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BERN, Stadt und Kanton.♦ |
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A. Geschichte.♦ |
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Über die Schicksale der näher an den Hochgebirgen liegenden Theile der Schweiz
verbreitete sich später, als über die flächern, längs dem Jura sich hinziehenden Gegenden das Licht der
Geschichte. Wir wissen nicht, wie weit zu Cäsars Zeiten die höhern Berggegenden bereits bewohnt
waren, ob ihre Bewohner mit zu den Helvetiern gezählt wurden, und wie der Pagus hieß, der sich über
den jetzigen teutschen Kanton Bern erstreckte. Der nordwestliche mochte ein Theil des
Verbigener-Gaues seyn, und in der Gegend der neuesten Erwerbungen lag das Land der Rauracer. Unter den
Römern zog sich die große Heerstraße durch den westlichen Theil desselben von Aventicum nach
Vindonissa.♦ |
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Allmälig dehnte römische Civilisation sich über den flächern, mildern Landestheil
aus, und stieg fortschreitend bis an die Gränzen der hohem Gebirge hinan. Trümmern römischer
Wohnplätze und Spuren ihres Aufenthaltes, welche zu Herzogenbuchsee, Sinneringen, Worb, Muri,
Thierachern, Burgistein, Amsoldingen gefunden wurden, sind Beweise hievon. Ausgegrabene
römische Münzen, welche man am Gurnigel und selbst am Stockhorn fand, beweisen nichts für das
Daseyn wirklicher römischer Ansidelungen, weil sie eben sowol von Andern dahin gebracht, oder von
früher unbezwungenen Bergbewohnern in den Ebenen geraubt, und in ihre entlegenern Schlupfwinkel
gebracht seyn könten. Aus dem Umstande, daß im obern Emmenthale, dem Oberlande und dem
Simmenthale keine römische Alterthümer bisher angetroffen wurden, darf man wenigstens vermuthen,
die durch die Römer verbreitete Civilisaton sey nicht weit in jene Gegenden vorgedrungen, mögen sie
damals von Menschen bewohnt oder Wildniß gewesen seyn.♦ |
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Die verwüstenden Einfälle der Alemannen störten schon in 3. Jahrh. die Ruhe des
Landes, und die Geschichtschreiber des folgenden erzählen uns von der Verödung der einst blühend
gewesenen westlichen Gegend Helvetiens, von der helvetischen Wüste. Über den Schicksalen der
ausgedehnten südlichen und östlichen Gegend des Kantons liegt, noch weit in die folgenden Zeiträume
hinein, finstre Nacht. Üchtland oder Ödland hieß die Gegend vom jetzigen Kantone Freyburg her bis
in die Gebirge hinein. Des milderen Theiles bemächtigten sich im Anfange des 5. Jahrhundert die
Burgunder, und um die Mitte desselben ergoß sich der zerstörende Zug Attila's wieder über das
Land.♦ |
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Unbestimte Volkssagen lassen das Weißland (Hasli) durch einen nordischen
Stamm bevölkern, der sich allmälig von Thale zu Thal bis in die Sanen-Gegend ausbreitete, wo
teutsche und französische Sprache an einander gränzen. Ob er zu den Gothen gehörte, ob er mit
demjenigen, der die Wald-Kantone bevölkert haben soll, der nämliche ist, oder ob selbst eine Colonie
Sachsen von Karl dem Großen in diese tiefen Berggegenden versetzt worden seyn, sind bloße
Vermuthungen.♦ |
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Über die Burgunder siegten die Franken, und im 8. Jahrh. gehörte der nördliche Theil
des jetzigen Kantons zur pipinischen Grafschaft. Als bei der zunehmenden Unfähigkeit der Ka- |
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BERN |
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rolinger zu Ende des 9. Jahrh. Boso ein burgundisches Reich errichtete, und nach
desselben Tode Kleinburgund unter Rudolf I. 888 sich von diesem trente, theilte das Land bis zum
Tode Rudolfs III. 1032 die Schicksale dieses kleinern Königreiches. Rudolf I. und II. erbauten Kirchen
nicht nur in der tiefer liegenden Gegend, sondern auch zu Thun, Sigrisweil, Äschi, Fruttigen. Zum
Theil noch während der Regirung des schwachen Rudolfs III., gänzlich aber nach dessen Tode kam
das Land wieder unter die Herrschaft des Reiches, doch nicht ohne Widerstand der Herrn des Landes
und der Verwandten des erloschenen Königstammes.♦ |
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Unter den fränkischen Kaisern verwalteten burgundische Grafen die
Statthalterschaft des Landes, welche nach ihrem Abgange dem zähringischen Stamme übertragen
wurde. Wir finden in diesem Zeitraume um Rügisberg einen Aufgau, zwischen der Aare und dem
Neuenburger-See eine Mark Seedorf. Über das ganze Land verbreitete sich ein zahlreicher Adel,
welcher theils durch die Schwäche der burgundischen Fürsten, die ihm ihre Erhebung zu danken
hatten, theils dadurch mächtig war, daß er das wüste Land selbst wieder angebaut hatte, und dasselbe
als Eigenthum zu besitzen glaubte. Zwischen diesen Edeln und über sie strebten die Herzoge von
Zähringen, Landgrafen über Kleinburgund, das kaiserliche Ansehen zu befestigen und auszudehnen.
Auch hier entstand der Kampf zwischen dem Herkommen des landsässigen Adels und dem
landesherrlichen Systeme.♦ |
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Um sich durch feste Punkte zu sichern, hatte Berchthold IV., welcher nur in der
Veste Burgdorf einen sichern Platz besaß, 1179 zu Freyburg eine Stadt angelegt. Mit der Begründung
seiner Herrschaft stieg auch die Eifersucht des Adels. Berchthold IV. st. 1185. Zwischen den Freyen
des Landes und seinem Sohne Berchthold V., den man den Reichen nante, brach die Spannung in
offene Fehde aus; sey es, weil den Herren des Landes die vom Herzoge streng behaupteten Gesetze
und Ordnung unerträglich waren, oder weil sie besorgten, von der herzoglichen Gewalt, welche sich
nicht nur im Allgemeinen ausdehnte, sondern da eine Besitzung, dort eine Kastvogtei über ein Kloster
u. s. f. an sich brachte, gleichsam umsponnen zu werden.♦ |
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Der Widerstand des Adels war nicht glücklich berechnet. Sie wurden 1190
zwischen Wiflisburg und Peterlingen, im folgenden Jahre tief im Gebirge, im Grindelwalde,
geschlagen. Nach dem ersten Siege befestigte Berchthold das bei seinem Residenzschlosse Burgdorf
liegende Städtchen noch mehr, und bis in die neuern Zeiten las man über einem Thore die Inschrift:
Berchtoldus, dux Zaeringiae, qui vicit Burgundiones, fecit hanc portam. Sie bezeichnet neben dem
Siege zugleich den damals noch für Südwest-Helvetien gebräuchlichen Namen. Wirklich war auch der
Adel jener Gegend vornehmlich burgundischen Stammes. Immer mehr empfand der Herzog die
Nothwendigkeit fester, in naher Verbindung stehender Plätze. Wer unter dem Drucke des Adels litt,
oder von Neuerungen zu hoffen hatte, war ihm ergeben. Auch Adelige befanden sich unter diesen. —
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In einem kleinen Kreise um die Gegend, wo jetzt Bern erbaut ist, lagen
(vornehmlich nach dem bernerischen Neujahrsgeschenk an die Jugend von 1814) die Schlösser deren
von Sulgen, von Enge, Völligen, Geristein, Fer- |
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renberg, Wabern, Egerten, u. s. f.; am linken Ufer der Aare bis gegen
Thun hin diejenigen von Belp, Seftigen, Kramburg, Muhleren, Wattenweil, u. a. m. Am
rechten Ufer waren die von Almendingen, Münsingen, Wichtrach, auch verschiedene Besitzungen der
Grafen von Buchegg; Thun war Zähringisch. Dann folgten die Freiherren von Oberhofen und Riedt.
