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Seckendorff: Teutscher Fürsten-Staat HIS-Data
5226-5-39
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Wie ein junger herr mit einem tüchtigen hoffmeister und sonst mit guter erziehung zu versehen
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    ⇦ S. 186: §. 38
S. 186 (Forts.) Beym §. 27. et seqq.
  §. 39.
  WEgen auferziehung junger Herren ist wol zu beklagen, und der oben angezeigten ursache auch mit zuzuschreiben, daß öffters so gar schlechter success darbey ist. Uber andere theils schon berührte ursachen bedüncket mich nicht die geringste zu seyn, daß den jungen Herren nicht bey zeiten, und in gar zarten jahren, hofmeister, und zwar solche, vorgestellet werden, welche bewährter tugend, grosser geschicklichkeit und ziemlichen alters sind. Wenn man erweget, daß eines gantzen Landes und geschlechts wolfahrt an erziehung und wolgerathen der jungen Herrschafft gelegen, so solte man das amt eines jungen Herrschaffts-hofmeisters für das allervornehmste, wichtigste, ehrlichste und einträglichste halten und bestellen,* da man hingegen vieler orten junge, ungeübte, oder je solche leute darzu nimmet, die alle andere qualitäten haben, ausser denen, welche ihnen zu ihrem amt am nothwendigsten
S. 187 Von auferziehung junger Herrschafft. §. 39.
  [1]wären Die grösseste besoldung und reichliche begnadigung solle man einem hofmeister wiederfahren lassen, alldieweil seine mühe und gefahr die allergrösseste zu Hofe ist; Keine junge, sondern ziemlich betagte leute solte man darzu gebrauchen, damit sie die affecten der jugend an ihnen selbst zu überwinden gelernet, auch nicht ursach hätten, um künfftiger beförderung willen denen jungen herren zu schmeicheln, indem sie ihre zeit guten theils gelebet, und solche mittel erlanget hätten, dadurch sie allenfalls, wenn es saure gesichter geben wolte, dem zorn entgehen und privatiren könten, und solte hieran nicht hindern, daß die alten leute die mode nicht verstehen, sintemal tantzmeister, bereiter, sprach-meister, schneider, perrouquenmacher, barbierer, und dergleichen leute, jeder sein exercitium und kunst, woran sich eitele leute vergaffen, doch besser, als der hurtigste junge edelmann, verstehet, und also in solchen vanitäten vielmehr dienen und rathen kan, als der hofmeister, dessen amt auf diese und dergleichen stücke gar nicht, sondern auf eine reiffe tugend, verstand und bescheidenheit zu fundiren, damit die mittel-strasse zwischen dem eitelen hof-pracht und schädlicher freyheit, und einer rauhen und widersinnischen pedanterie, schein-frömmigkeit und gleißnerey, zu halten sey. Saget man, einen solchen mann solte man zum stadthalter, cantzler, geheimen rath, und dergleichen stellen, brauchen, das ist zwar eine gute meynung, aber man solte dieses thun, und jenes nicht lassen. Eines ist so nothwendig, oder etwa noch nothwendiger, als das andere, man ⇩ [1]
S. 188 Additiones zum II. T. §. 27.
  spare ehren-titul und besoldung nicht, so werden sich etwa mehr leute zu beyden stellen finden. Sint Mæcenates, non deerunt, Flacce, Marones. Kan aber ein Herr über allen angewandten fleiß zu solchen erwünschten personen nicht gelangen, so sehe er, in bestellung eines hofmeisters, mehr auf tugend und natürlichen guten verstand, als auf grosse wissenschafft und exercitien. Denn hierzu kan er unterschiedliche und viel leute gebrauchen; Hingegen muß die direction des hofmeisters bey den sitten mit dem gemüthe des jungen Herrn am meisten thun. Man soll auch billich ehrlich befundenen qualificirten leuten, so viel man kan, vertrauen, so wird die auferziehung besser gelingen, als wenn die eltern selbst um alle grosse und kleine sachen der kinder wissen wollen. Denn sie sind fürwahr über ihrer kinder tugenden und laster passionirte richter, so gebricht es ihnen auch an der zeit, bey ihrer erziehung in allen stücken bemühet zu seyn, darüber, und indem anderer geschäffte halben die resolutiones zurück bleiben, verlieret sich die beste bequemlichkeit, ein und anders zu remediren, darum ist es so thöricht nicht gethan gewesen, daß die Perser Könige ihre söhne denen stadt-haltern der landschafften zu erziehen vertrauet, und David thäte sein liebstes kind, den Salomon, unter die hand des Propheten Nathan. Der jungen Herren steter access bey den fürstlichen eltern, sonderlich auch bey frauenzimmers-personen, bringet selten grossen nutzen, und wird mit einem eitelen und verfänglichen discurs offt mehr in einer stunde umgerissen, als der klügeste und redlichste hofmeister, rath
