HIS-Data
Allgemeine Encyclopädie HIS-Data
5139-1-03-201-1
Erste Section > Dritter Theil
Werk Bearb. ⇧ 3. Theil
Artikel: Alpen-Kalkstein
Textvorlage: Göttinger Digitalisierungszentrum
Siehe auch: HIS-Data Alp
Hinweise: Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Bearbeitung
⇦ ALPEN 9
Alpen u. Alp ⇨

⇧ S. 201 Sp. 1  
  Alpen-Kalkstein ist unstreitig die in den Alpengebirgen einheimische Kalksteinformation; man bezieht jedoch diesen Ausdruck lediglich auf das Alpengebirge, das sich aus Frankreich, durch die Schweiz, das nördliche Italien und das südliche Teutschland, bis nach Dalmatien und Ungern hinzieht. Erst seit ungefähr 25 Jahren ist diese Bezeichnung in dem Sinne gewöhnlich geworden, um dadurch zugleich den bestimmten Unter-
S. 201 Sp. 2 ALPEN
  schied zwischen der Kalksteinformation der Alpen in der Schweiz und der des Juragebirges in der Schweiz anzudeuten, daher der Alpenkalkstein gewöhnlich im Gegensatz des Jurakalksteins aufgestellt wird. Da aber nicht aller in den Alpen vorkommende Kalkstein, Alpenkalkstein ist, so wird es nöthig, diese Formation näher zu bestimmen.♦
  Es ist die, welche die ungeheuern Kalkgebirge ausmacht, von denen die aus Urgebirge bestehende Centralkette der Alpen, an ihrer mitternächtlichen und mittäglichen Seite begleitet wird, und welche Ebel unter dem Namen der Kalkalpen (über den Bau der Erde in den Alpengeb. B. I. Abschn. 3 und 5) genau beschrieben hat. Einen kleinen Zug abgerechnet, der sich, an der mittagabendlichen Seite jener Centralkette, von der Isere bis ans Meer erstreckt, sind zwei Hauptzüge hier zu betrachten; der an der mittäglichen und der an der mitternächtlichen Seite der Centralkette, die aus Abendmittagabend nach Morgenmittagmorgen läuft.♦
  Der mittägliche Zug beginnt nach Herrn Ebels Darstellung am morgentlichen Ufer des Ortasee, und zieht mit zunehmender Verbreitung, anfänglich in etwas mitternächtlicher Richtung, weiterhin aber mehr in der Hauptrichtung gegen Morgen, über den Langensee, längs der italienischen Schweiz, durch Oberitalien, das mittägliche Tyrol, das friaulische Gebiet, Unterkärnthen, Krain, Untersteiermark, Kroatien und Dalmatien, bis nach Zeng am adriatischen Meere; er bildet bis hieher durch 6 bis 7 Längengrade, die südrhätischen, karnischen und julischen Kalkalpen, und läßt sich von da noch weiter bis zum schwarzen Meer hin verfolgen.
  Der mitternächtliche Zug zieht sich aus dem Dauphiné (unterhalb Grenoble) durch Savoyen (nördlich dem Montblanc) das Wallis, den Bezirk von Aelen, den obersten Theil des Kanton Freyburg und Bern (wo er die höchsten Gebirge bildet) nach Unterwalden, Uri und Schwitz; durchs Glarner Land, das obere Toggenburg über den Säntis nach Teutschland; und hier erstreckt er sich an der mittäglichen Begrenzung, durch Tyrol, Berchtesgaden, bis in die ödenburger Ebene Ungerns, an der mitternächtlichen Seite aber, durch Bayern und Salzburg, bis in die Gegend von Wien. Er durchzieht also beinahe 12 Längengrade in einer Gebirgskette, die in der Schweiz fast überall 10 Stunden Breite einnimmt, (schmäler ist sie in Frankreich, breiter bis zu 15 Stunden Breite, zwischen Graubündten und Teutschland).♦
  Beide Züge erreichen in der abendlichen Erstreckung zwar nur 1,800 bis 3,000 Fuß Höhe, in der Schweiz aber, so wie in Tyrol und Kärnthen erheben sie sich bis zu 8,000, ja bis beinahe zu 13,000 Fuß übers Meer; weiter gegen Morgen nimmt die Höhe wieder bis zu 5 oder 6000 Fuß ab. Aber auch selbst in jenen höchsten Kolossen kann man die eigentliche Mächtigkeit des Kalkgebirges nur zu 6 bis 8,000 Fuß annehmen, indem die untere Hälfte und mehr aus dem uranfänglichen oder Grundgebirge besteht.♦