Die Güter des von Oberhofen gestifteten Klosters Interlaken dehnten sich über Lauterbrunn und
Grindelwald bis an die Schneegebirge aus. Aber der Herzog war sein Kastvogt.♦ |
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Die Freiherren von Brienz (in frühern Zeiten finden sich Grafen dieses Namens),
waren Reichsvögte am rechten Ufer des Brienzer-Sees, und Erbauer des Schlosses Rinkenberg, von
welchem sich später besondere Freiherren nanten. Reichsvögte verwalteten in des Kaisers Namen das
Land Hasli, ungefähr wie die Landschaften am 4 Waldstätter-See regirt wurden. Lange bekleideten
dieses Amt die Edeln von Resti. Am linken Ufer des Thuner- damals Wandel-Sees lagen die weiten
Besitzungen und das der Zeit trotzende Schloß der Freiherren von Strättlingen.♦ |
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Die Thäler von Frutigen standen unter den Freiherren dieses Namens; die von
Wimmis geboten dem untern Simmenthale; das obere war als Reichslehen unter Viele vertheilt; das
meiste besaßen die von Strättlingen und Weißenburg. Über das jetzige Sanenland dehnte sich die
Herrschaft der Grafen von Griers aus. Gegen Freyburg hin waren die von Bubenberg, Sternenberg
und Grasburg begütert. Der größte Theil des Landes gegen Neuenburg hin gehörte den dortigen
Grafen. Auch zu Nidau war der Sitz eines Grafen. Die von Thorberg besaßen ein ausgedehntes Gebiet,
und hatten ihre besondern Lehensmänner.♦ |
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Die Grafen von Buchegg (Bucheck), in der Nahe von Solothurn, besaßen außerdem
noch im Lande zerstreute Güter, Wangen hatte Grafen, Aarwangen Freiherren. Unter den vielen
Herren des Emmenthales waren die angesehensten die Freiherren von Sumiswald, die von
Trachselwald, von Signau und der alte Stamm von Brandis. Mitten zwischen allen diesen Letztern
dehnte sich über Burgdorf, Fraubrunnen und Landshut die unmittelbare Besitzung des Herzogs selbst
aus. Hinter dem Emmenthale, im Trubthale, war das Kloster Trub, in der Aargegend das Kloster
Frienisberg, und das kurz vorher gestiftete Johanniterhaus Buchsee im Besitze ansehnlicher Güter, und
durch den größten Theil aller dieser Landschaften lagen die Schlösser eines zahlreichen, hier nicht
genanten Adels zerstreut.♦ |
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Unmittelbar nach dem letzten Siege schritt Berchthold zur Anlegung der neuen
Stadt. Er wählte dazu eine längliche Erdzunge, um welche die Aare sich biegt. Auf dem gegen die
Landspitze sich herabsenkenden Hügel, im Sack genant, stand ein Eichenwald; und an demselben
Nydeck, ein herzogliches Jagdschloß. Ob einige am Flusse stehende Häuser damals schon Bern
hießen, was der im J. 1182 bereits mit Burchardus de Berno sich vorfindende, und erst lange nach
Erbauung der Stadt erloschene Name von Bern, aus welchem mehre Glieder des großen und kleinen
Rathes waren, vermuthen lassen sollte, oder ob ein bei der Auswahl des Platzes getödteter Bär der
neuen Stadt nach dortiger Mundart die Benennung „Bärn" gegeben haben soll, ist ungewiß und von
keiner Bedeu- |
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tung; vielleicht traf beides zusammen.♦ |
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Mehre Geschichtschreiber versichern, der Platz sey reichsfrei gewesen, und
unzweifelhaft wählte der Herzog keinen solchen, den andre ihm hätten streitig machen können. Er
übertrug die Aufsicht über die neue Anlage einem seiner Getreuen, Kuno von Bubenberg, welcher
selbst in der Nähe zwei Schlösser besaß. Kräftiger Unternehmungsgeist lebte schon in dem ersten
Beförderer. Bubenberg soll den Herzog bewogen haben, die Stadt weiter auszudehnen, als seine erste
Absicht war. Auf die Wurzeln der Eichen und oft auf Eichenstümpfe, die man in Manneshöhe stehen
ließ, sollen die Häuser, welche, wie die Sage erzählt, nur 12 Fuß breit seyn durften, um mehren
Ansidlern Raum zu geben, erbaut worden seyn. Zwei von der Aare her gegen einander laufende, tiefe,
jetzt ausgefüllte Graben, zwischen welchen ein schmaler Erdrücken sich hinzog, befestigten die Stadt,
welche sich nur bis zum jetzigen Zeit- (Uhr-) Glockenthurme ausdehnte.♦ |
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Noch blieb Könitz die Pfarrkirche, bis 1232 mit Bewilligung des Bischofs von
Lausanne, in dessen Sprengel die Stadt lag, eine solche zu Bern gestiftet wurde. Berchthold gab ihr die
Rechte der Stadt Köln, das Muster der zähringischen Stadtrechte. Die Freiheiten, welche der Herzog
der Stadt gab, die harten Bedrückungen des herrschenden Adels, die Unsicherheit der Bewohner des
offenen Landes während der Fehden und innern Kriege, vereinigten aus der Nähe und Ferne
zahlreiche Ankömlinge.♦ |
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Aber auch Edle, welche sich an den Herzog angeschlossen, und dadurch den
bittern Haß ihrer Standesgenossen und des höhern Adels auf sich gezogen hatten, weil diese sie als
Ungetreue an der gemeinschaftlichen Sache, und als Anhänger einer neuen fremden Macht ansahen,
suchten Sicherheit und Schutz hinter den neu empor gestiegenen Mauern. Die von Egerdon sollen der
jetzigen Kirchengasse den ersten Namen gegeben haben. Die Bubenberge, Tentenberge, Muhleren,
Wabern, Erlache werden theils durch die Zeitgeschichte theils durch unwidersprochene spätere
Angaben unter den Erbauern der Stadt aufgezählt. Nur die von Erlach sind noch übrig.♦ |
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Man behauptet, schon Kaiser Heinrich VI. habe die Stadt in den Reichsschutz
aufgenommen; aber gewiß ist es, daß sie gleich nach dem Tode ihres Stifters und kräftigen Gönners
von Kaiser Friedrich II. 1218 ihre goldne Handveste erhielt. Sie soll nicht vom Reiche getrent werden.
Den Schultheißen, den Rath und andre Beamten mögen die Bürger ohne Zuthun eines fremden Herrn,
selbst wählen. Das Haus des Herzoges soll der Stadt zugehören; wodurch dessen Erbe keinen festen
Fuß oder unmittelbaren Einfluß in derselben behielt. Leibeigne, die binnen einem Jahre von ihren
Herm nicht zurückgefodert werden, sollen frei seyn. Die Wälder Bremgarten und Forst werden den
Bürgern zugeeignet. –♦ |
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Neben manchen andern städtischen Berechtigungen und Verordnungen enthielt der
Brief die einst von vielen Städten als eine Freiheit, eine Grundlage der Rechtlichkeit und eines bessern
Bürgersinnes betrachtete und sorgsam aufbewahrte Bestimmung, daß, wer seine Schulden nicht
bezahlen kann, das Bürgerrecht verloren haben soll. Nicht weniger bemerkenswerth ist die
Bestimmung, daß, wer sein Ehrenwort verletzt, ehrlos seyn soll. Aus dem Stillschweigen über die
Verwaltung des Blutbannes kann eben |
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sowol vermuthet werden, er sey der Stadt noch nicht übertragen worden, als auch
das Gegentheil. —♦ |
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So wurde eine Stadt erbaut, ein Stat gegründet, und ein zum Großen anstrebender
Geist angefacht, welche nur durch die undurchdringlichen Schranken mächtiger, feststehender Staten
gehindert wurden, sich zu dem Grade der Macht zu erheben, den die berühmtesten Freistaten der alten
und neuen Zeit erreichten. 225 Jahre nach der Erbauung der kleinen, hölzernen Stadt beherrschten die
Nachfolger jener ersten Ankömlinge schon das Land von den Gränzen des Wallis bis an den Jura, und
nahe an die Ufer des Rheines; und im 345sten dehnte sich ihr weites Gebiet bis ferne über die Ufer des
Lemanischen Sees aus. Zwar hatte sich auch Alles vereinigt, den Bürgern hohen Freiheitssinn, und der
Gemeinheit Strebekraft zu geben. Der Stifter lebte gerade noch so lange, als es nöthig war, die
aufkeimende Anpflanzung zu pflegen und zu schützen. Die offenkundige Abneigung des zahlreichen
benachbarten Adels gegen diese neue Feindin, die in ihren Augen eine Freistätte der Ungebundenheit
und eine Gegnerin des herkömlichen Rechtes war, mußte im nämlichen Grade die Berner antreiben,
fest zusammenzuhalten, ihren Feinden nicht nur zu widerstreben, sondern auch ihre Macht selbst zu
schwächen und zu zerstören.♦ |
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In einem neugebornen, jugendlichen State, der auf keinen alten Stamm geimpft
war, und in seinem Innern mit keinen widerstrebenden Bestandtheilen zu kämpfen hatte, konten Kraft
und Bürgersinn sich frei entwickeln. Kein eifersüchtiger Bischof oder Graf lähmte die Schnellkraft,
kein bleibender Parteigeist herrschsüchtiger Räthe und mistrauischer Bürger lenkte die allgemeine
Aufmerksamkeit von den äußern Verhältnissen auf die, den Gemeinsinn zerstörenden, Reibungen
eines selbstsüchtigen Aristokraten oder kleinlichen Zunftgeistes. Wenn auch Parteien und Gährungen
sich erhoben, so verstumten sie bald beim Anblicke einer von außenher drohenden Gefahr. War etwas
zu fürchten oder zu erwerben, so sparte man weder Blut noch Vermögen; keine Anstrengung war zu
groß. Aber wer sich anschloß, um die Gefahr zu theilen, wurde auch willig als Genosse der
erworbenen Vortheile anerkant.♦ |
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Das zähringische Erbtheil in diesen Gegenden fiel durch Anna, Berchtholds
Schwester, an seinen Schwager, den weder durch Geist noch besondre Macht sich auszeichnenden
Grafen Werner von Kyburg. Kein mächtiger Stellvertreter des Kaisers war vorhanden. Das Haus
Hohenstaufen mußte im Kampfe für seine Erhaltung selbst unterliegen. Die Ohnmacht Teutschlands
während des Zwischenreiches, die blutigen Kämpfe um den kaiserlichen Thron, die Charakterlosigkeit