S. 189 Von Auferziehung junger Herrschafft. §. 39.
  oder beichtvater, in etlichen wochen gebauet, darum ist dieser und anderer vieler ursachen halben das verschicken an frembde örter, unter vertrauter leute obsicht das beste, und hat sonderlich diesen nutzen, daß der einheimische allzu grossen respect, welchen junge herren von den hof-dienern und unterthanen haben, und den auch der strengste vater nicht verhindern kan, dero gemüther nicht verderben, und ihnen den hohen sinn und eigendünckel stärcken. Denn in der frembde sehen sie leute um sich, die ihnen zuweilen die derbe warheit sagen, oder doch auch von grossen herren frey reden, das beweget und bessert sie ehe, als wenn ihnen die einheimischen mit vielen umschweiffen und furchtsamkeit etwas erinnerliches vorbringen wollen, daher kömmet es, daß fast diejenigen Regenten, welche von geringerm stande erhaben worden, mehr lobes in den historien erlanget, als die in purpur gebohren, und durch die schmeicheley von jugend auf verzärtelt worden. Man nehme aus H. Schrifft das exempel Moses, Josua, Davids, Jehu, und aus den römischen historien den Cæsarem, Augustum, Nervam, Trajanum, die Antoninos. Teutsche exempel muß ich respects halben übergehen. Es läufft darauf aus, vexatio dat intellectum, und wer nie nichts gelitten, weder zu hause noch in der frembde, sondern allezeit nur liebkosen, und ja sprechen hören, ist warlich in einer gefährlichen schule gewesen, und muß ihn GOtt wunderbarlich, und durch anderweites grosses creutz, oder durch sehr treue und geschickte diener, zu erkäntniß der warheit und tugend bringen, wenn er etwas grosses und nützliches ausrichten soll. Ferner wird auch wol
S. 190 Additiones zum II. T. §. 27.
  an vielen orten damit geirret, daß junge herren von ihren vätern nicht zeitlich zu ernstlichen geschäfften und regiments-sachen gezogen werden. Nun ist zwar bekant, was der sinnreiche Boccalinus denen Regenten zumisset, daß sie sich nemlich für ihren eigenen söhnen fürchten, u. dahero dieselbe mit fleiß übel erziehen, und von den geschäften abhalten lassen, damit sie nicht ungebührliche frühzeitige lust zur regierung bekommen möchten, ich hoffe aber nicht, daß diese allzuscharffe fürsichtigkeit vonnöthen sey, allwo gleichwol wenig exempel vorhanden, daß regenten von ihren söhnen sollten vertrieben worden seyn,** und wenn auch gleich dieses zu befürchten wäre, so ist das mittel, so man dargegen mit böser erziehung u. verstossung der söhne von regiments-sachen brauchet, gar zu gefährlich, und schlimmer, als das übel selbst, das man damit verhüten will; medicina gravior morbo. Ich meyne, ein wohlgezogener junger Herr soll ehe seinem alten Vater respect geben, und je zeitlicher er zu regierungs-sachen gezogen wird, je ehe soll er die last des regiments erkennen lernen, und sich erfreuen seines herrn vaters anweisung und treuer vorsorge noch lange zu geniessen. Und was will auch ein verlebter alter herr mehr von GOtt wünschen und begehren, als wenn er im alter mehr ruhe habe, und durch sein eigen fleisch und blut sich subleviret, und seinen staat wol conserviret und regieret sehen kan, dabey er doch sich also vorzusehen wissen wird, daß ihm wider seinen willen der schlüssel nicht aus der hand genommen werde; Dannenhero ist nichts ersprießlichers, als daß man den zum ⇩ **
