HIS-Data
Seckendorff: Teutscher Fürsten-Staat HIS-Data
5226-5-16
Additiones > §. 16
Werk Inhalt ⇧ Add.
Uhrsprung derselben und wodurch sie bey einem regenten befördert werde
⇦ §. 15 §. 17. ⇨

    ⇦ S. 85: §. 15
S. 85 (Forts.) §. 16.
  Die unart der eigenwilligen Herrschafft hat, allem ansehen nach, und so viel man aus historien begreiffen und vermuthen kan, der alten
S. 86 Additiones zum II. T. C. 1 §. 1.
  freyheit zuwider, etliche secula her mehr und mehr an vielen orten, auch in unserm vaterlande zugenommen allwo doch vor dessen mehrere freyheit gewesen, ja wo die freyheit ihren alten sitz gehabt und von dem poeten daher genennet wird, germanum, scythicumque bonum. Die ursachen* kommen vielleicht nechst der göttlichen straffe welche erstlich über die unterthanen, und dann auch im ende über die Regenten selbst, dadurch ergehet, aus mancherley offt gering scheinenden umständen her. Den ersten hub und beförderung thun ohne zweiffel anfangs darbey eigennützige höfflinge, welche gewohnet sind, von jugend auff denen Regenten zu schmeicheln und ihnen ihren hohen stand und vorzug dermassen bey aller gelegenheit vorzustellen und mit ersparter warheit zu ergrössern, auch alles, was wol gedeyet, dem Herrn allein zuzuschreiben, daß kein wunder ist wenn sie darüber nach und nach des eitelen dunstes voll werden, und also ehrlicher leute sprache, die zwar, wie billich, mit allem respect, doch gründlich und eigentlich die wahre bewandniß vorstellen, gleichsam nicht verstehen sondern dieselbe für ungestüme, harte, hochmüthige köpffe achten, die man nicht viel müsse wissen lassen, weil sie das spiel verderben, oder nur difficultäten machen.** Ferner und zum andern contribuiren hierzu wider ihren willen durch mißbrauch der Regenten, auch wol redliche und geschickte diener: Welche aber meynen, man müste alles auff das allersänffteste und gelegentlichste einem Herrn fürbringen, und mit stattlichem tempo, und per indirectum,
S. 87 Von der eigenwilligen Herrschafft §. 16.
  ihn zu gewinnen suchen; Das solte nun zwar ein weiser Herr und Regent selbst abmercken, und einen tugendhafften diener sich also zu erkennen geben, daß derselbe sich ermannen dörffte, ohne hindansetzung der schuldigen ehrerbietung, dennoch fein gerade zu, den handel fürzulegen, und bey vertraulicher bequemer gelegenheit gleich, als gute freunde thun, die treue wohlmeynung zu entdecken. Und in solchem verstande haben vordessen die großmächtigste Könige ihre räthe wohl amicos oder freunde heissen mögen, und der Sohn GOttes heisset die Apostel seine Freunde, Matth. 12. v. 4. und Joh. 15. v. 15. Gewiß ist offtmals grosser Herren gröstes unglück, daß sie keinen oder gantz wenig freunde haben. Denn mit ihres gleichen stehen sie mehrentheils in heimlichen neid und widerwillen, oder müssen sich anderer absehen halben trefflich vor ihnen hüten und vorsehen, bleibet also ihre freundschafft zu einem äußerlichen gepränge, oder beym trunck, und anderer ergötzung. Und wo sie denn von geringen, und zumahl von ihren dienern, fast nichts, als lob-sprüche und verwunderung hören, und einen knechtischen gehorsahm gewarten wollen, so stehen sie allein auf ihrem eigenen sinn und willen. Drittens befördern die caprice und den eigenen sinn der Herren auch nicht wenig solche diener, welche zur unzeit und ohne grund poltern, und ihren amts-und pflicht-eyffer nicht ehe oder hefftiger, als in sothanen dingen, spüren lassen wollen, wo sie für sich und ihre angehörige ein interesse haben, oder sonst etwa irritiret seyn. Denn wo die Herren mer-
S. 88 Additiones zum II. T. C. 1 §. 1.
  cken, daß die anzeige der warheit aus eigenem nutz, und nicht aus reiner gantzer treue und wohlmeynung, herfliesse, so ist nicht allein der nachdruck solcher erinnerung verlohren, sondern sie ärgern sich auch daran, daß sie hernach, wenn gleich ohne passion geredet und erinnert wird, nicht trauen, sondern die diffidentz, welche ohne das dem hohen stande und grossem glück fast natürlicher weise anhänget, je mehr und mehr fassen, und sich also desto lieber nach ihrem eigenen willen richten. Ist nun derselbe einmal zu seinen kräfften kommen, so ist es schwer, ja fast unmüglich, zumahl bey zunehmenden jahren, ansehen und erfahrung, denselben zu mildern oder zu unterbrechen, und werden alsdenn auch die besten und frömmesten diener wohl genöthiget, daß sie fast alles per indirectum, mit grossem praß und kummer ihres hertzens und gewissens, fürnehmen, und doch wohl unter zehen nicht einmahl, was sich gebühret, und dem Herrn und Lande zum besten dienet, erreichen und behaupten können, sondern müssen das meiste hinstreichen lassen, und finden immer neben sich mehr leute, die sich auf den augendienst legen, und sich darbey, dem äusserlichen ansehen nach, gar wohl befinden, als die ihnen, zu erhaltunq dessen, was recht und nützlich wäre, treulich und kräfftig beystünden; Bleiben also mit ihrem guthertzigen fürhaben stecken, und müssen wol verkehrter weise selbst eigensinnig und widerwärtig heissen, wenn sie den eigensinn des Herrn, welchen andere per majora aus unzeitiger furcht und gefälligkeit unterhalten, nicht also fort
S. 89 Von der eigenwilligen Herrschafft §. 16.17.
  beyfall geben, und denselben exequiren helffen wollen.
  * Zu solchen kan auch noch ferner füglich gerechnet werden, das exempel anderer länder und nationen, bey welchen ein strenger dominat beliebet und anzutreffen ist. Denn wenn junge Herren, oder auch andere personen, die dereinst zu der republic diensten gebrauchet werden, auf ihren reisen dergleichen observiren oder sonst davon hören, so meynen sie, es lasse sich alles gar wohl nachmachen Wiewohl der seel. Lutherus beym Sleidano bereits zu seiner zeit über diese von der alten Teutschen freyheit gantz abgehende Regiments arth geklaget hat.
  ** Wo nun die erste ursach sich findet, da ist auch meistens alle Hoffnung verlohren. Denn so bald einem Herrn durch seine unnütze höfflinge dergleichen meynung von seinen getreuen die warheit liebenden dienern erst beygebracht worden, fänget er heimlich an dieselben zu hassen, fliehet deren vortrag und unterredung, damit er durch solchen in seinen vorhaben nicht beunruhiget werde. Es belagern auch wohl solchen diener gedachte höfflinge, daß er keinen besondern zutritt zum Herrn haben kan, und wissen ihm dagegen so vielerley inventiones vorzumachen, daß er auf sein wahres heyl nicht recht gründlich dencken kann. Daraus wird denn eine allmählig einschleichende gewohnheit, und am ende ist niemand mehr capabel den Herrn eines andern zu überreden.
HIS-Data 5226-5-16: Teutscher Fürsten-Staat: Additiones: §. 16 HIS-Data Home
Stand: 14. August 2017 © Hans-Walter Pries