einzeler Reichsoberhäupter, die zwischen diesen und Östreich waltende Eifersucht, der Mangel an
festem Zusammenhalten bei dem benachbarten Adel selbst, und das Misvergnügen, welches diese
ihren gedrückten Unterthanen einflößten, die ihren Zustand mit demjenigen der mild und freisinnig
gehaltenen Angehörigen und Schützlinge des neuen States vergleichen konten, öfneten den neuen
Republikanern ein weites Feld zu Vergrößerungen.♦ |
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Auch darin den Römern gleich, mischten die Lenker und die Geschichtschreiber
des States in die Erbauungsgeschichte fortgepflanzte Sagen und Denksprüche, welche die künftige
Größe an- |
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deuteten. Nach Erlegung des Bären soll der Herzog ausgerufen haben, „das sey
eine gute Vorbedeutung. So wie der Bär das größte und mächtigste der Thiere des Landes sey; so
werde die Stadt unter ihren Nachbarn mächtig und gefürchtet werden." — und: |
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Es sye über kurtz oder über lang,
So wirt Bern Herr in disem ganzen Land. |
Justinger. |
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Es stande gleich kurtz oder lang,
So wird jedoch Bern Herr im Land. |
Stettler. |
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Sie wurde und blieb es dadurch, daß sie den Unterworfenen schonend behandelte,
so bald sie den Gegner bezwungen hatte. Nicht ängstlich in der Auswahl der Mittel machte sie eigne
Größe zum vorherrschenden Statszwecke. So unterwarf sie sich Herren, Städte und Gegenden, die
einst über ihr standen, oder ihre Verbündeten und Schutzgenossen gewesen waren. Ein paar Male
vereinzelte sie sich, beobachtend, bei kriegerischen Verwickelungen und selbst bei Gefahren ihrer
Verbündeten. Aber weit in den meisten Fällen, wo sie ihre Verpflichtung erfüllte, that sie dies mit
vollem Nachdrucke, schlug die kräftigsten, und, mehr als ein Mal, allein die entscheidenden Streiche.
Dies ist der Grund, warum die Geschichte Berns, sobald dieser Kanton dem Schweizerbunde beitrat,
größtentheils zur allgemeinen Landesgeschichte gehört. Es werden demnach hier nur der Zeitraum vor
jenem Beitritte, und aus der spätern Geschichte die Bern eigenthümlichen Ereignisse herausgehoben.
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Eine Zeit lang war die Stadt nur durch eine Fähre mit dem jenseitigen Ufer
verbunden. Die Erbauung einer Brücke verwickelte in eine Fehde mit dem Grafen von Kyburg auf
Burgdorf. Zum Lohne der Vermittelung soll die Stadt den Grafen Peter von Savoyen zum Schirmherrn
angenommen, und nachher, aus Erkentlichkeit für geleistete Hilfe, die Aufhebung dieser
Verpflichtung erwirkt haben. Einige setzen diese Wiederherstellung der Selbstständigkeit noch in die
Zeiten des Zwischenreiches, andre erst ins Jahr 1323. —♦ |
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Mitlerweile vergaß Bern seine äußre Befestigung nicht. Mit Oberhasli wurde 1275
ein Bündniß auf 10 Jahre geschlossen. Auch mit Freyburg, welches jedoch eines geringern Grades von
Freiheit und Ansehen genoß, wurde 1271 eine Verbindung errichtet, die aber diese Stadt nicht abhielt,
nachher mit dem Kaiser gegen Bern zu ziehen. Rudolf hatte nach seiner Thronbesteigung sich nicht
ungeneigt bezeigt; aber die Vertreibung der Juden, der Kammerknechte des Kaisers, vielleicht auch
die erweiterten Plane desselben, und Unwille über die Anhänglichkeit Bern's an Savoyen, seinen
Feind, bewogen Rudolf, 1288 mit großer Macht vor Bern zu ziehen. Anzahl, Kriegslist, und selbst eine
wiederholte Belagerung blieben fruchtlos gegen die Entschlossenheit der Bürger. Kaum hatte der
Kaiser sich mit seinem Heere nach Hochburgund gewandt, als die Berner ins Oberland zogen, und
sich an dem Adel rächten, der gegen sie die Waffen ergriffen hatte.♦ |
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Als im folgenden Frühjahre unversehens ein starker Heereshaufen unter der
Anführung Rudolfs, des Kaisers Sohn, durch die Schoßhalde hinunter auf die Stadt andrang, rettete
Brugger, der Venner (so nante man die vier Bannerführer, welche zugleich |
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auch Stadtbeamte waren), mit wenigen Gefährten, durch heldenmüthigen Tod seine
Mitbürger vor plötzlichem Überfalle; und Walo von Greyerz, der sich dadurch den Zunamen des
Biderben erwarb, das blutige und zerrissene Banner aus der Hand des Feindes. Nun setzte man den
aufwärts schreitenden schwarzen Bären zum Andenken in ein rothes Feld; der weiße Streif, auf
welchem er ging, wurde nachher in einen goldnen verwandelt. Der entschloßne Widerstand brachte
den Rückzug der Feinde und den Frieden hervor. 1291 hatte sich Bern wieder in den Schutz des
Grafen von Savoyen, jetzt Amadeus V. begeben.♦ |
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1298 schlugen die Berner schon wieder ihre Feinde, jetzt die Freyburger, die
Grafen der Waat, von Neuenburg, Griers, und benachbarte Edle, welche plötzlich mit Übermacht vor
der Stadt erschienen waren, mit geringem Blutvergießen am Donnerbühel und im Jammerthale. 1500
Gefangene und 18 Fahnen waren die Früchte des Sieges, und mehre Burgen des Feindes wurden
zerstört. Solothurn, die Grafen zu Aarburg und Kyburg-Burgdorf hatten die Berner unterstützt. Mit
den letztern standen diese noch lange in freundschaftlichem Verhältnisse. Sie ließen keine
Feindseligkeiten ungerochen, und nicht leicht einen Getreuen oder Verbundenen ohne Schirm.♦ |
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1324 lösten sie nach der Bewilligung Ludwigs des Bayers die Vogtei der mit ihnen
befreundeten Stadt Laupen an sich. Sobald indeß der Kaiser unter dem päpstlichen Banne lag,
bekriegten sie seinen Getreuen, den Freiherrn von Weißenburg und den von Thurn zu Gestelen; lösten
von dem Ersten die Vogtei über Ober-Hasli an sich, und Johann von Weißenburg selbst wurde Bürger
zu Bern. Sie hatten die, dem von Thurn anvertrauten, Schlösser Illingen und Ergenzach,
neuenburgische Stammgüter, zerstört; sie trotzten dem Grafen von Griers und dem oberländischen
Adel. Mit dem Volke von Guggisberg schlossen sie ein Bündniß. Den mit Kyburg-Burgdorf
ausgebrochnen Krieg, der manches Schloß zerstörte, vermittelte die statskluge Königin Agnes,
1334.♦ |
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Hohen Muth und rasche Tapferkeit hatten die Berner auch in diesem Kriege an den
Tag gelegt, aber keine Eroberungssucht. Dennoch wurde der noch neue, immer kräftiger sich
erhebende Freiheitssitz, wo der Gedrückte Schutz, und der mit den Grafen und Freiherrn bereits sich
messende niedre Adel einen Stützpunkt fand, den alten Herrn des Landes immer furchtbarer und
verhaßter. Eine stärkere und zahlreichere Verbindung, als noch je vorher, that sich zusammen. Der
Aargauische, der Üchtländische, der nähere Theil des burgundischen Adels, das damals öfterer
feindselig, als bundesgenössisch gestimte, mehr unter äußerm Einflusse stehende Freyburg,
vereinigten ihre Macht zu Berns Unterdrückung. Diese suchte und fand Hilfe bei Uri, Schwyz,
Unterwalden und Hasli.♦ |
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Jetzt erprobte sich an Bern, seinen nächsten Umgebungen und den Angehörigen
seines verbürgerten Adels, die Gediegenheit jenes Ausspruches Joh. v. Müller's: „Es ist besser, daß
eine Stadt viel freie Angehörige, als eine große Menge erzwungener Unterthanen habe; dieses macht
furchtsam, jenes beherzt." Die blutige Niederlage bei Laupen 1339, welche manches Haus des größern
und geringern Adels mit Trauer erfüllte; ein zweiter Sieg an den Thoren von Freyburg, und
verheerende Streifzüge |
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durch das Land sicherten Berns Unabhängigkeit, das auch dies Mal im Frieden sich
mäßigte. Mit Griers erneuerten sich die Fehden; und beim Verluste der Berner am Laubeck-Stalden
(Abhang) rettete Peter Wendschatz, der Venner, nicht sein Leben, aber das eingeschlossene Banner,
das er mit starker Hand über den Feind wegwarf. 1348 stritten Bern und Freyburg wieder
gemeinschaftlich gegen den Grafen Peter von Griers, und 1349 während der schrecklich verheerenden
Pest rächten die Berner, indem sie vom Tanze weg, der Büßenden spottend, zum Sturme gingen, den
Verlust von Laubeck-Stalden, zerstörten die Schlösser des Feindes, und zwangen ihn zum Frieden.—
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1353 schlossen nicht nur der Schultheiß, der Rath und die Zweihundert, sondern
auch die Bürger gemeinlich der Stadt Bern den ewigen Bund mit den drei Ländern, ihren Gehilfen bei
Laupen, dem des folgenden Tages auch die damals schon Eidgenössischen Zürich und Luzern
beitraten. Bern erhielt die zweite Stelle. Von nun an ist seine Geschichte ein wesentlicher Bestandtheil
der Schweizerischen. Nur einzele Thatsachen erfordern noch besondre Erwähnung.♦ |
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Nachdrücklich rächte es die Verwüstungen der unter Coucy ins Land gefallenen
Scharen der Engländer und ihrer Gehilfen 1375 an dem Bischofe zu Basel, 1377 die gegen Biel, Berns
Verbündete seit 1352, verübte Gewaltthat. Wie zu Rom in den kräftigsten Zeiten, so wechseln eine
Zeit lang Vergrößerungen des States, aber nicht blos durch Waffen und Statskunst, sondern auch durch
Ankauf, mit innern Zwisten und Gährungen; und oft sehen wir beides zugleich. 1348 wurde der
Schulheiß Johann von Bubenberg auf 101 Jahr verbannt, und nach 14 Jahren feierlich zurück berufen.