S. 191 Von Auferziehung junger Herrschafft. §. 39.
  regiment gebohrnen erben, so bald müglich, zu wichtigen sachen ziehe, damit er zu denselben lust bekomme, und gedencke, daß diß sein recht handwerck sey, nicht aber, daß er vor einen perfecten reuter, täntzer, jäger, musicum, mahler, distillatorn, und was der künsteley mehr ist, passire; von diesen und dergleichen dingen etwas zu wissen, mag wol hingehen, aber profession davon zu machen, verderbet den regentenstand durchaus. In einem redlichen krieg in der jugend sich zu üben, ist auch eine löbliche und nützliche sache für einen jungen Regenten, doch muß er, weil der staat des Teutschen Vaterlands auf friede bestehet, zu rechter zeit abzulassen, und diese kunst nicht anderst, als zum äussersten unvermeidlichen nothfall, wie eine gefährliche artzney, und nicht, wie eine speise, zu gebrauchen wissen. Herrlich redet hiervon, nach seiner zeit- und sitten-gelegenheit, Virgilius, wenn er den alten Anchises an seine nachkommen, die römische Helden, vermahnende einführet, in den bekanten nimmer genug gelobten Versen:
  Excudent alii spirantia mollius æra,
Credo equidem vivos
ducent de mormore vultus,
Orabunt causas melius, cœlique meatus
Describent
radio, et surgentia sidera dicent:
Tu regere imperio populus, Romane, memento,
Hæ tibi erunt artes, pacique imponere morem,
Parcere subjectis, et debellare
superbos.
  Auf unsere zeiten und Teutsche junge Herrschafft könte man es ohngefehr also auslegen:
  O teutsches fürsten-blut, laß künste künste seyn,
Und ob ein ander gleich mit reiten, jagen, hetzen,
  Im fechten und im spiel, und in dem eiteln schein
Des tollen kleider-prachts, wohl reden, reimen setzen,
S. 192 Additiones zum II. T. §. 27.
  Dir überlegen ist, hat er gleich mehr studirt,
Und kan in frembder sprach auch gantze bücher schreiben,
  Versteht die mahlerey, schnitzt, drechselt und poßirt,
Begreifft des Himmels lauff, kan alchimie treiben,
  So sey du eingedenck, was dein beruff und stand,
Dein thun und hauptwerck sey; O lerne wohl regieren
  Dein anvertrautes volck, im friede laß dein land,
Durch gute policey, nahrung und recht floriren,
  Dem, der sich unterwirfft, dem mache seine last
So leicht du immer kanst, verschone des elenden.
  Hingegen wisse wohl die kräffte die du hast,
Zum zwang des stoltzen feinds sieghafftig anzuwenden.
  * Gleichwie überhaupt es bey uns in erziehung der jugend versehen wird, also gehet es auch öffters bey der im text berührten erziehung junger Herren, und wird also dadurch die verbesserung in allen ständen verhindert. Denn so lange wir die erziehung der jugend nur so obenhin ansehen, wo wollen hernach die guten leute herkommen? Man wird gewiß an statt der wahren tugendhafften, lauter eigenwillige, scheinheilige, wollüstige, schmeichelhaffte, ehrgeitzige, ruhmsüchtige und andern unwesen mehr ergebene zu gewarten haben.
  ** Sonderlich ist wohl dermahlen in teutschland dieses nicht zu besorgen, wie bereits in dem tractat selbst angeführet ist, P. 2. c. 7. p 182. Ja ich glaube, daß wenn junge Herren in zeiten mit zu den Regiments-geschäfften gezogen werden, so lernen sie dessen schwere last um so eher erkennen, und tragen also eben so gar grosses verlangen nicht darnach; Dahingegen in wiedrigem fall es noch wohl eher nach dem spruch des poeten gehen könte:
  Nitimur in vetitum, semper cupimuspue negata.
  Und wolte man die historien durchgehen, würden sich vielleicht mehrere exempel finden, daß eltern von solchen kindern vom Regimente verstossen worden, welche nichts daran theil gehabt, und also gar zu grosse begierde darnach getragen, als von solchen, die gar frühzeitig zu Regiments-sachen mitgezogen worden.
   

  Anmerkungen HIS-Data  
  [1] Seite in BSB nicht vollständig gescannt. Fehlstellen wurden aus der Ausgabe 1754 der ULB Sachsen-Anhalt ergänzt.
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Stand: 3. September 2017 © Hans-Walter Pries