  Beide Züge sind, durch sehr viele Thäler, außerordentlich zerrissen und in allen Richtungen durchschnitten, so daß sie eine unübersehbare Menge von Gebirgsrücken und hohen Hörnern, zum Theil begleitet von ungeheuern Massen einzelner Blöcke und Felstrümmer, darstellen. Nach Ebels schon erwähnter Darstellung erscheinen sie
S. 202 Sp. 1 ALPEN
  als eine ungeheure Ruine, als ein wildes Gewirre von Felsketten, Hörnern, steilen Wänden, Klüften, Schlünden und Thälern, aus deren Richtungen, Umrissen und Gestalten die wahre Beschaffenheit der ursprünglichen Anordnung nicht erkannt werden könnte, wenn man nicht die innere Structur dabei zur Leiterin nähme.♦
  In deren Folge aber lassen sich, nach Ebel, in dem mitternächtlichen Zuge 4 parallele Ketten unterscheiden, welche durch ursprüngliche Längenthäler von einander getrennt, übrigens aber durch Zerreissungen und Spaltungen vervielfacht erscheinen, so daß sich hin und wieder 6 bis 7 solcher Ketten zeigen. An der dem Grundgebirg oder der Centralkette nächsten Kette, welche die höchsten Berge der Schweiz enthält, fallen die Schichten des Kalksteins regelmäßig gegen Mitternacht, in der zweiten (sattelförmig) an dem einen Abhange gegen Mitternacht und an dem andern gegen Mittag, so daß sie auf den Höhen knieförmig zusammenstoßen; in den entferntesten beiden Ketten, der dritten und vierten, welche niedrigere Berge enthalten, fallen die Schichten gegen Mittag. Der an der Mittagsseite der Centralkette streichende Zug senkt seine Schichten durchgehends unter 60 bis 70 Grad gegen Mittag.
  Der Kalkstein in beiden Hauptzügen und den ihnen untergeordneten Parallelketten ist in Rücksicht seiner Farbe, Härte, Struktur und übrigen Verhältnissen ungemein verschieden. In den, dem Grundgebirge zunächst liegenden Zügen, (namentlich in den untersten Lagern des mittäglichen Zuges und in den beiden ersten Parallelketten des mitternächtlichen Zuges) ist er meist einfarbig, dunkel-blaulichgrau und blaulichschwarz, bisweilen zeigt er ausgezeichnete, braune, eisenschüssige, breite, bandartige Streifen; bisweilen wechseln auch dünne, regelmäßige Schichten von dunkleren und lichtern schwärzlichen Farben, in ziemlich gleich starker bandartiger Streifung mit einander ab; dabei ist er, was für ihn ganz bezeichnend ist, mit unzähligen Trümmern und schmalen Gängen von Kalkspath durchzogen; diese Trümmer sind 1, 2, 4 bis 6 Zoll stark, und sitzen fest nach allen Richtungen auf, doch schien es mir, als ob ein Streichen von St. 3 bis 4, nach dem bergmännischen Compaß, das vorwaltende wäre. Der Kalkspath, aus dem sie bestehen, ist gelblich- und röthlichweiß, auch meist von klein- und grobkörnig abgesonderten Stücken. Außer jenen Trümmern sind auch dem Kalkstein bisweilen noch kleine Kalkspathblättchen beigemengt.♦
  Der Kalkstein selbst ist in diesen untersten Zügen gewöhnlich fest, scheint hin und wieder mit Kieselerde gemengt und ist feinkörnig. Escher hat ihn (in der Alpina) als Übergangskalkstein aufgestellt und vom Alpenkalkstein unterschieden; dies kann zu neuen Mißverständnissen Anlaß geben, daher auch Ebel (a.a.O. S. 332 u. 393) vorschlägt, ihn Ältern Alpenkalkstein und den übrigen, jüngern Alpenkalkstein zu nennen. Es scheint nämlich die schwarze Farbe, das Gewebe der Kalkspathgänge, und die körnige feste Structur sich nach den Höhen der Alpenkalkgebirge zu verlieren; denn sowol in diesem als in den beiden vordersten Parallelketten auf der mitternächtlichen Seite, ist der Kalkstein mehr rauch- und gelblichgrau; nach den Gipfeln der Berge zu auch wol graulichweiß, und bisweilen strichweise roth, oder
S. 202 Sp. 2 KALKSTEIN
  bunt (daher die schönen Marmorarten aus manchen Gegenden, besonders von Oberitalien). Dieser Kalkstein ists, den Escher ausschließlich als Alpenkalkstein, Ebel aber als Jüngern Alpenkalkstein aufführt. Hin und wieder wird er dichter, thoniger und geht (besonders an der italienischen Seite) in Kalkschiefer über.