Doch nie störte die innere Reibung die Fortschritte von außen. Karl IV., den die Berner 1364 kostbar
bewirtheten, erkante ihre Reichsunmittelbarkeit, ertheilte ihnen den Blutbann auf drei Meilen im
Umkreise, und andre Gerechtsamen, welche nach ihm seine Söhne bestätigten und vermehrten. Die
Berner lösten die Grafschaft Aarberg an sich 1351 bis 1379. Von denen von Brandis und dem
Ordenshause Frienisberg wurden viele Dörfer angekauft. Thun wird an Bern verpfändet 1375. Von
Rormoos mußte Grimmenstein öfnen. Aber ungeachtet der Hilfe der Eidsgenossen wurde Burgdorf im
Kriege gegen den Grafen umsonst belagert. Jetzt fiel der Verdacht auf diejenigen Familien, welche
Dienstmänner von Kyburg-Burgdorf waren, und man glaubte, nur ihrer Wenige eignen sich die
Regirungsgewalt zu.♦ |
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1384 die versammelte Bürgerschaft entsetzt alle Rathsherrn, bis auf den Schultheiß
Otto von Bubenberg und vier Andere. Sie beschließen, die Venner und wer bei ihnen sitzt, sollen
jährlich zweihundert aus den Handwerkern erkiesen, als einen großen Rath. Immer herrschte indeß ein
größerer Geist. Ungeachtet Handwerker zahlreich waren, schwur man 1392, den Zünften zu wehren;
und nie waren die Zünfte zu Bern Innungen, sondern politische Tribus, in denen die
Handwerksgenossenschaften enthalten waren. Schon vor diesem Zeitpunkte zeigen sich Pracht und
äußerer Glanz in dem emporsteigenden State; aber wir finden auch Verbote des Spieles.♦ |
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Eine langwierige Mishelligkeit und wirkliche Thätlichkeiten mit Unterwalden,
welches die unzufriednen Angehörigen des von Bern |
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beschützten Herrn von Riekenberg begünstigt hatte, wurden endlich durch die
Eidsgenossen beigelegt, 1381. Die Grafschaft Burgdorf und die Gegend bis Thun waren 1384 erkauft,
und durch die größten Privat-Anstrengungen in 10 Jahren bezahlt worden. In der Noth der
Eidsgenossen 1386 bei der Schlacht und dem großen Siege derselben bei Sempach blieben die Berner,
auf den noch nicht ganz ausgelaufenen Thorbergischen Vertrag sich stützend, unthätig; doch gleich
nach Östreichs Niederlage brachen sie los. Obersiebenthal schwur zu ihnen. Die Freyburger wurden
von der Stadt weggeschlagen.—♦ |
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1388 werden auf entgegengesetzten Seiten Büren, Nidau, Unterseen erobert, und
eine entschlossene Schar holt sich Ruhm und große Beute bis im entlegenen Frickthale. Durch Kauf
werden Frutigen, u. s. f. Trachselwald, Huttweil, ein großer Theil des Emmenthales,
Signau, Bipp und die Landgrafschaft über Burgund von Thun bis an die Brücke von Aarwangen, der
letzte Überrest der von Zähringen an Kyburg-Burgdorf gefallenen Herrschaft des Landes, mit
Mannschaft, Lehen und Pfandschaften, welche noch mehre Rechte und Ansprüche begründeten,
erworben, und demnach die Grafschaft Wangen eingelöst. —♦ |
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Immer umsichtig rächten die Berner den Tod des gewaltigen Hugo Burkhard von
Mümpelgard, ihres Bürgers, an seinen Unterthanen nicht; aber sie erwarben Oltigen. Am Zuge ins
Eschenthal 1411 nahmen sie keinen Antheil, und eben so wenig 1422 an demjenigen, den die übrigen
Eidsgenossen, Uri zu Gefallen, rasch, doch nicht zusammen wirkend nach Bellenz unternahmen, den
ihr erster, größrer, aber ruhmvoller Verlust bei Arbedo auszeichnet. Ein für die Berner nicht
glücklicher Krieg mit Wallis 1418 hatte beinahe die Eidsgenossen, und namentlich die Waldkantone,
entzweit. Mit Kraft und Schnelligkeit schlugen sie hingegen 1415 nach der Achtserklärung Friedrichs
von Östreich zuerst los, eroberten für sich den untern Aargau, und halfen kräftig den übrigen
Eidsgenossen Baden erobern, dessen Mitherrn sie bald hernach wurden.♦ |
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Kaiser Sigmund hielt sich 1414 drei Tage lang bei ihnen auf. Papst Martin V.
bewirtheten sie auf seiner Rückreise von Kostnitz 10 Tage lang. Beide Bewirthungen geben
bemerkenswerthe Aufschlüsse über die Sitten der Zeit. Sigmund urkundete ihnen 1434, daß sie
Östreich um Aargau keine Antwort mehr schuldig seyn. Die Vorsteher des States sorgten schon zur
Zeit des Kostnitzer Conciliums dafür, daß die Thaten und Schicksale desselben nicht verloren werden.
Konrad Justinger, der Stadtschreiber, trug nach ihrem Beschlusse 1420 seine Chronik zusammen; aber
weit älter ist noch das Jahrzeitenbuch.♦ |
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1423 schloß Bern mit Zürich einen besondern ewigen Bund. Am allgemeinen
Kriege der Eidsgenossen gegen diesen Kanton, 20 Jahre später, nahm es nicht ohne Zögerung, aber
dann nachdrücklich und mit, jedoch vorübergehenden, Besitznahmen Theil. Bald nach diesem Kriege
wurde es in eine Fehde mit Freyburg verwickelt 1447. Anhänglichkeit dieser letztem Stadt an
Östreich, Streitigkeiten derselben mit Savoyen, das mit Bern befreundet war, und persönliche
Feindschaften der Vorsteher beider Städte brachten den Krieg zum Ausbruche. Um diese Zeit
begannen im Haslithal und im Oberlande Gährungen und Versuche, sich von Bern trennen, die
aber |
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entschlossen und klug gestillet wurden. Auch der aargauische Adel hing noch
lange an Östreich. —♦ |
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1470 entwickelte sich im Twingherrnstreite wieder aufs lebhafteste der Kampf der
Patrizier und Plebeier. Uneingedenk, daß die Vorrechte herrschender Städte mit denen des Feudaladels
auf gleicher Grundlage beruhen, und daß jene in diesen letztern ihre eignen Grundvesten erschüttern,
so ferne sie nicht zugleich ihr System dem Statszwecke unterordnen, und die Stadt in den Stat
übergehen lassen, wollte man mit einem Mal die Vorrechte der Herrschaftsherrn ganz beschränken.
