit ergeben sey, welches um des willen soviel
nöthiger, alldieweil ein regent so viel mittel und macht hat, wider die
gerechtigkeit zu handeln. Denn daß mancher einem andern nicht unrecht thut,
ist öffters nicht seiner tugend, |
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Teutschen Fürsten-Staats |
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sondern der ursach zuzuschreiben, daß er nicht mächtig
genug ist, sein unrechtes fürhaben zu behaupten: Derowegen erfordern wir
das hertz und gemüth des regenten selbst zum sitz dieser vortrefflichen
tugend der gerechtigkeit, dergestalt, daß er sich selbst nach recht und
billigkeit weisen und gewinnen lasse, und nach der güldenen regul des HErrn
Christi, kein ander recht begehre, oder anders mit den leuten umgehe, als
er ihm selbst gethan haben wolte. Es ist recht und löblich, daß ein regent
ein guter und rechtmäßiger richter zwischen seinen unterthanen seye, die
etwa mit einander zu streiten haben, aber ja so nothwendig und noch
löblicher ist es, wenn er seine eigene handlungen, vorhaben und beginnen,
nach der richtschnur des rechts und der billigkeit selbst überleget, oder
sonderlich, da ihn eine sache angienge, und er darzu oder davon sonderbare
gemüths neigung befünde, daß solche erwegung durch verständige räthe
geschehe, wohl leiden, und denselben folgen mag. Und wäre ja schändlich,
wenn der regent jederman das recht wiederfahren liesse, vor sich selbst
aber mit gewalt, nach eigener lust und begierde, oder seinen freunden oder
dienern zur freundschafft und gefallen, oder aus zorn und rachgier,
unbetrachtet, was erbar und wohlständig, und was des andern recht und
befugniß wäre, verfahren wolte. Von dieser tugend eines fürsten, und was
ihn darzu bewegen soll findet man insgemein aus GOttes Wort, und denen
schrifften welt-weiser leute, genugsame nachricht. Nach gelegenheit aber
der teutschen |
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Anderer Theil. Cap. 7. |
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fürstenthümer sind etliche umstände, welche dem
Landes-herrn zur gerechtigkeit insonderheit anreitzen und treiben sollen,
mercklich: Einmal, daß er bey einnehmung der erbhuldigung in den meisten
orten, des landes-herrn, uhraltem herkommen nach, gegen die unterthanen
sich fürstlich und kräfftiglich erkläret, nicht allein daß er sie bey
gleich und recht unter einander schützen, sondern auch, daß er für sich
selbst den gesetzen und rechten gemäß handeln, und sich denselben
unterwerffen wolle. Wie denn absonderlich in sachen, da wegen der fürstl.
cammer-güter, gerechtigkeiten, und ämter, etwas im lande fürgehet, und
darwider von jemand zu klagen, oder beschwerlich anzuführen wäre, durch
mancherley ordnungen und abschiede der länder versehen ist, wie solche
irrungen rechtlich, zwischen dem landes-herrn und seinen ständen, zu
entscheiden. Zum andern, haben wir schon oben angezeiget, daß ein teutscher
fürst und regent vor denen reichs-gerichten, auf ein oder andere weise
endlich stehen, und demjenigen, der wider ihn klaget, antworten lassen, und
des bescheids gewarten müsse. Wolte es nun gleich ein herr darauf wagen,
und die schwere sünde für GOtt nicht achten, daß er in seinem thun
ungerecht sich erzeiget, so gienge doch solches auch für der welt und des
reichs hohen obrigkeit nicht an, sondern er müste leiden, daß ihm solches
unrechtmäßiges fürnehmen, und gewaltsame beschwerung, zu grossem schimpff
und schaden, eingeleget würde; und da gleich wieder etliche schwache,
geringe, verzagte und |
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Teutschen Fürsten-Staats |
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arme unterthanen des landes, oder fremde unvermögende
personen, ein und anders unrechtes vortheilhafftiges beginnen, wie leider!
an manchem orte geschiehet, durchgetrieben würde, auch ungeklagt hingienge,
so würde er doch einsten einen und andern antreffen, der das recht gegen
ihme mit bestande fürnehmen, und hinaus führen könte. Zum dritten, so
leidet auch die beschaffenheit, gelegenheit und vermögen des landes an den
meisten orten es nicht anders, und würde ein herr zwischen so vielen
nachbarn, von unterschiedlicher religion, und grösserer macht, übel sitzen,
und in grosser gefahr stehen, wo er nicht in seinem fürnehmen die
erbarkeit, und die satzungen des vaterlandes für augen, und also seine
handlungen mit gutem grunde und gewissen zu behaupten hätte, sondern
gewaltsam, muthwillig und zu eigenen nutzen gebahren wolte. |
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* Z. e. Die
demuth, freygebigkeit, treu und glauben, mäßigkeit, so wohl in der
fleisches-Lust, als in der kleidung, speise und tranck, etc. wohin denn zu
verstehen, daß Strabo L. 7. Geogr. die gerechtigkeit der alten Scythen aus
dem argument, daß sie dem wucher nicht ergeben gewesen, und mäßiglich
gelebet, erweisen will. In einem andern und engern verstande wird die
gerechtigkeit genommen vor eine tugend, welche die pflichten gegen den
nechsten in sich begreiffet, und in so weit von der vorhergedachten
gottesfurcht, welche die pflichten gegen GOtt, als auch der mäßigkeit,
welche die pflichten gegen uns selbst in sich fasset, unterschieden ist. In
noch genauern verstande kan die Gerechtigkeit verstanden werden vor ein
bemühen, seine handlungen nach denen gesetzen einzurichten, und also
äuserlich wohl zu |
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Anderer Theil. Cap. 7. |
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leben, welches letztere aber nicht so wohl
einer tugend, als vielmehr ein schein der tugend zu nennen, und von einem
regenten um so mehr zu fliehen ist, je gemeiner dieselbe heut zu tage
werden will. |
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