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ABENTEUER, ABENTEUERLICH. Mag man das Wort
Abenteuer oder Ebenteuer (Aventure) mit Adelung von adventus oder
eventus, oder mit Wachter von den gothischen Worten aba der Mann und
türen wagen (daher theuer, theuerkich, tapfer, herzhaft) oder von
dem Isländischen Ef zweifelhaft, und dyrren, sich erkühnen (Heumanni opusc. p. 465.) herleiten, es bezeichnet, sowie das
französische aventure, ursprünglich ein kühnes, verwegenes
Unternehmen, welches jemand aufsucht, oder auf welches er durch
Zufall stößt. Die frische Lebenskraft, der Thatendrang der Helden in
der Jünglingszeit einer Nation, wo physische Kraft durch geistige
Cultur noch nicht geschwächt ist, und das Recht der Stärke herrscht,
sucht Beschäftigung durch Kampf und Ritterzüge; sie brennt, in
Gefahr und Schrecken ihren Muth und ihre Tapferkeit, zu offenbaren;
den Feind besiegen, Schrecken und Gefahren standhaft zu bestehen,
ist hier der höchste Ruhm und Stolz. So die Argonauten, die das
goldne Vließ zu holen, nach der Sage, auszogen, so die Helden vor
Troja, die das schöne Weib erkämpfen wollten. Auf gleiche Weise nahm
der christliche Ritter das Kreuz und zog zu dem heiligen Grabe ins
gelobte Land, oder kämpfte für seine Dame mit Feinden und wilden
Thieren. Überall spielt bei dem Abenteuer der Zufall oder das Glück
eine Rolle; eine nach berechnetem Plan und verständigem Zwecke
besonnen unternommene That wird nicht Abenteuer genannt. |
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Wir finden aber diesen Namen zuerst in den
Ritterbüchern des Mittelalters. Hier bezieht er sich also auf den
Gegenstand, die erzählten Thaten, welche in Hinsicht der Ausführung
oder ihres Zweckes die Früchte kühner, verwegner Unternehmungen
waren. Bald kam natürlicher Weist zu dieser Bedeutung noch eine
andere, welche die erzählende Darstellung selbst betraf. Wo nämlich
die jugendlich frische Thatenkraft eines Heldenzeitalters
untergegangen ist, da scheinen wunderähnliche Wirkungen und Wagnisse
der lebenden Mensch- |
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ABENTEUER |
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heit nur eine Mähre, theils werden sie auch von
der, sich in die jugendliche Vergangenheit gern hinwendenden
Phantasie bald ausgeschmückt, mit dem Wunderbaren vermischt, und bis
zur Übertreibung, zum Mährchen gestaltet. Treten wir nun immer
weiter und tiefer ins bürgerliche Leben, und in diejenige Epoche der
Nationen ein, wo der Staat, besonders der monarchische, mit seinen
Regirungsgewalten sich vollkommen organisirt hat, wo die
Ausschweifungen, üppiger und ungezügelter Jugendkraft in
öffentlichen und Privatverhältnissen überall ihre Schranke finden,
und Klugheit herrscht, welche den Erfolg der Handlungen nach Gesetz
und Wahrscheinlichkeit berechnet: — unter diesen veränderten
Verhältnissen muß jedes kühne, nicht von dem Gesetz oder dem Dränge
der Umstände gebotene Wagen, jedes Hinausstreben über das Gewohnte,
was sich dem Glücke allzusehr überläßt, thöricht, seltsam
erscheinen. Daher nun die letzte, jetzt gewöhnliche Bedeutung des
Abenteuerlichen, in welcher es, nur nationell individualisirt, in
dem französischen aventurier vorkommt, welches wir treffend mit
Glücksritter übersetzen, obgleich bei uns Teutschen die Classe von
Menschen, welche diesen Namen trägt, seltner anzutreffen ist. |
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Aus allen diesen sind die von verschiedenen
Schriftstellern herrührenden Bestimmungen des Abenteuerlichen zu
begreifen, welche es bald (wie Eberhard), als das unnatürlich Große,
welches an das Ungereimte gränzt, oder (wie Gruber) als das