Der Venner Perer Kistler, ein Fleischer, war ihr hitzigster Gegner, und der Kampf der Parteien erhob
ihn auf ein Jahr zur Schultheißenwürde, indem 80 vereinigte Votanten gegen 105, welche sich unter
verschiedene angesehene Mitbewerber theilten, die Oberhand behielten. Auch die damals
ausgezeichnete Kleidung des Adels wurde bestritten.♦ |
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Die Twingherren verließen die Stadt; doch schon im folgenden Jahre siegte der
Geist des Vaterlandes wieder. Die Herrschaftsherrn entsagten vielen Vorrechten und meistens der
hohen Gerichtsbarkeit, nicht ohne Misbilligung vieler ihrer Angehörigen, welche ungern die
Herrschaft eines, von Bürgern bewachten, Herrn an diejenige einer Bürgerstadt tauschten; und 1471
kehrten die Twingherrn wieder in die Stadt zurück. Ein Plebeier, Hans Fränklin, ein Kürschner,
damals Seckelmeister, war ihr Vertheidiger gewesen. Seine aufbewahrten Äußerungen bezeichnen den
Geist der Zeit. Er sagt: über der Verwaltung der Vogtei Lenzburg, vor der schweizerischen
Statsumwälzung eine der einträglichsten, habe er in seinem Handwerke vieles versäumt. —♦ |
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1458 finden sich 337 Glieder des großen Rathes, eine der Hälfte der damaligen
Bürger sich annähernde Zahl; 1406 waren 326. —♦ |
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Bei der Annäherung des Burgunder-Krieges hatten Bernerische Angehörige und
die mit Bern verbürgerrechteten Bewohner von Sanen und Ösch, durch Anreizungen und Vorschub,
welcher dem Feinde geleistet wurde, veranlaßt, 1475 die Ormont und die Landschaft Aiglen am
östlichen Ende des Genfersees eingenommen. Es gelang Bern, sich mit den letztern gegen
Überlassung von Einkünften darüber abzufinden, und die Eroberung an sich zu ziehen. Dies war die
erste Erwerbung französisch sprechender Unterthanen, die aber nachher immer zum teutschen Gebiete
des Kantons gezählt wurden.♦ |
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Im nämlichen Jahre brach der Krieg mit dem Grafen von Romont aus. Gegen den
Angriff der Berner, welche nur noch von Freyburg und Solothurn unterstützt waren, wurde jeder
Widerstand unkräftig. Strenge Behandlungen und einige Hinrichtungen, welche die mit
unerschütterlichem Muthe erstürmte Bezwingung von Estavayer und Les Cles verdunkeln, erklären
spätere Grausamkeiten Karls des Kühnen, auch wenn sie dieselben nicht entschulgen. Schon war der
größre Theil des Waatlandes bezwungen, als die übrigen Schweizer zu den Bernern stießen. Der von
Ludwig XI. gewonnene Niclaus von Dießbach, welcher schon im 34. Jahre zum Schultheißenamte war
erhoben worden, und gerade vor dem Ausbruche des burgundischen Krieges der französischen
Gesandtschaft beigeordnet war, riß seinen Kanton durch seinen mächtigen Einfluß in den Krieg mit
Karl dem Kühnen, welcher denselben zu vermeiden suchte, hinein, über- |
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zeugt, von den Eidsgenossen unterstützt zu werden. Im burgundischen Kriege, der
Bern vor allen und zuerst bedrohte, bezeigte dieses sich thätig und muthvoll. Die entschlossene
Verteidigung Murtens verschaffte der schweizerischen Macht die Zeit, sich zu versammeln, und rettete
Bern vor großer Gefahr. Dieser Krieg erwarb ihm den, dem Hause Chalon zugehörigen Antheil an der
Herrschaft Erlach und, gemeinschaftlich mit Freyburg, Murten, Granson, Tscherlitz und Orbe. Wie bei
den übrigen Schweizern, so wurde auch bei den Bernern der schädliche Einfluß fremder Mächte, ihrer
Abgeordneten und die Wirkung des fremdes Geldes immer bemerkbarer. —♦ |
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Eine, unter Drohungen gegen verdächtige Regirungs-Vorsteher sich nähernde, und
ins Welschland ziehende Schar junger Leute aus andern Kantonen wurde durch Klugheit und das
Aufgebot eigner Macht vorüber geleitet. Die Bürger nahmen es nicht an, als Wilhelm von Dießbach
und der ganze Rath die Regirungsgewalt zurück geben wollten. —♦ |
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Die Stadt war schon die schönste und ansehnlichste der Eidsgenossenschaft. Die
Regirung kam durch Anstrengungen zu Hilfe, als fünf schlimme Jahre und Seuchen Hungersnoth
hervor gebracht hatten. In den Kriegen zwischen Karl VIII. und Kaiser Maximilian war Bern mehr
Östreichisch, und stemte sich der Hingebung Andrer, insbesondre der innern Kantone, um
französisches Geld nachdrücklich entgegen. Daß der Schwabenkrieg 1499 den Bernern nicht so
angelegen war, als der Burgundische, empfanden und rügten die Eidsgenossen. An den italiänischen
Kriegen, insbesondre unter Ludwig XII. und Franz I. und an der Eroberung der vier welschen Vogteien
nahmen sie vorzüglichen Antheil. Sie erfuhren dabei die entzweiende Kraft des ausländischen
Einflusses und der Theilnahme einer Republik an auswärtigen Händeln.♦ |
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Wiederholte Aufstände erschütterten das Gebäude des States. Die mit offenem
Sinne für Wahrheit und Belehrung der Nachwelt ausgerüsteten Chronikenschreiber, Anshelm der
Zeitgenosse, und Stettler, dessen ursprüngliches, von der bernerischcn Censur abgekürztes Werk
gegenwärtig den Freunden der Geschichte nicht mehr zugänglich ist, schildern die Folgen des so
geheißenen Reislaufes, die Verkäuflichkeit Höherer und Niederer, die Hingebung an die ausländischen
Soldatenmäckler, die Geldgier, den Parteienkampf der Volksvorsteher, den Trotz der Hauptleute
(meistens Aussprößlinge) gegen die kraftlosen Maßregeln einer Regirung, in deren Schoß entgegen
gesetzte Systeme und widerstreitender fremder Einfluß sich stets bekämpften, die daraus
hervorgehende Verachtung der Obern, die Ungebundenheit des Volkes, und die Verwilderung, welche
noch immer die Völker strafte, in deren Händen sich der Beruf des Kriegers in planmäßige Beraubung
wehrloser Gegenden verwandelte.—♦ |
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Dieses Bild der damaligen Schweiz paßte vornämlich auch auf Bern, die
Parteienführer machten wechselweise ihre Gegner dem gemeinen Volke verdächtig, und beschützten
ihre Anhänger gegen die Anwendung der Gesetze. Von der Könitzer-Kirchweihe 1513 drang die
ungebundene Jugend in die durch Parteien getheilte Stadt. Der Aufstand verbreitete sich weiter. Die
Regirung und Abgeordnete vom Lande verurtheilten Michel Glasern und Anton Widern, als
Empfänger französischen Geldes zum |
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Schwerte. Die Räthe verhießen ohne Einwilligung der Boten von Stadt und Land
kein Bündniß zu machen, in welchem Hilfe versprochen wird. Der Venner Kaspar Hetzel wurde im
solothurnischen Gebiete von einem wüthenden Volkshaufen ergriffen, gefoltert und hingerichtet.