  Fast durchgehends, besonders in dem mitternächtlichen Zuge, ruhen die Kalkalpen auf einer Thonschieferformation auf; übrigens aber haben sie noch folgende Eigentümlichkeiten;♦
  1) Zunächst dem Thonschiefergebirge, wechseln bisweilen die schwarzen körnigen Kalksteinschichten mehrmals mit Thonschiefer ab. Außerdem kommen aber auch noch als untergeordnete Lager hin und wieder schwarzer, rother und grauer Thonschiefer und Thonstein in Schichten von etlichen Zollen bis zu mehrern Fußen Mächtigkeit, vor (so im Glarner Land, am Niesen, am Grindelwald, im Lauterbrunner Thal).♦
  2) Beim Zerschlagen zeigt der Alpenkalkstein bisweilen einen mehr oder weniger stinksteinartigen Geruch; auch kommen einzelne Schichten von Stinkstein, Brandschiefer und bituminösem Mergelschiefer in ihm vor. Seltner sind Partien von Kohlenblende, Erdöl und Steinkohlen, (in der Schweiz, in Tyrol, Baiern und Östreich).♦
  3) In manchen Gegenden und schon in sehr bedeutenden Höhen (von 7 bis 10,000 Fuß über dem Meer) erscheint in ihm ein sehr fester, harter, grob- und eckigkörniger Quarzsandstein, zum Theil für eine Art von Grauwacke angesprochen, in Lagern von ½ bis zu 6 Fuß Mächtigkeit, (so vom Pilatus bis zum Thunersee, am Niesen, Titlis, am Hacken, Säntis u. s. w.). — Ein andrer grünlicher, mit Chloriterde gemengter, feinkörniger fester Sandstein, zum Theil mit Versteinerungen, kommt als einzelne Lager in den äußersten beiden Parallelketten gegen Mitternacht vor.♦
  4) Zum Theil hat der Alpenkalkstein einen ziemlich starken Kieselgehalt, so daß er nicht blos Stellenweise in ein hornsteinähnliches Fossil übergeht, sondern auch einzelne feste kieselartige Partien und in einzelnen Schichten selbst Lager und Nester von einem Horn- und Feuerstein einschließt.♦
  5) Eine ihm allem Ansehen nach untergeordnete Formation von Gips und Salzthon läßt sich aus dem Wallis und der Landschaft Bex und Aigle verfolgen bis nach Tyrol, Steyermark und Salzburg.♦
  6) Besonders bezeichnend für ihn ist weiter eine mächtige Schicht von Eisenstein, die ihn in hohen Regionen durchzieht. Man nimmt sie nicht blos an der mittäglichen Seite der Centralkette, sondern noch mehr an deren mitternächtlichen Seite wahr; hier zeigt sie sich in der ersten oder untersten Parallelkette, in der Mitte zwischen Thonstein und Grauwacke bis zu 100 Fuß Mächtigkeit, und ist im Lauterbrunnen, Mühli und Maderanthal von Zeit zu Zeit ein Gegenstand des Bergbaues gewesen; in der zweiten Parallelkette durchzieht ein Bohnerzflötz mehrere Berge in 7 bis 8000 Fuß Höhe, (z. B. am Dent du Midi und Morcles); in der dritten Parallelkette sieht man den rothen Strich eines Eisenstein- und Bohnerzflötzes in 5 bis 6000 Fuß Höhe an allen Felshörnern der Landschaft Bex, Aigle und Saanen, ferner im Glarner Land und St. Gallen; in der vierten Parallelkette endlich findet man das nämliche Bohnerzflötz wieder am Pilatus, am Rigi und in Baiern.♦
  7) Ver-
S. 203 Sp. 1 ALPEN
  steinerungen enthält der alpinische Kalkstein in großer Menge und Mannigfaltigkeit, aber meist nur in einzelnen Schichten, in 3 bis zu 9000 Fuß Höhe, also mehr in den untersten als in den obersten Schichten. Hier findet man sie familienweise, zum Theil wol in vormaligen Muschelbänken, zum Theil aber auch, wie es scheint, durch ihre Schwere beim Niederschlage dieser Schichten gesondert, in weit verbreiteten Lagern, wo gewöhnlich auf dem tiefsten Punkte ungeheuere Ammoniten mit andern von sehr verschiedener Größe in einander geschichtet sind, und allmählig immer kleinere, unordentlich in der Masse vertheilte Versteinerungen aller Art, theils mit ganz erhaltenen, theils mit zerknirschten Schalen, vorkommen. Ammoniten und Lenticuliten sind nach v. Schlottheim hauptsächlich charakteristische Versteinerungen des Alpenkalksteins; außerdem kommen einzelne Korallioliten, Ostraciten, Bucciniten, Chemiten, Echiniten und Belemniten in den meisten Gegenden vor.♦