ungereimt Seltsame im Großen und Erhabenen, das überspannt Große,
bald (wie Sulzer) als das falsche Wunderbare, dem es selbst an
poetischer Wahrscheinlichkeit fehlt, darstellen, und alle laufen auf
den Begriff eines verwegenen gewagten Unternehmens hinaus, wobei man
an unnatürliche, übertriebene, oder erträumte Zwecke, an das
Unmögliche oder Ungereimte seine Kraft verschwendet. Leere
Ruhmsucht, oder das egoistische Streben, Aufsehn zu erregen, eine
ausschweifende ungezügelte Phantasie, überströmendes, muthwilliges
Kraftgefühl und üppiger Thatentrieb bei Mangel an Verstandesreife
sind die Quellen abenteuerlicher Handlungen. |
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In Hinsicht der Kunst, vorzüglich der Poesie
unterscheidet man das unwillkührlich- und fehlerhaft Abenteuerliche
d. h. dasjenige, welches der Darstellende selbst für Groß und
Erhaben hält und als solches darstellt, (liege es nun in den
Handlungen der geschilderten Personen, oder in dem Zusammenhange der
Handlungen und Begebenheiten, in welchem Fall es mit dem
Romanhaften, Übertriebenen, Unwahrscheinlichen, Zusammenhangslosen
oft zusammenfallt, oder in der Darstellung selbst) — von dem
willkürlich Abenteuerlichen, d. h. demjenigen, welches der Künstler
mit Bewußtseyn und künstlerischer Wirkung anwendet. Hier erscheint
es nun sowohl im Gebiete des Romantischen und Wunderbaren, wo die
Einbildungskraft ein freieres Spiel hat, und der Leser oder
Zuschauer sich gern der Täuschung derselben hingibt, (§. B. im
Mährchen, wie in Ariosts rasendem Roland, in der Oper), als auch in
der Sphäre des Komischen und als Parodie des Erhabenen, (wie im Don
Quichote des Cervantes), und der Gegenstand modificirt nothwendig
die Darstellung, und |
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ABEN ZOHAR |
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gibt ihr den eigenthümlichen Ton und
Zusammenhang. Das unwillkürlich Abenteuerliche erregt gewöhnlich
unwillkürliches Lachen. |
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Doch möchte die Grenze zwischen dem
unwillkürlich, und willkürlich Abenteuerlichen für den Beurtheiler
oft schwer zu bestimmen sein, daher auch manche etwas
Abenteuerliches an einem Kunstwerke, was zu dem Sinn und Ton des
Ganzen wohl gehört und darum Lob verdient, doch tadeln, indem sie
bloß von dem Standpuncte der Wahrscheinlichkeit und des logischen
oder empirischen Zusammenhanges ausgehen. (Z. B. bei Dante's und
Mich. Angelo's Beurtheilung.) Aber sehr natürlich ist, daß auch das
Unwahrscheinliche Sinn und Consequenz haben müsse, um sich nicht in
das schlechthin Ungereimte zu verlieren. Daher nennt man tadelnd
auch das angrenzende Schwülstige, Karikaturmäßige, Schimärische oder
das Monströse abenteuerlich, welches aller Schönheit der Form
widerspricht, so z. B. viele Abbildungen orientalischer Gottheiten
und Hieroglyphen, so wie die abgeschmackte Vermischung heterogener
Gegenstände und Style in der Poesie und bildenden Kunst, das
zweckwidrig Kühne in Werken der Bau- und Gartenkunst und das
wunderlich Bizarre in den Modulationen und Figuren der Tonkunst.
Letzteres geht ebenfalls bei Künstlern meistens aus Sucht nach
übertriebener Größe, Erhabenheit und Originalität hervor, welche
über die Grenzen des Darstellbaren hinausstrebt, und sich von der
Natur verliert. |
(A. Wendt.) |
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Abenteuer fahren |
Abenteuer, auf Abenteuer fahren heißt in der See
Sprache aufs Gerathewohl Frachten in fremden Hafen suchen. Bisweilen
nennt man Abenteurer die Schiffer die dahin handeln, wohin in der
Regel nur Compagnie-Schiffe handeln dürfen. |
(Jacobsen.) |
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