Dumpfe Gährung dauerte fort. Die französischen Kronenfresser, wie man sie nante, wiesen auf die
Empfänger der Dukaten und rheinischen Gulden.—♦ |
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Nach dem Dijoner-Zug verjagte Hasli seinen Ammann, und wählte einen andern
aus sich. —♦ |
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Dem Präsidenten von Burgund, Villeneuve, wurden zu Bern durch die Folter 2000
Kronen zur Bezahlung französischer Rückstände abgezwungen. Immer sind in diesem Zeitpunkte die
Häupter des States der Habsucht verdächtig. Kaum hätte 1508 Joh. von Furno erdichtetes Testament
Herzogs Karl von Savoyen von 1439, durch welches Bern und Freyburg 350,000 Rh. Gl. zugedacht
seyn sollten, ohne solche Einverständnisse schnellen Beifall gefunden. Als Franz I. bereits den Alpen sich näherte, versicherte Bern auf dem Tage zu Zürich, der König sey noch nicht gesinnt, über das
Gebirge zu gehen; und seine Scharen waren bald nachher, 8. September 1515, in der Zahl derjenigen,
welche mit Frankreich zu Galera überein kamen, und der Schlacht bei Marignano nicht
beiwohnten.♦ |
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Der beträchtliche Verlust, den die Berner 1522 in der Schlacht bei Bicocca erlitten
hatten, und die durch die kräftigen Erinnerungen der Reformatoren immer mehr auf die schädlichen
Folgen des Reislaufens und der Pensionen gerichtete öffentliche Aufmerksamkeit veranlaßten wieder
eine Einberufung der Abgeordneten der Landschaft, und erneuerte Verbote der Pensionen. Dennoch
vermochte französischer Einfluß die bernerische Regirung bald wieder, selbst Vorschüsse für die
Bezahlung jener Jahrgelder zu machen.♦ |
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Während der frühern Kämpfe der Hierarchie und der kaiserlichen Macht hatten die
Berner nicht selten sich an die erste angeschlossen, Hans von Balm brachte ihnen durch fromme
Entwendung 1463 aus der Laurenz-Kirche zu Köln ein Exemplar des Hauptes des Stadtheiligen
Vincenz, was man zu Saragossa, seiner Ruhestätte, zu erhalten früher umsonst gesucht hatte. Gebeine
der 10,000 Ritter, welche er 1464 von Rom herbrachte, vermehrten seine Belohnung. Gleichwol
versuchte man es wiederholt, in den Klöstern Ordnung herzustellen. Nur zu Bern wurden die 1500 mit
reichem Ablasse in die Schweiz geschickten Abgeordneten des päpstlichen Legaten in Teutschland,
Kardinals Raimund, zugelassen. Die Dominikaner hatten beschlossen, ihre Lehre wegen der
unbefleckten Empfängniß der Maria, über welche sie mit den Barfüßern stritten, durch Wunder zu
behaupten. sie bestimten Bern zum Schauplatz, weil, wie Stettler sagt, daselbst „ein frommes,
einfältiges, ungelehrtes, aber tapferes und handvestes Volk war." Sie wählten Hans Jetzer, einen
Schneider, der in ihren Orden getreten war, zum Gegenstande ihres Betrugs. Maria, und andre Heilige
erschienen ihm; fünf Wunden wurden ihm beigebracht. Aber endlich entdeckte er den Betrug, und vier
Mönche wurden 1509 zum Feuer verurtheilt.♦ |
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Diese Begebenheit öfnete manches Auge, und der ganze Prozeß gibt über die
Geschichte der Mirakel große Aufschlüsse. Gleichwol wurde 1518 der Ablaßkrämer Bernhardin
Samson auf- |
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genommen. Dieser dehnte sein Gewerbe so weit aus, daß z. B. Jak. v. Stein
für einen Hengst vollkomnen Ablaß für sich, 500 Mann, deren Hauptmann er war, seine Vorfahren
und seine Unterthanen zu Belp kaufte.—♦ |
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Der Glaubensverbesserung widersetzten sich viele der Angesehensten, welche
zugleich auch für den Gewinn, den sie aus ihren ausländischen Verhältnissen zogen, und für die
Versorgung der Ihrigen in Stiftern und Klöstern besorgt waren. Doch der Reformator Berchthold
Haller, seine Gehilfen Meyer und Kolb, der feurige Niclaus Manuel, nachher Venner, dessen
Bohnenlied das Nachspiel von Samsons Ablaßkram wurde, die Disputation zu Bern 1528, und
zahlreiche Freunde einer Sitten- und Glaubensverbesserung drangen durch. Immer waren die
Gemeinen des Landes beim Reformationswerke zugezogen worden.♦ |
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Im Hasle und in den benachbarten
Gegenden entstanden Unruhen. Der Vorschub, den die Unterwaldner den Mißvergnügten thaten,
wurde eine der Veranlassungen des schweizerischen Religionskrieges. In diesem vermißt man Berns
volle Thätigkeit. Rasch und nachdrücklich entwickelte sich dieselbe hingegen 1536, als die Berner, um
den Herzog von Savoyen für einige Beleidigungen zu strafen, und den immer mehr gedrängten
Genfern Hilfe zu leisten, unter der Anführung Hans Franz Nägeli's in wenigen Wochen des Januars
und Februars die Waat, die Landschaft Gex, Thonon und Ternier jenseit des Genfersees eroberten.
Auch Lausanne und die Besitzungen des Bischofs ergaben sich; und beinahe ohne Widerspruch wurde
die Reformation eingeführt.♦ |
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Das vormals verbündete Lausanne wurde unterwürfig gemacht, und Genf
entzog sich nur durch seine Standhaftigkeit einem ähnlichen Schicksale. Mit großer Beharrlichkeit
wußte die Regirung Berns diese Eroberung gegen den Willen vieler Miteidsgenossen durch festes
Anschließen an ihre Unterthanen, denen sie sich klug und in traulichem Tone mittheilte, zu behaupten.
Nur durch den Drang der Umstände und den Mangel an Unterstützung genöthigt, trat sie endlich Gex,
Thonon und Ternier 1564 wieder ab, und räumte sie nur erst 1567 dem Gegner wieder ein.♦ |
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Werbungen und fremde Kriegsdienste hatten den letzten Grafen von Griers,
Michael, so in Schulden gestürzt, daß er 1554 seinen Gläubigem, Bern und Freyburg, seine Landschaft
abtreten mußte. Bern erwarb das mit ihm verbürgerte Sanenland, und die Gegend über der Bocken.
Eine von Savoyen 1588 zu Lausanne eingeleitete Verschwörung und die Bedrängnisse Genfs bewogen
Bern, 1589 wieder gegen Savoyen zu Felde zu ziehen. Der Krieg wurde mit Nachdruck begonnen,
Gex und Thonon erobert, der Feind bei St. Joire geschlagen. Nun zog ein Theil des bernerischen
Heeres nach Hause; die Berner und Genfer wurden uneinig, mit Savoyen wurde unterhandelt, und die
Eroberungen gingen verloren. Öffentliche Sagen und Schmähschriften beschuldigten bernerische
Regirungsglieder und Anführer des Heeres der Verkäuflichkeit. Die Welschen Angehörigen wurden
schüchtern, und unter den Teutschen äußerten sich Unzufriedenheit und Misbilligung laut, selbst
gegen den Genferschen Abgeordneten zu Bern. S. genf. Rathsreg. 17. Febr. 1590. Dennoch
beschränkte sich späterhin der Krieg |
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auf vorübergehende Unterstützungen Genfs; 1603 stellte der Friedensschluß zu St.
Julien die Ruhe, und ein späterer Vertrag mit Savoyen 1617 das Einverständniß beider Staten so
wieder her, daß Bern an Savoyen Truppen überließ.♦ |
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Die Mishelligkeiten mit dem Bischofe zu Basel, und die Unterhandlungen wegen
der Oberherrschaft über Biel sind unter jenen Artikeln nachzusehen.♦ |
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An den Veltliner-Kriegen, im Anfange des 30jährigen Krieges, nahm Bern mit
Zürich zur Unterstützung der Reformirten und auch des Landes gegen Spanien und Östreich Theil. Mit
Venedig wurden im 17. und zu Anfang des 18. Jahrh. Bündnisse geschlossen. —♦ |
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1632 wurden Gewaltthätigkeiten, welche ein solothurnischer Beamter gegen
durchziehende Berner ausübte, nur durch Dazwischenkunft von Vermittlern versöhnt. 1622 fing man
an, Verschanzungen zur Beschützung der Stadt anzulegen. 1653 verbreitete sich der Bauernaufruhr
vornehmlich über den flächern Theil der teutschen Landschaft des Kantons. Niclaus Leuenberger, der
Obmann des Aufstandes, war von Schönholz, im Amte Trachselwald, gebürtig. In dem Kriege der
Kantone Zürich und Bern mit den fünf innern katholischen Kantonen verloren die Berner 1656 das
Treffen bei Vilmergen.♦ |
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Für die, von den Herzogen von Savoyen verfolgten Waldenser und die Reformirten
in Frankreich verwendete Bern sich oft mit den andern evangelischen Schweizern, und gewährte den
Entflohenen große Unterstützungen. Im Schoße der Regirung gab der Ungehorsam der in Frankreichs
Solde stehenden Truppen gegen die Verbote, wider Teutschland feindselig zu handeln, zu Reibungen
Anlaß. Als nach Auslöschung des alten Fürstenhauses die Stände von Neuchatel 1707 den König von
Preußen mit Vorbeigehung andrer Bewerber als ihren Landesfürsten anerkanten, und Frankreich
Truppen an die Gränzen legte, thaten die Berner entschlossen das Nämliche.♦ |
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In dem Toggenburgerkriege 1712, den Bern und Zürich gegen Luzern, Uri,
Schwyz, Unterwalden, Zug und den Abt von St. Gallen führten, waren die wesentlichem Kriegsthaten
das Treffen bei Bremgarten, der entscheidende Sieg bei Vilmergen ausschließend das Werk der
bernerischen Waffen. Bern kam durch den Frieden zu Aarau in die Mitherrschaft des Thurgaues,
Rheinthales, des Sarganserlandes und der freien Ämter. 1712 wurde mit den vereinigten Niederlanden
ein Schutzvertrag geschlossen.♦ |
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Kluge und sorgfältige öffentliche Verwaltung hatten den Stat immer mehr in eine
vortheilhafte Lage gesetzt. Schon in den verflossenen Jahrh. waren viele Herrschaften von eignen
Angehörigen und von fremden Herren angekauft worden. 1701 wurde die Herrschaft Sumiswald vom
teutschen Orden, 1712 Aubonne, 1721 Wildenstein, 1729 Könitz vom teutschen Orden, 1731 Kastelen
angekauft, u. s. f.♦ |
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Für die Besorgung der beträchtlichen in England angelegten Summen wurde seit
1722 ein Kommissar aus den Gliedern des großen Rathes zu London angestellt. Im Laufe dieses Jahrh.