  8) Nicht minder bezeichnend sind die Structurverhältnisse des Alpenkalksteins; er ist stets geschichtet; gewöhnlich streichen seine Schichten der Centralkette ziemlich parallel aus Abend Mittagabend in Morgenmitternachtmorgen, und stürzen sich mit 60 bis 70 Grad in Schichten von 1 biß zu 60 Fuß Mächtigkeit. Hin und wieder findet man aber auch bei ihm, besonders in der 2ten Parallelkette des mitternächtlichen Zuges, mannigfaltige Verstürzungen und Partien, wo die Schichten in wunderbaren Gestalten gekrümmt oder wellenförmig, oft fast concentrisch gewunden sind.♦
  9) Dabei ist er von einer Menge Klüfte und Spalten durchzogen, die bisweilen im Sommer sehr kalte Luft ausstoßen (dann werden sie auch an der italienischen Seite Boche di Venti, Boche d’Eole, an der schweizer und teutschen Seite Wetter- oder Windlöcher genannt). Bisweilen gehen diese Klüfte in Höhlen über, die meist eng und in großen Höhen schwer zugänglich sind. Einige von ihnen stehen mit noch verborgenen, unterirdischen Wasserbehältern in Verbindung, von denen die vielen periodischen Quellen oder Wunderbrunnen herrühren.♦
  10) Ganz eigenthümlich für die Kalkalpen sind auch die vielen Seen, in welche sich besonders die Querthäler des mitternächtlichen Zuges endigen; sie liegen in einem Niveau von 1,100 bis 2,200 Fuß über dem Meer, sind meist kesselförmig, sehr tief und von steilen nackten, senkrecht emporsteigenden und oft furchtbar zerrißnen Wänden, die bis zu mehrern 1000 Fuß hoch sind, eingeschlossen; so die Seen der Schweiz und des südlichen Teutschlandes (der Thuner-, Brienzer-, Alpnacher-, Buochser-, Urner-, Lowerzer-, Walchen-, Tegern-, Traun- und viele andre Seen), die den mitternächtlichen Saum der Alpenketten begrenzen; andererseits sind an der mittäglichen Linie des mitternächtlichen Zuges mehr die ausgezeichneten Längenthäler (z. B. das Iserthal, ein Theil des Arvethals, des Rhone-, Lötsch-, Maderan-, das Inn-, Salz- und Enzthal) charakteristisch.♦
  11) Die Form der Kalkalpen zeichnet sich von der der Centralkette merklich aus; im Allgemeinen sind ihre Außenlinien ohne schnelle Unterbrechungen, lang gezogen, und ihre höchsten Kuppen gewöhnlich dick und breit, dagegen stehen einzelne hohe, schroffe Felsen mit senkrecht sich abstürzenden Abhängen hervor, die man unter dem Namen der Hörner
S. 203 Sp. 2 WIRTHSCHAFT
  kennt. Die meisten Berge ziehen übrigens in mehr oder weniger zerrißnen Parallel- Ketten; seltner sind isolirte Berge.
  Eine genauere Auseinandersetzung der Verhältnisse und Verschiedenheiten des Alpenkalksteins findet man in den Schriften der Herren von Buch (besonders in den geognostischen Beobachtungen auf Reisen durch Teutschland und Italien, Bd. 1. 1802), Escher (vorzüglich in der Alpina) und Ebel (besonders über den Bau der Erde, Bd. 1. S. 223 bis 246 und S. 268 bis 408).
  In welcher Altersfolge der Alpenkalkstein gegen andere Kalksteinformationen aufzustellen sey, ist noch nicht ganz ausgemacht; gewiß ist es, daß er älter, als der von ihm sehr richtig getrennte Jurakalkstein und jünger als der Urkalkstein ist; er scheint demnach dem jüngern Übergangsgebirge anzugehören. Seit 1799 hat man ihn meistentheils als identisch mit dem Zechstein der Thüringischen Kupferschiefer-Gebirgsformation zusammengestellt (unter andern in Karstens mineralogischen Tabellen 1800 nach der Vorrede S. VII., denen Reuß Lehrbuch der Geognosie 1805 B. II. S. 454 bis 472 und seitdem fast alle übrige geognostischen Schriften gefolgt sind). Allein die Lagerungs-, Structur- und übrigen Verhältnisse sind zu verschieden zwischen beiderlei Kalksteinformationen, als daß man sie schicklicher Weise und mit hinlänglichem Grunde mit einander vereinigen, oder als eine und dieselbe Formation zusammenstellen könnte, wie ich bereits in meinen geognostischen Arbeiten B. I. S. 12, 13, 53. B. III. S. 3, 4 und B. IV. S. 378 dargethan zu haben glaube.
S. 203 Sp.2 ⇩  
HIS-Data 5139-1-03-201-1: Allgemeine Encyclopädie: 1. Sect. 3. Th.: Alpen-Kalkstein HIS-Data Home
Stand: 17. November 2017 © Hans-Walter Pries