beföderten zweckmäßige Statsanstalten, z. B. die Anlegung vortreflicher Heerstraßen, den
Wohlstand des Landes. Nichts desto weniger wuchsen die öffentlichen Ersparnisse zu einem
beträchtlichen Statsschatze an, der aber, wie Mably es zu ahnen schien, 1798 |
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die Raubsucht gieriger Nachbarn reizte.♦ |
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Um das Jahr 1720 verschwanden die letzten hölzernen Häuser im untern Theile der
schon längst weit über die Schranken der ersten Anlage ausgedehnten Hauptstadt; und diese erhielt
seither das Aussehen eines großen Fürstensitzes. Über die kleinern Städte und beinahe die ganze
Landschaft verbreitete sich ein auch im Äußern sichtbarer Wohlstand. Obgleich der Stat Handlung und
Fabrikation nicht absichtlich beföderte, so hemten doch keine Monopolien und Innungen den
Unternehmungsgeist und die Thätigkeit der Statsgenossen.♦ |
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Ungeachtet dieser Verhältnisse veranlaßte die fortschreitende Beschränkung des
Patriziates Unzufriedenheit. 1643 wurde eine bestimte Gränzlinie zwischen regimentsfähigen Bürgern
und den so geheißenen ewigen Einwohnern gezogen. Von dieser Zeit an entwickelte und befestigte
eine Reihe von Beschlüssen dieses System immer mehr. 1651 wurde verordnet, niemand ohne
erhebliche Gründe zum Bürger anzunehmen. 1731 trente der große Titularstreit die Regirungsfähigen
selbst, und am 13. April wurde die ins rothe Buch eingetragene Verordnung verfaßt, daß bei 100
Duplonen Strafe niemand seine Wapen, Titel oder Namen ändre, oder sich solcher Diplome im
Auslande gegen einen andern Berner bediene.♦ |
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Mit großer Wachsamkeit beobachtete die Mehrheit des großen Rathes selbst die
Versuche, welche die ursprünglich democratischen Verhältnisse der Bürger zu untergraben schienen;
aber ein Theil der Regimentsfähigen glaubte nichts desto weniger, eine ausschließliche
Familienregirung sich erheben zu sehen, und, wenn schon nicht gesetzlich, doch durch die That zurück
gesetzt zu seyn. Die Folgen davon zeigten sich zuerst im Innern der Stadt. 1744 hatten sich Spuren
davon bei der Besetzung des Großen Rathes gezeigt. 1749 versuchten es Mißvergnügte, eine
Regirungsveränderung zu bewirken; aber der Anschlag wurde entdeckt und vereitelt. Einige büßten
ihren übel berechneten Versuch mit dem Leben, oder mit Verbannung.♦ |
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Oft beschäftigten Genfs, von Savoyen bedrohte Sicherheit, und im 18. Jahrh. seine
innern Unruhen die bernerische Regirung. 1782 vereinigte sie ihre bewafnete Macht mit derjenigen
von Frankreich und Sardinien zur Unterdrückung der in jenem Freistate wieder ausgebrochenen
Bewegungen. Beschwerden und Widersetzlichkeiten der Neuenburger gegen ihren Fürsten Friedrich
den Großen 1768 veranlaßten die Anwendung des hergebrachten Richteramtes der Stadt Bern
zwischen dem Fürsten und dem Volke. Nach dem Ausbruche der französischen Statsumwälzung legte
die Regirung ihr derselben entgegen gesetztes System unverhalten an den Tag. Als 1791 im Waatlande
Unzufriedenheit sich äußerte, und Wohlgefallen über die französischen Grundsätze sichtbar wurde,
stellte sie durch schnelle Maßregeln und das Einrücken teutscher Milizen in jene Gegenden die äußre
Ruhe wieder her. Das 1792 aus französischen Diensten zurückberufne Regiment Ernst behielt sie bis
1796 im Solde, und gab dadurch das erste Beispiel stehender Truppen im Innern der Schweiz, indem
die Stadtwachen einiger Städte diesen Namen nicht verdienen, und Genf nicht hieher gehört.♦ |
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Zwar war der Zutritt zum Patriziate schon seit anderthalb hundert Jahren
verschlossen gewesen; aber der Umfang des States, die zahlreichen höhern und niedern Beamtungen
und |
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der auswärtige Kriegsdienst, welche zwar bei manchen einen für Republiken
nachtheiligen großem Luxus, und eine gewisse Sorglosigkeit veranlaßten, auch dem Triebe zur
Ausbildung weniger zuträglich waren, brachten einen uneigennützigern Geist in die Aristokratie, die
nicht kleinlich jede unbedeutende Stelle an sich zog, nicht jeden einträglichern Erwerbszweig
monopolisirte, sondern den Untergebenen die Kanzel, den Lehrstuhl, viele Civil-Bedienungen und
jedes bürgerliche Gewerbe frei ließ. Ein Versuch, die in der Regirung befindlichen durch die
allgemeine Annahme des Prädicates von von den gemeinern Bürgern ganz zu unterscheiden, wurde
durch Wachsamkeit vereitelt. 1784 wurde beschlossen, jeder Bürger könne gegen eine nicht
bedeutende Einschreibungstaxe das von sich beilegen. Die Sache nahm eine komische Wendung, und
blieb ohne wesentliche Folgen. |
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Bis ans Ende des Jahres 1797 wußte die bernerische Regirung ihr Ansehen über
das ganze Gebiet zu behaupten. Als aber im Anfange des folgenden Jahres das französische
Direktorium durch mancherlei Zumuthungen die schweizerischen Regirungen verwirrte, durch
Aufwiegelung das Volk vieler Gegenden in Gährung brachte, und am Ende Truppen an die Gränzen
der Schweiz rücken ließ, brach zuerst im Waatlande ein Aufstand aus. Dieses erklärte sich
unabhängig; die Franzosen rückten in dasselbe ein, und näherten sich den Gränzen der gehorsam
gebliebenen teutschen Landschaft. Die Regirung rief die seit manchem Menschenalter nie mehr
zugezogenen Abgeordneten des Landes wieder ein. Eine freiere Verfassung wurde zugesichert, und
die Frist eines Jahres zur Ausarbeitung derselben bestimt.♦ |
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Noch war die große Mehrzahl und beinahe die ganze niedere Volksklasse,
eingedenk der glücklichen Ruhe, des genossenen Wohlstandes und der milden Behandlung der
Regirung ergeben. Aber die Mehrheit in den Landstädten, viele nicht zum Patriziate gehörende
Einwohner der Hauptstadt, und manche auf der Landschaft selbst, sehnten sich nach einer
Veränderung, welche sie aus der politischen Minderjährigkeit hervor heben sollte. Viele auch von
diesen wünschten nichts besseres, als eine von Frankreich unabhängige Verbesserung der Statsform,
und waren entschlossen, zur Abhaltung der Franzosen alles zu wagen; Andre, denen der Glaube an die
Zusicherungen der Regirung fehlte, hofften Rettung nur von diesen.♦ |
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Dennoch siegte für ein Mal das Vaterland. Es gelang der Regirung, eine sehr
beträchtliche Volksmasse dem Feinde, der vom Waatlande und vom Bisthume Basel her sie bedrohte,
entgegen zu setzen. Die schwache Hilfe der Eidsgenossen, ihre Unentschlossenheit, Freyburg's und
Solothum's Schwäche, das stete Schwanken der durch französische Vorspiegelungen und
widerstreitende innere Elemente außer Fassung gebrachten Regirung, und die Gährung, welche sich
auch der bewafneten Macht mitgetheilt hatte, hinderten jedes größre Zusammenwirken. Siegreich
fochten die Berner bei Neuenegg, Laupen und Gümminen, nicht ohne wüthigen Widerstand beim
Grauholz; aber das Band der Kriegszucht war aufgelöst. Tobende und mistrauische Milizen
ermordeten ihre eignen Anführer; und nach wenigen Tagen des Krieges öfnete am 5. März das vorher
von keinem Feinde betretene Bern seine Thore den Franzosen, |
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welche sich der während eines langen Friedens gesammelten Vorräthe
bemächtigten, und die Patrizier noch insbesondre mit Contributionen belegten.♦ |
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Nach der Einführung der helvetischen Republik wurden aus dem bernerischen
State vier Kantone gebildet, Leman aus dem Waatlande; Oberland aus den oberländischen Gegenden
mit dem Hauptorte Thun; Aargau aus dem untern Aargau. Der Überrest machte den Kanton Bern aus.
Von der Mitte des Jahres 1799 bis 1803 war die Stadt der Sitz der wechselnden helvetischen
Regirungen. Durch die Mediationsverfassung blieben Waat und Aargau abgetrent; der wenig
zusammenhängende, von Hilfsmitteln entblößte Kanton Oberland war schon 1801 wieder mit Bern
vereinigt worden. .♦ |
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Als im Spätjahre 1813 der Schauplatz des von den Verbündeten zur Herstellung
des europäischen Gleichgewichtes unternommenen Krieges sich dem Rheine näherte, erklärte auch
Berns Regirung am 15. December öffentlich ihren Wunsch für Neutralität, und daß fremde Truppen
den Schweizerboden nicht betreten möchten. Am 19. December erschien daselbst der in östreichischen
Civildiensten angestellte Graf Senft von Pilsach, und foderte die mediationsmäßige Regirung auf, ihre
Gewalt in die Hände der vormaligen Regirung niederzulegen. Der große Rath wies dieselbe am
folgenden Tage ab; aber auf die Nachricht vom Einmarsche der Verbündeten in die Schweiz beschloß
er am 22. mit großer Mehrheit, dieselbe den ehemaligen Rath und Bürgern (dem großen Rathe), zu
übergeben. Dieser versammelte sich, und wählte eine provisorische Regirung oder Standescommission
aus 13 Gliedern.♦ |
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Eine Bekantmachung vom 24. trägt allen öffentlichen Behörden des damaligen
Kanton Bern, und eben so, wie dieselbe sich ausdrückt, denjenigen der abgerissenen Theile Waat und
Aargau auf, Ruhe und Ordnung zu handhaben. Den Regirungen dieser beiden letztern Kantone wird
befohlen, ihre Kassen unter persönlicher Verantwortlichkeit in Bereitschaft zu halten. Kriegsvorräthe
sollen versiegelt, und ebenfalls in Bereitschaft gehalten werden. Dann wird angezeigt, die alte
Verfassung werde die Grundlage der künftigen seyn; aber bei der Vervollständigung des großen
Rathes werde man von höhern Grundsätzen ausgehen, eine bedeutende Anzahl Familien ins
Bürgerrecht aufnehmen. Eine Amnestie wurde versprochen.♦ |
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Im Kantone äußerten sich nur einzeln leise Bewegungen. Aber Waat und Aargau
verboten dieses Proclam, drohten, die Verbreiter desselben als Verräther zu behandeln, und
behaupteten, auf die Äußerungen der östreichischen und russischen Gesandten und diejenigen der
Monarchen selbst gestützt, ihre Unabhängigkeit. Das gegenseitige Mistrauen ging so weit, daß die
Gränzen durch Bewafnete bewacht wurden. |
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Mittlerweile war am 12. Januar der große Rath, von
welchem noch 134 Glieder, und unter diesen nur fünf des kleinen Raths übrig geblieben waren, durch
66 neue Glieder vervollständigt. Berns wiederhergestellte alte Regirung stand lange an der Spitze
derjenigen ältern Kantone, welche sich der Tagsatzung zu Zürich entzogen, wohin die 19
mediationsmäßigen, von den verbündeten Mächten anerkanten Stände versammelt werden sollten.
Nach wiederholten Einladungen der auswärtigen Gesandten beschloß endlich der große Rath am 30.
März, |
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dieselbe besuchen zu lassen.♦ |
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In der innern Organisation des Kantons schritt man fort. Aus den Vorgeschlagenen
des Landes wurden 43 dem großen Rathe zugewählt. Am 7. und 8. Juli erfolgte eine Entsagung auf das
Waatland, insofern dasselbe die Trennung vorziehe. Auf das Aargau wurden die Ansprüche entgegen
kommend erneuert. Aber sogleich erfolgten die abschlagenden Gegenerklärungen dieser beiden
Stände. Eine im August in der Gegend von Interlaken und Thun eingeleitete Verschwörung wurde
durch schnelle, mit Waffen unterstützte Maßregeln ohne Widerstand unterdrückt.♦ |
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Endlich trat Bern dem neuen Schweizerbunde bei, doch mit Vorbehalt seiner
besondern Ansprüche auf Waat und Aargau, welche, gestützt auf ihre seit 1803 genossene politische
Selbständigkeit und die allgemeine Anerkennung derselben, jene ablehnten. Aufs neue erwachte
gegenseitiges Mistrauen. Im Januar und Februar 1815 sah man Waat und Bern Kriegsrüstungen
machen, weil jenes eine Unternehmung der Berner gegen Aargau, und Bern feindselige Absichten
gegen sich selbst zu vermuthen schien.♦ |
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Endlich machte der Wiener Kongreß diesen beunruhigenden Verhältnissen ein
Ende. Er erklärte am 20. März die Unverletzbarkeit des Gebietes der 19 Kantone auf die Grundlage
des Besitzstandes vom 29. Dec. 1813. Dem Kanton Bern wurden das Bisthum Basel, mit Ausnahme
des Bezirkes Birseck, und die Stadt Biel, mit Vorbehalt der mit der bernerischen Verfassung
vereinbaren Municipal-Rechte, überlassen; und am 28. April nahm der große Rath den Wiener Receß
durch eine beträchtliche Mehrheit der Stimmen an.♦ |
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Diese ausgedehnte Erwerbung veranlaßte eine neue Bearbeitung der
Verfassungsgrundsätze. Ein Proclam vom 21. Sept. sicherte den Zutritt zu öffentlichen Stellen und
zum regirungsfähigen Bürgerrechte allen Landesgenossen zu. Die Zahl der, den Zweihunderten der
Stadt Bern noch von der Landschaft zuzuwählenden Glieder wurde auf 99 ausgedehnt; 12 oder 13 von
diesen wählt der große Rath selbst; die Übrigen werden von den Vorstehern und öffentlichen Beamten
der Städte und Kreise, welche die Wahlkollegien bilden, ernant.♦ |
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In November wurde mit den, nach der Vorschrift des Wiener Recesses von dem
Vororte Zürich ernanten Deputirten der erworbenen Landschaften eine Conferenz in Biel gepflogen.
Die Letztern stimten auch einigen Veränderungen, welche der große Rath in der Übereinkunft zu
machen beschlossen hatte, am 30. November bei. Das eigentliche Bisthum, das Münsterthal und
Erguel wurden nun in fünf Leberbergische Vogteien eingetheilt, Biel mit dem Oberamte Nidau,
Neustadt und der Teßenberg mit Erlach in Verbindung gebracht. Die feierliche Besitznahme des
Landes erfolgte vor Weihnachten.♦ |
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Seither hat Bern mit dem römischen Stuhle, dem Kanton Luzern und andern
Schweizerkantonen viele Unterhandlungen über die Festsetzung bischöflicher Sprengel, und andrer
dazu gehörender Verhältnisse gepflogen, welche aber noch nicht beendigt sind. In den Jahren 1817
und 1818 übte es zum ersten Male das, nach den Bestimmungen der neuesten schweizerischen
Verfassung, mit Zürch und Luzern wechselnde Amt des Eidsgenössischen Direktoriums oder Vorortes
aus. Die bei der neuen schweizerischen Eidsgenossenschaft theils zahlrei- |
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BERN |
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cher, theils in höherm Range als vormals angestellten auswärtigen Gesandten
scheinen ihren, für kleine Freistaten, welche jeden größern Luxus zu fürchten haben, und ihre
Magistraten nur mäßig besolden können und sollen, nicht unwichtigen Aufenthalt bleibend in Bern
aufschlagen zu wollen. —♦ |
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Die Secularfeier der Glaubens-Verbesserung beging Bern auf das neue Jahr 1819
nicht mit der übrigen teutschen Schweiz; aber auch in den beiden verflossenen Jahrh. war das Fest
1628 und 1728, und zwar mit solcher Theilnahme gefeiert worden, daß 1628 der kleine und große
Rath und die ganze Bürgerschaft in der großen Kirche sich eidlich verpflichteten, bei der
angenommenen Reformation zu bleiben, und auch 1728 die Feierlichkeiten sich über den Zeitraum
einer ganzen Woche erstreckten. |
(Meyer v. Knonau.) |
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